Und wo bekomme ich jetzt Freunde her? Eine Kolumne von Ananda Klaar In der Schule lernt man autom

Oct 10, 2023 10:01

Und wo bekomme ich jetzt Freunde her?

Eine Kolumne von Ananda Klaar

In der Schule lernt man automatisch Leute kennen. Und danach? Kommt nur noch die Einsamkeit von selbst. Wieso es mich fast ein Jahr gekostet hat, bis ich in meiner neuen Heimatstadt Anschluss gefunden habe.

Im August 2022, kurz nach meinem Abitur, zog ich von meinem Heimatdorf am Bodensee nach Leipzig. Schon Monate zuvor hatte ich mich auf die neue Stadt gefreut - vor allem auf die Menschen, die ich dort treffen würde. In meiner Vorstellung waren in Leipzig alle alternativ und cool, ganz anders als in dem eher konservativen Dorf, in dem ich aufgewachsen bin. Perfekte Voraussetzungen für neue Freundschaften also.

Doch dann kam vieles anders. Die Zeit, von der ich lange dachte, sie würde die aufregendste meines Lebens, war überraschend einsam. Im Nachhinein würde ich sogar sagen: Es ist mir noch nie so schwergefallen, Freund:innen zu finden, wie in diesem vermeintlich besten aller Lebensabschnitte. Naiv, zu glauben, eine neue Stadt würde automatisch neue Leute vor meine Tür spülen.

Einsamkeit ist ein Gefühl, über das kaum jemand spricht, das aber viele Menschen kennen. Laut einer Studie des »Kompetenznetzes Einsamkeit«, einem Projekt des Instituts für Sozialarbeit und Sozialpädagogik Frankfurt am Main, litten 2021 42,3 Prozent der Deutschen darunter. Besonders betroffen waren demnach junge Menschen. Meine Gefühle und ich sind also keine Ausnahme.

Ich war nach meinem Umzug aber nicht nur einsam. Ohne mein vertrautes Umfeld bekam ich es plötzlich mit einer Angst zu tun, die offenbar auch viele andere Jugendliche und junge Erwachsene empfinden. Der Hashtag »#socialanxiety« hat auf TikTok über zwei Milliarden Aufrufe. Als »social anxiety«, also als soziale Phobie, bezeichnet man die irrationale Furcht davor, von fremden Menschen negativ beurteilt zu werden; sie kann zu Minderwertigkeitsgefühlen und Scham führen.

Auch mir fiel es nach jahrelanger pandemiebedingter Isolation schwerer, mit anderen ins Gespräch zu kommen. Ich wollte unbedingt neue Freund:innen finden, schaffte es aber nicht, Fremde anzusprechen.

Dabei war ich extra früher nach Leipzig gezogen, um anzukommen, mich einzuleben, Freundschaften zu schließen. Ein Gap Year für die Freundschaft einzulegen sozusagen. Den ersehnten Studienplatz für Politikwissenschaft hatte ich nämlich nicht bekommen, der Numerus Clausus war zu hoch. Ich beschloss trotzdem, wie geplant umzuziehen und vor Ort auf meine nächste Chance zu warten.

Mit einem Rucksack und einer Luftmatratze im Gepäck stieg ich also im August 2022 in Süddeutschland in den Zug. Acht Stunden später kam ich in meiner neuen WG im Leipziger Osten an, die ich bis dahin nur von Bildern kannte. Schnell stellte sich heraus, dass ich in einer Zweck-WG gelandet war. Und da sich mein Studienstart um mindestens ein Jahr nach hinten verschoben hatte, gab es für mich auch keine klassischen Ersti-Veranstaltungen.

Ich war also kurzum ziemlich auf mich allein gestellt. Mein ganzes Leben lang hatten sich neue Freundschaften ergeben, ohne dass ich mich anstrengen musste. In meinem strukturierten Alltag während der Schulzeit hatte ich immer Menschen um mich herum, die ich mochte. Mir jetzt einzugestehen, dass das in Leipzig anders war, fiel mir schwer. Aktiv auf die Suche nach Freund:innen zu gehen? Fühlte sich komisch an.

Zu Hause war ich mehrmals pro Woche in der Boulderhalle gewesen, oft mit Freund:innen, aber auch allein. Dort kannte ich die meisten, die Szene war klein. Die Leipziger Boulderhalle schüchterte mich ein, sie war riesig und voller Menschen, die viel besser klettern konnten als ich. Da war sie, die »social anxiety«.

Und auch sonst stellte ich fest: Es gibt kaum öffentliche Orte, an denen junge Menschen sich ungezwungen und im besten Fall kostenlos begegnen können. Für Spielplätze sind wir zu alt, für Restaurants fehlt uns das Geld.

Um meine Einsamkeit etwas zu lindern, fing ich an, komische Dinge zu tun: E-Mails an ehemalige Lehrer:innen schreiben, um zu hören, wie der Schulalltag so läuft. Oder jeden Tag einkaufen, um einen Grund zu haben, vor die Tür zu gehen.

Irgendwann fühlte ich mich trotzdem so einsam, dass ich mich doch aktiv auf die Suche nach neuen Freundschaften machte. Viele nutzen dafür mittlerweile Online-Dating-Plattformen. Bei Bumble etwa gibt es die Funktion »BFF«, was für »Bumble for Friends« steht, ein Begriff, den in meiner Generation niemand verwendet. Ich nutzte also Tinder und schrieb in mein Profil, dass ich Freund:innen suchte, sonst nichts.

In meinen ersten Monaten in Leipzig verabredete ich mich so zu rund einem Dutzend Freundschaftsdates. Bei den meisten wusste ich schnell, dass wir uns kein weiteres Mal treffen würden. Dafür verstand ich mich mit einem Date so gut, dass er nicht nur ein Freund, sondern mein Partner wurde. Und mir am Ende doch zu Freundschaften verhalf: Sein Freundeskreis ist inzwischen weitestgehend auch meiner.

Bald lebe ich seit einem Jahr in Leipzig, und ich habe eines gelernt: Als junger Mensch in einer neuen Stadt Freund:innen zu finden, ist hart. Ich habe dafür vor allem jede Menge Zeit gebraucht, die ich nur dank meines Gap Year hatte. Zeit, die ich für viele Treffen genutzt habe. Zeit, die ich gebraucht habe, um meine »social anxiety« zu überwinden und mich von den Folgen der Pandemie zu erholen. Zeit, die in einem klassischen Lebenslauf gar nicht vorgesehen ist.
Denn je dichter die einzelnen Lebensabschnitte aufeinanderfolgen, je schneller man vom Abitur zum Studium zum ersten Job springt, desto weniger Raum bleibt für Freundschaften. Bevor ich im Herbst anfange zu studieren, will ich deshalb besonders viel mit meinen neuen Freund:innen unternehmen. Und mein Gap Year für die Freundschaft voll auskosten.

Zur Autorin
Ananda Klaar, geboren 2003, ist Autorin des Sachbuchs "Nehmt uns endlich ernst! Ein Aufschrei gegen die Übermacht der Alten". Schon während der Schulzeit war sie politisch aktiv, zuerst für die Jusos, später für Fridays for Future. Sie lebt in Leipzig.

Spiegel 10.6.2023

weltreise, emotion, einsamkeit, #socialanxiety, akademia

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