Feb 24, 2023 17:14
Gewinn und Sinnlichkeit, oder: Wer hat Gruner+Jahr wirklich auf dem Gewissen?
von Michalis Pantelouris
Erst als Anfang der Woche die Nachricht kam, dass bei Gruner+Jahr 23 Zeitschriftentitel eingestellt und 700 Stellen gestrichen werden,1) habe ich gelernt, dass es den Verlag offensichtlich mehrfach gibt.
In einem davon durfte ich einmal ein Heft machen.2) Es hat sich zu schlecht verkauft und wurde nach zwei Jahren eingestellt, was sehr hart für mich war. Zum einen, weil ich die Arbeit geliebt habe, und zum anderen, weil ich mich vor meine Mannschaft stellen und ihnen sagen musste, dass sie alle ihre Jobs verlieren, weil es mir nicht gelungen war, ein erfolgreicheres Heft zu machen.
Mir hat das, so weit ich es mitbekommen habe, niemand sehr übel genommen. Die Lage war schon damals schwierig für Print-Titel, und unsere Online-Strategie beschränkte sich auf Social Media und hatte in Wahrheit überhaupt kein Geschäftsmodell. Ich hatte mir keins ausgedacht, und wir gehörten zur „Stern“-Gruppe, wo gerade an „Stern plus“ gebastelt wurde, in das wir hineingerutscht wären, wenn es uns länger gegeben hätte.
Aber die ganze Wahrheit ist auch: Ich habe das nicht gepusht. Ich war eine winzige Leuchte im Gruner-Universum, und ich liebe Magazine. Ich habe einen Sinn für das, was der langjährige und aus meiner Sicht geradezu legendäre Ex-„GEO“-Chefredakteur Peter-Matthias Gaede gerade die „sinnliche Dimension des Journalismus“ genannt hat. Und die erlebe ich viel mehr auf gedruckten Seiten, die ich anfassen und ästhetisch gestalten kann, als in dem endlosen Datenstaub einer scrollbaren Seite, die auf jedem Gerät anders aussieht. Ein doppelseitiger Aufmacher in einem Heft ist etwas völlig anderes, als wenn ich dieselbe Geschichte auf meinem Smartphone lese.
Und in diesem Moment und mit der Aufgabe, die ich übernommen und extrem genossen habe, war eine online auf stern.de abrufbare Geschichte für mich ehrlich gesagt nur eine Art Resteverwertung. Ich wusste schon damals, dass das eine falsche, rückwärtsgewandte Einstellung ist. Aber ich sag’s, wie’s ist: Ich habe natürlich schon damals fast alles online gelesen, aber ich mochte lieber Hefte machen - und zur „sinnlichen Dimension“ gehörte auch, dass ich Hefte richtiger, wichtiger und realer fand als Webseiten. Bis heute denke ich, wenn ich „Spiegel“ höre, an das Magazin - obwohl ich es nur online auf „Spiegel Plus“ lese.
In dem Gruner+Jahr, in dem ich gearbeitet habe, sah meine Befehlskette folgendermaßen aus: Ich berichtete an den „Stern“-Chefredakteur3), der an den Verlags-Geschäftsführer, der wiederum an den Vorstand. Die Vorsitzende war damals Julia Jäkel, inhaltlich für uns zuständig war ihr späterer Nachfolger Stephan Schäfer. Ich habe vor allem am Anfang mit dem „Stern“-Chefredakteur mindestens täglich gesprochen, mit dem Geschäftsführer mehrmals die Woche, mit Stephan Schäfer regelmäßig. Und ich darf keine konkreten Details erzählen, aber ich glaube, jede und jeder Einzelne in dieser Kette kann zu recht behaupten, ich hätte sie oder ihn terrorisiert mit meinen manchmal zugegeben abstrusen Ideen und Forderungen.
Ich habe nie lange auf einen Termin warten müssen, in der Regel höchstens Stunden. Selbst Julia Jäkel hat Termine mit mir gemacht, um sich berichten zu lassen. Was ich sagen will ist: Hätte ich eine (oder 1000) rettende Ideen gehabt, wie ich meine Marke zu einem nachhaltigen Erfolg hätte machen können, hätte man mir zugehört. Man hat sogar meinen offensichtlich nicht rettenden Ideen zugehört, und viele davon durfte ich ausprobieren. Die, die ich nicht ausprobiert habe, sind nicht daran gescheitert, dass man sie mir verbaut hätte - mir sind nur die Argumente ausgegangen, was kein gutes Zeichen ist für die Idee. Und das, noch einmal, obwohl ich ein sehr, sehr kleines Licht war in dem Gruner+Jahr, in dem ich gearbeitet habe. Ich habe es schlicht nicht hinbekommen, und das Heft wurde eingestellt.
Oder, wie man es in dem anderen Gruner+Jahr wahrscheinlich sagen würde, von dem ich seit Anfang der Woche lese: Thomas Rabe ist schuld. Der Bertelsmann-CEO hat es verkackt, weil er keine Ahnung hat und tief drinnen böse ist.4) Ich bin einigermaßen erschüttert, wenn ich lese und höre, was vor allem ehemalige Chefredakteure zu den schlechten Nachrichten aus dem ehemaligen Haus Gruner+Jahr, heute RTL Deutschland, zu sagen haben. Der wirklich unendlich hoch geschätzte Peter-Matthias Gaede schreibt in einer erstaunlich (und irgendwie auch herrlich) persönlich werdenden Schmähkritik auf „turi2“ über Thomas Rabe:
„Hat er nicht gewusst, was Gruner + Jahr ist? Dann hätte er mehr lesen als joggen sollen. Hat er irgendein Gefühl dafür, welche sinnliche Dimension Journalismus entfalten kann? Oder hat ihm diese Erkenntnis seine dünnlippige CFO-Askese verweigert? Hat er irgendein Gefühl dafür, welche (auch) politische und demokratiebedeutende und wissenfördernde und stilbildende und Freude machende Relevanz Medien aus dem Hause Gruner + Jahr hatten? Oder ist die Heimholung von Dieter Bohlen am Ende doch wichtiger?“
Der Text erschien, bevor Rabe seine Pläne am Dienstagmorgen mitteilte, unter dem Eindruck von medialen Gerüchten, dass RTL bis auf den „Stern“ alle Titel verkaufen würde. Insofern ist es lustig, Gaedes Vorschläge zu lesen, was Rabe machen würde, wenn er das angesprochene Gefühl dafür hätte, was Gruner ist. Gaede schreibt:
„Es gäbe die Möglichkeit, zum Beispiel ein Jahres-Ergebnis von etwa sieben Millionen Euro in der Geo-PM-Gruppe noch immer für ein respektables zu halten. Und zu kämpfen. Es gäbe die Möglichkeit, auf andere erfolgreiche Medien zu schauen und deren digitale Bezahlstrategie zu analysieren. Es gäbe die Möglichkeit, auch inhaltlich und personell etwa auf ‚Zeit‘ und ‚Spiegel‘ zu reagieren. Es gäbe die Möglichkeit, zu fragen, mit welchem Kurs sich auch diverse Spezialblätter bis heute so tapfer am Markt behaupten. Gruner + Jahr hätte ein reichliches Portfolio dafür.“
Es ist erstaunlich nah an dem, was Rabe verkündet hat: RTL behält die Kernmarken und investiert, vor allem in die Digitalstrategie des „Stern“. Ich weiß wirklich nicht, welche Gefühle Thomas Rabe hat, und ich würde Gaede sowieso nicht widersprechen: Vielleicht versteht Rabe Gruner+Jahr wirklich nicht ansatzweise als das, was das Haus in den Augen der Journalisten dort ausmacht. Aber dann ist das offenbar gar nicht nötig, um zu ähnlichen Schlüssen zu kommen.
Was mich aber eigentlich wundert, ist etwas anderes: Wenn Gaede schreibt, man könne doch „auf andere erfolgreiche Medien zu schauen und deren digitale Bezahlstrategie […] analysieren“, dann ist das ja keine neue Idee. Gaede war bis 2014 ein wichtiger, mächtiger „GEO“-Chefredakteur, also auch in Zeiten, in denen es schon dieses Internet gab. Warum hat er es eigentlich nicht gemacht?
Vielleicht liegt die Antwort in dem, was sein von mir ebenso sehr geschätzter Nachfolger Christoph Kucklick auf der Betriebsversammlung am Dienstag zu Thomas Rabe sagte, nämlich dass „hier im Hause viele Jahre lang systematisch verhindert [wurde], dass digitale Resilienz aufgebaut wurde“. Andere Verlage träfe die aktuelle Krise nicht so stark, weil sie „digital stark genug [sind]. Und das genau ist hier versäumt worden. Und ich finde, das ist die Verantwortung der Unternehmensspitze, auch der höchsten Unternehmensspitze.“
Es sind sich alle einig: Die digitalen Erlösmodelle fehlen. Während „Spiegel“, „Zeit“, „Süddeutsche“, „FAZ“ und andere erfolgreich ihren Journalismus in Abo-Modellen verkaufen, dümpelt „Stern plus“ bei angeblich 30.000 Abos und einer Million Euro Umsatz im Jahr, also zu wenig. Es ist auch nicht einfach zu erkennen, warum man ihn überhaupt abonnieren sollte. Offenbar waren die Journalisten inklusive der Chefredakteure von Marken wie „Stern“, „GEO“ und „Brigitte“ ohnmächtig, als man sie systematisch daran hinderte, digital stark zu werden. Offenbar war der Mutter-Konzern nicht klug genug oder sabotierte geradezu die Arbeit in Hamburg. Kann das wirklich sein?
Es gibt einen Kommentar in der „SZ“, der dieses Argument durchdekliniert: Unter der Überschrift „Ist ihm wurst“ schreibt Laura Hertreiter:
„Und doch zeigt das brutale Bertelsmann-Vorgehen, dass der Konzern, der mal weit vor Springer, Burda oder Bauer sich seiner gesellschaftsverbindenden Inhalte schmückte, die Frage danach, was Publizistik eigentlich leisten muss, nicht mehr journalistisch, nicht mehr inhaltlich beantwortet.
Offenkundig geht es um eine andere Antwort, die sich - wie unter schlechten Managern üblich - ausschließlich aus Tabellen ablesen lässt. Übrig bleiben jetzt also das RTL-Halligalli (DSDS, Dschungelcamp, GZSZ) und ein paar große alte Magazinmarken (Stern, Brigitte, Capital, Gala, Schöner Wohnen), die allerdings noch niemand der hochbezahlten Chefs aus Gütersloh so ins Digitale überführt hat, dass es von der breiteren Öffentlichkeit bemerkt worden wäre.“
Es ist dasselbe Argument: Die hochbezahlten Chefs in Gütersloh, also bei Bertelsmann, haben die Marken nicht ins Digitale überführt. Die Journalisten selbst können nichts dafür.
Ich glaube, das stimmt so nicht. Ich habe Ende der neunziger Jahre begonnen, im Journalismus zu arbeiten, das heißt, ich habe die gleichzeitige Begeisterung für das Internet und die Berührungsängste erlebt. Bei allem, was da heute schlau geredet wird: „Online-Journalismus“ (das wurde tatsächlich so gesagt) war ein Stiefkind, und das überall. Die heute so Erfolgreichen wie der „Spiegel“ sind durch lange, tiefe Täler gegangen, in denen die spiegel.de-Redakteure nicht nur in der Bezahlung als Journalisten zweiter Klasse behandelt wurden.5) Heute träumen alle Verlage davon, spiegel.de-Mastermind Stefan Ottlitz zu klonen, aber es ist noch nicht lange her, da wurde er als Vorreiter eines „Hoodie-Journalismus“ geschmäht - von Journalisten.
Ich möchte Thomas Rabe nicht verteidigen, der ja absurderweise vieler Kritik an ihm ausdrücklich zustimmt.6) Aber es befremdet mich, dass Journalisten, die zum Teil persönliche Helden für mich sind, sich nicht hinstellen können und sagen: „Das Kernproblem ist: Wir erreichen seit einiger Zeit das Publikum nicht mehr.“
Ich glaube, wir tendieren als Journalisten dazu, uns gegenseitig immer wieder zu versichern, wie gut und wichtig es ist, was wir tun. Wir sind elitär. Die Berichterstattung über den „Kahlschlag“ bei Gruner trieft vor Häme über Dieter Bohlen, RTL, „schlechte Manager“, die „lieber mehr lesen“ sollten.
Aber keiner von uns Journalisten stellt sich hin und sagt: Ich habe Jahrzehnte gut bis sehr gut in diesem System gelebt, und ich habe mich extrem gegen Veränderung gesträubt, deshalb bin ich ein Stück weit Mitschuld daran, dass wir jetzt an diesem Punkt sind.
Ich war zwei Jahre bei Gruner, ich bin kein Zeuge des gesamten Prozesses.7) Mir tut jeder leid, der seinen Job verliert. Aber ich glaube nicht, dass es daran liegt, dass hier zu wenig Journalismus gefühlt und zu viel auf Zahlen geguckt wurde. Ich glaube, es war zu lange eher umgekehrt.
Nachtrag/Korrektur, 11. Februar: Ich habe Stefan Ottlitz zunächst Stefan Plöchinger genannt. So heißt er aber seit fünf Jahren nicht mehr. Es ist mir sehr peinlich.
Fußnoten
Fußnoten
↑1 200 davon sollen mit potenziell zu verkaufenden Magazinen zu den dann neuen Eigentümern umziehen
↑2 Es hieß „JWD - Joko Winterscheidts Druckerzeugnis“ und erschien 2018 und 2019.
↑3 Zunächst war das Christian Krug, später Anna-Beeke Gretemeier und Florian Gless
↑4 Und tief drinnen ist eh nicht sehr tief, weil er joggt anstatt zu lesen und deshalb immer dünner und dümmer wird.
↑5 Es hieß, beim „Spiegel“ führe der Redakteur mit dem Porsche in die Tiefgarage, während oben der Online-Redakteur sein Fahrrad anschließe.
↑6 Zum Beispiel, dass die Fusion von RTL und Gruner völlig falsch gemanagt war.
↑7 Aber ich bin freier Journalist und habe durch die Veränderung dort weniger potenzielle Auftraggeber bei gewachsener Konkurrenz.
Der Autor
Michalis Pantelouris ist Journalist und Buchautor. Er hat u.a. die Redaktion des Joko-Winterscheidt-Magazins „JWD“ geleitet, war stellvertretender Kreativ¬direktor von „GQ“ und ist Creative Consultant bei der ProSieben-Sendung „Zervakis und Opdenhövel live“. Für Übermedien annotiert er unregelmäßig die Medienwelt.
Über Medien 10.2.2023
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