Unter die Haut gegangen Südostasiatische Literaturtage in Frankfurt am Main Der Inselstaat Indonesi

Jan 26, 2015 11:03

Unter die Haut gegangen
Südostasiatische Literaturtage in Frankfurt am Main

Der Inselstaat Indonesien, mit 240 Millionen Einwohnern einer der bevölkerungsreichsten Länder der Welt, ist in diesem Jahr Ehrengast der Frankfurter Buchmesse. An kultureller Vielfalt kann es kein zweites Land mit ihm aufnehmen: 700 gezählte Sprachen, 400 Ethnien, dazu fünf offiziell anerkannte Religionen lassen die letzten frommen Verteidiger des „Abendlandes“ bleich aussehen. In der Wahrnehmung der Deutschen ist der indonesische Archipel vor allem ein beliebtes Reiseziel, zuweilen getrübt - wie die gesamte Region - von Kriegen, Krisen, Katastrophen. Als Literaturland ist es noch zu entdecken und birgt manche Überraschungen, wie am Wochenende im Literaturhaus Frankfurt zu erleben war: Vor einem hiesigen Publikum wurden die Möglichkeiten des poetischen Ausdrucks schon lange nicht mehr so polyglott und konzentriert erörtert wie hier.

Das lag nicht allein an den geladenen Autoren, sondern auch an der Arbeit großartiger Übersetzer, die sich mit jenen die Bühne teilten und die schon jetzt hohe Erwartungen an die literarische und sprachliche Qualität ihrer demnächst erscheinenden Übertragungen aus dem Indonesischen wecken. In den vergangenen Jahren waren es die Literaturen Mittelamerikas, Afrikas und der Arabischen Welt, nach denen der Kompass des Veranstalters „Litprom“ - einer Tochtergesellschaft der Frankfurter Buchmesse zur Förderung der Literatur aus Afrika, Asien und Lateinamerika - nacheinander ausschlug. Den indonesischen Autoren zur Seite saßen Schriftsteller aus anderen Ländern der Region, aus Malaysia, Vietnam und Singapur. Die Probe darauf, dass auch das Eigene nirgendwo besser zu erkennen ist als im Fremden, wurde im Gegenzug von den beiden deutschen Autoren Ulrike Draesner und Stephan Thome erbracht.

Wer als Bali-Tourist schon einmal auf der Strecke zwischen Bangkok und Denpasar die Landschaften Kambodschas und Vietnams überflogen und bei wolkenlosem Himmel aus dem Kabinenfenster geschaut hat, dem muss es mulmig geworden sein bei Betrachtung der wie mit Flammenschwertern gezogenen Schneisen, mit denen der Dschungel während des Vietnamkriegs großflächig entlaubt wurde: eine sichtbar verwundete, versehrte Landschaft als Pendant zu den unsichtbaren „Killing Fields“ von Kambodscha und zu den verletzten Körpern und Seelen der Menschen. Die Traumata der kolonialen und nachkolonialen Ära und die darauf lastenden Tabus sind das Gemeinsame, was die Menschen dieser Region verbindet.

Madeleine Thien, die 1974 in Vancouver geborene Tochter von Eltern, die vor Verfolgungen aus China und Malaysia geflohen waren, bringt es auf den Punkt: Die Erfahrungen, die die Menschen der Länder Südostasiens miteinander teilen, schaffen das „Spannungsfeld“ ihrer Literatur. Thiens jüngster Roman „Flüchtige Seelen“ (deutsch bei Luchterhand 2014) ist das Resultat langjähriger Recherchen vor Ort über die Verbrechen der Roten Khmer und den Genozid an Millionen von Menschen. Während die Überlebenden über die Vergangenheit den Mantel des Schweigens gelegt hätten, sagte Thien, sei ihr, unter dem Nachhall der eigenen Familiengeschichte, jenes Land buchstäblich „unter die Haut gegangen“. Ähnliche Erfahrungen hat die 1968 in Saigon geborene, heute in Kanada lebende Kim Thuy gemacht, die als Zehnjährige auf der Flucht der Boat People überlebte. Stellvertretend für eine Million Landsleute, die dasselbe Schicksal teilten, aber schweigen, erzählt sie davon in ihrem gefeierten Roman „Der Klang der Fremde“ (deutsch 2010 bei Antje Kunstmann).

Indonesien nun blickt in diesem Jahr zum 50.Mal zurück auf die Pogrome des Jahres 1965, denen bis zu einer Million Oppositionelle zum Opfer fielen. Daran und auf die Tabus einer - im Hinblick auf kritische Zonen - sprachlosen Gesellschaft erinnerte die 1964 in Bandung geborene Lea Pamungkas, die als Publizistin unter der Repression des Suharto-Regimes in die Niederlande floh. Sie schreibt Kurzgeschichten wie jene brandaktuelle über eine Mutter, die ihren zum islamistischen Terroristen gewordenen Sohn im Gefängnis aufsucht und ihn nicht mehr wiedererkennt. Radikale Konsequenzen zieht der Lyriker, Philosoph und Performance-Künstler Afrizal Malna durch die Rückführung von Sprache auf Körpersprache.

Gegen die politischen, religiösen, vor allem aber auch sexuellen Tabus der indonesischen Gesellschaft schreibt mit sinnlicher Verve Indonesiens bekannteste Autorin an, die 1968 geborene Ayu Utami (ihr Roman „Saman“ deutsch bei Horlemann 2007). Wie die übrigen in Frankfurt präsenten Autoren pocht Utami auf das Primat der künstlerischen Form, die in der Schönheit der Sprache ästhetische Werte aufrecht erhält - auch und insbesondere gegenüber politischen Themen, denen sie als gelernte Journalistin nicht aus dem Wege geht. Operativ bedeutet dies - zumal unter schwierigen und repressiven Bedingungen -, was Lea Pamungkas als Wahlspruch aus der Ära Suharto wiedergibt: „Wenn der Journalismus tot ist, muss die Literatur sprechen.“ Der Messeauftritt der indonesischen Autoren darf mit Spannung erwartet werden. Ihr hohes Sprachbewusstsein, ihre Auffassung von Literatur als Sprachkunst könnte hiesigen Autoren zur Nachhilfe gereichen.

VOLKER BREIDECKER, Süddeutsche Zeitung, Montag, den 26. Januar 2015, Seite 12

indonesien, literatur, südostasien

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