Neues von der Varusschlacht : Jede Legion schmiedet anders Die Varusschlacht hat in den vergangene

Dec 01, 2022 11:12

Neues von der Varusschlacht : Jede Legion schmiedet anders

Die Varusschlacht hat in den vergangenen Jahrhunderten die unterschiedlichsten Phantasien hervorgebracht - hier eine Radierung von G. Mochetti -, doch die letzten Zweifel am Schauplatz werden erst allmählich ausgeräumt. Bild: picture alliance / akg-images

Eine neue Untersuchungsmethode hat die Rekonstruktion der Varusschlacht von 9 nach Christus um wichtige Indizien bereichert. Der „metallurgische Fingerabdruck“ weist recht eindeutig auf einen bestimmten Schauplatz.

Zu dem Ende der Achtzigerjahre in Kalkriese bei Osnabrück gefundenen antiken Kampfplatz gibt es seit Jahren eine Forschungskontroverse: Unterstand die untergegangene römische Armee, deren Überreste hier zu besichtigen sind, dem Statthalter Publius Quinctilius Varus, der von Germanen unter Arminius in die Falle gelockt wurde - oder dem römischen Feldherrn Nero Claudius Germanicus, der sechs Jahre später, also 15 nach Christus, einen Rachefeldzug in die Gegend unternahm und dabei der Geschichtsschreibung zufolge ebenfalls in Bedrängnis geriet.

Vieles sprach für Varus und die in seinen Diensten befindlichen Legionen 17 bis 19, eindeutige Beweise aber fehlen. Die dort gefundenen Münzen etwa weisen zwar in die Varuszeit, aber auch Germanicus hätte seine Soldaten grundsätzlich mit älterem Geld bezahlen können; die übrigen archäologischen Funde ließen sich zeitlich nicht auf sechs Jahre genau eingrenzen.

Doch die in Kalkriese ergrabenen vielen hundert Fundstücke aus römischer Zeit lassen noch einen anderen Zugang zu: die metallurgische Untersuchung, welche das Varusschlacht-Museum Kalkriese jetzt in einem gemeinsamen Forschungsprojekt mit dem Deutschen Bergbau-Museum Bochum durchgeführt hat. Die Methode ist recht neu, Pablo Fernández Reyes von der Universität Liverpool hat sie vor wenigen Jahren in einer Arbeit über „Legionsstandorte in Großbritannien“ an Funden aus der Zeit zwischen dem 1. und 3. Jahrhundert nach Christus angewandt.

In Kalkriese stehen nun Artefakte aus den drei Jahrzehnten zwischen etwa 15 vor bis 15 nach Christus im Mittelpunkt des Interesses. Das Konzept bestand darin, einen „metallurgischen Fingerabdruck“, der sich aus der Analyse der Funde in Kalkriese ergibt, sowohl mit Buntmetallartefakten aus den Römerlagern Dangstetten und Haltern, wo die 19. Legion nachweislich stationiert war, zu vergleichen, als auch mit solchen, die den Germanicus-Legionen 2, 13, 20 und 21 zuzuweisen sind.

Den Fingerabdruck, um den es hier geht, darf man sich nicht als ein abgeschlossenes Merkmalbündel vorstellen, das „einer DIN-Norm entspricht“, wie Annika Diekmann im Gespräch mit der F.A.Z. sagt - sie hat dem Thema als Wissenschaftliche Mitarbeiterin in Bochum ihre Dissertation gewidmet -, sondern als „charakteristische Zusammensetzung der chemischen Spurenelemente“ in Hunderten untersuchten Artefakten aus römischen Buntmetallen wie Bronze und Messing. Ausgangspunkt war dabei die Annahme, dass sich die Metalle römischer Legionen in Form von Waffen, Fibeln oder Gürtelschnallen, welche durch permanente Reparaturen einem stetigen Recycling-Prozess unterlagen, einer bestimmten Handschrift zuordnen lassen.

Hinweise darauf lieferte bereits Pablo Fernàndez Reyes. Jede Legionsschmiede schmiedet anders - und sowohl das Verfahren, das sie anwendet als auch die chemischen Elemente, die zum Beispiel Werkzeugen und zur Reparatur eingesetzten Metallen anhaften, lassen über einen längeren Zeitraum hinweg ein Muster erkennen, welches Projektleiter Stefan Burmeister im Gespräch als „eine Art statistisches Mittel“ beschreibt.

Der in Kalkriese errechnete Fingerabdruck, der sich, so Annika Diekmann, durch einen „sehr spezifischen Antimon- und Nickelgehalt“ auszeichnet, wies nun derart signifikante Ähnlichkeiten mit den Befunden in Dangstetten und Haltern, der 19. Legion also, und gleichfalls dermaßen große Unterschiede zu den Germanicus-Legionen auf, dass er insgesamt, so Stefan Burmeister, als „ein weiteres starkes Indiz für Kalkriese als Ort der Varusschlacht“ interpretiert werden kann.

Doch es bleibt spannend in Kalkriese. Noch immer ist unklar, wie die Armee des Varus so gnadenlos untergehen konnte, ob die immer noch erkennbaren Wälle nun den Germanen oder den Römern zuzuordnen sind und ob Germanicus auf seinem Rachefeldzug nicht doch ebenfalls auf dem Oberesch in Kalkriese war. Auch bleibt die Frage offen, wie es sich mit den Legionen 17 und 18 verhielt, von denen bisher archäologische Spuren fehlen. Sollten diese eines Tages auftauchen, könnten metallurgische Untersuchungen weitere Lücken schließen und der Geschichte Germaniens kurz nach der Zeitenwende neue Aspekte hinzufügen.

Quelle: FAZ.NET, Uwe Ebbinghaus, Redakteur im Feuilleton. 16.11.2022

römisches reich, geschichte, germanen

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