Oct 29, 2023 22:52
De Gruyter auf der Buchmesse : Alles so schön leer hier
• Von Bernd Stiegler
Zwei Mitarbeiterinnen warteten unbeirrt auf Interessenten: Der Verlag De Gruyter präsentierte auf der Buchmesse kaum Bücher, dafür aber markige Werbebotschaften.
Vor knapp zwei Wochen bekamen die Autoren von Brill die Nachricht, dass der Verlag und De Gruyter „ihre Kräfte vereinen, um führender Wissenschaftsverlag im Bereich der Geisteswissenschaften zu werden“. Was nach einer Elefantenhochzeit aussieht, erweist sich bereits nach einem Blick ins „Börsenblatt“ als strategische Einverleibung, da De Gruyter für immerhin 51,5 Millionen Euro alle Brill-Wertpapiere erwirbt. Damit kommen zu den Verlagen Akademie, Birkhäuser, Jovis, Mouton, Niemeyer, Oldenbourg, Saur und dem Deutschen Kunstverlag nun noch Brill und jene Häuser hinzu, die sich dieser bereits in den vergangenen Jahren einverleibt hatte: Böhlau, Fink, Mentis, Schöningh und Vandenhoeck & Ruprecht.
Nun hat das große Fressen vermutlich erst einmal ein Ende, es sei denn, der zweite mächtige Player auf dem Feld der Wissenschaften, der Springer Verlag, käme auf die Idee, sich De Gruyter einzuverleiben. Dann spätestens wäre das Ganze vermutlich ein Fall fürs Kartellamt, da Springer zur Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck gehört, zu der bekanntlich eine ganze Reihe von Publikumsverlagen, etwa Fischer und Rowohlt, zählen. Dass dem heute beim Verkauf von Brill noch nicht so ist, dürfte nicht an den fehlenden hegemonialen Strukturen liegen, die bereits jetzt zu konstatieren sind, sondern an der Tatsache, dass der Umsatzanteil dieses Segments des Buchhandels im Vergleich zum gesamten Kuchen schlicht zu klein ist.
Die strategischen Ziele der sukzessiven Einverleibungen, die in den vergangenen Jahren stattgefunden haben, sind klar zu benennen. Es kommt erstens darauf an, immer größere Pakete mit für die verschiedenen Wissenschaftsfelder wichtigen Reihen und Zeitschriften zu schnüren, um diese dann an Bibliotheken mit ungleich größerem Gewinn zu verkaufen, da diese gar nicht anders können, als sie abzunehmen, auch wenn die Renditeerwartung der Verlage sich gegenläufig zu den verfügbaren Budgets der Institute und Universitäten verhält.
Das setzt zweitens voraus, dass die Digitalisierung vorangetrieben wird und die - selbstverständlich kommerziellen - Open-Access-Angebote beschleunigt und diversifiziert werden. Nur so kann bis hinunter zum einzelnen kurzen Aufsatz die wissenschaftliche Publizistik komplett durchkommerzialisiert werden. Inhalte sind für Verlage dieses Typs vor allem als Ware relevant. Die Qualitätskontrolle wird im Idealfall an die Herausgeber der Reihen und Zeitschriften delegiert, die ihrer Tätigkeit im Dienst der Wissenschaft in der Regel unentgeltlich nachkommen. Ein wissenschaftliches Lektorat findet, wenn überhaupt, nur noch in Ausnahmefällen statt.
Angesichts dieser Entwicklung ist es durchaus bemerkenswert, dass der Zusammenschluss der beiden Verlage durch das gemeinsame kulturelle Erbe und die Verantwortung, die daraus erwächst, begründet wird. „Wir haben ein gemeinsames Erbe, einen vergleichbaren familiären Hintergrund und wir haben ähnliche kulturelle Werte: Beide Unternehmen sind tief in der akademischen Gemeinschaft verwurzelt und bauen auf einer langen Tradition auf, bei der Qualität im Mittelpunkt steht.“ So heißt es in der Mitteilung an die Autoren und an die Presse.
Wie verlässlich diese Qualitätssicherung ist, konnte man auf der Buchmesse sehen. Dort hatte De Gruyter einen riesigen Stand mit zahlreichen weißen Tischen und Stühlen, die am Freitagnachmittag inmitten eines ansonsten emsigen Messetages gänzlich verwaist waren. Nur zwei Mitarbeiterinnen warteten unbeirrt auf Interessenten. Auch Bücher suchte man dort vergebens - bis auf eine Vitrine, in der wie bei einer Ausstellung der Inkunabeln einer bedeutenden Sammlung genau vier Bücher aus vier Jahrhunderten der ruhmreichen Verlagsgeschichte ausgestellt waren. Der Verlag nennt sie, natürlich auf Englisch, „Icons from 4 centuries of publishing history“.
Offenkundig sollen sie emblematisch den hohen Anspruch des Verlags repräsentieren: „Since 1749, De Gruyter has been the trusted partner of scholars who push the limits of human knowledge and delve into the deepest questions humanity faces“, lautet der Werbetext. Angesichts dieser hehren Vorgabe darf man auf die Shortlist gespannt sein. Ausgewählt wurden nun der erste Band von Wielands „Sämtlichen Werken“, der aber eigentümlicherweise mit „Geschichte des Agathon“ einen Roman enthielt, ein Band von Schleiermachers Platon-Übersetzung, „Syntactic Struc¬tures“ von Chomsky und schließlich der vor drei Jahren erschienene „Atlas of Digital Architecture“.
Die auratisch unter Glas präsentierten Bücher wurden, wie es sich bei Ausstellungen dieses Typs gehört, auch mit Informationsschildern versehen, auf denen dann aber aus dem Erscheinungsjahr 1794 bei Wieland 1749 und aus „Noam Chomsky“ „Noah Chomsky“ wird. Ob man sich bei De Gruyter auf der Arche Noah der geisteswissenschaftlichen Publizistik befindet, mag man angesichts dieser Präsentation bezweifeln. Der Stand führt weiterhin auf schlagende Weise vor Augen, dass es dem Verlag nicht mehr um Bücher klassischen Typs geht. Die Dame, die auf dem einzigen großen Foto des Stands mit der Parole „Your research. Our expertise“ zu sehen ist, lächelt nicht uns, sondern den Bildschirm ihres Computers an und freut sich vermutlich auf die weltweite Reichweite ihrer Publikation, die ihr vom Verlag werbewirksam in Aussicht gestellt wurde und für die er sich dann bezahlen lässt.
Auch wenn sich am Ende die verkauften Exemplare und Downloads nicht selten im zweistelligen Bereich bewegen, wird hierfür ein deutlich vier- und mitunter fünfstelliger Betrag fällig. Die virtuelle weltweite Leserschaft will eben bezahlt werden. Sollten sich doch Leser an diesen Stand verirren, so warten noch vor den Empfangsdamen drei Tablets auf sie, die sie mit den Schildern „Kontaktiere unser People + Culture Team!“ und „Finde deinen neuen Job bei De Gruyter“ jeweils samt QR-Code begrüßen. Ansonsten ist es ein Verlag ohne Bücher. Und das ist Programm.
Quelle: F.A.Z. 23.10.2023
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