Wer auf diesen Listen stand, hatte nicht mehr lange zu leben Mit dem Feldherrn Sulla erhielten die

Nov 09, 2023 13:23

Wer auf diesen Listen stand, hatte nicht mehr lange zu leben

Mit dem Feldherrn Sulla erhielten die Bürgerkriege in Rom eine neue Dimension. Zweimal führte er seine Legionen gegen die Hauptstadt. Nach seinem Sieg 83 v. Chr. eröffnete er eine mörderische Menschenjagd auf seine Gegner.

Von Berthold Seewald Freier Autor Geschichte

In Stanley Kubricks Historienfilm „Spartacus“ (1960) gibt es eine unheilschwangere Szene. Darin erklärt der ehrgeizige Politiker Crassus seinem Intimfeind Gracchus, dass „in jeder Stadt und Provinz Listen der Untreuen zusammengestellt“ wurden. Darauf fragt Gracchus: „Und wo taucht mein Name auf der Liste der illoyalen Staatsfeinde auf?“ Die Antwort lautet: „An erster Stelle.“

Der sarkastische Dialog ist eine schöne Erfindung. Denn die „Liste der Staatsfeinde“ hat es während des großen Sklavenaufstandes des Spartacus in den Jahren 73 bis 71 vor Christus nicht gegeben. Aber die beiden Akteure spielen mit dem Grauen, das diese Liste wenige Jahre zuvor erzeugt hat. Damals wurde sie aber nicht von Marcus Licinius Crassus eingeführt, der später mit Pompeius und Caesar das Erste Triumvirat schließen sollte. Sondern der Erfinder war Lucius Cornelius Sulla (138-78). Als er am 1. Juni 81 v. Chr. seine „Liste“ offiziell schloss, hatten Dutzende Senatoren und Tausende Ritter das Leben verloren.

Sulla hatte viel mit Caesar gemein. Wie dieser entstammte er einer aristokratischen Familie, den Corneliern, deren Ruhm allerdings durch die mangelhaften Erfolge ihrer jüngeren Generationen gelitten hatte. Umso größer war der Wert, den beide ihrem persönlichen Rang und ihrer Ehre beimaßen und denen sie alles unterordneten, auch die Loyalität gegenüber dem Gemeinwesen und seinen Traditionen. Beide machten sich als unkonventionelle Lebemänner einen Namen und stiegen durch militärische Erfolge auf. Das hinderte Sulla aber nicht, den jungen Caesar auf die „Liste“ zu setzen; nur der Zuspruch einflussreicher Fürsprecher ersparte diesem das übliche Schicksal.

Vor allem legte Sulla für Caesar und andere ehrgeizige Politiker die Spur, die in die Bürgerkriege und schließlich in den Untergang der Römischen Republik führte. Als Feldherr schwor er seine Legionäre auf sich ein und hatte keine Skrupel, mit ihnen gegen den Staat zu ziehen. Und die außerordentlichen Kommandos, die er sich übertragen ließ, wurden zum Vorbild für die Machtballungen, mit denen nicht nur riesige Gebiete in Gallien, auf der Iberischen Halbinsel und im Orient erobert wurden, sondern mit denen auch einzelne Generäle die Jahrhunderte alten Spielregeln des Staates zertraten.

Schon früh zeigte sich, dass Sulla wenig Interesse am politischen Tagesgeschäft hatte. Nachdem er mit der Quaestur die erste Stufe der Ämterlaufbahn genommen hatte, zog es ihn ins Feldlager, wo der soziale Aufsteiger Gaius Marius seinen Ruf als Retter des Vaterlands begründete. Zunächst im Krieg gegen den König Jugurtha von Numidien, später gegen die germanischen Kimbern und Teutonen bewies Sulla sein militärisches Talent. Dabei legte er allerdings bereits eine Einstellung an den Tag, der er später auch gegenüber seinen Gegnern folgte: Im Umgang mit Feinden achtete er nicht auf soldatische Disziplin, sondern erwarb sich die Zuneigung seiner Truppen, indem er sie hemmungslos rauben und morden ließ.

Spätestens im sogenannten Bundesgenossenkrieg gegen Roms italische Partner wurde aus der Partnerschaft von Sulla und Marius eine heftige Rivalität. Sie wurde zur Feindschaft, als Sulla 88 v. Chr. das Kommando im Krieg gegen den König Mithridates VI. von Pontos übertragen wurde, der in Kleinasien eingefallen war und in der „Blutvesper von Ephesos“ 80.000 Römer und Italer hingemetzelt hatte. Als der Senat Sulla den Oberbefehl entzog, zog dieser mit seinen Legionen gegen Rom. Ein Dutzend Gegner, darunter Marius, wurden auf einer ersten „Liste“ für vogelfrei erklärt. Die meisten entkamen.

Der sogenannte „Erste Mithridatische Krieg“ (89-85) endete mit einem Sieg Sullas. Aber die Rache für die „Blutvesper“ blieb aus. Der König konnte sich unter moderaten Bedingungen zurückziehen, während die Hauptlast des Krieges den griechischen Städten aufgebürdet wurde, die sich mit ihm verbunden hatten. Wie Sulla mit seinen Gegnern abzurechnen gedachte, musste ein römischer General erfahren, der in Thyateira (heute Akhisar) regelrecht belagert wurde. Er beging Selbstmord, während seine Leute zu Sulla überliefen.

Seine Armee war inzwischen zu einem erfahrenen Kampfinstrument geworden, dass ausschließlich den Befehlen ihres Anführers folgte. Gegen die 40.000 Mann, mit denen Sulla im Frühjahr 83 v. Chr. in Italien landete, hatten die Gegner keine Chance. Diese mobilisierten die Samniten und Lukaner Süditaliens, die sich noch gut an die Exzesse Sullas im Bundesgenossenkrieg erinnerten, wurden aber im November 82 vor Roms Collinischem Tor geschlagen. Damit war Sulla der Sieger.

Was das bedeutete, erfuhren zunächst die Samniten und Lukaner. Um Gnade zu erhalten, müssten sie ihren Feinden Schaden zufügen, ließ Sulla ihnen mitteilen. Daraufhin begannen die Gefangenen, sich gegenseitig zu bekämpfen. 6000 überlebten das Massaker, was ihnen aber auch nicht half. Im Circus Flaminius wurden sie zusammengetrieben und durch Speerwürfe getötet.

Das war der Auftakt für die Neuordnung des Gemeinwesens. Dafür ließ sich Sulla das Notstandsamt des „Dictators“ übertragen, das aber deutlich verlängert und um das Privileg der Gesetzgebung erweitert wurde. Zugleich begann die Abrechnung mit den Gegnern. Immerhin ließ er sich dazu herab, die Namen der Verfolgten zu veröffentlichen, um der quälenden Unsicherheit für die Verschonten ein Ende zu machen.

Die erste Liste mit Proskribierten (Achterklärten) umfasste 80 Namen, die nächste 220 und weitere in ähnlicher Größenordnung folgten, wobei Sullas Anhänger die Chance nutzten, private Rechnungen zu begleichen. Wer auf den Proskriptionslisten auftauchte, durfte nicht nur straflos getötet werden, sondern der Täter erhielt sogar eine Belohnung. Wer den Verfolgten half, dem drohte die Todesstrafe. Sklaven, die ihre Herren verrieten, wurde die Freiheit versprochen; Sulla reihte zehntausend von ihnen als Cornelii unter seine Klienten ein.

Was die Sache besonders lukrativ machte, war der Umstand, dass die Vermögen der Geächteten zugunsten der Staatskasse eingezogen wurden. Ihre Ländereien oder Immobilien wurden versteigert, wegen des Überangebots oft genug zu Schleuderpreisen. 120.000 Veteranen wurden mit Kleinbauernstellen abgefunden. Da sich aber viele kaum für das Landleben interessierten, verkauften sie ihre Lose an Grundbesitzer, die damit den Grundstock für Latifundien schufen. Auch nachdem Sulla am 1. Juni 81 die Proskriptionen einstellen ließ, betrieben seine Anhänger die Menschenjagd weiter. Insgesamt verloren etwa 40 Senatoren und 1600 Ritter ihr Leben.

Dem Aderlass in Magistraten und im Senat begegnete Sulla mit Berufungen aus dem Kreis seiner Anhänger, sodass sich die Zahl der Senatoren von 300 auf 600 verdoppelte. Da aber viele alte Mitglieder das Leben verloren hatte, rekrutierte sich das Gremium zu drei Vierteln aus Neulingen, die kaum das komplizierte Regelwerk der Macht beherrschten. Das entzog Sullas Vorhaben die Basis. Denn sein Konzept, den Senat wieder zum alleinigen Zentrum der politischen Entscheidungen zu machen, konnten die Sullaner kaum mit Leben erfüllen.

„Gerade die brutale Gewalt und die starke Systematisierung von Verbrechern an Italikern wie auch römischen Rittern hatte erst die Basis für die Sullanische Ordnung gelegt, sie zugleich aber von vornherein schon im Urteil der meisten Zeitgenossen vollends diskreditiert“, schreibt der Althistoriker Wolfgang Blösel. „Er war mithin als Reformer an seinem eigenen skrupellosen Vorgehen gescheitert.“

Sulla selbst hat das nicht mehr erlebt. Im Vertrauen auf seine überlegene Autorität zog er sich Anfang 79 v. Chr. ins Privatleben zurück, verfasste eine Autobiografie in 22 Büchern und starb im Frühjahr 78. Ausgerechnet die Politik seiner Gefolgsleute Pompeius und Crassus sollte bald dafür sorgen, dass Sullas Verfassung in Trümmer fiel.

Welt, Dieser Artikel wurde ursprünglich im Juni 2022 veröffentlicht.

römisches reich, geschichte

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