Apr 11, 2015 12:22
Weitsprung
Hamburg will die Olympischen Spiele ausrichten, aber das Fest soll keine folgenlose Protz-Orgie werden, sondern die Stadt neu erfinden
Von Till Briegleb
Man kann sich Jörn Walter nur schwer in Badehose auf einem Zehnmeterbrett vorstellen. Trotz seines agilen Auftretens ist Hamburgs Oberbaudirektor nicht der athletische Typ, der mit Kopfsprüngen beeindruckt. Aber Jörn Walter will auch nur kucken. Für den Fall, dass Hamburg 2024 oder 2028 die olympischen Spiele ausrichten darf, möchte er auf dem Turm der Schwimmhalle stehen und über den Fluss auf die Elbphilharmonie blicken. Er sagt: „Das wird sensationell!“ Mit diesem Versprechen versucht er, Begeisterung für die „einmalige Chance“ zu wecken, die Olympia für die Entwicklung Hamburgs bedeutet.
Für Jörn Walter ist dieser Kraftakt kein Mutsprung ins Ungewisse, wie Olympia-Skeptiker es prophezeien. Ihm geht es um den „Sprung über die Elbe“. Er möchte den Riegel der Hafenwirtschaft längs der Elbe durchbrechen und die Stadt über den Fluss in den Süden verlängern. Den geplanten Olympiastandort am südlichen Ufer, 500 Meter Luftlinie von der Elbphilharmonie entfernt, nennt er deswegen „Gelenk“. Und es würde sich nie im Hafen implantieren lassen, wenn es nicht den politischen Schub durch die Spiele gibt.
Ganz so krass wie sein Architekt für den Bebauungsvorschlag, Volkwin Marg, sieht Walter dies allerdings nicht. Marg, einer der prominentesten Stadionbauer der Welt, dessen Büro gmp in Deutschland, Südafrika und Brasilien WM-Arenen entworfen hat, erklärte kürzlich auf einer Architektenveranstaltung: Sportfans seien alle „mental gleichgeschaltet“, Fußballspiele im Kern nichts anderes als FDJ-Aufmärsche, und die moderne Sportorganisation - an der er seit vielen Jahren mitverdient - eine „kapitalistische Perversion“. Für Marg ist die Bewerbung nur Tarnung, um einen „Motivationsschub“ für die Stadtentwicklung zu entfachen.
Was bei dem sporthassenden Sportstättenplaner so polemisch daherkommt, drückt Hamburgs oberstes Stadtplaner sachlicher aus: „Der ganze Ansatz der Hamburger Bewerbung geht von der Nachnutzung aus“, sagt Walter. „Olympic City“, wie das neue Stadtgebiet am südlichen Elbufer einmal heißen soll, „muss nach den Spielen ein funktionierender Stadtteil sein. Von diesem Standpunkt aus können wir uns fragen, wie wir bauen müssen, damit das Quartier für ein halbes Jahr auch für olympische und paralympische Zwecke genutzt werden kann.“ Und dieser Ansatz wäre für die Geschichte der Olympischen Spiele ein Epochenbruch.
Es geht um das so übel missbrauchte Wort „Nachhaltigkeit“, das spätestens seit der Expo 2000 in Hannover bei jeder internationalen Großveranstaltung ganz vorne in den Marketingbroschüren und ganz hinten in der Umsetzung steht. Ein Besuch auf Athens Olympia-Gelände elf Jahre nach den Spielen etwa zeigt eine vollgemüllte Ruinenlandschaft, gegen die antike Bauwerke eine geradezu propere Ausstrahlung haben. Pekings menschenleerer Olympiapark von 2008 präsentiert sich abseits des unbenutzten Hauptstadions, dem „Vogelnest“ von Herzog & de Meuron, vor allem mit verfallenden Gebäuderesten, rostigen Zäunen und vertrocknetem Gras. Und Putins Propaganda-Spiele in Sotschi fanden aus Gründen der Korruption bereits in Quasi-Ruinen statt. Deren Nachleben ging dann in jene Geisterstadt über, als die so viele ehemalige Architekturwunder des Sports enden. Selbst dort, wo die nachhaltige Stadterweckung durch Olympia gewünscht und später auch halbwegs belobigt wurde, wie 1992 in Barcelona oder zuletzt 2012 in London, verhinderte der enorme Flächenverbrauch durch olympische Sportstätten und ihr maßloses Distanzgrün, dass eine echte Einbindung in die Stadt gelingen konnte. London, das 2005 wie Hamburg heute mit einem komplexen Nachhaltigkeitskonzept an den Start ging, konnte zwar das Stadion und die Olympiahallen so zurückbauen, dass sie pragmatischen Nachnutzungen genügen.
Tatsächlich aber bietet die Solitärsammlung im Nordosten Londons drei Jahre nach den Spielen einen ziemlich zugigen und menschenleeren Anblick, was nicht zuletzt daran liegt, dass das Areal sich nicht mit den umliegenden Stadtteilen verbindet. Vor allem das Olympische Dorf mit seinen zwölfstöckigen Blöcken verwandelte sich nach Auszug der Athleten in eine innerstädtische Trabantenstadt. „Wir wollen eine städtische Struktur bauen“, sagt Walter dagegen, der London als Vorbild für Hamburg, aber das olympische Dorf „noch nicht überzeugend“ nennt. „Das hoffe ich, machen wir deutlich besser.“
Hamburgs größter Vorteil gegenüber vorherigen Olympiaplanungen, bei denen die Sport-Parks schließlich doch in Mondlandschaften zerfallen sind, besteht vor allem in der stadtnahen Lage. Vom zukünftigen Gelände, auf dem heute Autos und Früchte verladen werden, ist es nur ein Brückenschlag zur HafenCity. Diese prominente Stadterweiterung auf den alten stadtseitigen Hafenanlagen soll zum Zeitpunkt der Spiele fertig gebaut sein. Dann würde auf der anderen Flussseite ein neuer gemischter Stadtteil für 6000 Bewohner und 15000 Arbeitsplätze entstehen, der tatsächlich das ersehnte Bindeglied zu den südlichen Stadtteilen Veddel und Wilhelmsburg herstellen könnte.
Zwar hat bereits die Internationale Bauausstellung (IBA) in Wilhelmsburg über sechs Jahre und mit viel Geld versucht, die Quartiere hinter dem Hafen in Hamburg satisfaktionsfähig zu machen. Auch die neue Stadtentwicklungsbehörde, in deren 12. Stock Jörn Walter sein Büro hat, wurde als Initialbebauung in Form einer bunten Stehwelle von Sauerbruch und Hutton hierher verlegt. Aber solange dazwischen zwei Kilometer uncharmante Betonflächen eines modernen Containerhafens liegen, auf denen man zwar manchmal einen kreisenden Seeadler, aber garantiert keine Fußgänger beobachten kann, scheitert der Sprung über die Elbe weiterhin am Sprung in der Stadtschüssel. Nord und Süd sind immer noch getrennte Welten.
Aber können große Arenen, die weit mehr die neue Olympic City prägen würden als die kompakte Quartiersbebauung, tatsächlich die geteilte Stadt kitten? Wird ein weitläufig dimensionierter Sportpark, mit dem Hamburg sich zur „Healthy City“ wandeln will, wirklich einmal anders aussehen als all die anderen Habitate für Bachstelzen und streunende Hunde, die Olympia hinterlassen hat?
Jörn Walters Optimismus jedenfalls ist grenzenlos. Das Olympiastadion werde man auf eine bescheidene Größe zurückbauen und versuchen, den Universitätssport hierher zu verlegen. Die Olympiahalle soll Hamburgs viertes Kreuzfahrtterminal werden, und im öffentlichen Schwimmbad klettern nach den Anzugträgern die jugendlichen Angeber auf den Zehnmeterturm, die weniger nach der Elbphilharmonie schielen, als danach, ob die Mädchen auch kucken, wenn sie springen.
Vielleicht hört sich das alles ein bisschen zu schön an, um wahr zu werden. Zu schön aussehen, soll Olympia dagegen nicht. „Ich glaube, dass die Zeit der Glamour-Architektur bei Olympia vorbei ist“, sagt Walter mit Blick auf die Kunstbauten internationaler Stararchitekten, die seit jeher den großen Auftritt für das kurzfristige Medien-Event schaffen. Hamburgs „bescheidene“ Spiele möchten sich auch so kleiden. „Trotzdem wollen wir natürlich am Ende vernünftige Architekturen haben, die wir Hamburger uns dauerhaft gerne ansehen“, sagt Walter. „Wir verfolgen aber definitiv nicht den Anspruch, eine Ikone wie das Pekinger Stadion hierher zu setzen, die ein unglaubliches Geld kostet, und dann nur leer steht.“ Eine Aussage, die man als kleinen Seitenhieb gegen Hamburgs Olympia-Planer Volkwin Marg verstehen könnte, der ein paar von diesen „Weißen Elefanten“ gebaut hat.
Was aber wird mit dem schönen Traum von neuer Stadt mit olympischer Zwischennutzung, wenn Hamburg die Spiele weder 2024 noch 2028 bekommt? Dann, so hat noch der alten SPD-Senat von Olaf Scholz beschlossen, bleibt der herrliche Ausblick auf die Elbphilharmonie ein Privileg der Obst- und Auto-Verlader. Wenn der Hafen aber bleibt, bleibt der Sprung über die Elbe mangels Schub eine Bauchlandung. Und für die braucht man dann auch keinen Zehnmeterturm mehr.
Süddeutsche Zeitung, Samstag, den 11. April 2015, Seite 15
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