Vom Statussymbol zum Massenprodukt: Die kulturgeschichtliche Bedeutung der Blume Eine Ausstellung i

Dec 10, 2024 18:06

Vom Statussymbol zum Massenprodukt: Die kulturgeschichtliche Bedeutung der Blume

Eine Ausstellung im Bucerius Kunst Forum Hamburg spürt der Funktion der Blume in der Kunst nach.

Cornelia Ganitta, Freie Journalistin

In früheren Jahrhunderten waren Blumen begehrte Statussymbole, heute werden sie als Massenprodukt global gehandelt. Aktuell erregt die Blume als ebenso zerbrechlicher wie unverzichtbarer Bestandteil des globalen Ökosystems Aufmerksamkeit. Aber auch als Ausstellungsobjekt weiß sie zu überzeugen. So widmet sich die neue Ausstellung „Flowers Forever“ im Bucerius Kunst Forum in Hamburg der Blume in der Kunst. Sie ist eine „modifizierte Übernahme“ aus der Kunsthalle München, wo die Schau im vergangenen Jahr 350.000 Kunstinteressierte anlockte. Nach Hamburg wandert sie weiter nach Rom (ab Februar 2025) und schließlich nach Rotterdam (2026). In sieben Kapiteln, gegliedert unter anderem in Politik, Kultur und Religion, zeigt sie die kulturgeschichtliche Bedeutung der Blume von der Antike, in der Blumen buntes Beiwerk der Kunst waren, über die holländischen Stillleben im wirtschaftlich prosperierenden Goldenen Zeitalter bis in die Gegenwart, in der die Blume zum KI-generierten Gegenstand der Kunst wird. Mit sehr unterschiedlichen Exponaten aus internationalen Sammlungen und eigens für die Ausstellung entwickelten Installationen zeichnet das Forum diese Geschichte nach. Dazu gehören nicht nur Gemälde und Installationen, sondern auch Sisis kiloschwerer Brautkranz, aus silbernen Löffeln gestaltete Bouquet-Skulpturen, Vasen, Möbel, Videos, Bücher sowie botanische Studien.

Gleich zu Beginn zeigt eine Weltkarte, dass viele Pflanzen aus Übersee stammen, von wo sie vor allem im Zuge des Welthandels der Kolonialzeit ihre Reise nach Europa antraten, um als Raritäten in botanischen Gärten oder zu Forschungszwecken in wissenschaftlichen Sammlungen zu enden. So komme die Geranie, die in Bayern und Tirol die Bauernhäuser schmückt, ursprünglich aus Südafrika, wie Kuratorin Franziska Stöhr beim Presserundgang erzählt. Und die Tulpe, die heute wie kein anderes Gewächs für die niederländische Blumenkultur steht, wurde erst im 16. Jahrhundert aus der Türkei importiert. Ein Jahrhundert später wurde sie dann so beliebt, dass eine regelrechte „Tulpenmanie“ ausbrach und schon für eine einzige Tulpe hohe Summen gezahlt wurden. Bis heute ist ihre Beliebtheit ungebrochen, nur dass sie jetzt als Massenware - oft aus Afrika - über Tausende von Kilometern transportiert wird, bevor sie für wenig Geld in den heimischen Vasen landet.

Scharbockskraut, Hundsrose, Hahnenfuß und Hasenglöckchen sind einige der Blumen, die die Britin Tracey Bush (1964) in ihren Collagen verwendet. Inspiriert wurde sie von dem amerikanischen Umweltschützer Paul Hawken, der die These aufstellte, dass der durchschnittliche Erwachsene in der westlichen Welt mehr als 1000 Markennamen oder Logos kennt, aber weniger als zehn einheimische Pflanzen. Ausgehend von dieser Erkenntnis begann Bush, Menschen zu fragen, welche Pflanzen sie sicher identifizieren können. Unter Verwendung von Verpackungsmaterial, das sie auf den Straßen Londons fand, schuf sie ihre Collagen, die die grellen Farben und Formen der Werbeindustrie mit den präzisen Umrissen von Blumen kombinieren.

Gerade in der Politik wurden und werden Blumen oft als Zeichen des Widerstands eingesetzt, wie das Foto von Bernie Boston aus dem Jahr 1967 zeigt, auf dem eine junge Frau bei einer Demonstration den Soldaten der amerikanischen MP (Military Police) eine Nelke entgegenstreckt. Auch Ai Weiweis „Fahrradkorb mit Blumen“ aus Porzellan von 2015 ist eine friedliche Protestgeste als Reaktion auf den Entzug seines Passes durch die chinesischen Behörden.

Andreas Gursky (1955) stellt mit seiner überdimensionalen Fotografie aus der Serie Pjöngjang ebenfalls einen politischen Bezug her. Sie zeigt eine Szene des Arirang-Festivals in Nordkorea, einer aufwendigen Massenchoreographie zu Ehren des ehemaligen Parteiführers Kim II-sung (1912-1994). Blumen, die unter anderem für die Arbeiterklasse sowie für den „Ewigen Präsidenten“ und seine Nachfolger stehen, spielen dabei eine zentrale Rolle. Im Bild verschmelzen die Individuen zu einer Masse und erzeugen so ein propagandistisches Bild im Sinne des totalitären Staates.

In einem leuchtend gelben Raum hat die kanadische Künstlerin Kapwani Kiwanga (1978) zwei Pfauensträucher aus Holz und Papier in Szene gesetzt. Die Farbe ist gewöhnungsbedürftig und sticht fast schmerzhaft ins Auge. Ein gewollter Effekt, wie Franziska Stöhr betont, um die traurige Botschaft, die sich dahinter verbirgt, noch stärker ins Bewusstsein zu rücken: „Es geht um Sklavinnen, die den Pfauenstrauch zur Geburtenkontrolle oder eben auch zur Abtreibung benutzt haben. Denn man kann sich natürlich vorstellen, dass die Sklavinnen nicht nur harter Arbeit ausgesetzt waren, sondern auch einer großen Willkür hinsichtlich der Sexualität“.

Das britische Künstlerduo Rob und Nick Carter (1968/1969) tritt mit seiner Arbeit in einen Dialog mit einem Gemälde von Ambrosius Bosschaert (1573 bis 1621), das ganz am Anfang der Tradition des Blumenstilllebens steht. Bosschaert zeichnete zunächst einzelne Blumen, je nach Blütezeit und Verfügbarkeit. Auf der Grundlage dieser Studien malte er dann üppige Blumensträuße, wie sie so in der Realität nicht existierten. Auf diese Weise thematisierte er auch das Verhältnis von Künstlichkeit und Natürlichkeit, Realität und Fantasie. Die Carters haben aus dieser Vorlage ein dreistündiges Video geschaffen, in dem sich - sichtbar erst auf den zweiten Blick - im Hintergrund die Tageszeit ändert, das Wasser in der Vase weniger wird, aber auch Insekten herumkriechen und -fliegen. Dauer und Vergänglichkeit werden so noch intensiver erlebbar.

Ein Zusammenspiel von Natur und Künstlichkeit bietet auch die KI-generierte Installation des franco-mexikanischen Künstlers Miguel Chevalier (1959), der weltweit als Pionier der digitalen Kunst gilt. Sein virtueller Blumengarten ist zweifellos einer der Höhepunkte der Ausstellung. In einem Durchgangsraum füllt sein Werk „Extra-Natural“ von 2023, das von zwei Projektoren an die Wand „geworfen“ wird, den gesamten Raum aus. Ein Meer aus neongrünen, rosafarbenen und türkisblauen Blumen, die hier ihrem eigenen Algorithmus folgen, versetzen einen nahezu in Trance. Die Blumen verwelken und wachsen wieder und wieder, wie in der Natur. Doch anders als in der Natur sind die Pflanzen hier in einem ständigen Wandel und folgen den Bewegungen des Menschen: neigt sich der Körper nach vorne, neigt sich auch die Pflanze. Ein ebenso ungewöhnliches wie faszinierendes Schauspiel, das Chevalier hier mit großem Verblüffungseffekt inszeniert, weshalb dem Pariser, wie beim Pressetermin zu erfahren war, im nächsten Jahr eine eigene Ausstellung gewidmet wird.

Flowers Forever - Blumen in Kunst und Kultur, bis 19. Januar, Bucerius Kunst Forum Hamburg (direkt gegenüber dem Rathaus), täglich von 11 bis 19 Uhr, donnerstags bis 21 Uhr. Internet: buceriuskunstforum.de. Zur Vertiefung lohnt der 39 Euro teure, reich bebilderte Katalog von Prestel, der dem Phänomen der Blume als Motiv, als Symbol und als Ware nachgeht.

Luxemburger Wort 7.12.2024

hamburg

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