Lithium-Hype am Oberrhein

May 26, 2023 13:28

Lithium-Hype am Oberrhein

https://www.swr.de/wissen/lithium-hype-am-rhein-chance-oder-risiko-122.html

Lithium-Hype am Rhein: Chance oder Risiko?

STAND 25.5.2023, Manuel Gerber

Mithilfe der Tiefengeothermie soll am Oberrheingraben Lithium aus Thermalwasser gefördert werden. Dem geht Wissenschaftsjournalist Axel Wagner nach. Denn Anwohner befürchten Erdbeben.

Lithium ist in praktisch jedem Gegenstand, der einen wiederaufladbaren Akku hat. In einem Laptop stecken circa sechs Gramm, in Smartphones bis zu drei Gramm und in einem E-Auto-Akku rund 10 Kilogramm davon. Weil Lithium für leichte Akkus derzeit unverzichtbar ist, ist es der Schlüsselrohstoff für die Energiewende. Denn für die E-Mobilität brauchen wir besonders leichte Akkus.

Wollte man die gut 50 Millionen Autos in Deutschland künftig alle durch E-Autos ersetzen, bräuchte man dafür schätzungsweise 500.000 Tonnen an Lithium. Im Vergleich: Weltweit wurden 2021 insgesamt rund 100.000 Tonnen Lithium abgebaut. Die EU-Kommission geht davon aus, dass wir in Europa im Jahr 2050 gut 60-mal so viel Lithium wie heute benötigen.

Lithium wird zum größten Teil in australischen Minen abgebaut und nach China verschifft. Der Transport und die Weiterverarbeitung sind umweltschädlich. Fast der gesamte Rest kommt aus Südamerika. Im sogenannten Lithiumdreieck schwimmt Lithium in Salzseen, die ausgetrocknet werden. Das verbraucht riesige Mengen an Wasser - in der Wüstenregion besonders problematisch. Von diesen Lieferungen aus dem Ausland sind wir in Deutschland heute völlig abhängig.

Im Oberrheingraben im Südwesten Deutschlands schwimmt ein riesiges Lithiumvorkommen tief unter der Erde in Thermalwasser. Derzeit laufen Forschungsprojekte, um das Lithium aus dem Thermalwasser im industriellen Maßstab extrahieren zu können. In Zukunft soll das Oberrhein-Lithium umweltfreundlich und CO2-neutral gefördert werden. Mit dem heißen Thermalwasser sollen gleichzeitig Fernwärmenetze versorgt und Strom produziert werden.

Um an das Thermalwasser heranzukommen, braucht es Tiefengeothermie-Anlagen. Eine hydrothermale Geothermie-Anlage besteht aus zwei Bohrungen. Eine Bohrung geht üblicherweise zwischen 2000 und 5000 Metern in die Tiefe und zapft Thermalwasser an. Über Wärmetauscher kann damit ein Fernwärmenetz versorgt werden und über Dampfturbinen Strom erzeugt werden.

Das abgekühlte Thermalwasser wird über eine zweite Bohrung in dem geschlossenen System wieder in den Untergrund geleitet. In Zukunft soll vorher das Lithium aus dem Thermalwasser gewonnen werden. Dafür wird das Wasser durch Tanks geleitet, die mit einem Bindemittel die Lithium-Ionen einfangen. Die Lithium-Ionen müssen danach ausgewaschen werden. Das Ergebnis ist Lithiumchlorid. In einem Elektrolyseverfahren wird das in Lithiumhydroxid umgewandelt. In dieser Form kann das Lithium verkauft werden.

Die Geothermie hat bei vielen Menschen im Südwesten keinen guten Ruf. Grund sind frühere Unfälle, die Schäden an Häusern verursacht haben. Ende 2006 löst ein Tiefengeothermie-Projekt in Basel ein Erdbeben der Stärke 3 aus. Bei dem Projekt wird das petrothermale Tiefengeothermie-Verfahren angewendet. Dabei wird in das Grundgebirge, beispielsweise Granit, gebohrt und Wasser eingepresst. Das Wasser sprengt das Gestein auf, fließt durch die Risse und heizt sich auf.

Durch eine zweite Bohrung wird das heiße Wasser an die Oberfläche gepumpt und zur Wärme- oder Stromerzeugung genutzt. Um neue Wasserwege zu erzeugen, braucht diese Methode zumindest kleine Erdbeben in der Tiefe. Anders als die hydrothermale Methode: Weil dafür bereits vorhandene Wasserwege in der Tiefe genutzt werden, kann diese Methode zumindest in der Theorie ohne Erdbeben betrieben werden.

Im Sommer 2007 kommt es zur Katastrophe in Staufen bei Freiburg. Bei der Bohrung für Erdwärmesonden für die umweltfreundliche Heizung des Rathauses kommt es zu einem Leck. Grundwasser verbindet sich mit dem Mineral Anhydrit zu Gips und quillt auf. Dadurch hebt sich in Staufen die Erde und es kommt zu tiefen Rissen in Häusern und auf Straßen. In Staufen kam oberflächennahe Geothermie, also unter 400 Metern Tiefe, zum Einsatz. Es leidet allerdings der Ruf der gesamten Geothermie-Branche.

Ende 2019 kommt es in Vendenheim bei Straßburg zu einem Erdbeben, ausgelöst durch eine Tiefengeothermie-Anlage. Auch hier kommt die petrothermale Methode zum Einsatz. Die Arbeiten müssen durch behördliche Anordnung abgebrochen werden. Die Erde beruhigt sich trotzdem noch nicht. Mehrere Beben verursachen Schäden auf beiden Seiten des Rheins. Die Versicherung will für die Reparatur der Risse an den Häusern nur den Zeitwert ersetzen, das entspricht oft nur zehn Prozent der Reparaturkosten. Dagegen wehren sich die Geschädigten.

Das Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau Baden-Württemberg hat aus den Unfällen der Vergangenheit die Konsequenz gezogen, dass derzeit nur noch die hydrothermale Methode genehmigt wird. Trotz des Widerstands aus der Bevölkerung hat die Behörde auf dieser Basis Genehmigungen für den Bau neuer Tiefengeothermie-Anlagen am Oberrheingraben erteilt.

aus der Sendung vom Sa., 15.10.2022 8:00 Uhr, odysso - Wissen im SWR, SWR Fernsehen

Grenzen der Lithiumgewinnung aus Geothermie
Monika Landgraf Strategische Entwicklung und Kommunikation - Gesamtkommunikation
Karlsruher Institut für Technologie

Wasser aus der Tiefe pumpen, Lithium abtrennen und daraus Batterien für die Elektromobilität produzieren - die Idee vom umweltverträglichen und regionalen Lithium als Nebenprodukt der Geothermie scheint vielversprechend. Doch inwiefern sich der heimische Abbau wirklich lohnt, war bislang nicht ausreichend geklärt. Ein Team des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) hat jetzt den Forschungsstand zusammengefasst, Rohstoffmärkte analysiert und Technologien bewertet. Demnach könnten in Deutschland theoretisch Tausende Tonnen Lithium pro Jahr gefördert werden, zentrale Fragen müssen aber noch geklärt werden.

Wasser aus der Tiefe pumpen, Lithium abtrennen und daraus Batterien für die Elektromobilität produzieren - die Idee vom umweltverträglichen und regionalen Lithium als Nebenprodukt der Geothermie scheint vielversprechend. Doch inwiefern sich der heimische Abbau wirklich lohnt, war bislang nicht ausreichend geklärt. Ein Team des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) hat jetzt den Forschungsstand zusammengefasst, Rohstoffmärkte analysiert und Technologien bewertet. Demnach könnten in Deutschland theoretisch Tausende Tonnen Lithium pro Jahr gefördert werden, zentrale Fragen müssen aber noch geklärt werden.

Für die Energiewende benötigt Europa viele Batterien und dazu genügend Lithium, um sie zu produzieren. Die Europäische Union (EU) stuft Lithium entsprechend als kritischen Rohstoff ein - es droht ein Lithiumdefizit. „Wir sind dabei vollständig auf Importe angewiesen, weltweit stammen 80 Prozent des Lithiums aus Chile und Australien“, sagt Valentin Goldberg vom Institut für Angewandte Geowissenschaften (AGW) des KIT. „Gleichzeitig nehmen wir erhebliche Umweltkosten beim konventionellen Abbau in diesen Ländern in Kauf, etwa negative Auswirkungen auf das Grundwasser.“ Bei der Lithiumgewinnung in Geothermiekraftwerken dagegen soll bestehende Infrastruktur in Europa genutzt werden, mit der bereits große Mengen Thermalwasser mit teilweise hohem Lithiumgehalt gefördert wird. Nach der Energieproduktion soll das Lithium dabei technologisch abgetrennt und das Wasser, wie im Kraftwerkbetrieb üblich, in den Untergrund zurückgeführt werden. „Grundsätzlich sehen wir die Technologie sehr positiv. Flächenverbrauch und Umweltkosten wären gering, genauso die Transportkosten“, so Goldberg. Um zu klären, welchen Beitrag heimisches Lithium zukünftig realistisch leisten kann, hat er nun gemeinsam mit einem Team am AGW das verfügbare Wissen zusammengetragen, analysiert und für Deutschland erstmals das mögliche Potenzial berechnet.

Regionale Lithiumgewinnung als ökologische Ergänzung

Wie viel Lithium gewonnen werden kann, ist dabei nicht nur von den Lithiumkonzentrationen im Wasser abhängig, sondern auch von der standortabhängigen Fließrate und der Reservoirgröße. Für ihre Schätzung haben die Forschenden potenzielle Standorte in Deutschland betrachtet, die Rohstoffmärkte analysiert und unterschiedliche Technologien hinsichtlich ihrer Effizienz, Anwendbarkeit und Integrationsfähigkeit für die geothermische Energieproduktion bewertet. „Auf dieser Basis halten wir bei einer optimistischen Abschätzung eine jährliche Produktion von ungefähr 2 600 bis 4 700 Tonnen Lithiumkarbonat-Äquivalent für möglich, wenn alle relevanten Geothermiestandorte mit entsprechenden Anlagen ausgerüstet werden“, sagt Dr. Fabian Nitschke vom AGW, der ebenfalls an den Studien beteiligt war. „Damit könnten wir etwa 2 bis 13 Prozent des Jahresbedarfs der geplanten Batteriefertigung in Deutschland decken.“ Durch den Zubau weiterer Geothermiekraftwerke sei eine Steigerung der Fördermengen denkbar, allerdings dauere es mindestens fünf Jahre, bis ein neu geplantes Kraftwerk in Betrieb geht. „Angesichts des globalen prognostizierten Lithiumdefizits und der geplanten Batteriefertigung wird sich die Lage speziell für Deutschland rasch zuspitzen. Das Lithium aus der Geothermie kann mittelfristig also nur eine Ergänzung darstellen“, so Nitschke.

Unterschiedliche Technologien im direkten Vergleich

Noch sind die Prognosen von vielen Unsicherheiten geprägt: Die Größe und die Herkunft der Lithiumvorkommen in den Geothermalsystemen sowie die Reaktion der Reservoire auf eine kontinuierliche Förderung werden zurzeit erforscht. Zudem befinden sich die Technologien zur Extraktion in einem frühen bis mittleren Entwicklungsstadium - entscheidende Entwicklungsstufen sowie Langzeittests stehen noch aus. „Im direkten Vergleich zeigten sich allerdings bereits spezifische Vor- und Nachteile, die für eine wirtschaftliche Lithiumextraktion besonders relevant sind“, sagt Dr. Tobias Kluge vom AGW, ein weiterer Autor der Studien. „So wirken sich der Bedarf an zusätzlichen Rohstoffen, Schäden durch Ablagerungen an Bohrlöchern, Extraktionseinheiten und der Energieverbrauch direkt auf die Wirtschaftlichkeit aus.“

Voraussetzung ist eine breite Akzeptanz

Ob die Lithiumgewinnung mittels Geothermiekraftwerke in Deutschland letztendlich realisiert wird, hängt aber nicht nur von der weiteren Technologieentwicklung sowie geeigneten Standorten ab. Vielmehr seien auch gesellschaftliche Unterstützung und Akzeptanz notwendig, betont Valentin Goldberg: „Unsere Veröffentlichungen im Magazin Grundwasser richten sich deshalb nicht nur an ein Fachpublikum. Vielmehr wollen wir Entscheidungsträgern in Politik und Wirtschaft aber auch allen interessierten Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit geben, sich direkt und unabhängig über Chancen und Herausforderungen zu informieren.“ Zudem biete ihre Arbeit nun eine Basis für zukünftige Forschung und Entwicklung zu diesem gesellschaftsrelevanten Thema. Erstellt wurden die Studien im Rahmen der von der Abteilung für Geothermie und Reservoir-Technologie der AGW geleiteten GeoEnergie Forschung im Helmholtz-Programm Energie sowie des Forschungsprojektes BrineMine des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF). (mhe)

Als „Die Forschungsuniversität in der Helmholtz-Gemeinschaft“ schafft und vermittelt das KIT Wissen für Gesellschaft und Umwelt. Ziel ist es, zu den globalen Herausforderungen maßgebliche Beiträge in den Feldern Energie, Mobilität und Information zu leisten. Dazu arbeiten rund 9 800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf einer breiten disziplinären Basis in Natur-, Ingenieur-, Wirtschafts- sowie Geistes- und Sozialwissenschaften zusammen. Seine 22 300 Studierenden bereitet das KIT durch ein forschungsorientiertes universitäres Studium auf verantwortungsvolle Aufgaben in Gesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft vor. Die Innovationstätigkeit am KIT schlägt die Brücke zwischen Erkenntnis und Anwendung zum gesellschaftlichen Nutzen, wirtschaftlichen Wohlstand und Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Das KIT ist eine der deutschen Exzellenzuniversitäten.
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Dr. Martin Heidelberger, Pressereferent, Tel.: +49 721 608-41169, E-Mail: martin.heidelberger@kit.edu
Original publication:

Goldberg, V., Kluge, T., Nitschke, F.: Herausforderungen und Chancen für die Lithiumgewinnung aus geothermalen Systemen in Deutschland Teil 1: Literaturvergleich bestehender Extraktionstechnologien. Grundwasser. (2022)(a) https://doi.org/10.1007/s00767-022-00522-5

Goldberg, V., Nitschke, F., Kluge, T.: Herausforderungen und Chancen für die Lithiumgewinnung aus geothermalen Systemen in Deutschland Teil 2: Potenziale und Produktionsszenarien in Deutschland. Grundwasser - Zeitschrift der Fachsektion Hydrogeologie (2022)(b). https://doi.org/10.1007/s00767-022-00523-4

idw https://idw-online.de/en/news803145

pfalz, baden-württemberg, lithium

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