Dec 08, 2023 15:25
Kulturzentrum in Frankreich : Macrons Prestigeprojekt
• Von Marc Zitzmann
Eine Institution, die der französischen Sprache gewidmet ist - das klingt auf dem Papier eher kopflastig, verstaubt, dröge. Doch der tausendzweihundert Quadratmeter große Dauerparcours der unlängst eröffneten „Cité internationale de la langue française“ in Villers-Cotterêts entpuppt sich ganz im Gegenteil als verspielt, interaktiv, farbenfroh. Und dabei stets lehrreich ohne Pedanterie und zwanglos zum Nachdenken anregend.
Das erste Kapitel trägt den Titel „Une langue monde“. Es zeigt, dass (und wie) die Weltsprache eine Sprach-Welt für sich bildet. Von ihrer Anziehungskraft zeugen namentlich die Werke auf Französisch schreibender Autoren mit fremder Muttersprache, von Giacomo Casanova bis zu den Literaturnobelpreisträgern Samuel Beckett und Gao Xingjian. Aber auch die Illustrationen der Fabeln von La Fontaine, die zwischen 1828 und 1857 abessinische, chinesische oder persische Miniaturmaler anfertigten. Die große Zeit des Französischen war indes das achtzehnte Jahrhundert, als von Petersburg bis Lissabon in der Sprache von Diderot, Rousseau und Voltaire konversiert wurde.
Und Antoine de Rivarol ein Preisausschreiben der Berliner Akademie zur Frage „Warum ist das Französische die Universalsprache Europas?“ gewann - mit Schlagsätzen wie „Was nicht klar ist, ist nicht französisch“. Die Schau geht noch weiter zurück bis zu den Anfängen der Kolonisierung: Diese wurde - auch - durch das hehre Bestreben gerechtfertigt, den „Wilden“ die Zivilisation zu bringen. Tatsächlich jedoch diente die Sprache meist als Werkzeug der Unterwerfung - in Algerien etwa gingen am Ende des neunzehnten Jahrhunderts bloß zwei Prozent der kleinen Muslime zur Schule, gegen vierundachtzig Prozent ihrer europäischen Altersgenossen.
Das zweite Kapitel befasst sich mit dem Erfindungsreichtum der Benutzer des Französischen. Dieses sei, so die Ausstellungsmacher pointiert, „eine Kreolisierung des Lateinischen auf keltischer Grundlage mit Anleihen bei den germanischen Sprachen - und bei allen Idiomen der Welt“. Im Lauf der Zeiten haben sich dabei nicht nur Wortbedeutungen gewandelt - aus dem lateinischen „etwas“ (rem) wurde so ein französisches „nichts“ (rien) -, sondern auch Vokabular und Aussprache. Eine Binse, gewiss - welcher die Schau mit Audio-„Rekonstruktionen“ tönende Evidenz verleiht, etwa mit jener der Stimme Ludwigs des Deutschen, dessen „Straßburger Eide“ aus dem Jahr 842 als die Geburtsstunde des Französischen gelten.
Das letzte Kapitel endlich beleuchtet die vielerlei Modalitäten der staatlichen Sprachpolitik. Den Anfang macht hier das Edikt von Villers-Cotterêts, benannt nach dem Schloss, in dem es 1539 durch François I. unterzeichnet wurde. Es erhebt die „französische Muttersprache“ („langaige maternel françois“) gegen das Lateinische zur alleinigen Rechtssprache. Die Kuratoren streichen aus verständlichen Gründen seine Bedeutung stark heraus: Demgegenüber relativieren Linguisten wie Gene¬viève Clérico (in Jacques Chaurands nach wie vor maßstabsetzender „Nouvelle Histoire de la langue française“), das Lateinische sei seinerzeit bereits auf dem Rückzug gewesen, das Französische auf dem Vormarsch - das Edikt habe mithin bloß Gesetz und Praxis in Einklang gebracht.
Bis heute umstritten ist, ob „langaige maternel françois“ restriktiv das Idiom der Île-de-France meint oder extensiv jede der vielen Regionalsprachen auf dem Territorium des Königreichs. In ersterem Fall bildete das Edikt einen frühen Akt der sprachlichen Zentralisierung. Diese betrieb dann die Erste Republik 1794 brachial mit einem Aufruf zur „Ausrottung“ der regionalen Idiome. Seit der Nachkriegszeit hat der Staat hier eine bemerkenswerte Kehrtwende vollzogen: Heute sieht er die zweiundsiebzig Regionalsprachen als Kulturerbe an, mithin als schützenswert.
Der Parcours bildet ein Geflecht aus Stimmen, bewegten Bildern und Sprachspielchen zum Mitmachen. Doch so bunt und kontrastreich die einzelnen Pinselstriche, so unzweideutig die Aussage des Gesamtbilds. Das Französische, genauer: die französischen Sprachen werden hier als weltoffen gezeichnet, als experimentierfreudig und in stetem Wandel begriffen. Das genaue Gegenteil des in der Galauniform vergangener Größe mumifizierten Regelwerks aus Verboten und Verteidigungswällen, als welches Vertreter rechter und rechtsextremer Lager das Idiom gern im Kampf gegen alles „Fremde“ instrumentalisieren. Warum reden wir hier von Politik?
Nun, Sprache ist ein maßgeblicher Bestandteil von Identität; die identité française wähnen der Rassemblement national (RN) sowie große Teile von Parteien, die vor zwanzig Jahren noch als bürgerlich-liberal galten, durch „Überfremdung“ bedroht; dialektale Formen des Arabischen bilden heute zahlenmäßig Frankreichs zweite Sprache (was die Schau nur flüchtig, der dazugehörige Katalog dafür aber gleich viermal erwähnt); Villers-Cotterêts hat 2014 einen RN-Bürgermeister gewählt und diesen 2020 im Amt bestätigt. Macrons Kulturprojekt besitzt klar auch eine politische Stoßrichtung.
Wird die „Cité internationale de la langue française“ die lokale Wirtschaft beleben? Villers-Cotterêts, auf halber Strecke zwischen Reims und Paris gelegen, ist eine Schlafstadt: Der erste Arbeitgeber des Orts - noch vor Volkswagen - heißt „Großparis“. Aus den Abendzügen steigen Trüppchen müder Trabanten; die 11.000-Seelen-Gemeinde fristet - wie die ganze Region - ein Randdasein, fern der Dynamik der Hauptstadt und anderer Ballungszentren. Zweiunddreißig Posten wurden in der Cité geschaffen, vierzig weitere externalisiert.
Ein präsidentieller Schnitzer?
Das Jahresbudget in Höhe von rund acht Millionen Euro trägt zu drei Vierteln das vom Kulturministerium abhängende „Centre des monuments nationaux“. Eine potentiell stattliche Einnahmequelle bilden die rund 7500 Quadratmeter Nutzfläche in den Wirtschaftsgebäuden, die vor dem logis royal einen majestätischen Vorhof bilden. Ihre Hülle wurde instand gesetzt, aber im Innern befinden sie sich noch im Zustand des Quasi-Rohbaus. Seriöse Mietbewerber haben dieser Tage ihre Kandidaturen eingereicht, freut sich der Direktor der Cité, Paul Rondin, im Telefongespräch. Doch die Startinvestitionen sind hoch, und Villers-Cotterêts ist in Sachen Tourismus noch fast ein unbeschriebenes Blatt.
In denkmalpflegerischer und mehr noch in historischer Hinsicht war die Restaurierung des Schlosses überfällig. Der Bau ist verbunden mit François I. und seinem Sohn Henri II. sowie - über den schillernden Bruder des Sonnenkönigs - mit dem Orléans-Zweig der Bourbonen. An seiner Gestaltung wirkten die Architekten Philibert Delorme, Jules Hardouin-Mansart sowie, was die Gärten betrifft, André Le Nôtre mit. Leider ist davon kaum mehr etwas zu sehen: Seit der Revolutionszeit als Kaserne, Verwahrungsort für Arme, Hospiz und endlich Altersheim genutzt, bewahrt das im Innern verwüstete Château nur noch das Dekor der Kapelle sowie zweier Prunktreppen. Deren in Stein gehauene mythologische Gestalten sowie Salamander und andere königliche Insignien freilich überwältigen.
Macron hat ein wichtiges, wenngleich nicht erstrangiges Baudenkmal gerettet und eine ebenso originelle wie ansprechende Institution geschaffen. Konnte sich der Präsident bei der Eröffnung „seines“ großen kulturellen Bauprojekts zu einem fehlerfrei absolvierten Parcours gratulieren? Er hätte es tun können, wäre ihm nicht in der Zielgerade ein Fauxpas unterlaufen. In seiner Einweihungsrede stilisierte er Toussaint Louverture zur „Metapher“ des Befreiungskämpfers, der die Sprache der Unterdrücker übernimmt und gegen diese wendet.
Nur dass der Anführer der Revolution, die 1804 zu Haitis Unabhängigkeit führte, als in Cap-Haïtien geborener Sklave westafrikanischer Abstammung sowohl das Idiom seiner beninischen Vorfahren sprach als auch (und vor allem) Haitianisch-Kreolisch - aber nur brüchig Französisch. Seine Verlautbarungen diktierte er auf Kreyòl Ayisyen europäischen Sekretären; diese übersetzten sie in die Sprache der Kolonialherren. Ein präsidentieller Schnitzer? Gut achtzig Millionen Frankophone in der Karibik und in subsaharischen Staaten (mit denen die Beziehungen zurzeit ohnehin schon gespannt sind) mögen das anders sehen.
FAZ 7.12.2023
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