Wie Germanen und Slawen durchs Römische Reich zogen Ab dem 4. Jahrhundert konnte Rom die Invasoren,

Dec 18, 2023 12:54

Wie Germanen und Slawen durchs Römische Reich zogen

Ab dem 4. Jahrhundert konnte Rom die Invasoren, die über die Donau drängten, nicht mehr zurückhalten. Gen-Analysen zeigen, wie der Balkan von den Migranten geprägt wurde. Germanen, Reiternomaden aus Asien und Slawen veränderten die Demografie.

Von Berthold Seewald, Freier Autor Geschichte

Ende des 11. Jahrhunderts n. Chr. schrieb der hohe byzantinische Beamte Michael Attaleiates eine Geschichte seiner Zeit. Darin erwähnte er die Rebellion eines Generals, der in Süditalien Truppen gegen den Kaiser in Konstantinopel mobilisierte. Zu ihnen sollen Kämpfer gehört haben, die Attaleiates als „Albanoi“ (Albaner) bezeichnete.

900 Jahre zuvor hatte der griechische Geograf Claudius Ptolemaios diesen Namen für Leute verwandt, die im Hinterland von Dyrrachium (Durrës) lebten. Das erlaubte den Vordenkern des modernen albanischen Nationalbewusstseins im 19. Jahrhundert, ihre Wurzeln bis in die Antike zu verfolgen. Mehr noch. Weil die Albaner der Römerzeit zu den Illyrern gerechnet wurden, die bereits im 1. Jahrtausend v. Chr. an der Südostküste der Adria heimisch waren, fanden die Albaner der Neuzeit einen Besitztitel an ihrem Land, der sich auf ununterbrochene Besiedlung in geschichtlicher Zeit gründet. Als weiteres Argument dient dafür die indoeuropäische Sprache, die im Gegensatz zu ihren slawischen und griechischen Nachbarn als einzige Nachfahrin der Barbarensprachen des Balkan die Zeiten überdauert hat.

Wenn jetzt ein internationales Team das Ergebnis einer Genom-Untersuchung des Balkans im 1. Jahrtausend n. Chr. vorlegt, rührt das am Selbstverständnis nicht nur der Albaner. Auch Griechen und Rumänen haben in den blutigen Staatsgründungskriegen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts stets auf ihr ungebrochenes Besitzrecht seit der Antike verwiesen, gegenüber dem Slawen, Bulgaren oder Ungarn nur Ansprüche als spätere Zuwanderer zugebilligt wurden. Dagegen kommen die Wissenschaftler in der Zeitschrift „Cell“ zu dem Ergebnis, dass die genetische Zusammensetzung der Balkanbevölkerung im Frühmittelalter „eine der größten dauerhaften demografischen Veränderungen in Europa darstellt“.

Dafür haben die Forscher Gen-Material von 136 Individuen aus 20 Grabstätten analysiert, die Archäologen in Kroatien und Serbien freigelegt haben. Während für das 1. Jahrtausend v. Chr. eine lokale Kontinuität der bronze- und eisenzeitlichen Bevölkerung nachgewiesen werden konnte, setzte zu Beginn des 1. Jahrtausends n. Chr. offenbar eine starke Migration aus dem ostmediterranen Raum und sogar aus Nordafrika ein.

Das passt zu der historischen Überlieferung. In der frühen Kaiserzeit hatte Rom die großen Binnenräume bis zur Donau unter seine Herrschaft gebracht und damit für Untertanen aus anderen Reichsteilen geöffnet. Wenn die Genome dagegen nur einen geringen Zuzug aus Italien belegen, dann lässt sich dies durch die Organisation der Grenzverteidigung erklären. Zahlreiche Legionen waren am „nassen Limes“ stationiert und nicht im Hinterland.

Nach der Eroberung Dakiens (ungefähr das heutige Siebenbürgen) Anfang des 2. Jahrhunderts standen römische Truppen auch nördlich der Donau, wo sie ebenfalls starke kulturelle Spuren hinterließen aber kaum genetisch fassbare. Die ausscheidenden Veteranen der Legionen, also römische Bürger, die mit Land abgefunden wurden, reichten wohl nicht aus, um den Genpool des Balkans in der Form zu verändern, wie das im 3. und 4. Jahrhundert geschah.
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In dieser Periode fanden die Wissenschaftler „Individuen, deren Vorfahren aus Mittel-/Nordeuropa und der pontisch-kasachischen Steppe stammten“ und zum Teil Gene aus beiden Linien in sich trugen. Das spiegelt treffend die Situation der sogenannten Völkerwanderung. Nachdem Rom alle Eroberungen nördlich der Donau aufgegeben hatte, drängten germanische und reiternomadische Kriegerverbände aus Asien wie Goten, Hunnen, Gepiden, Awaren oder Heruler ins Reichsgebiet.

Allerdings hinterließen sie ebenfalls keine tief greifenden Spuren im Genom des Balkan, handelte es sich doch nach Aussage der Quellen um Gruppen von einigen Zehntausend Menschen, deren Zusammensetzung sich kurzfristig ändern konnte. Bekannt sind die großen Wanderungsbewegungen der Goten, die sie schließlich nach Italien und Spanien führten.

Erst die Einwanderung der Slawen nach dem endgültigen Zusammenbruch der römischen Grenzverteidigung Ende des 6. Jahrhunderts veränderte die genetische Zusammensetzung des Balkans nachhaltig. „Wir stellen eine umfangreiche Ankunft von Individuen fest, die genetisch den modernen Südslawisch sprechenden Populationen entsprechen, die 30-60 Prozent der Abstammung der Balkanvölker beisteuerten“, schreiben die Wissenschaftler.

Auch wenn die Datenlage mit 136 Individuen, die zudem im westlichen Balkanraum in städtischen Siedlungen lebten, doch recht überschaubar ist, lässt das immerhin den Schluss zu, dass die Ethnogenese der Balkannationen das Ergebnis weiträumiger Migrationen ist. Der Annahme, ein Stamm der Illyrer hätten sich diesem Trend entziehen können, widerspricht auch der linguistische Befund. Danach lässt sich die Entwicklung der albanischen Sprache besser erklären, wenn man ihre frühen Sprecher in räumlicher Nähe zu Romanen verortet, die unter Roms Herrschaft im Nordosten der Halbinsel gelebt haben.

Welt 18.12.2023

balkan, sprache, kielce, geschichte, slaven, germanen

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