Nov 09, 2023 18:14
InterviewArthur C. Clarke Award
Ex-SES-Chef Romain Bausch: „Ansatz beim Space Mining war falsch"
Am Mittwochabend wird Romain Bausch in Washington mit dem Arthur C. Clarke Award für sein Lebenswerk ausgezeichnet.
Er hat das Luxemburger Satellitenunternehmen SES geprägt wie kein anderer. Unter seiner Leitung stieg SES zu einem der weltweit wichtigsten Akteure der Branche auf. Am Mittwochabend wird Romain Bausch in Washington mit dem Arthur C. Clarke Award für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Er erinnert sich im Interview an die Anfangsjahre bei SES und spricht über die kommenden Herausforderungen für das Unternehmen.
Romain Bausch, der Aufstieg der SES zu einem weltweiten Satellitenbetreiber ist eng mit Ihrem Namen verbunden. Bei der Gründung 1985 waren Sie noch Beamter im Finanzministerium. Was war Ihr erster Berührungspunkt mit dem Unternehmen?
Im Finanzministerium hatte ich am Rande damit zu tun, aber mein erster wirklich vertiefter Kontakt mit der SES war 1991. Das Unternehmen hatte damals zehn Gesellschafter, zwei davon waren die zwei Staatsbanken; die Sparkasse und die Société Nationale de Crédit et d'Investissement (SNCI). Ich trat damals als Vertreter der SNCI dem Verwaltungsrat des Unternehmens bei. Aber bis zu dem Tag, an dem ich CEO von SES wurde, habe ich im Finanzministerium gearbeitet.
Wie war der Wechsel für Sie persönlich? Zuvor waren Sie hoher Beamter im Ministerium, und dann wechseln Sie in ein Unternehmen, das damals noch eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Start-up hatte.
Neuland war das ja für mich nicht. Als ich 1995 CEO wurde, war ich schon vier Jahre im Verwaltungsrat. In der Übergangszeit war ich auch schon Teil des „Coordination Committee“, das die Gesellschaft in Abwesenheit eines CEO geführt hat. Der ganze finanzielle, kommerzielle und juristische Bereich ist mir dann auch nicht schwergefallen. Das Einzige, wovon ich zu dem Zeitpunkt nicht so viel Ahnung hatte, war der technische Aspekt. Aber dafür hat man ja einen Technischen Direktor.
Ein großer Unterschied zwischen den Tätigkeiten als hoher Beamter und CEO ist, dass man im Ministerium Entscheidungen zwar vorbereitet hat, aber getroffen wurden sie dann auf politischer Ebene von einem anderen. Geholfen hat mir, dass ich im Ministerium auch für europäische Dossiers zuständig war. Im Satellitenbereich, in dem die internationale Koordination, zum Beispiel für die Vergabe von Frequenzen, wichtig ist, ist es hilfreich, dass man mit diesem institutionellen Rahmen vertraut ist.
Es war die Rede vom ‚Krieg der Sterne‘ zwischen Frankreich und Luxemburg.
Wie kam Luxemburg überhaupt auf die Idee, ausgerechnet eine Satellitenfirma aufbauen zu wollen?
Um das zu verstehen, muss man wissen, dass die Gründung der SES nicht aus dem Himmel gefallen ist. Die ursprüngliche Idee war, dass Luxemburg Satelliten betreiben sollte, auf Frequenzen, die dem Land von der internationalen Telekommunikationsunion gewährt worden waren; hauptsächlich im Interesse von RTL zur Verbreitung von Fernseh- und Radioprogrammen über Satellit.
Nachdem andere Vorhaben, wie ein eigener RTL-Satellit, oder dass Luxemburg Kanäle im französischen TDF-Satelliten bekommen sollte, oder das Coronet-Projekt gescheitert waren, war es eine der ersten Entscheidungen vom damaligen Premierminister Jacques Santer, eine europäische Firma mit Luxemburger Beteiligung auf die Beine zu stellen. Es war klar, dass die beiden Luxemburger Staatsbanken mitmachen mussten. Verschiedene deutsche Banken, die ja in Luxemburg einige Vorteile hatten, wurden dann auch freundlich gebeten, zu investieren. Am Ende waren es zehn Gesellschafter, jeder hatte zehn Prozent der Anteile, als dann im März 1985 das Unternehmen gegründet wurde.
Als vor ein paar Jahren Luxemburg eine Strategie zum „Space Mining“ beschlossen hat, hat das international für Erstaunen gesorgt. War das auch so, als es darum ging, als kleines Land einen Satellitenbetreiber hochzuziehen?
Es war durchaus so, dass auch damals gedacht wurde: Was machen die denn da in Luxemburg? Besonders delikat war die industriepolitische Seite. Damals setzten die großen europäischen Länder wie Frankreich, Deutschland und Großbritannien auf sogenannte High-Power-Satelliten, von denen jeder fünf Transponder hat, also fünf Kanäle, wenn man so will. SES hat sich aber für Medium-Power-Satelliten mit 16 Kanälen entschieden. Das waren amerikanische Satelliten, was von anderen EU-Staaten sehr kritisch gesehen wurde. Deshalb haben auch die Franzosen die Satelliten von SES als „Coca-Cola“-Satelliten bezeichnet.
Hinzu kommt, dass zu dem Zeitpunkt nur staatliche und zwischenstaatliche Organisationen Satelliten betrieben haben: Eutelsat in Europa, Intelsat international oder zum Beispiel auch die Deutsche Telekom. Da wollten wir uns dann als Privatunternehmen als Wettbewerber etablieren. Die haben natürlich alles getan, um uns nicht auf die Beine kommen zu lassen. Es gab also viel Gegenwind und wenig Rückenwind außerhalb Luxemburgs für dieses Projekt.
Wie wichtig war die politische Unterstützung der Regierung für dieses Projekt?
Es war entscheidend, dass man sich gewehrt hat gegen die großen europäischen Länder, die fanden, dass Luxemburg sich danebenbenimmt, weil eben nicht die europäische Industrietechnik genommen wurde und vielleicht auch, weil 1988 mit Rupert Murdoch ein Nichteuropäer als erster Kunde gewonnen wurde. In französischen Nachrichtensendungen war mitunter die Rede vom „Krieg der Sterne“ zwischen Frankreich und Luxemburg.
Letztlich war das Handeln der Luxemburger Regierung bezüglich der Frequenz-Koordinierung mit den anderen Ländern ausschlaggebend. Ohne das hätte es die SES und die Astra-Satelliten nicht gegeben.
Als Sie das Ruder bei SES übernommen haben, war das Unternehmen beschränkt auf eine Handvoll europäischer Märkte. Innerhalb weniger Jahre sind die Aktivitäten auf eine praktisch weltweite Abdeckung angewachsen. Was waren die Erfolgsfaktoren für das Wachstum?
Wir haben ein paar sehr kreative Konzepte umgesetzt. Zum einen die Tatsache, dass man Satelliten mit 16 Transpondern benutzt hat. Wir konnten also deutlich mehr Kanäle anbieten. Damals hatten viele Staaten nur das öffentlich-rechtliche Fernsehen mit einem oder zwei Programmen im Sinn. Man hat nicht daran gedacht, dass es hunderte von Programmen geben könnte.
Zweitens haben wir die Satelliten auf einer Orbitalposition co-positioniert. Das heißt, man hat mehrere Satelliten in einen virtuellen Würfel im Weltraum mit Seitenlängen von 80 Kilometern gesetzt. Die muss man dann so steuern, dass nicht einer vor dem anderen steht und sie nicht kollidieren. So konnten wir sieben oder acht Satelliten und damit 120 Transponder für analoge TV Programme an einer einzigen Orbitalposition unterbringen. Das war vom Konzept her gesehen äußerst innovativ und hat uns einen Vorteil gegenüber den Wettbewerbern verschafft.
Sie gelten als einer der Treiber der Konsolidierung in der Branche. Welche Rolle haben Übernahmen beim Wachstum von SES gespielt?
Wir wollten wachsen - geografisch, aber auch in Bezug auf die Geschäftsfelder. Und da haben wir nicht direkt mit Akquisitionen angefangen, sondern mit Beteiligungen an regionalen Betreibern wie zum Beispiel Asiasat in Hongkong. Das waren die ersten Schritte für unsere geografische Ausbreitung.
Dann kamen die Akquisitionen. Die größte war die Übernahme von GE Americom, dem zweitgrößten Satellitenbetreiber in den USA und eine Tochtergesellschaft von General Electric (GE). Wir haben 100 Prozent der Anteile übernommen, das entsprach damals etwa zwei Dritteln des Wertes von SES. Diesen Batzen konnten wir nur schlucken, weil GE bereit war, einen Teil des Kaufpreises in Aktien ausgezahlt zu bekommen. Dadurch wurden sie bis zu ihrem Ausstieg 2017 der größte Gesellschafter der SES mit etwa 30 Prozent der Anteile.
Möglich wurden diese Übernahmen durch den Börsengang 1998, durch den wir die notwendigen finanziellen Fähigkeiten erhielten. Wir haben wirtschaftlich zu dem Zeitpunkt sehr gute Zahlen geschrieben. Verschiedene Investoren beschrieben die Profitabilität als fast schon unanständig. Wir hatten teilweise Gewinnmargen vor Steuern und Abschreibungen von über 80 Prozent. Aber das musste auch so sein, weil das Geschäft sehr kapitalintensiv ist.
Das Geschäft hat sich inzwischen verändert. Das liegt auch daran, dass das klassische „lineare“ Fernsehen auf dem Rückzug ist und es neue Konkurrenz gibt.
Ja, auch der Ausbau der Kapazitäten der terrestrischen Netze mit Glasfaser macht es schwieriger für Anbieter von Satellitendirektempfang. Das hat man schon in den frühen 2000er-Jahren gesehen. Und umso wichtiger war, dass wir schon zehn Jahre vorher die Entscheidung getroffen haben, uns zu diversifizieren und nicht alles auf Satellitendirektempfang zu setzen. Heute sind etwa 50 Prozent des Umsatzes das Mediengeschäft und der Rest sind Breitband-Telekommunikationsdienste. Wichtig war in diesem Zusammenhang die Investition in O3B-Networks 2009.
Wie schwer wird es für SES, mit Konkurrenten wie Starlink von Elon Musk oder Kuiper von Amazon mitzuhalten?
Ich nicht überzeugt von den LEO-Satelliten in niedrigen Erdumlaufbahnen, die von diesen beiden Anbietern betrieben werden. Man braucht sehr viele Satelliten, um damit Dienste anbieten zu können. Das ist sehr teuer; die LEOs haben keine hohe Rentabilität. Aber wenn man so tiefe Taschen hat wie Elon Musk oder Jeff Bezos, spielt man in einer anderen Liga und muss damit vielleicht auch nicht sofort Geld verdienen. Als SES muss man weiter kreativ sein. Man muss auf Satellitensysteme setzen, die rentabel sind und mit denen man gezielt verschiedene Märkte kostengünstig bedienen kann. Ich sehe jedenfalls nicht schwarz für SES.
Erwarten Sie eine weitere Konsolidierung in dem Bereich? Die Fusion von SES mit Intelsat ist ja gescheitert. Woran lag das?
Ich bin bereits 2020 aus dem Verwaltungsrat ausgetreten. Ich habe daher kein Insiderwissen über diese Diskussionen mit Intelsat und auch vielleicht mit anderen Akteuren. Aber die Frage ist berechtigt: Wenn man so große Player hat wie Musk und Bezos, ist es ein logischer Gedanke, dass es eine Konsolidierung der traditionelleren Firmen in dem Bereich geben sollte. Das geschieht ja auch schon, wenn man zum Beispiel an die Übernahme von Inmarsat durch Viasat denkt.
Wie bewerten Sie die „Space Resources“ Initiative der Regierung? Hier werden ja häufiger mal Parallelen zur Gründung von SES gezogen.
Ich finde es in Ordnung, dass die Luxemburger Regierung sich im Weltraumsektor positionieren will und mit der Luxembourg Space Agency eine entsprechende Institution geschaffen hat. Aber beim Space Mining war ich von Anfang an überzeugt, dass das der komplett falsche Ansatz ist. Und es hat mich immer ein bisschen genervt, wenn gesagt wurde, das sei vergleichbar mit der Investition des Landes in die SES.
Es gab damals einen Markt, es gab die Satellitentechnik, es gab Fernsehen und man wusste, dass der Satellit eine Rolle in der Ausstrahlung von Fernsehen spielen würde. Natürlich gab es auch Risiken. Wenn der erste Satellitenstart nicht geglückt wäre, wäre es vielleicht schiefgegangen. Aber es gab eine wirtschaftliche Perspektive. Man hat gesehen, dass eine Rentabilität kurzfristig zu erreichen ist. Wenn aber jemand beim Space Mining glaubt, innerhalb von fünf Jahren ein Return on Investment zu erzielen, ist er im falschen Film.
Zum Abschluss die Frage: Was bedeutet Ihnen die Auszeichnung persönlich?
Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass mir das keine Freude macht. Ich bin ja jetzt praktisch zehn Jahre als CEO aus der Gesellschaft raus und nicht mehr präsent in der Branche. Dann einen Preis für das Lebenswerk zu erhalten, ist sehr schön.
Das findet ja auch nicht im luftleeren Raum statt, wenn man so eine Auszeichnung bekommt, sondern es stehen viele Leute dahinter. Daher ist das nicht nur eine Anerkennung für mich, sondern auch für die Mitarbeiter des Unternehmens und für den Luxemburger Staat, der die Weitsicht hatte, das zu ermöglichen.
Zur Person
Nach seinem Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Universität von Nancy trat Romain Bausch zunächst in den Staatsdienst ein. In seiner Karriere beim Finanzministerium war der Luxemburger unter anderem Vorstandsvorsitzender der SNCI. 1995 wechselte er in die Privatwirtschaft und leitete bis 2014 als CEO die SES. Dabei verantwortete er nicht nur den Börsengang, sondern die ständige internationale Expansion des Unternehmens. Heute ist der Siebzigjährige in einigen Verwaltungsräten aktiv, darunter der Banque Raiffeisen und des Luxembourg Future Fund.
Arthur C. Clarke Award
Die Arthur C. Clarke Foundation, benannt nach dem berühmten Wissenschaftler und Science-Fiction-Autor, wurde gegründet, um die „Nutzung der Weltraum- und Telekommunikationstechnologie zum Wohle der Menschheit zu fördern“, wie die Stiftung erklärt. Romain Bausch wird geehrt für sein „Engagement für die Ausweitung der Vorteile der Satellitenkommunikation auf der ganzen Welt.“ Zu den früheren Preisträgern gehören Stephen Hawking, Margaret Atwood, Jeff Bezos und Elon Musk.
Luxemburger Wort 7.11.2023
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