Heute ist’s schön Angela Merkel bekommt zum 60. Geburtstag den Historiker, den sie sich gewünscht ha

Jul 20, 2014 21:37

Heute ist’s schön
Angela Merkel bekommt zum 60. Geburtstag den Historiker, den sie sich gewünscht hat, und außerdem einen stichelnden Koalitionspartner - während ein anderer lieber Grüße ausrichten lässt

Von Thorsten Schmitz

Berlin - Irgendwann an diesem subtropischen Donnerstagabend, nachdem CDU-Vize Julia Klöckner die Fotografen mit ihrem Hollywood-Lächeln verwöhnt hat, erscheint ein älterer Herr vor dem Berliner Konrad-Adenauer-Haus. Die Fotografen haben keine Augen für ihn. Es ist Lothar de Maizière, der letzte DDR-Ministerpräsident. Angela Merkel war 1990 seine Vize-Regierungssprecherin. De Maizière ist ganz allein. Hatte er damals schon eine Ahnung, dass Merkel Karriere macht? „Um ehrlich zu sein, ihr Durchsetzungsvermögen hat mich überrascht“, sagt er, „heute ist sie ja die bedeutendste Politikerin auf dem Erdball.“

Es ist ein Gedränge und Geschiebe im Foyer der CDU-Zentrale, das an Merkels 60. Geburtstag in einen Hörsaal umfunktioniert wird und den Charme eines Krankenkassenfoyers versprüht. Schlichter kann eine Erdball-Kanzlerin ihren Geburtstag nicht feiern. Die Luft steht, es gibt Erdbeerdrinks und halbe Brezeln. Sausen sehen anders aus.

Merkel, die mit offener Kritik besser umgehen kann als mit Hudelei, wird an diesem Abend in Lob getunkt. Egal, mit wem man spricht. CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt sagt: „Sie ist uneitel und gibt sich nicht mit Oberflächlichkeiten zufrieden.“ Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier sagt: „Sie ist eine großartige Frau.“ Das findet auch Ex-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Und der Schauspieler Ulrich Matthes? Schätzt an Merkel die kurzen Wege. Erst vor ein paar Tagen hat er ihr ein Fax geschickt, Stunden später klingelte sein Telefon, und die Kanzlerin war dran. „Sie hat einen guten Charakter“, sagt Matthes. Merkels Partei schätzt er weniger: „Ich wähle nicht die CDU.“ Ganz zum Schluss, kurz vor Vorlesungsbeginn, eilt Kanzleramtschef Peter Altmaier hinein. Hat Russlands Präsident Wladimir Putin heute auch gratuliert? Für einen Moment verliert Altmaier sein Lächeln. Dann sagt er: „Kann ich Ihnen nicht sagen. Staatsgeheimnis.“

Zur Uneitelkeit Merkels gehört, dass sie an ihrem runden Geburtstag nicht im Rampenlicht stehen möchte. Also lud sie den sehr klugen Historiker Jürgen Osterhammel ein, über „Vergangenheiten“ und „Die Zeithorizonte der Geschichte“ zu reden. Knapp 50 Minuten wird der Professor referieren, über Mobilisierungen von Fußballmassen, Diskriminierungen von Frauen, den Globalisierungskraken China, Zukunftsunsicherheiten, Russlands „reichsnostalgischen Weg“, über Deutschland im Zweiten Weltkrieg, „das brutalste Weltimperium“ - und auch über das Internet, die „revolutionäre Daseinsmacht“. Manche nicken ein, aber das mag auch an der Luft liegen. Nur Merkels Ehemann Joachim Sauer tut das einzig Richtige, um zu überleben: Er zieht sein Jackett aus.

Osterhammel lehrt neuere und neueste Geschichte an der Universität Konstanz. Bekannt geworden ist er mit einem 1568 Seiten dicken Buch „Die Verwandlung der Welt“, einem lebendigen Werk über das 19.Jahrhundert. Darin gibt es auch Passagen über die Chronometrisierung. Man erfährt darin, wie die Massenproduktion von Taschenuhren gestiegen war: von 400000 Stück am Ende des 18. Jahrhunderts auf mehr als 2,5 Millionen Stück im Jahr 1875. Die Welt, schreibt Osterhammel, „zerfiel in Uhrenbesitzer und Uhrenlose“. Angela Merkel gehört zweifellos zu den Uhrenbesitzern dieser Welt. Sie besitzt ein Gespür für die Zeit. Und manchmal hat sie sogar Zeit zum Lesen.

900 Seiten hat sie von Osterhammels Wälzer geschafft, vor allem nach dem Skiunfall im Winter, als sie einen Bruch des Beckenrings auskurieren musste. Das Buch hatte ihr die ehemalige Ministerin Annette Schavan geschenkt. Schavan ließ bei Osterhammel anfragen, ob er sich vorstellen könne, zu Merkels Geburtstag zu referieren, das Thema des Vortrags besprach Merkel dann mit Osterhammel am Telefon.

Dem Lobgesang setzt Sigmar Gabriel kleine Frechheiten entgegen: „Liebe Frau Merkel, es ist wenigstens zeitweise eine große Freude, mit Ihnen zusammenzuarbeiten“, stichelt der sehr braun gebrannte SPD-Chef. Irritation löst Gerda Hasselfeldt aus, die Chefin der CSU-Landesgruppe im Bundestag: Sie übermittelt Grüße von Horst Seehofer. Ja, wo ist eigentlich Seehofer? Er hat den Geburtstag Merkels sausen lassen zugunsten der Entgegennahme des griechisch-bayerischen Kulturpreises. Im Saal wird gemault. Hasselfeldt versucht die Wogen zu glätten mit einem Seehofer-Satz: „Angela, du bist die Größte.“ Doch dann schiebt sie eine Warnung nach: Die liebe Angela wisse ja sicher, dass das nicht für alle Zeiten gelte.

Merkel trägt’s mit Humor. Von Seehofer habe sie gelernt: „Nur wenn es heute schön ist, muss es morgen nicht auch so sein.“ Dann stellt sie noch mit wissenschaftlicher Präzision fest: „Es lässt sich nicht leugnen, ich bin 60 geworden.“ Sie sei aber nach wie vor neugierig geblieben.

Nur - neugierig auf was?

Hier und da wurde an diesem Abend darüber spekuliert, ob Merkel die volle dritte Amtszeit Kanzlerin bleiben oder den Stab vorzeitig weiterreichen werde. Zur Uneitelkeit Merkels gehört, dass sie kaum Dinge über sich selbst preisgibt. Wann und ob sie aufhören möchte, weiß vielleicht höchstens ihre Büroleiterin.

Dass Merkel aber auch Muße hat, über ihre Zeit nach der Politik nachzudenken, hat die Fotografin Herlinde Koelbl herausgefunden. In den Neunzigerjahren hatte sie das Glück, Angela Merkel über einen Zeitraum von acht Jahren interviewen und fotografieren zu können, für ihr Buch „Spuren der Macht“. Damals begann Merkels Karriere gerade erst. Aber schon nach acht Jahren betrachtete Merkel das Politikerdasein auch mit Skepsis: „Ich möchte irgendwann den richtigen Zeitpunkt für den Ausstieg aus der Politik finden. Das ist viel schwerer, als ich mir das früher immer vorgestellt habe. Aber ich will dann kein halbtotes Wrack sein, wenn ich aus der Politik aussteige, sondern mir nach einer Phase der Langeweile etwas anderes einfallen lassen.“

Süddeutsche Zeitung, Samstag, den 19. Juli 2014, Seite 8

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