Oct 28, 2023 15:53
Quantenphysik Von Unschärferelation bis Wellenfunktion: Diese Begriffe erklären die unglaubliche Welt der Quanten
von Klaus Bachmann und Martin Scheufens
Im Mikrokosmos geschehen seltsame Dinge: Teilchen tunneln durch Wände, befinden sich zeitgleich in gegensätzlichen Zuständen oder beeinflussen sich durch spukhafte Fernwirkung. Da unsere Alltagssprache das erstaunliche Treiben nicht fassen kann, hat die Quantenphysik ihre eigene Terminologie entwickelt. Ein Überblick
Bohm’sche Mechanik
Die vom US-Physiker David Bohm in den 1950er Jahren entwickelte Theorie begreift Quantenobjekte als real - sie haben anders als bei der Kopenhagener Deutung auch ohne Beobachtung eindeutige Eigenschaften. Ein Elektron ist demnach stets ein Teilchen, von dem sich der Aufenthaltsort angeben lässt. Was wir als Wellen wahrnehmen, mathematisch beschrieben als Wellenfunktion, sei eine Führungswelle, die die Bewegung der Teilchen choreografiert, so postulierte Bohm. Es ist, als surfe etwa ein Elektron auf einer Woge.
Dekohärenz
Mit dem Phänomen der Dekohärenz erklären Physikerinnen und Physiker, dass wir im Alltag keine Quantenphänomene wie etwa Überlagerungen von Zuständen erleben.
In Überlagerungen existiert ein Quantenobjekt vor allem dann, wenn es von seiner Umgebung isoliert ist. Doch das ist meist nur kurz der Fall: Sobald es etwa auf andere Photonen oder Elektronen trifft, verschränken sich die Zustände des Quantenobjekts mit der Umgebung zu einem größeren System. Dabei spalten sich die Zustände auf: Indem sie mit der Umgebung eine Verbindung eingehen, geht die Verbindung zwischen ihnen verloren.
Ein Beobachter - selbst Teil der Umgebung - nimmt die Mehrdeutigkeit des Quantenobjekts nicht mehr wahr: Es erscheint ihm nur noch in einem Zustand. Offen bleibt, was mit den anderen Zuständen passiert: Verschwinden sie ins Nichts? Oder existieren sie weiter, so wie es die Viele-Welten-Theorie behauptet?
EPR-Paradoxon
Das Paradoxon - eigentlich ein Gedankenexperiment - ist benannt nach den drei Physikern, die es 1935 veröffentlichten: Albert Einstein, Boris Podolsky und Nathan Rosen. Sie wollten damit zeigen, dass die Quantenmechanik - im Gegensatz zur Auffassung von Niels Bohr und Werner Heisenberg - unvollständig sei. Dies sei der Grund, warum die Quantenmechanik Messergebnisse nicht eindeutig vorhersagen könne.
Die Autoren betrachteten zwei miteinander verschränkte Teilchen, die in entgegengesetzte Richtungen fliegen. Ihre Eigenschaften, etwa ihr Spin, sind gemäß der Quantenmechanik zu diesem Zeitpunkt noch nicht eindeutig festgelegt. Doch wird am Teilchen A der Spin gemessen, ist automatisch und gleichzeitig - instantan - auch der Spin des weit entfernten Teilchens B festgelegt. Woher weiß Teilchen B, wie sich Teilchen A "entscheidet"? Da Einstein "spukhafte Fernwirkungen" ablehnte und unbedingt am Prinzip der Lokalität festhalten wollte, hieß das für ihn: Der Quantenmechanik entgingen entscheidende Elemente zur Erklärung der Wirklichkeit. Er irrte in diesem Punkt. Inzwischen ist experimentell bewiesen, dass Quantenobjekte "Fernbeziehungen" unterhalten, dass die Quantenphysik also nicht-lokal ist.
Heisenberg’sche Unschärferelation
Werner Heisenberg entdeckte 1927 das Prinzip, dass sich bei bestimmten Paaren physikalischer Größen - etwa Ort und Impuls, Energie und Zeit - nie beide Teile gleichzeitig präzise messen lassen. Je genauer der Ort festgelegt wird, desto unschärfer wird der Impuls eines Quantenobjekts - und umgekehrt. Das Produkt der beiden Messungenauigkeiten kann nicht kleiner werden als das Planck’sche Wirkungsquantum h dividiert durch 4π. Die Unschärfe ergibt sich nicht aus einem technischen Unvermögen, genauer zu messen, sondern ist ein Naturgesetz.
Kollaps
Nach der Kopenhagener Deutung hat ein Quantenobjekt keine festgelegten Eigenschaften, solange es nicht vermessen wird. Die Vielzahl seiner möglichen Zustände wird beschrieben durch die Wellenfunktion. Bei einer Beobachtung wird dann von den verschiedenen Möglichkeiten nur eine Realität, alle anderen verschwinden spurlos. In den Worten der Quantenmechanik kollabiert die Wellenfunktion.
In einer Reihe von später entstandenen Theorien, den Kollaps-Modellen, bricht die Wellenfunktion spontan zusammen, ohne Beobachtung oder Messung. Zwar ist die Wahrscheinlichkeit, als einzelnes Teilchen zu kollabieren, extrem gering, finden sich aber viele Teilchen zusammen, so steigt die Wahrscheinlichkeit, dass der Kollaps eines von ihnen trifft - alle anderen Wellenfunktionen in der Umgebung werden dann mitgerissen. So hätten makroskopische Objekte wie Katzen keine Chance, in einer Überlagerung von mehreren Zuständen - zum Beispiel tot und lebendig - zu existieren. Die Kollaps-Theorien liefern daher ein objektiv realistisches Bild der Welt, anders als die Kopenhagener Deutung. Doch was den Kollaps auslöst, dafür können sie bislang keinen Grund liefern.
Kopenhagener Deutung
Die Kopenhagener Interpretation der Quantenmechanik ist benannt nach der Wirkungsstätte von Niels Bohr, einem der Hauptvertreter dieser Deutung. Sie ist kein einheitliches, geschlossenes Gedankengebäude - unter ihrem Namen werden mehrere Konzepte zusammengefasst: die Unschärferelation Werner Heisenbergs, Max Borns Wahrscheinlichkeitsinterpretation der Wellenfunktion und das Komplementaritätsprinzip von Niels Bohr (Welle- und Teilchencharakter eines Quantenobjekts sind wie die zwei Seiten einer Medaille).
Das Reich der Quanten stellt unsere Idee von Wirklichkeit auf die Probe. Objekte verhalten sich mal wie Teilchen, mal wie Wellen, sie können an mehreren Orten gleichzeitig sein. Wieso merken wir im Alltag nichts davon? Ein Besuch bei vier Physikern - und ihren neuen Theorien
Die Vertreter dieser Denkrichtung stimmten dabei nicht in allen Aspekten überein, gerade Heisenberg und Bohr stritten sich jahrzehntelang über die Rolle des Beobachters und den Kollaps der Wellenfunktion. Dennoch prägten ihre Ideen jahrzehntelang die Diskussionen über die Quantenphysik.
Lokalität
Lokalität ist in der Physik ein Begriff dafür, dass Ereignisse nur Auswirkungen auf die unmittelbare Umgebung haben können, dass also etwas, das hier geschieht, nicht direkt beeinflusst, was dort geschieht. Ausgenommen, es gibt einen Weg, Informationen zu übermitteln, wobei das kosmische Tempolimit, die Lichtgeschwindigkeit, unbedingt eingehalten werden muss. So kann ein Knopfdruck auf der Erde zwar einen Rover auf dem Mars losrollen lassen - aber nicht augenblicklich, sondern per Funksignal mit mehrminütiger Verzögerung.
Ein verstörendes Merkmal der Quantenmechanik ist, dass hier das Lokalitätsprinzip nicht gilt. Quantenobjekte können durch gemeinsame Entstehung oder eine Wechselwirkung so miteinander verbunden - verschränkt - sein, dass sich die Messung oder Manipulation des einen Teilchens gleichzeitig auf das andere auswirkt, selbst wenn es weit entfernt ist.
Planck’sches Wirkungsquantum
Das Planck´sche Wirkungsquantum h ist eine Naturkonstante und taucht in allen Grundgleichungen der Quantenmechanik auf. Der deutsche Physiker Max Planck entdeckte die Konstante, als er 1899/1900 versuchte, die von einem bestimmten glühenden Objekt ausgehende Strahlung zu erklären. Dabei erkannte er, dass Energie immer in Portionen abgegeben und aufgenommen wird. Diese Vorstellung war ein radikaler Bruch mit der vorherigen Physik. Zuvor galt als selbstverständlich, dass alle Prozesse in der Natur stetig ablaufen. Nun offenbarten sich Stufen in der Natur - und die "Stufenhöhe" ergibt sich aus dem Wirkungsquantum.
Quant
In der Geschichte der Physik hat sich herausgestellt, dass bestimmte Eigenschaften wie Energie, Spin oder elektrische Ladung nur diskrete Werte annehmen können, die Vielfache einer fundamentalen Größe sind. Diese Grundeinheit ist das Quant. Häufig wird die Bezeichnung Quanten aber auch im weiteren Sinn für Elementarteilchen benutzt, vor allem wenn deren Partikelcharakter im Vordergrund steht.
Quantensprung
Der Begriff stammt aus der Frühzeit der Quantenmechanik. Man dachte, dass Elektronen sprunghaft und instantan von einem Energieniveau auf ein anderes wechseln, ohne jedes Vorzeichen. Inzwischen ist aber klar, das der "Sprung" sich sehr wohl ankündigt, graduell verläuft und eine gewisse Zeit dauert. Das konnten Forschende 2019 mit einer Art Hochgeschwindigkeitsdetektor zeigen.
Nach wie vor aber gilt, dass ein Elektron in einem Atom nur bestimmte Energieniveaus einnehmen kann und dass es beim "Sprung" auf ein höheres Level zum Beispiel ein Photon absorbiert, dessen Energie genau der Lücke zwischen den beiden Niveaus entspricht. Fällt das Elektron wieder in den Ausgangszustand zurück, wird das Photon wieder ausgesandt. Entsprechend der Größe der Lücke hat das Lichtteilchen eine bestimmte Frequenz und damit eine charakteristische Farbe. Das erklärt, warum Natriumlampen gelb und kupferhaltige Feuerwerksraketen grün leuchten.
Qubit
Das Quantenbit (Qubit) ist das Analogon zum Bit des klassischen Computers - die Grundlage für die Rechenarbeit und die kleinste Speichereinheit. Herkömmliche Computer und Quantencomputer arbeiten beide mit dem Binärsystem, also Nullen und Einsen. Im klassischen Computer bedeutet zum Beispiel "Strom an" eine 1, "Strom aus" eine 0.
Beim Qubit können sich die beiden Zustände überlagern. Das Qubit ist dann eine Mischung aus 0 und 1. Erst wenn Forschende fragen "Welchen Wert hast du?", antwortet es eindeutig mit 0 oder 1. Als Qubit eignen sich Atome oder Ionen, die zwei Energiezustände einnehmen können, oder supraleitende Ringe, in denen Strom in einer Überlagerung zugleich rechts- und linksherum fließen kann.
Teleportation
"Beam me up, Scotty!" Einen Menschen von einem Planeten zum Raumschiff zu transferieren klappt leider nur in Science-Fiction-Filmen wie Star Trek. Allerdings existiert in der Quantenwelt ein ähnliches Verfahren. Dabei wird nicht das individuelle Elektron oder Photon selbst über weite Strecken übertragen, sondern sein quantenphysikalischer Zustand.
Um ein Photon zu teleportieren, sind zwei weitere Photonen A und B nötig, die miteinander verschränkt sind - eines am Startort, das andere am Zielort. Photon A wird dann zusätzlich mit dem zu teleportierenden Photon verschränkt. Letzteres wird dabei zerstört, es verliert seinen Zustand - aber seine Informationen gehen augenblicklich auf A und B über. Um den Prozess abzuschließen, muss noch eine fehlende Information auf klassischem Wege (das bedeutet, nicht schneller als mit Lichtgeschwindigkeit) von Ort A zu Ort B übertragen werden. Dann kann Photon B gegebenenfalls noch so verändert werden, dass es sich in eine perfekte Version des initialen Photons wandelt.
Eine Quantenteleportation gelang erstmals 1997. Gut 20 Jahre später ist die Technik so weit, dass sich sogar Zustände von der Erdoberfläche zu einem Satelliten schicken lassen. Dass jemals größere Objekte, gar Menschen gebeamt werden, gilt aktuell als ausgeschlossen. Dennoch könnte die Quantenteleportation eine wichtige Technologie werden: Sie ermöglicht eine abhörsichere Kommunikation, etwa für Finanztransaktionen. Und Quantencomputer könnten dank ihr untereinander kommunizieren.
Tunneleffekt in der Quantenphysik
In der Alltagswelt ist es unvorstellbar, dass eine Kugel, die nicht genug Schwung hat, um über einen Hügel zu rollen, trotzdem auf der anderen Seite des Hindernisses anlangt. Quantenobjekte aber können durch eine eigentlich unüberwindliche Barriere hindurchtunneln. Das Phänomen lässt sich mithilfe des Wellencharakters verstehen, den auch Materieteilchen zeigen. Demnach kann der Aufenthaltsort eines Objektes nicht präzise bestimmt werden. Es lassen sich nur Wahrscheinlichkeiten für eine Position angeben. So kann sich für ein Elektron eine sehr geringe Wahrscheinlichkeit ergeben, hinter dem Hindernis zu existieren. In seltenen Fällen taucht das Partikel dann tatsächlich dort auf.
Der Tunneleffekt hat in der Astronomie weitreichende Bedeutung: In Sternen kommen sich auf diese Weise Atomkerne, die sich wegen ihrer gleichen Ladung normalerweise abstoßen, so nahe, dass sie verschmelzen können. Ohne das Phänomen gäbe es kein Sonnenlicht - und kein Leben auf der Erde.
Überlagerung
In der klassischen Welt kann eine Eigenschaft eines Objekts nur einen eindeutigen Wert annehmen. Eine Fußgängerampel kann nur jeweils Rot oder Grün anzeigen. Bei Quantenobjekten können sich hingegen scheinbar widersprechende Zustände überlagern. Bei einem Elektron zum Beispiel können sich die Zustände "Rechtsdrall" und "Linksdrall" mischen, und zwar gleichzeitig in unterschiedlichen Verhältnissen, etwa 50 zu 50 oder auch 70 zu 30. Bei einer Messung "entscheidet sich" das Quantensystem dann für einen eindeutigen Wert. Wie das genau passiert, ist nach wie vor umstritten.
Verborgene Variablen
Einige Deutungen der Quantentheorie gehen davon aus, dass die orthodoxen Interpretationen unvollständig sind und dass eine Art tiefer liegende Realität existiert. Diese enthalten, so die Theorie, zusätzliche Informationen über die Eigenschaften von Quantenobjekten - eben Variablen, die uns bislang verborgen blieben. Doch jeder Versuch, diese aufzustöbern, stärkte bislang die gegenteilige Annahme, dass die Quantenphysik doch vollständig ist.
Verschränkung
Wenn Teilchen gemeinsam entstehen oder miteinander wechselwirken, werden sie miteinander verbunden - verschränkt. Sie lassen sich jetzt nicht mehr als voneinander unabhängige Objekte betrachten, sondern nur noch als Ganzes beschreiben.
Viele-Welten-Theorie
Die Interpretation geht zurück auf den US-amerikanischen Physiker Hugh Everett III. Er war unzufrieden mit der Kopenhagener Deutung, der zufolge Eigenschaften eines Quantenobjekts bei einer Messung spurlos verschwinden. Er propagierte daher in den 1950er-Jahren, dass diese weiterexistieren. Daraus entwickelte sich die Viele-Welten-Theorie.
Ihr zufolge spaltet sich das Sein bei jedem Ereignis auf. Jede mögliche Begebenheit wird in je einer eigenen Welt realisiert. Auch alle beteiligten Personen vervielfältigen sich dabei. Zwischen den Welten besteht keine Verbindung, sodass wir keinen Kontakt haben zu den unzähligen Kopien, die von uns existieren.
Wellenfunktion
Die mathematische Funktion, mit der sich die Welleneigenschaften eines Teilchens beschreiben lassen, nennt sich Wellenfunktion. In ihr stecken alle - auch die widersprüchlichen - Eigenschaften, die einem Quantenobjekt vor einer Messung zugeschrieben werden. Aus der Wellenfunktion lässt sich berechnen, mit welcher Wahrscheinlichkeit die verschiedenen möglichen Werte einer Eigenschaft bei einer Messung auftreten.
Die Wellenfunktion ist eine abstrakte Formel, die keine anschauliche physikalische Bedeutung hat. Direkt beobachten lässt sie sich nicht: Sie kollabiert zuvor. Statt vieler verschiedener Zustände eines Teilchens offenbart sich stets nur einer.
Welle-Teilchen-Dualismus
Quantenobjekte wie Elektronen und Photonen können sich mal wie eine Welle, mal wie ein Teilchen verhalten - je nach Experiment, das wir mit ihnen anstellen. Das heißt nicht, dass sie Teilchen oder Wellen sind, sondern sie zeigen nur solche Eigenschaften.
Zufall
In der klassischen Physik galt als sicher: Es gibt keinen echten Zufall. Die Welt sei deterministisch, sie folge unausweichlichen, unerbittlichen Gesetzmäßigkeiten. Was uns zufällig erscheint - etwa das Ergebnis eines Würfelwurfs - ist bloß zu komplex, um es zu berechnen. Doch besäßen wir alles Wissen der Welt, könnten wir theoretisch die Zukunft bis ins letzte Detail vorhersagen.
Umso größer war der Schock, als sich in der Quantenwelt ein echter Zufall zeigte. Wo im Doppelspalt-Experiment ein Elektron auf der Blende landet, lässt sich nur mit Wahrscheinlichkeiten angeben. Laut der Kopenhage-ner Deutung könnte selbst ein allwissendes Wesen das Ergebnis nicht vorhersagen. Doch das ist - wie vieles im Verständnis der Quantenphysik - umstritten.
Geo 19.10.2023
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