Jan 27, 2024 16:33
Was Gewalt in Videospielen wirklich in uns auslöst
Eine Studie der Uni Luxemburg zieht größere Kreise in der Gaming-Welt. Sind „Killerspiele“ entspannend statt aggressionsfördernd?
Seit vielen Jahren brodelt die Debatte um Gewalt in Videospielen und kocht meist immer dann hoch, wenn ein Amoklauf an einer Schule die Welt erschüttert und der Täter entsprechende Spiele zu Hause hatte. In den USA verklagten etwa Eltern nach dem Amoklauf an der Columbine High School im Jahr 1999 mehrere Computerspiel-Hersteller mit der Behauptung, dass es ohne den Einfluss fiktionaler Gewalt nicht zu dem Amoklauf gekommen wäre. Die Klage wurde abgewiesen. Auch im Nachbarland Deutschland entbrannte die Diskussion bereits mehrfach, so etwa nach Amokläufen in Erfurt (2002) und in Winnenden (2009). Die hitzige Debatte wird auch politisch geführt, sogar Vergleiche zu „Drogen und Kinderpornografie“ wurden in der Vergangenheit gezogen.
Während die öffentliche Wahrnehmung zu Gewalt in Videospielen stark von der Mediendebatte geprägt ist, ist die Situation in der Wissenschaft deutlich differenzierter. Doktorand Gary Lee Wagener forscht aktuell an der Universität Luxemburg im Bereich Medienpsychologie und beschäftigt sich seit mehreren Jahren mit diesem Thema. In der Studie „Games, hormones, and ,dark‘ personalities: Dark tetrad and the effects of violent gaming on aggression, cortisol and testosterone“ hat er zusammen mit Professor André Melzer und Professor André Schulz die Auswirkungen von gewalttätigen Videospielen untersucht. Zur Verfügung stand ihm dafür das „Media Experimental Laboratory“ der Uni, welches neben den erforderlichen Messinstrumenten auch mit allen erdenklichen Gaming-Konsolen und -Rechnern ausgestattet ist.
Bei der Studie wurde neben dem Hormonspiegel der Spieler auch die Persönlichkeit der Probanden berücksichtigt. „Wir sind da ganz neutral rangegangen, mit der Hypothese, dass das Spielen von gewalttätigen Games aggressiver macht, und haben uns einfach angeschaut, was konkret im Körper los ist.“ Der Hormonhaushalt liefere da auch ein differenzierteres Bild als beispielsweise nur die Herzfrequenz, so der 30-Jährige.
Ebenfalls besonders an der Studie: Die zwei untersuchten Probandengruppen spielten das gleiche Spiel, die einen allerdings eine Rätsel- und Dialogszene ohne Gewalt, während die anderen sich den Weg freischießen mussten. Genutzt wurde hierfür das Action-Adventure „Uncharted 4 - A Thief‘s End“. „Das Spiel kann man sich ein bisschen vorstellen wie die Indiana-Jones-Filme. Man spielt einen Archäologen, der Abenteuer besteht und dabei auch manchmal gegen Kontrahenten kämpfen muss“, beschreibt Wagener das Spielprinzip. In der Vergangenheit hätten Studien oft zwei Gruppen an völlig unterschiedliche Spiele gesetzt, etwa die eine an „Spider-Man“ und die andere an „Findet Nemo“. „Wir haben uns entschieden, methodisch ein bisschen sauberer zu arbeiten und für unsere Bedingungen das gleiche Spiel zu benutzen“, erklärt der Doktorand.
Um herauszufinden, was im Körper der Probanden während des Spielens passiert, ließ Wagener Hormonanalysen durchführen. Dazu mussten vor und nach dem Spielen eine Speichelprobe abgegeben werden. Besonders im Fokus der luxemburgischen Forscher waren dabei die Hormone Cortisol und Testosteron, „die beide sehr stark mit Aggression zusammenhängen, aber auch mit Stress“, so Wagener.
Die Ergebnisse der Analysen erstaunten dann aber zum Teil auch die Wissenschaftler: „Es gab nicht nur keinen Effekt auf die Aggression. Tatsächlich hatten die Probanden, die den gewalttätigen Part gespielt hatten, nach den Spielen reduzierte Cortisol-Werte. Für uns bedeutet das, dass die Leute viel entspannter waren. Das hat uns tatsächlich überrascht“, gibt Wagener zu. In der Literatur finden sich zwar Beispiele für den Zusammenhang zwischen Videospielen und Entspannung, die allerdings in der Regel mit sogenannten Casual Games (einfach zugängliche Gelegenheitsspiele) und nicht mit gewalttätigen Spielen untersucht wurden.
Tatsächlich hatten die Probanden, die den gewalttätigen Part gespielt hatten, die geringeren Cortisol-Werte. Für uns bedeutet das, dass die Leute viel entspannter waren.
„Und dann haben wir uns noch die verschiedenen Persönlichkeitsmerkmale angeschaut“, berichtet Wagener weiter. Dabei ging es konkret um die sogenannte „Dunkle Tetrade“, die alltäglichen Sadismus, Narzissmus, Machiavellismus und subklinische Psychopathie beschreibt. „Diese Menschen üben gerne Macht aus und kontrollieren andere“, so der Wissenschaftler. „In unserer Studie haben wir herausgefunden, dass Menschen mit diesen Persönlichkeitsmerkmalen sehr entspannt nach dem Konsum gewalttätiger Videospiele waren.“ Gleichzeitig seien die Cortisol- und damit Stresswerte in den gewaltfreien Passagen größer gewesen als bei den anderen Probanden. Dies bedeute aber nicht, dass jetzt nur die „Psychopathen“ von den Videospielen profitieren, der Entspannungsfaktor sei auch bei allen anderen zu beobachten gewesen, nur nicht so ausgeprägt.
Im Kindes- oder Jugendalter sollte man über Gewalt in Videospielen aber dennoch nicht einfach hinwegsehen. Die Effekte seien am stärksten bei Kindern, so Wagener. Dort sei die Fähigkeit, die virtuelle von der realen Welt zu unterscheiden, noch „ein bisschen verschwommen“. Eltern empfiehlt er, sich mit dem Thema zu befassen und wirklich zu schauen, was das Kind spielt und wie es damit umgeht. Verbote seien aber nie die beste Lösung.
Auch abseits von gewalthaltigen Inhalten betont Wagener die positiven Effekte, die Videospiele haben können. Spiele wie „Wii Fit“ oder ähnliche Bewegungs-Spiele wie etwa „Ring Fit Adventure“ für die Nintendo Switch werden in Altersheimen oder in der Rehabilitation von Patienten aktiv genutzt. In den USA gebe es spezielle Angebote für Kinder, die unter ADHS leiden. Auch im Bereich von Autismus gebe es Ansätze, ob mit Spielen die Emotions-Erkennung gefördert werden könne.
Bei depressiven Patienten zeigten Untersuchungen, dass ablenkende Videospiele bessere Ergebnisse liefern als ein zusätzlich verschriebenes Medikament, erzählt Wagener. Gearbeitet habe er selbst auch schon mit dem Spiel „Gris“, welches Tabuthemen wie eben Trauer und Depression behandelt: „Wir haben zeigen können, dass das Spiel einen entspannenden Effekt auf die Spieler hat, die sich im Anschluss auch sehr viel positiver fühlten.“
Im Hinblick auf die Zukunft freut sich Gary Lee Wagener auf ein Spiel der selben Entwickler. „Und auf ‚GTA 6‘ warten wir natürlich auch, das bietet sich auf jeden Fall für die Forschung an“, so der 30-Jährige mit einem Blick, der verrät, dass er - wie fast jeder Gamer - auch privat sehnsüchtig auf das neue Open-World-Epos von Rockstar Games wartet. Außerdem freut er sich auf den neuen Teil der Strategie-Serie „XCOM“. Der Fokus auf dem Thema Videospiele ist bei Gary Lee Wagener also kein Zufallsprodukt, sondern letztendlich eine logische Konsequenz aus einer langen Gaming-Karriere, die in seiner Kindheit mit „Pokemon“ auf dem Gameboy Color begann. „Das hat mich quasi mein ganzes Leben lang begleitet und jetzt auch ins Studium und in die Forschung hinein“, so der 30-Jährige.
Dustin Mertes, Redakteur. Luxemburger Wort 27.1.2024
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