Apr 29, 2015 08:29
Der Imageberater
Eine Ausstellung des Cranach-Jahrs: Auf der Wartburg bei Eisenach ist zu erleben, wie der Maler das gültige Luther-Bild geformt hat
Von Gottfried Knapp
Wenn sich das Verständnis für Kunst im Lauf des 20. Jahrhunderts nicht radikal gewandelt hätte, würden die vielen Cranach-Ausstellungen, die wir in diesem Jahr erwarten (SZ vom 2. April) am öffentlichen Interesse weit vorbeizielen. Der Kunsthistoriker Max J. Friedländer, der 1932 das Werkverzeichnis von Lucas Cranach dem Älteren herausgab, konnte sein Urteil über Cranach noch auf zwei Sätze verkürzen: „Wäre Cranach 1505 gestorben, so würde er im Gedächtnis leben wie geladen mit Explosivstoff. Er ist aber erst 1553 gestorben, und wir beobachten statt der Explosion ein Ausrinnen.“
Würde dieses strenge Urteil heute noch unmodifiziert gelten, müsste man beispielsweise Pablo Picasso vorwerfen, dass er sich mit zweitklassiger Kunst beschäftigt hat, als er die späten Figuren Cranachs in ausgedehnten Werkzyklen paraphrasierte. Und auch die vielen markanten Porträts der sächsischen Kurfürsten und der von ihnen geförderten Reformatoren müsste man dann als Produkte einer kläglich verrinnenden Begabung abtun. Doch das Wertesystem von damals ist seither heftig in Bewegung geraten. Die enormen Qualitätsunterschiede, die Friedländer in den Serienprodukten der Bilder-Fabrik Cranach festgestellt hat, fallen heute genauso stark ins Auge wie damals. Aber viele der Erfindungen, die Cranach im Lauf seines langen Künstlerlebens auf religiösem und mythologischem Gebiet gemacht hat - man könnte sie mit dem Hilfswort „Protestantischer Manierismus“ charakterisieren -, werden heute ganz anders erlebt als vor hundert Jahren. Die Kühnheit, mit der Vater und Sohn Cranach in einer Zeit blutiger konfessioneller Konflikte in ihren protestantischen Hochaltären die Wirkungsmuster der katholischen Kirche gebrochen und mit neuen, großenteils weltlich, ja privat zu interpretierenden Inhalten gefüllt haben, nötigt uns heutigen Betrachtern höchste Bewunderung ab.
Äußerer Anlass für die Wiederentdeckung und Neuinterpretation des Cranachschen Werks ist einmal das sich abzeichnende Jubiläum der Reformation im Jahr 2017, das im Kernland des Protestantismus mit zahlreichen Veranstaltungen vorbereitet wird; zum anderen der 500. Geburtstag von Lucas Cranach dem Jüngeren, also dem vielbeschäftigen Sohn von Lucas dem Großen.
Die Forschung hat sich selten die Mühe gemacht, dem Sohn, der früh in die Werkstatt des Vaters hineingewachsen ist und den Stil des Ateliers perfekt imitieren konnte, gerecht zu werden. Erst in den Fach-Symposien der vergangenen Jahre wurde der Versuch unternommen, die Werkanteile der beiden Malerpersönlichkeiten zu trennen. Dabei wurde dem Sohn erstmals eine individuelle Handschrift zuerkannt. Mit einigem Staunen haben die Wissenschaftler den manieristisch eigenwilligen Bild-Fabulierer entdeckt, der die komplizierten Glaubenssätze des Protestantismus mit entwaffnender Simplizität unterhaltsam wie in einem Comic zu vermitteln verstand. In den besten der vielen Fürsten- und Reformatorenporträts aber, die der Jüngere anzufertigen hatte, glaubt man heute eine neue psychologisierende Sensibilität zu verspüren. Figuren wie Philipp Melanchthon etwa, die in den prägnanten Porträts des Vaters noch eine pralle Präsenz entwickelt hatten, wirken beim Sohn plötzlich verletzlich.
Die neun Cranach-Ausstellungen, die in einer Gemeinschaftsaktion für dieses Jahr organisiert worden sind, verteilen sich über das gesamte Gebiet des ehemaligen Kurfürstentums Sachsen, das sich vom heutigen Sachsen-Anhalt über Thüringen bis nach Franken erstreckte. Die drei Ausstellungen im nördlichsten Teil - in Wittenberg, Dessau und Wörlitz - sind erst von Ende Juni an geöffnet. Sie werden sich intensiv mit Lucas Cranach dem Jüngeren und seinem Versuch, aus dem riesigen Schatten des Vaters zu treten, beschäftigen. Was die einschlägigen Museen in Franken - die Veste Coburg, die Fränkische Galerie in Cranachs Geburtsort Kronach und das Germanische Nationalmuseum in Nürnberg - zum Cranach-Festjahr beizusteuern haben, werden wir würdigen, wenn das Germanische Nationalmuseum Ende Mai seine altdeutschen Bestände neu geordnet und den Werken der Cranachs eine Sonderschau eingerichtet hat. Von den drei Ausstellungen in Thüringen wollen wir die thematisch konzentrierte Schau „Cranach, Luther und die Bildnisse“ im Museum der Wartburg als Erste besprechen.
Die Besucher der Wartburg können die Höfe der Burg frei betreten. Ins Innere des spätromanischen Palastes, in die ausgemalten Prunksäle des 19. Jahrhunderts, ins Museum und in die berühmte Lutherstube kommen sie aber nur, wenn sie sich einer Führung anschließen. Am Ende des Rundgangs werden sie in das gut bestückte Museum entlassen.
Luther-Porträts von Cranach gibt es auf der Wartburg schon, seit Karl Alexander von Sachsen-Weimar-Eisenach Mitte des 19. Jahrhunderts einen alten Wunsch Goethes erfüllt und die damals ruinöse Wartburg zum wohnlichen Geschichtsmonument hat ausbauen lassen. Um den eigenen Bilderkern herum hat das Museum nun rund hundert Bilder, Grafiken und Bücher versammelt, die zeigen, wie die von Cranach geschaffenen Luther-Porträts zu Lebzeiten der beiden miteinander befreundeten Männer schier endlos oft kopiert worden sind. Cranachs Luther-Porträts haben das Bild, das sich die Welt vom Reformator gemacht hat, bis heute in allen Details bestimmt.
Von keiner Figur der älteren Geschichte hat die Welt eine so präzise Vorstellung, ein so überzeugend lebendiges, so glaubwürdig über Jahrzehnte geformtes und so oft bestätigtes Bild wie von Martin Luther. Wer in der Ausstellung verfolgt, wie ein Projektor Luther-Bilder verschiedener Maler elektronisch übereinanderblendet, der kann nur staunen über die Selbstverständlichkeit, mit der sich die verändernden Gesichtszüge stets wieder zum bekannten Charakterkopf zusammenfügen.
Das erste bekannte Luther-Porträt wurde von Cranach im Jahr 1520 zur Vorbereitung des Wormser Reichstags in Kupfer gestochen: Es zeigt den grüblerisch ernst dreinblickenden, ausgezehrt wirkenden Augustinermönch ausgerechnet in jener Haltung, die sein feister geistlicher Gegenspieler, Kardinal Albrecht von Brandenburg, auf Dürers kurz vorher erschienenem Stich einnimmt. Ein Jahr später lieferte Cranach der Öffentlichkeit einen neuen Archetyus: Luther mit locker übergestülptem Doktorhut, eine Figur von großer sinnlicher und geistiger Präsenz, nun von der Seite gesehen, so dass sich das fleischige Profil den Betrachtern einprägt. Dann Junker Jörg, der hinter einem Vollbart verborgene, in der Wartburg versteckte Schutzgefangene - der bekannte Mann im Ausnahmezustand, ein bei Anhängern beliebtes Motiv. Und schließlich das Urbild des evangelischen Pfarrhauses: der Ehemann Martin Luther und seine Frau Katharina, das skandalöse Paar, der entlaufene Mönch, der die entlaufene Nonne geheiratet hat. Unendlich oft wurde dieses Diptychon nachbestellt. Es hatte wie die Doppelbildnisse von Luther und Melanchthon für die Anhänger des Neuen Glaubens die erhebende Kraft einer Predigt, und wurde an Orten, wo Reliquien abgeschafft waren, fast wie eine Reliquie verehrt.
Am Ende dann Luther auf dem Totenbett. Da der Reformator nicht zu Hause in Wittenberg, sondern in seiner Geburtsstadt Eisleben gestorben war, musste Cranach der Jüngere bei seiner Erstellung des prägenden Erinnerungsbilds auf die Farbzeichnung eines unbekannten Eislebener Malers zurückgreifen. Mit umso größerer Sorgfalt hat er sich um eine sachlich überzeugende und doch bewegende Darstellung bemüht. Die Wahrhaftigkeit, die dieses Bildnis ausstrahlt, hat noch Jahrhunderte später als vorbildlich gegolten.
An das explosiv begabte Genie Cranach, das Friedländer entdeckt hat, erinnern in der Schau auf der Wartburg am ehesten die beiden radikal sachlichen Porträts von Luthers Eltern. Selten hat sich gelebtes Leben so glaubwürdig in Bildern mitgeteilt wie in diesem Doppelbildnis, das seit dem 19. Jahrhundert auf der Wartburg den schematischeren Luther-Porträts beigesellt ist.
Süddeutsche Zeitung, Mittwoch, den 29. April 2015, Seite 10
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