Apr 08, 2024 17:43
In Polen verschärft sich die Kluft zwischen Stadt und Land
Bei den Regional- und Kommunalwahlen ist die Spaltung des Landes erneut sichtbar geworden. Die Ergebnisse brachten auch einige Überraschungen.
Gabriele Lesser, Freie Journalistin und Autorin
Die Wahlnacht in Polen war rauschend. Alle lagen sich in den Armen, küssten sich begeistert auf die Wangen und klopften sich anerkennend auf die Schultern. Der Sekt floss in Strömen. Denn: Verlierer gab es bei den polnischen Regional- und Kommunalwahlen am Sonntag keine.
Zwar gelang es der liberal-konservativen Bürgerplattform (PO) von Premier Donald Tusk nicht, die nationalpopulistische Oppositionspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) einzuholen, dennoch wird sie in den meisten der Sejmiki (Landtage) der 16 Wojewodschaften regieren können.
Das Zauberwort heißt „Koalition“. Während die PO wie bereits im Oktober 2023 in den Parlamentswahlen mit dem christlich-agrarischen Dritten Weg und der Neuen Linken zusammengehen kann, bleibt der PiS als möglicher Koalitionspartner nur die rechtsextreme Konföderation. Zwar soll es die endgültigen Wahlergebnisse erst am Mittwoch geben, doch die Nachwahlbefragungen des Instituts Ipsos gelten als vertrauenswürdig.
Mit landesweit 33,7 Prozent der Wählerstimmen liegt die PiS bei den Sejmiki-Wahlen an erster Stelle. Knapp auf den Fersen folgt ihr die PO mit 31,9.
Mit landesweit 33,7 Prozent der Wählerstimmen liegt die PiS bei den Sejmiki-Wahlen an erster Stelle. Knapp auf den Fersen folgt ihr die PO mit 31,9 Prozent, dann mit 13,5 Prozent das Parteienbündnis Dritter Weg aus der Bauernpartei PSL und der christdemokratischen Partei Polska2050 und mit 6,8 Prozent die Neue Linke aus Sozialdemokraten (SLD), dem rot-grünen Wiosna (Frühling) und der unabhängigen Linken Razem (Gemeinsam). Der potenzielle Koalitionspartner der PiS, die Konföderation, kam auf 7,5 Prozent, während die „Parteilosen Kommunalpolitiker“ mit gerade mal 2,7 Prozent eine herbe Niederlage einstecken mussten.
Die Kluft zwischen Stadt und Land in Polen ist groß. Während auf dem Land die PiS nach wie vor die meisten Wähler mit ihren nationalpopulistischen Parolen anspricht, überzeugen die PO, der Dritte Weg und die Neue Linke vor allem die Städter mit ihren proeuropäischen, sozialliberalen und minderheiten-freundlichen Argumenten.
So fuhr Stadtpräsident Rafal Trzaskowski (PO) in Polens Hauptstadt Warschau mit fast 60 Prozent Zustimmung eines der besten Ergebnisse ein. „Wir verdanken diesen großen Erfolg den vielen Warschauern, die sich mobilisieren ließen und zu den Wahlen gingen“, so Trzaskowski am Wahlabend.
„Doch wir brauchen diese Mobilisierung jeden Tag. Denn es geht nicht nur um die Wahlen. Vor Premier Tusk, vor der ganzen Regierung liegen teuflisch schwierige Aufgaben, die wir alle gemeinsam angehen müssen.“
In Danzig, der liberalen Hochburg an der Ostsee, konnte Stadtpräsidentin Aleksandra Dulkiewicz (PO) mit über 62 Prozent Zustimmung sogar ein noch besseres Ergebnis als Trzaskowski feiern. „Ich brauche keine Feuerwerke“, sagte Dulkiewicz direkt nach Bekanntgabe der Ipsos-Prognosen. „Ich träume von einem normalen Danzig, einem Danzig, in dem wir alle gut leben können, und ich weiß, dass ich das mit meiner Equipe auch erreichen kann.“
Beide - Trzaskowski und Dulkiewicz - haben damit ihre Wiederwahl schon in der Tasche und müssen am 21. April nicht in die Stichwahl zwischen Erst- und Zweitplatzierten. Diese zweite Runde steht den meisten Stadtpräsidenten- und Bürgermeister-Kandidaten bevor.
Zur großen Überraschung aller gewann in Krakau, der nach Warschau zweitgrößten Stadt Polens, Aleksander Miszalski (PO) knapp 40 Prozent der Wählerstimmen. Dabei hatten alle Umfragen den unabhängigen Kandidaten Lukasz Gibala vorne gesehen. Am Sonntag kam er aber nur auf gerade mal 28,4 Prozent.
Möglicherweise trug der aufsehenerregende Wahlkampfauftritt von Premier Donald Tusk für den PO-Mann in Krakau zur Stimmen-Wanderung bei. Die Medien hatten landesweit über die Charmeoffensive Tusks berichtet. Beide Krakauer Kandidaten werden in der Stichwahl in zwei Wochen erneut gegeneinander antreten. Die PO hofft, demnächst auch in dieser prestigeträchtigen Stadt regieren zu können.
Für viele Großstädte, insbesondere aber für die mittleren und kleinen, gibt es keine Ipsos-Prognose, so dass hier auf das endgültige Wahlergebnis am Mittwoch gewartet werden muss.
Luxemburger Wort 8.4.2024
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