KI scharf regulieren? Großbritanniens Weg der Zurückhaltung Von Claudia Wanner USA und China hab

Nov 03, 2023 09:34

KI scharf regulieren? Großbritanniens Weg der Zurückhaltung

Von Claudia Wanner

USA und China haben es vorgemacht und auch die EU plant Richtlinien zum Umgang mit künstlicher Intelligenz. Großbritannien allerdings hält sich diesbezüglich bisher zurück. Dahinter steckt ein klarer Plan, der zum Vermächtnis von Premierminister Rishi Sunak werden soll.
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Am britischen Arbeitsmarkt verliert künstliche Intelligenz (KI) wieder an Bedeutung. In den vergangenen drei Monaten waren deutlich weniger offene Stellen ausgeschrieben, die Erfahrung mit den entsprechenden Technologien voraussetzen, als in den Vergleichszeiträumen in den Jahren zuvor.

Job-Angebote, die Schlüsselerkenntnisse der Technologie wie maschinelles Lernen oder neuronale Netze erfordern, blieben im dritten Quartal um 40 Prozent hinter dem Vorjahr zurück, zeigt eine Auswertung der Nachrichtenagentur Bloomberg von Daten des Personalvermittlers Reed Recruitment. Hinter dem Höchststand von 2019 blieben sie um 61 Prozent zurück.

Die Unternehmen im Land scheinen sich für einen bedächtigeren Ansatz zu entscheiden, nachdem sich die erste Euphorie zu den Möglichkeiten des Einsatzes von KI gelegt hat. Das könnte auch die Chancen von Premierminister Rishi Sunaks Plänen dämpfen, die britische Wirtschaft zu einem KI-Vorreiter zu machen.

Für Mittwoch und Donnerstag hat Sunak zu einem großen KI-Gipfel geladen, nach Bletchley Park, nördlich von London, wo es während des Zweiten Weltkriegs Wissenschaftlern und Decodier-Experten gelungen ist, den Enigma-Code der Nationalsozialisten zu entschlüsseln. Jetzt treffen hier rund 100 Regierungsvertreter, Tech-Unternehmer, Akademiker und KI-Spezialisten zusammen. Zwei Tage lang wollen sie über die besten Ansätze diskutieren, die Vorteile der Technologie auszuspielen, aber gleichzeitig die Risiken zu minimieren.

Einiges stehe auf dem Spiel, hatte Sunak erst vergangenen Donnerstag gewarnt. „Die Menschheit könnte komplett die Kontrolle über KI verlieren“, wenn die Technologie nicht angemessen reguliert werde. Mit der Warnung steht der britische Premier nicht allein da.

International zielen eine Reihe von Vorstößen in die gleiche Richtung. Erst am Montag hat die US-Regierung umfangreiche Vorschriften zum Umgang mit KI erlassen. Die Verordnung von Präsident Joe Biden legt einen besonderen Schwerpunkt auf nationale Sicherheit, umfasst aber auch Wettbewerbsfragen und den Schutz der Privatsphäre der Bürger.

Schon zwei Wochen zuvor hat die chinesische Regierung eine globale Initiative zur Governance von KI veröffentlicht. Geplant ist in den kommenden Wochen ein Verhaltenskodex für KI-Firmen der G7-Industrienationen. Bis zum Jahresende soll ferner eine ambitionierte KI-Verordnung der Europäischen Union stehen.

Derweil lassen die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt vermuten, dass es doch ein wenig länger dauert, bis KI in allen Lebensbereichen durchgreift. „Arbeitgeber zeigen möglicherweise ein gesundes Maß an Vorsicht, wie sich die Vorteile dieser neuen Technologie am besten nutzen lassen“, sagte James Reed, Chef von Reed Recruitment mit Blick auf die Daten zu den offenen Stellen.

Statt rasch zahlreiche Stellen komplett auf KI-Basis umzustellen, dürften sich die Kenntnisse schrittweise auf dem Arbeitsmarkt ausbreiten, so Reed. Sie würden dabei in bestehenden Jobs an Bedeutung gewinnen und neue Positionen schaffen. „Statt in Windeseile neue ‚KI-Jobs‘ zu schaffen, sieht es so aus, als würden KI-Kenntnisse wichtiger Bestandteil von bestehenden Berufsbildern, wo sie die Fähigkeiten und Produktivität verbessern, statt Stellen zu ersetzen.“

Den Trend, dass KI durchaus in bestehenden Positionen eingesetzt wird, unterstreicht auch eine aktuelle Untersuchung des Institute for the Future of Work, des Imperial College London und der Warwick Business School. 860 von 1000 befragten Unternehmen nutzen bereits KI und andere Technologien des maschinellen Lernens.

Ein Viertel der Befragten musste dafür aber keine neuen Stellen schaffen. Die übrigen haben zum größten Teil zusätzliche Positionen ausgeschrieben. Mit der Umsetzung sind die befragten Betriebe zum großen Teil sehr zufrieden: 69 Prozent sind der Ansicht, dass die Technologien dazu beitragen, dass sich die Attraktivität der Jobs verbessert habe.

Für die Beschäftigten bedeutet die Entwicklung dennoch, dass sie sich auseinandersetzen sollten mit der Technologie und ihren Einsatzmöglichkeiten. Experten gehen davon aus, dass der Anteil der Berufsbilder zunehmen wird, bei denen KI-Kenntnisse gefragt sind und dass Erfahrung und Wissen rund um die Technologie auch in anderen Bereichen zu einer Schlüsselkompetenz werden wird.

Nach Angaben der Regierung trägt der Bereich der künstlichen Intelligenz in Großbritannien heute bereits 3,7 Milliarden Pfund (4,2 Milliarden Euro) im Jahr zur Wirtschaftsentwicklung bei, 50.000 Menschen sind hier beschäftigt. Laut Data City, einem KI-basierten Daten-Start-up, arbeiten heute 3715 Unternehmen schwerpunktmäßig mit Methoden von KI und maschinellem Lernen.

Vor fünf Jahren waren es 2200. Das macht zwar einen deutlichen Sprung von 70 Prozent aus, aber noch keine vollständige Neuausrichtung der Wirtschaft.

Schwerpunkte dieser Firmen sind Datenanalyse und maschinelles Lernen, in geringerem Umfang auch grüne Technologien, Automatisierung, die Verarbeitung von Bildern und Sensorinformationen und Gesundheitswissenschaft. Eine große Rolle spielen dabei die renommierten Universitäten des Landes und ihre Anziehungskraft. Das zeigen auch die Stellenausschreibungen: eine hohe Nachfrage nach KI-Jobs besteht in Cambridge und Oxford, aber auch in Manchester und Bristol.

Sunak setzt darauf, dass diese Entwicklungszentren weiter wachsen und so dem schwächelnden Wirtschaftswachstum im Land und der seit Jahren stagnierenden Produktivität Auftrieb geben. Bei der Regulierung wählt die Regierung dabei einen zurückhaltenderen Ansatz als andere Staaten, um so die Attraktivität auszubauen. Keine Eile bestehe dabei, sagte Sunak. „Das ist eine grundsätzliche Frage - wir glauben an Innovation.“

Damit geht die Regierung langsamer vor als die USA und die EU. In Nordamerika stehen bei den aktuellen Vorstößen Fragen der nationalen Sicherheit im Vordergrund. Das Regelwerk der EU dürfte stark auf drohende Verletzung von Persönlichkeitsrechten abzielen, etwa den Schutz von Daten und vor Überwachung.

Sunak hofft, Großbritannien trotz der Fülle an Initiativen in aller Welt als Vorreiter eines ansprechenden Rahmens für die Entwicklung von KI zu positionieren - und damit ein Vermächtnis für Großbritannien als einen wichtigen globalen Spieler nach dem Brexit aufzubauen, aber auch ein Vermächtnis für sich persönlich zu schaffen.

Auf der Tagesordnung der Gipfel-Agenda stehen vorrangig die existenziellen Risiken der KI, etwa der mögliche Einsatz bei Cyber-Angriffen oder für die Herstellung von Biowaffen. Eingeladen sind Regierungs- und Unternehmensvertreter, aber auch Wissenschaftler, die zunehmend vor möglichen Problemen warnen.

Anwesend sind Vorstände einiger der bekanntesten KI-Unternehmen weltweit, von Demis Hassabis von Google Deepmind bis Sam Altman, dem OpenAI-Gründer, der hinter dem Sprachmodell Chat GPT steht. Elon Musk, Gründer von Tesla und Eigentümer des Kurznachrichtendienstes X, früher Twitter, ist ebenfalls in Bletchley Park, er plant für Donnerstagabend ein Gespräch mit Sunak auf der Social-Media-Plattform. Auch die chinesischen Tech-Konzerne Alibaba und Tencent haben Vertreter geschickt.

Im Einklang mit dem zurückhaltenden Ansatz der Regierung geht es Sunak vor allem darum, die Diskussion um eine effiziente globale Regulierung anzustoßen. Der Gipfel soll nur der Auftakt sein für regelmäßige Treffen von Politik, Wirtschaft und Forschung. Geplant ist auch ein internationales Panel, um den Überblick über Risiken und Forschung zu behalten, nach dem Vorbild der UN-Organisation Intergovernmental Panel for Climate Change.

Viele Beobachter sind indes überzeugt, dass die unmittelbaren Auswirkungen - unter anderem auf den Arbeitsmarkt - aktuell deutlich mehr interessieren. „Wir sind besorgt, was mit unseren Jobs passiert, was mit unseren Nachrichten passiert, was mit unseren Fähigkeiten passiert, miteinander zu kommunizieren“, sagte Gina Neff der BBC. Die Professorin leitet an der Universität Cambridge ein Forschungsprojekt zu KI-Folgen. „Wir sind in Sorge über die Gefahren für Menschen, die Gesellschaft und, ehrlich gesagt, den Planeten.“

Welt Stand: 02.11.2023

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