Hans Peter Duerr 80 : Hatte er es nur auf junge Frauen abgesehen? • Von Christian Geyer • -Aktuali

Jun 07, 2023 16:04

Hans Peter Duerr 80 : Hatte er es nur auf junge Frauen abgesehen?

• Von Christian Geyer

Auch nach seinem Mega-Bestseller „Traumzeit“ blieb er unordentlich: Zum achtzigsten Geburtstag des Ethnologen und Kulturhistorikers Hans Peter Duerr, der zuletzt nach dem Ursprung der Religion fragte.

In dem zauberhaften Interview, das auf dem Portal germananthropology.com abrufbar ist, gibt Hans Peter Duerr, Autor des ethnologischen Mega-Bestsellers „Traumzeit. Über die Grenze zwischen Wildnis und Zivilisation“ (1978 bei Suhrkamp) als biographischen Einblick zu Protokoll: „Ich hatte die ,Traumzeit‘ geschrieben und wollte mich damit in Zürich habilitieren, doch dort hätte man meine Arbeit nur angenommen, wenn ich die Stellen herausgestrichen hätte, bei denen ersichtlich war, dass ich halluzinogene Drogen genommen hatte, und zwar nicht zu knapp. Tatsächlich experimentierte ich mit Hexensalben, um nachzuvollziehen, wie es sich mit dem Hexenflug zum Sabbath verhielt.“

Das sei dann nicht goutiert worden, man habe ihm zu verstehen gegeben, dass „Drogensüchtige“ natürlich nicht habilitiert werden können. Als Duerr daraufhin nach Bern zum Habilitieren bei Wolfgang Marschall auswich, gab es akademischen Widerstand anderer Art. Ein deutscher Anarchist wolle sich in Bern habilitieren, hieß es in einem offenen Brief, den der Schweizer Prähistoriker Hans-Georg Bandi an den Kanton schrieb.

„Außerdem würde ich Bücher veröffentlichen, auf deren Cover nackte Frauen zu sehen seien, was auf eine Sexualneurose hinweise. Ich wolle seiner Meinung nach nur Professor werden, um mich an die Studentinnen ranzumachen.“ Als damit der Verdacht im Raum stand, Duerr habe es bei seinem akademischen Werdegang nur auf junge Frauen abgesehen, bekam Marschall kalte Füße und bat ihn, mit Rücksicht auf seinen akademischen Ruf von den Habilitationsplänen Abstand zu nehmen. „Also habilitierte ich mich für das Fach Philosophie, diesmal in Kassel, obwohl ich eigentlich immer Ethnologe war.“

Duerrs Wege waren immer Umwege, das Phänomen der Andersheit faszinierte ihn als empirisch-ethnologischer Befund, war für ihn aber nicht anders als mit philosophischem Staunen und entsprechender Distanznahme wahrnehmbar. Eine um diese Dimension verkürzte Kulturbeschreibung kommt demnach einem Realitätsverlust gleich. Das Interesse für die philosophischen, an Wittgenstein und Nietzsche festgemachten Grundlagen des ethnologischen Verstehens bekam ihm auch schon bei seiner Dissertation nicht gut; sein Heidelberger Doktorvater Karl Jettmar lehnte sie sofort ab.

„Sie war ihm zu theoretisch und zu philosophisch, was sicherlich auch stimmte“, so Duerr, der sich darin größtenteils auf Texte bezogen hatte, die sich damit befassten, wie das Nachvollziehen fremder Kulturen möglich sei. „Bei dem Titel würde ich heute einen Krampf kriegen, er lautete: ,Über die logischen und metaphysischen Grundlagen des Zugangs zu eigenem und fremdem Bewusstsein, insbesondere dem der Naturvölker‘“.

Auf der Straße traf Duerr seinerzeit Dieter Henrich. „Er fragte, wie es mir so ginge, und ich erzählte ihm alles. Er meinte, dass ich mit meinem Thema auch bei ihm in Philosophie promovieren könne. Das tat ich dann auch, nur kurze Zeit später.“

„Traumzeit“, kultisch verehrt wie durchwachsen rezensiert, galt manchen deutschsprachigen Fachvertretern als das Werk eines Irrationalisten: Es sei ein unordentliches, unorganisiertes, schludrig geschriebenes, mit brillanten Aphorismen gespicktes und oft sehr lustig in schnoddriger Subkultursprache verfasstes, enorm eitles und doch wieder dank seiner Offenheit sehr versöhnliches Buch, meinte beispielsweise Ernest Bornemann, der Salzburger Anthropologe und Sexualforscher. Gar nicht so unähnlich ist der Tenor, welcher hierzulande die Kritik an seinem Spätwerk „Diesseits von Eden. Über den Ursprung der Religion“ (2020) begleitet. Duerr sprach vom Beamtenseelenhaften solcher Kritik, wenngleich er den Ansatz nachvollzog und versöhnlich blieb.

Das gilt auch für die Erkundigungen von Jenseitsvorstellungen, die Duerr fünf Jahre zuvor bei seiner Enzyklopädie von Nahtoderfahrungen unternahm, unter dem Titel „Die dunkle Nacht der Seele. Nahtod-Erfahrungen und Jenseitsreisen“. Der Kontrast zwischen Theorieverzicht und eindrucksvoller Materialfülle wird dabei erstaunlicherweise weniger als methodische Befremdungsstrategie wahrgenommen denn als Liederlichkeit eines Anything-goes-Denkers, um welchen es sich bei Duerr nicht handelt, auch wenn seine akademischen Beheimatungen Episoden blieben, wie Thomas Hauschild zurecht feststellte.

Thomas Macho trifft, wenn er das Nahtod-Buch charakterisiert, zugleich das ethnologische, einen Methodenzwang sprengende Verfahren, mit dem Duerr zeitlebens unterwegs ist: „Einerseits will Hans Peter Duerr an seinem umfangreichen Material demonstrieren, dass die geschilderten Erfahrungen keine kohärente wissenschaftliche oder esoterische Interpretation erlauben; zu viele Ausnahmen widerlegen jede Vermutung einer Regel. Andererseits will er dennoch eine Art Wahrnehmungskonstante dokumentieren, die - allen Differenzen zwischen Kulturen, Ritualen und Religionen zum Trotz - eine ,andere Seite‘ offenbart, die sich freilich nicht deduzieren, sondern allenfalls, im Sinne Ludwig Wittgensteins, ,zeigen‘ lässt.“ An diesem Dienstag wird Hans Peter Duerr achtzig Jahre alt.

Christian Geyer-Hindemith Redakteur im Feuilleton.

Quelle: FAZ.NET 6.6.2023

against opinion, wissenschaft, philosophie, ethnologie, akademia

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