SPURENSUCHE Die Welt verändert sich ständig - nicht aber die großen Fragen, die Menschen bewegen. Wi

May 20, 2017 11:34

SPURENSUCHE
Die Welt verändert sich ständig - nicht aber die großen Fragen, die Menschen bewegen. Wir suchen in alten Filmen und Kunstwerken nach wiederkehrenden Motiven. Auch in Gefahr befasst man sich oft mit Nichtigkeiten

Wenn man derzeit lange genug einem Nachrichtensender lauscht, kommt es einem so vor, als sei das Nahen der Apokalypse gesichert, nur noch nicht, aus welcher Richtung sie herandonnert. Alles ist Selbstauflösung und Selbstzerfleischung; ein nicht enden wollender Strom der Skandale und Unerhörtheiten, die zu hitzigen Debatten führen, aber zu keiner Lösung. Es ist dem amerikanischen Filmemacher George A. Romero ganz ähnlich gegangen Ende der Sechzigerjahre - die Menschen hätten, sagte er später, im Angesicht „unmöglicher und unwahrscheinlicher Situationen immer noch untereinander Nichtigkeiten diskutiert, statt sich mit dem tatsächlichen Problem zu befassen“.

Romero hatte kein Geld, aber er hatte eine Idee: Aus diesem Gefühl hat er einen Film gemacht, in dem sich die Toten aus ihren Gräbern erheben und die Lebenden belagern, meucheln, krank machen, wenn sie sie nur beißen: „Die Nacht der lebenden Toten“ kam 1968 in die Kinos. Romeros Film wurde zunächst einmal von den etablierten amerikanischen Filmkritikern, Vincent Canby von der New York Times etwa und Pauline Kael vom New Yorker, als trashige Zumutung abgetan. Der Film wurde dann trotzdem zum Kultobjekt, auch deshalb, weil das nicht stimmt. „Night of the Living Dead“ wurde sogar einer der erfolgreichsten Filme, die bis dahin außerhalb der Hollywood-Studios gedreht worden waren. Das Geheimnis seiner Anziehungskraft lag zum Teil sicher darin, dass er so schön schrecklich und eklig war und doch auch witzig.

„Die Nacht der lebenden Toten“ ist auch eine politisch aufgeladene Metapher, ein Zeitdokument - es war die Protest-Ära, Bürgerrechtsbewegung und Vietnamkrieg dominierten die Wahrnehmung, der Kalte Krieg war noch lange nicht zu Ende. Romero zeigte eine Gruppe von Menschen, die sich verschanzen und darüber diskutieren, wie sie dem Unausweichlichen entrinnen könnten.

Die Zombies, die unterdessen in den Garten torkeln, sind irgendwie niedlich. Manchmal weiß man gar nicht so recht, wem man hier den Sieg wünschen soll. Für Romero war das übrigens klar: den Zombies, denn sie vertreten die Gegenkultur, die überrollt wird von einer neuen Veränderung - Bürgerrechtler, Kriegsgegner. Wie auch immer: „Die Nacht der lebenden Toten“ lief über Jahre dauernd in den amerikanischen Kinos, oft in Matineen. Vom Beginn von Nixons erster Amtszeit bis so in etwa zum Zeitpunkt seines Rücktritts, 1974. Susan Vahabzadeh

Süddeutsche Zeitung, Samstag, den 20. Mai 2017, Seite 16

film, literatur, universals

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