Feb 01, 2013 15:16
Die Jägerin
Der Film 'Zero Dark Thirty' erzählt, wie die Amerikaner Osama bin Laden verfolgt und getötet haben. Die Schlüsselrolle dabei hat eine junge Frau. Fiktion? Nein, es gibt sie wirklich
Von Tobias Kniebe
Das Gesicht der Rache ist schmal und bleich und schön. Große Augen blicken daraus hervor, die sich undurchschaubar verschleiern können, oder aber funkeln voller Zorn und Frustration und Besessenheit.
In diesen Tagen, in denen der Film 'Zero Dark Thirty' in den deutschen Kinos anläuft, ist es das Gesicht Amerikas. Es gehört der Frau, die Osama bin Laden zur Strecke bringt. Das Kino verleiht all den Agenten und geheimen Kriegern, die an der Jagd beteiligt waren, eine stellvertretende, symbolische Sichtbarkeit.
Das Gesicht der Rache gehört Maya, der zentralen Figur des Oscar-nominierten Thrillers von Kathryn Bigelow. Sie ist eine junge, hochintelligente, von missionarischem Eifer getriebene Angestellte der Central Intelligence Agency, die Osama bin Ladens Tod zum Triumph ihres ganz persönlichen Willens macht. So dominant und entschieden ist ihre Rolle in 'Zero Dark Thirty', dass die CIA inzwischen ungute Legendenbildung befürchtet. 'Im Laufe eines Jahrzehnts gab es Hunderte Analysten und Agenten, die Schlüsselrollen bei dieser Jagd spielten', beeilte sich Jennifer Youngblood, die Sprecherin der CIA, in einem öffentlichen Statement zu versichern.
Doch CIA-Insider und die maßgeblichen Chronisten des 'War on Terrorism', die sich auf exklusive Quellen aus dem Inneren des Geheimdienstes berufen, wissen: Es gibt wirklich eine Frau, die bei der Jagd auf Bin Laden eine Schlüsselrolle spielte, die sehr große Ähnlichkeiten mit dieser Filmfigur hat. Maya existiert.
Sie heißt natürlich anders. Ihr wahrer Name ist, wie sollte es anders sein, geheim. Sie steht immer noch im Dienst der CIA. Sie darf mit niemandem außerhalb der Geheimdienstwelt über ihre Taten reden, schon gar nicht mit Journalisten. Dafür reden jetzt andere über sie. Nennen wir sie: die Jägerin.
Die reale Jägerin soll zwischen dreißig und vierzig Jahre alt sein. Sie arbeitete zu der Zeit, als die Spur plötzlich heiß wurde und die Suche nach Bin Laden ernsthaft begann, auf mittlerem Karrierelevel in der CIA-Dependance in Islamabad, Pakistan. Mit enervierender Hartnäckigkeit soll sie innerhalb der CIA die These vertreten haben, Bin Laden sei nur über sein Kuriernetzwerk aufzuspüren. Für die Überwachung dieser Spuren forderte sie höchste Priorität - zum Teil in offenen Machtkämpfen mit ihren Vorgesetzten.
Maya in 'Zero Dark Thirty', gespielt von der Schauspielerin Jessica Chastain, ist Mitte dreißig. Flammend rote Haare, blass, nervös, völlig fixiert auf die Jagd. Es gibt nichts, was man über die Arbeit hinaus über sie weiß oder wissen müsste.
Die Ähnlichkeiten sind verblüffend: Die Filmfigur ist, als die Spur plötzlich heiß wird, auf mittlerem Karrierelevel in der CIA-Dependance in Pakistan stationiert, sie will Bin Ladens Kuriernetzwerk aufspüren, sie brüllt ihren Vorgesetzten an, der ihr das Team dafür verweigert. Es gibt andere Prioritäten innerhalb der CIA, sagt er, Bin Laden plane schließlich keine Operationen mehr, neue Anschläge passierten anderswo - Maya aber droht mit einem Untersuchungsausschuss vor dem Kongress. Sie bekommt ihren Willen.
Was sagte ein ehemaliger Geheimdienstkollege der Washington Post über ihr reales Ebenbild, die Jägerin? 'Sie ist nicht Miss Congeniality - aber damit fängst du auch nicht Bin Laden.' Und ein anderer erklärt demselben Reporter: 'Wenn wir in diesem Job alle Stinkstiefel aussortieren würden, gäbe es keine Geheimdienste mehr.'
Im Film ist Maya bei etlichen Foltersitzungen dabei, in denen inhaftierte Al-Qaida-Figuren verhört werden - ob das der Realität der Vorbildfigur entspricht, ist nicht bekannt. Die Regisseurin zeigt, wie Maya ihren anfänglichen Schock über das Schlagen und Quälen überwindet und nach verwertbaren Informationen giert.
So ruft der Film das Trauma wach, das die Nation seit dem 11. September 2001 in mehr als zehn Jahren 'War on Terror' durchlebt hat. Triumph und Scham liegen dicht beieinander. Der Zuschauer weiß, dass am Ende Amerikas Staatsfeind Nummer eins getötet ist, aber vorher muss er mit ansehen, welch widerwärtigen Methoden die älteste Demokratie bei der Jagd auf ihn einsetzte.
Das Publikum sitzt in der Folterkammer, schaut zu, wie Maya zuschaut, während CIA-Spezialisten die von der Bush-Regierung gebilligten 'verschärften Vernehmungstechniken' ('enhanced interrogation techniques') anwenden. Also Drohen, Schlagen, Waterboarding. Alles, all die verdrängte Vergangenheit, wird wiederbelebt: Geheimlager, Guantanamo, Abu Ghraib, der Krieg am Hindukusch, das Fiasko im Irak. 'Zero Dark Thirty' ist keine Dokumentation, aber Dokument: Es zeichnet den Weg zum Sieg über den Al-Qaida-Chef ebenso nach, wie es den schändlich hohen Preis benennt, den die Weltmacht dafür zu zahlen bereit war.
Vor allem die Folterszenen haben in den USA heftige Kontroversen ausgelöst. Den Rechten ist die Darstellung viel zu hart, Spitzenbeamte der Bush-Regierung wie der frühere CIA-Chef Michael Hayden versichern seit Jahr und Tag, nur eine sehr kleine Zahl von Al-Qaida-Verdächtigen sei seinerzeit Waterboarding ausgesetzt worden. Menschenrechtler, Demokraten und auch gemäßigte Republikaner wie der Senator John McCain attackieren den Film, weil er den Eindruck erweckt, die elenden Mittel hätten dem edlen Zweck gedient und dazu beigetragen, Bin Laden aufzuspüren. Eine solche vom Film zumindest unterschwellig getragene Rechtfertigung barbarischer Praktiken wäre eine späte Rechtfertigung von Bushs Methoden - und ein später Tiefschlag für McCains Kampf gegen jede Art von Folter. Tatsächlich gibt es keinen Beweis dafür, dass Waterboarding die CIA auf die Spur ins pakistanische Abbottabad führte. Ein (bis heute unter Verschluss gehaltener, 6000 Seiten starker Untersuchungsbericht des US-Senats) fand dafür keinen Beleg. Erwiesen ist hingegen, dass unter Folter erzwungene Falschaussagen von mutmaßlichen Al-Qaida-Kämpfern über angebliche Verbindungen zu Iraks Diktator Saddam Hussein zumindest dazu beitrugen, der US-Armee 2003 den Marschbefehl nach Bagdad zu erteilen. McCain und etliche demokratische Senatoren sind über den von 'Zero Dark Thirty' inszenierten Foltermythos so erbost, dass in Hollywood mittlerweile das Gerücht umgeht, Einfluss aus Washington habe die Oscar-Chancen des Films geschmälert.
Ganz so eindeutig, wie ihre Kritiker behaupten, ist die Erzählung bei Bigelow indessen nicht: Ein entscheidender Hinweis, der den Klarnamen von Osamas Verbindungsmann zur Außenwelt betrifft und alle weiteren Schritte erst ermöglicht, kommt gerade nicht aus den Foltersitzungen. Der Durchbruch im Film gelingt auf gänzlich unspektakuläre, ja für die Akteure sogar peinliche Weise: Eine unbedeutende Nebenfigur entdeckt die entscheidende Information in einer verstaubten Notiz eines befreundeten arabischen Geheimdienstes, die jahrelang unbeachtet in den Akten schlummerte. 'Ging im Kuddelmuddel verloren', sagt die Nebenfigur lakonisch und legt Maya die Mappe auf den Tisch.
Ein Spielfilm kann niemals Wirklichkeit abbilden - aber spätestens hier ist klar, dass die Regisseurin Bigelow und ihr Drehbuchautor und Ko-Produzent Mark Boal tiefe Einblicke in die Arbeit der CIA bekommen haben, bis hinunter zur Rolle einzelner Agenten. Wie tief diese waren, löste wiederum Kontroversen aus. Besonders die US-Republikaner vermuteten sofort, die Obama-Administration zeige sich auskunftsfreudig gegenüber Hollywood, um ein cineastisches Heldenstück ganz in ihrem Sinn zu beeinflussen.
Durch Nachforschungen der konservativen Rechercheorganisation 'Judicial Watch' weiß man jetzt: Drehbuchautor Mark Boal, der zuvor als Journalist und Kriegsreporter gearbeitet hat, konnte die Jägerin bei seinen Recherchen tatsächlich treffen - neben vielen anderen CIA-Mitarbeitern.
Dabei muss ihm ein in Washington wie in Hollywood bisher kaum wahrgenommener Kulturwandel innerhalb der CIA sehr deutlich geworden sein: eine neue, überaus erfolgreiche Generation von Agenten - nämlich Agentinnen. Schon seit Mitte der Neunzigerjahre, so berichtet es Peter Bergen, der in 'Manhunt' seine eigene, demnächst ebenfalls verfilmte Version der Bin-Laden-Jagd erzählt, hätten Frauen als CIA-Analysten 'eine Schlüsselrolle' bei der Jagd nach dem Chefterroristen gespielt. Als Kronzeugen für Mayas Triumph kann er immerhin deren Chef in der Wirklichkeit berufen: Michael Scheuer, von 1996 bis 2005 der Chef der mit der Hatz auf Bin Laden beauftragten CIA-Sondereinheit, rekrutierte bevorzugt Frauen. Die hätten 'scheinbar ein besonderes Geschick für Details, im Erkennen von Mustern und Netzwerken - und ehrlich gesagt: Sie vergeuden weit weniger Zeit damit, sich Kriegsanekdoten zu erzählen oder draußen vor der Tür Zigaretten zu rauchen.' Scheuer hätte am liebsten nur Frauen in seiner Einheit gehabt: 'Wenn ich ein Schild hätte aufhängen können, das sagte, "Anfragen von Jungs zwecklos", ich hätte es getan.'
Eine weitere Agentin aus seiner Crew, deren Namen inzwischen bekannt ist, kann man im Film ebenfalls identifizieren - die 2009 verstorbene Jennifer Matthews. In 'Zero Dark Thirty' trägt sie den Namen Jessica und ist bereits eine Veteranin im Kampf gegen Bin Laden, für Maya eine Vertraute, fast eine mütterliche Figur. Matthews war schon Mitte der Neunzigerjahre, lange vor 9/11, eine der ersten Stimmen innerhalb der CIA, die vor Osama bin Laden warnten. Anfang 2009 fiel ihr die Mission zu, einen jordanischen Kinderarzt namens Humam al-Balawi zu treffen, eine wichtige Stimme des radikalen Islamismus. Nach Recherchen des Terrorexperten Peter Bergen hatte sich der Al-Qaida-Insider als Doppelagent angeboten - eine Chance, die man ausloten musste.
Matthews arrangierte ein Treffen mit dem Doktor in Khost, im östlichen Afghanistan. Entschlossen, dem potenziellen Top-Spion einen warmherzigen Empfang zu bereiten, verzichtete sie darauf, den Gast in der Sicherheitsschleuse der Forward Operating Base Chapman vom USMilitär durchsuchen zu lassen, als Balawi am 30. Dezember 2009 dort ankam. Sie hatte sogar einen Kuchen für ihn backen lassen. Kaum wurde sie ihm vorgestellt, begann er jedoch auf Arabisch zu murmeln, griff in seinen Mantel und detonierte eine Bombe, die er sich um den Körper geschnallt hatte. Matthews und sechs weitere Agenten wurden getötet, zusammen mit dem Attentäter.
Diese dramatische Episode wird eins zu eins auch in 'Zero Dark Thirty' erzählt, sie dient als zusätzliche Motivation für die Agentin Maya. Tag und Nacht arbeitet sie nun für ihre Rache, für den Tod Osama bin Ladens. 'Ich glaube, ich bin verschont worden, damit ich den Job zu Ende bringe', sagt sie einmal. Inzwischen hat sie mit ihrem Team die mysteriöse, festungsartige Villa in Abbottabad gefunden, in der die Geschichte zu Ende gehen wird - aber noch haben die Amerikaner keine Gewissheit, wer sich dort wirklich aufhält.
Maya wird zu dieser Zeit nach Washington in die CIA-Zentrale versetzt. Dort erklärt sie im entscheidenden Treffen, sie sei '100 Prozent sicher', Bin Laden entdeckt zu haben - in der Welt der Geheimdienste, wo es nur Wahrscheinlichkeiten, aber niemals Gewissheiten gibt, beinahe ein Sakrileg. Mit rotem Filzstift malt sie immer wieder anklagend die Zahl der Tage an die gläserne Bürotür ihres Chefs, die seit dem Fund der Villa vergangen sind, ohne dass Amerika in Aktion getreten wäre. Sie ist wirklich eine Pest.
Der Rest ist, wie man so sagt, Geschichte. Maya darf im Film dabei sein, als das 'Seal Team Six' in Afghanistan losfliegt, um die Sache zu Ende zu bringen. Sehnsuchtsvoll schaut sie den beiden umgebauten Black-Hawk-Helikoptern nach, die in der Nacht über dem Hindukusch verschwinden. Und als sie zurückkommen, mit dem wertvollsten Leichensack der Welt im Gepäck, darf sie ins bärtige Gesicht ihrer toten Nemesis schauen und nicken.
Mission accomplished.
Folgt man den Aussagen jenes Kommandosoldaten, der dabei war und inzwischen unter dem Pseudonym 'Mark Owen' seinen Bericht des finalen Überraschungsangriffs veröffentlich hat ('No Easy Day: The Only Firsthand Account of the Navy Seal Mission That Killed Osama bin Laden'), entspricht auch das den Tatsachen.
Schon im Flugzeug von Deutschland nach Afghanistan sitzt er neben einer CIA-Analystin, die er 'Jen' nennt und die erkennbar keine andere als die Jägerin ist. 'Teure Highheels', notiert er gleich. Wie hoch sind die Chancen, dass Bin Laden wirklich in Abbottabad ist, fragt er sie. Einhundert Prozent, kommt die Antwort. 'Wie aus der Pistole geschossen, fast trotzig.' Jen glaubt, dass die Jungs den einfacheren Job haben. 'Ihr taucht erst auf, wenn das Großwild eingekreist ist.'
Als alles vorbei ist, sieht Owen die Jägerin im Hangar stehen, bleich und gestresst unter den grellen Flutlichtlampen. Sie beginnt zu weinen, Soldaten nehmen sie in den Arm und führen sie zu Bin Ladens Leiche. Owen beobachtet sie, wie Tränen ihre Wangen herunterrollen, schließlich rollt sie sich schluchzend zusammen wie ein kleines Kind. Ein Moment, den Bigelow stark abschwächt, im Film fließt nur eine stille Träne. 'Leute wie sie müssen sich nie wirklich mit dem Blut auseinandersetzen', sagt Owen.
Von der Jägerin weiß man, dass sie einen Geldbonus für ihre erfolgreiche Arbeit bekommen hat, und dass sie im Frühjahr 2012 mit der 'Distinguished Intelligence Medal' ausgezeichnet wurde, einer der höchsten Ehrungen der amerikanischen Geheimdienstwelt. Gemeinsam mit ihr, aber mit weniger hohen Auszeichnungen, wurden einige andere Beteiligte geehrt. Als sie die E-Mail mit der Ankündigung erhielt, die an alle Preisträger gerichtet war, tat die Jägerin etwas, das ein grelles Licht auf ihren unerbittlichen, getriebenen, doch sehr speziellen Charakter wirft. Sie klickte, wie die Washington Post berichtet, auf den Button 'Allen antworten'.
Den Tenor dieser Mail, die inzwischen in Geheimdienstkreisen legendär ist, beschreibt eine Quelle so: 'Ihr habt versucht, mir Steine in den Weg zu legen. Ihr habt mich bekämpft. Ich allein verdiene diese Auszeichnung.'
Eine Beförderung, die in den folgenden Monaten anstand und die Jägerin von der Besoldungsstufe GS-13 auf die Besoldungsstufe GS-14 gehoben hätte, das sind immerhin 16000 Dollar zusätzlich im Jahr, wurde ihr plötzlich, aus unbekannten Gründen, verweigert. Zugleich wurde ihr innerhalb der CIA eine neue Aufgabe im Kampf gegen den Terror zugewiesen.
Die Frau mit den flammend roten Haaren, die im Kino die Jägerin spielen durfte, lächelt derzeit auf allen roten Teppichen und durfte schon siegreich einen Golden Globe entgegennehmen - ein Oscar könnte noch folgen.
Die komplementäre Szene aber, die dazugehört, die muss man sich leider vorstellen - keine Kamera fängt sie ein. In der Mythologie einer Heldengeschichte ist sie nicht vorgesehen. Nicht nach dem langen Ritt in den Sonnenuntergang, der letzten Klappe, dem Abspann.
Eine Frau in teuren Highheels, wahrscheinlich Mitte dreißig, wahrscheinlich eher bleich und gestresst aussehend, geht in dieser imaginierten Alltagsszene zur Arbeit. Vielleicht passiert sie, in der großen Eingangshalle in Langley, Virginia, das riesige, in Marmor eingelassene CIA-Logo, das man aus dem Kino kennt.
Diese Frau war die treibende Kraft, um Amerikas Erzfeind Nummer eins zur Strecke zu bringen, sie hat Barack Obama sehr direkt zu seiner zweiten Amtszeit verholfen. Nur auf die Frage, wie sie einen weiteren Arbeitstag mit ihren verhassten, neidzerfressenen, sich ihre Erfolge erschleichenden Bürokollegen überstehen soll - darauf hat sie womöglich keine Antwort.
Die Jägerin muss man sich in diesen Tagen als eine ziemlich wütende Frau vorstellen.
Süddeutsche Zeitung, Donnerstag, den 31. Januar 2013, Seite 3
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