Jul 23, 2022 17:13
Schatzkammer der Oligarchen
SCHWEIZ Kaum irgendwo sonst fühlen sich Russlands Milliardäre so wohl wie hier. Es locken Villen, Briefkastenfirmen, Staatsbürgerschaften. Doch seit Ausbruch des Ukrainekriegs stellt sich die Frage: Wie lange wollen sich die Eidgenossen das noch leisten
W er im Städtchen Zug nach Spuren russischer Milliarden sucht, sollte Handelsregisterauszüge und Firmenadressen zur Hand haben. Denn die Oligarchen und Günstlinge aus dem Umfeld Wladimir Putins verstecken ihre Filialen im Schweizer Steuerparadies diskret.
Die von Putins Großcousine Anna gegründete Kohlehandelsgesellschaft KSL AG - die inzwischen jede verwandtschaftliche Verbindung zum Clan des Kremlchefs bestreitet? Nicht einmal ein Namensschild weist an der Zuger Bahnhofstraße auf sie hin. Annas Bruder Michail wiederum ist seit 2018 stellvertretender Vorstandsvorsitzender des mehrheitlich staatseigenen Konzerns Gazprom - dessen Filiale liegt in Zug gleich um die Ecke.
Die milliardenschwere Eurochem des auf der Sanktionsliste gestrandeten Andrej Melnitschenko, mittlerweile der Gattin überschrieben? Verbirgt sich im hinteren Teil eines Glaspalasts der Kantonalbank. Die Nord Stream 2, deren Verwaltungsratschef Gerhard Schröder heißt? Hat in einem Hinterhof der Baarerstraße einen Briefkasten, aber keinen Klingelknopf mehr. Die Metal Overseas AG, Tochterfirma des mutmaßlich zweitreichsten Russen und mächtigen Nickelexporteurs Wladimir Potanin? Verschanzt sich in einer gesichtslosen Einkaufspassage.
»Zug ist ein Oligarchenparadies und, wenn man so will, die Verkörperung des Geschäftsmodells Schweiz«, sagt Luzian Franzini. Der Vizepräsident der eidgenössischen Grünen, Mitglied des Zuger Kantonsrats, ist so etwas wie der oberste Ruhestörer im verschwiegenen Steuersparerdorado südlich von Zürich. Seit die Schweiz sich, mit viertägiger Verspätung, den EU-Sanktionen gegen Putin und seine Entourage angeschlossen habe, seien die Dinge jedoch gehörig in Bewegung geraten: »Das Modell Kanton Zug war noch nie so am Wackeln wie jetzt.«
Dabei geht es um viel Geld. Den Nickelproduzenten Potanin etwa taxierte das Wirtschaftsmagazin »Forbes« 2021 noch auf ein Vermögen von 27 Milliarden Dollar, den Düngemittelkrösus Melnitschenko auf knapp 18 Milliarden Dollar und den in der Gemeinde Zug registrierten Wiktor Wekselberg immerhin noch auf die Hälfte. 37 Milliardäre und Wirtschaftsgrößen von Putins Gnaden wurden am Abend nach dem russischen Ukraineeinmarsch in den Katharinensaal des Kreml zitiert wie Schulbuben, einbestellt zum Treueschwur. Inzwischen stehen Schwerreiche im Zentrum westlicher Sanktionen.
17 der wichtigsten russischen Oligarchen haben Verbindungen in den Kanton Zug. Andere, gleichfalls Begüterte, tarnen sich als EU-Bürger: Mehr als die Hälfte der im Kanton registrierten angeblichen Zyprer wurden in Russland beziehungsweise der Sowjetunion geboren. Ihr Anteil an der Zuger Gesamtbevölkerung stieg seit 2006 wundersamerweise um mehr als das 70-Fache. Die Schweiz, ein Paradies der Schlupflöcher - was können Sanktionen da bewirken?
Einiges, sagt der grüne Kantonsrat Franzini, von seinen politischen Gegnern als »Möchtegernkommunist« beschimpft. Wer mit ihm durch die Stadt wandert, durch Einkaufspassagen, Hinterhöfe und Geschäftshäuser mit verdunkelten Glastüren, der stößt in schmucklosen Bürogebäuden auf Spuren der Profiteure des Systems Putin. Franzini zeigt mit dem Finger auf die Niederlassungen jener, die im faustischen Pakt mit dem Kremlherrn die Erlaubnis erhielten, sich schrankenlos zu bereichern.
Die russische Trikolore, die noch nach Beginn des Angriffskriegs vor der Nord-Stream-AG-Zentrale in Zug am Fahnenmast hing, ist zwar inzwischen entfernt worden. Aber wesentliche Teile des Oligarchenräderwerks funktionieren unbeschadet weiter. »Im Westen suchen sie die heimlichen Unterstützer beim Umgehen der Sanktionen«, frohlockt unter einem Foto der Schweizer Flagge vor Gletscherpanorama die Onlineausgabe des ehemaligen sowjetischen Parteiorgans »Prawda«.
Noch immer nicht auf der EU-Sanktionsliste steht etwa Wladimir Potanin, mit seinem Konzern verantwortlich für 40 Prozent des Weltmarktbedarfs an Palladium, einem bei Autobauern begehrten Rohstoff; auch Wiktor Wekselberg, langjähriger Günstling Putins, fehlt im aktuellen Verzeichnis derer, die samt ihrem Vermögen als kremlnah geächtet werden.
Der Kanton Zug und die Russen - das ist ein Thema mit Vorgeschichte: Im Casino am Seeufer wurde dem Kremlherrscher Putin ausgerechnet 2002, während seines Vernichtungsfeldzugs gegen die rebellischen Tschetschenen, ein Friedenspreis verliehen. Der Laudator vor 500 geladenen Gästen hieß damals, kaum zu glauben, Michail Gorbatschow. 6300 »substanzlose«, meist nur aus einem Briefkasten bestehende Unternehmen gibt es im Kanton. Hinter wie vielen davon russisches Geld steckt, ist unklar. Ein Register, das die eigentlichen Nutznießer ausweisen würde, gibt es nicht in der Schweiz.
Kaum irgendwo sonst ist das helvetische Erfolgsprinzip - bewusst in Kauf genommene Unschärfe im Umgang mit Gesetzen und Verordnungen - besser zu besichtigen als im Kanton Zug. Nun aber, da die Schweiz nach fünf Monaten des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine unter verschärfter Beobachtung steht, rückt ins Schein werferlicht der Weltöffentlichkeit auch die Milliardärsidylle am Zuger See. Noch 2014, nach der Invasion der ukrainischen Halbinsel Krim, hatte sich die Schweiz geweigert, die europäischen Strafmaßnahmen gegen Russland wortgleich zu übernehmen.
»Für die Schweiz ist das alles ein Reputationsproblem, sie kann diesmal kein Sonderzüglein mehr fahren wie noch 2014«, sagt Balz Bruppacher, Autor des Standardwerks »Die Schatzkammer der Diktatoren«. Beim Seco, dem für Sanktionen zuständigen Staatssekretariat für Wirtschaft in Bern, behauptet man, die Vorgaben besser umzusetzen als in der EU. Die Grauzone sei aber zugegebener maßen enorm: »Bei den Vermögenswerten, die unter die Sperrung fallen, handelt es sich nur um einen Bruchteil der russischen Gelder und Vermögen in der Schweiz.«
Von mehr als 59 000 Einzelpersonen und Firmen, die den aktuellen Russlandsanktionen unterliegen, spricht ein Compliance Experte des Unternehmens Dow Jones. Nur wenige Hundert Betroffene allerdings finden sich auf allen drei maßgeblichen Sanktionslisten zugleich wieder - auf jenen der EU, der USA und Großbritanniens. Betroffenen wie auch Verdächtigen bleibt reichlich Raum zu Ausweichmanövern.
Die Schweiz galt jahrzehntelang als sicherer Hafen. Fast ein Drittel des russischen Auslandsvermögens soll zwischen St. Gallen und Genf gebunkert sein. Von bis zu 200 Milliarden Franken spricht die Bankiervereinigung - eine konservative Schätzung. Hinzu kommt: 80 Prozent der Devisenbringer Öl und Gas werden über die Schweiz gehandelt. Wer Putin wehtun will, kommt an der Schweiz nicht vorbei. »Seit Langem bekannt als Anlaufstelle für Kriegsverbrecher und Kleptokraten, die ihre Beute verstecken wollen, ist die Schweiz ein führender Unterstützer des russischen Dikta tors Wladimir Putin und seiner Kumpane« - so steht es im polemisch gehaltenen Eingangs-Statement der vom US Kongress eingerichteten Helsinki Kommission, die Anfang Mai tagte. Allzu enge Beziehungen zwischen Moskau und Bern hätten zusätzlich einen »korrumpierenden Einfluss« auf Teile der Schweizer Strafverfolgungsbehörden ausgeübt.
»Das Geschäftsmodell der Schweiz steht definitiv auf dem Prüfstand«, sagt Robert Bachmann von der Zürcher NGO Public Eye, die mit beachtlicher Zähigkeit Lebenslügen des eidgenössischen Erwerbskonstrukts bloßzulegen versucht: »Damit sich wirklich etwas ändert, müsste die Schweiz grundsätzlich ihre Gesetzbücher überarbeiten, zuallererst was den Rohstoffhandel betrifft - da braucht es dringend eine Aufsichtsbehörde; und außerdem müssen die Lücken in der Bekämpfung der Geldwäscherei gestopft werden.«
Die Maßnahmen gegen Putin und die Unterstützer seines Angriffskriegs gingen am
Kern des Problems vorbei, sagt in Zürich ein Antikorruptionsexperte des internationalen Recherchenetzwerks OCCRP: »Die ganzen Verbrecher, Rohstoffhändler, Finanzjongleure hocken in der Schweiz. Das eigentliche Thema dreht sich um tätige Beihilfe zum weltweiten Verstecken von Vermögen - das dafür nötige Wissen aber kann leider nicht sanktioniert werden, es lagert nämlich in Tresoren in Zürich und Genf, nur die Anwälte haben Zugang. Die unterliegen so gut wie keinerlei Aufsicht; seit 2008 hat sich das Geschäft mit internationalen Schwerkriminellen von den Banken auf Anwälte verlagert.«
Schweizer Juristen und sogenannte Finanzintermediäre bieten schlüsselfertige Lösungen für Menschen mit gewaltigem Vermögen zweifelhafter Herkunft. »Sorgfalts und Meldepflichten« bei Geldwäscheverdacht gelten zwar für Banken, nicht aber in gleicher Form für Anwälte und Dienstleister. Gegen eine Gesetzesänderung sperrt sich die Anwaltslobby im Schweizer Parlament.
»Zug ist ein Standort mit Willkommenskultur, ein Teil unseres Erfolgsmodells«, sagt in seinem Büro mit Seeblick treuherzig Heinz Tännler, der Finanzdirektor des Kantons. Kritik an mangelndem Schweizer Ehrgeiz bei der Suche nach russischem Vermögen lässt er nicht gelten: »Ich bin ja nur der Ausführungsgehilfe, wir können diese komplexen Konstruktionen nicht durchforsten.«
Ein paar Häuserblocks weiter klagt Anastasia Gilli. Die elegante Lady, gebürtige Moskauerin, unterhielt mit ihrem Unternehmen Exclusive Swiss Properties & Investment ein bis zum Kriegsausbruch florierendes Gewerbe. Sie bietet auswanderungswilligen Russen Komplettpakete: »Ich reloziere ganze Familien, vom Hauskauf bis zur Einschreibung der Kinder auf einer internationalen Schule.«
Gilli, die an der Moskauer Diplomaten-Kaderschmiede MGIMO studierte, kann vermögende Alumni, die genug von Putins Russland haben, neuerdings nicht mehr in die Schweiz lotsen. Banktransfers aus Russland seien mittlerweile ebenso tabu wie Bargeldzahlungen, sagt die Maklerin: »Schuld sind die Amerikaner, sie machen unablässig Druck, es ist die Fortsetzung des Kalten Krieges mit anderen Mitteln.« Für Gilli und Heerscharen von anderen Schweizer Immobilienhändlern, Anwälten, Juwelieren und High-End-Dienstleistern sind mit dem Sanktionsregime schwere Zeiten angebrochen.
Putins Russland werde »grauer und grauer, selbst Kinder müssen sich inzwischen in der Schule befragen lassen, was ihre Eltern zu Hause lesen - es herrschen Verhältnisse fast wie unter Stalin in den Dreißigern«, sagt Gilli. Und doch könne sie ihrer Kundschaft nun kein Sprungbrett in die Freiheit mehr anbieten: »Selbst in Italien bringe ich niemanden mehr unter, auch dort verweigern die Banken Überweisungen aus Russland.«
Mit Blick auf Lugano sitzen Russen, die sich früh genug abgesetzt haben, auf der gegenüberliegenden Seite des Sees in der italienischen Exklave Campione d’Italia und lassen sich in der »Taverna« bei Michel Walser Hummer servieren. Andere russische Exilanten zeigen sich drüben, am Schweizer Ufer, beim Aperitivo im »Boatcenter« in Gesellschaft von Damen mit überdurchschnittlich voluminösen Lippen. Lugano, auf halbem Weg zwischen Zürich und dem Hafen Genua gelegen, steht für Milliardenbusiness unter Palmen. Zahllose Firmen sind hier im Rohstoffhandel tätig, Schwerpunkt: Stahl.
Die vier umsatzstärksten Schweizer Firmen handeln mit Rohstoff. Die Branche trägt weit mehr zur Wirtschaftsleistung bei als der Tourismus. Vom »goldenen Kalb«, das Schweizer Regierende vergötzen, ist die Rede. Weder Stahl noch Erdöl oder Gas kommen dabei mit Schweizer Boden in Berührung. Rohstoffhandel ist ein Milliardengeschäft, das nicht schmutzt und nicht stinkt. Den Tradern genügt ein Schreibtisch mit Laptop. Doch in Genf, wo an der vornehmen Rue du Rhône Erdöl im Milliardenmaßstab umgeschlagen wurde, gehen bei den Händlern langsam die Lichter aus. Wie läuft es in Lugano, wo die Oligarchen Alexej Mordaschow, Wladimir Lissin und Wiktor Raschnikow mit ihren Konzernen Wurzeln geschlagen haben?
In der Altstadt werden Ikonen, Matrjoschkas und russische Märchenbücher verkauft. Eine orthodoxe Kirche südlich der Stadt und eine russische Schule erleichtern Zugezogenen die Eingewöhnung. Vor der am Hügel gelegenen Klinik Sant’Anna, wo nach Informationen des SPIEGEL und anderer Medien 2015 Putins Sohn geboren wurde, begrüßt ein in Klapper-
storchform gestutzter Buchsbaum angehende Eltern. Der Kreml hat die Geburt des Kindes nie bestätigt. Die angebliche Mutter, die frühere Olympiasiegerin in der Rhythmischen Sportgymnastik Alina Kabajewa, steht seit Kurzem auf der erweiterten EU-Sanktionsliste.
Wer wissen will, ob die drastischen Maßnahmen gegen Russlands Elite wirken, kann den gebürtigen Ukrainer Sergiy Dynchev fragen. In seinem Büro mit Blick auf den Luganer See sagt der drahtige Chef des Stahlhändlers Ivancore, dass »Firmen russischen Ursprungs oder mit enger Anbindung an den russischen Markt nun natürlich in Schwierigkeiten sind; einige von ihnen überlegen, ihre Schweizer Niederlassungen in einen Stand-by-Modus zu versetzen und nur wenige Angestellte hier in Lugano zu belassen, während sie dem Rest anbieten, sich in die Türkei oder in die Vereinigten Arabischen Emi- rate zu verlagern - also in Gegenden,
die Russland freundlich gesinnt sind.«
Trifft das Putin, bringt das den russischen Vormarsch ins Stocken? Dynchev, weißes Hemd, violette Krawatte, makelloses Englisch, will sich da nicht festlegen. Dabei berührt ihn die Frage mehr als andere: Er selbst ist im mittlerweile völlig zerstörten ukrainischen Mariupol aufgewachsen, sein Vater lebt noch immer dort - »ohne Wasser, ohne Strom, fast ohne Essen, Freunde kümmern sich um ihn, der nicht mehr fliehen kann«, sagt der Rohstoffhändler. Seinem Gastland aber will er keine allzu großen Vorwürfe machen: »Für die historisch auf Neutralität verpflichtete Schweiz sind eigene Sanktionen ja Neuland, man muss noch herausfinden, wie sich das umsetzen lässt.«
Auf diplomatischem Parkett fühlt sich die Schweiz wohler. Und so fand ausgerechnet am russisch dominierten Rohstoff-Umschlagplatz Lugano Anfang Juli die große Ukraine-Wiederaufbaukonferenz statt. Aus Kiew wurde Staatspräsident Wolodymyr Selenskyj zugeschaltet.
»Erdöl und Gas sind der Treibstoff von Putins Zerstörungsmaschinerie«, sagt einer der Experten der NGO Public Eye, die in Zürich ihren Sitz hat. Am Export von Rohöl, dem größten Devisenbringer Russlands, hatte die Schweiz einen Anteil von bis zu 70 Prozent.
Das weitreichende EU-Embargo wird diese Erwerbsquelle wohl erst einmal zum Versiegen bringen. Und das ist nicht die einzige schlechte Nachricht. Am Zürcher Paradeplatz, wo die Großbank Credit Suisse (CS) in einem prunkvollen Palast aus dem 19. Jahrhundert residiert, muss man sich nun mit dem Vorwurf amerikanischer Kläger beschäftigen, noch nach Ausbruch des Ukrainekriegs russische Kunden bedient zu haben.
Zuvor war bekannt geworden, dass die CS-Klienten bat, Unterlagen über die Verbriefung von Krediten durch Privatjets und Luxusjachten im Besitz von Oligarchen »zu vernichten«. Und - ein Novum in der Schweizer Banken historie: Wegen des Verdachts auf Geld wäsche für Drogenhändler steht die CS derzeit vor Gericht.
Nichts, so scheint es, ist in der Schweiz mehr, wie es war. Selbst im noblen Hotel St. Gotthard an der Bahnhofstraße, wo die als »Zarin von Zürich« gerühmte Eigentümerin Ljuba Manz sich vom Chauffeur im Audi A8 W12 vorfahren lässt, wird das Fehlen der im Land »wertschöpfungsintensiv« genannten Kundschaft aus dem Osten registriert.
Vorbei die Zeiten, da die ehemalige Aus ternverkäuferin Manz hier Hof hielt und zum russischen Neujahrsfest bei Wodka und Hummer an Sauce Champagne die Zürcher Prominenz begrüßte. Die aus Charkiw stammen de Hotelière, vom Putin treuen Patriarchen Kirill einst mit einem Orden dekoriert, hüllt sich derzeit in Schweigen.
Gesprächiger ist da schon der Hausherr einer Fabrikantenvilla aus dem Jahr 1895 am Zürichsee: Thomas Borer trägt Anzug mit Einstecktuch und Manschettenknöpfe von Bulgari, die nackten Füße stecken in Leder slippern. Er war Schweizer Botschafter in Berlin, wo er nicht zuletzt dank seiner exzentrischen Gattin, der ehemaligen »Miss Texas«, dem Boulevard Futter lieferte. Nun macht er in PR und Private Equity.
Wie blickt einer vom Schlag Borers heute auf das Verhältnis zu Moskau? Er, der ab 2005 als Verwaltungsratsmitglied im Milliardenkonzern von Wiktor Wekselberg war und davon sprach, am russischen »Reputationsaufbau« mitzuarbeiten? Borer sagt, er habe damals an eine Win win Situation geglaubt: »Rohstofflieferung einerseits, Demokratie und Technologietransfer andererseits, das war die Idee. Historisch besehen, ist es eine Tragödie, dass dieses für Europa zentrale Projekt gescheitert ist.«
Mitte der Neunziger leitete Borer eine Kommission, die sich mit nachrichtenlosen jüdi
schen Vermögen auf Schweizer Banken beschäftigte. Sieht er Parallelen zur Gegenwart,
zur Gefahr, dass die Eidgenossen sich einmal mehr die Hände schmutzig machen - diesmal
mit trickreich versteckten russischen Milliarden? »Für die Schweiz, die ohnehin schon
unter besonderer Beobachtung steht, ist die Umsetzung der Sanktionen zentral«, sagt Bo
rer: »Denn dieser Krieg polarisiert wie kaum etwas anderes seit dem Zweiten Weltkrieg.«
Das Gebot der Stunde laute, die Geld wäscherei zugunsten russischer und anderer
Staatsbürger gesetzlich zu unterbinden: »Wir sind doch kein Piratenland - was soll’s, wenn
künftig ein paar Dutzend Schweizer Anwälte arbeitslos werden, einen anderen Job für sie
wird man wohl finden.«
Am Basler Flughafen, hart hinter der Stadtgrenze auf französischem Territorium gelegen,
hing zeitweise ein halbes Dutzend Privatjets russischer Oligarchen fest. Die sanktionierten
Maschinen von Roman Abramowitsch, Wiktor Wekselberg und dem Erdölkonzern Lukoil waren darunter. Jubel über diesen Erfolg sei allerdings verfrüht, sagt der Antikorruptionsexperte Cornelius Granig.
Denn im Luftraum über der Schweiz seien seit März noch immer genügend »fliegende Tresore« unterwegs - Privatjets, die zwar nicht zwingend auf einen der namentlich bekannten Oligarchen registriert, ihnen aber zuzuordnen seien. Ihre mutmaßlich wertvolle Fracht transportierten sie bevorzugt in die Vereinigten Arabischen Emirate, nach Dubai oder Abu Dhabi.
»Ein stadtbekannter Wiener Anwalt hat sich erst vor Kurzem in Dubai eine Villa gemietet und dort zehn Anwälte reingesetzt«, so Granig, »deren einzige Aufgabe es ist, noch nicht sanktionierten Russen dabei zu helfen, ihr Vermögen in Sicherheit zu bringen.«
Immer mehr Eidgenossen hätten es satt, dass »die Schweiz der Hafen ist, in dem sich die Piraten treffen, um sich das für ihre Raubzüge Nötige zu besorgen«, sagt Mark Pieth. Der emeritierte Professor für Strafrecht und anerkannte Kämpfer gegen Korruption sitzt im dritten Stock eines Geschäftshauses in der Basler Altstadt mit ihren mittelalterlichen Giebelhäusern. Hart in der Sache, verbindlich im Umgang, hat Pieth sich seinen Ruf als Nestbeschmutzer in der Schweiz redlich verdient. Er sagt, er bekomme als Reaktion darauf Briefe, in denen unter anderem steht: »Früher hätte man solche Leute wie Dich an die Wand gestellt.«
Der Jurist beklagt das zu zögerliche Vorgehen der Regierung - »die sieben Zwerge, die sich nur schwer einigen können« - und die mangelnde Bereitschaft, Gesetze rigoros anzuwenden.
Aus dem Bücherregal in seinem Büro holt er das Strafgesetzbuch und schlägt den Anti Mafia Paragrafen auf - Artikel 72, erselbst hat daran mitgewirkt. »Von wegen, die Schweiz ist neutral und kann da nicht aktiv werden«, sagt Pieth und deutet auf die entscheidende Stelle: »Hier geht es genau darum - Vermögenswerte, die der Verfügungsmacht einer kriminellen Organisation unterliegen, können eingezogen werden; es würde also die Feststellung genügen, dass Putin der Chef einer kriminellen Organisation ist.«
Dringend zu klären sei, ob Schweizer Banken russische Staatsgelder genommen haben, sagt Pieth: »Das wäre nämlich heikel, die Spur würde dann direkt zu Putin führen. Die Hälfte der russischen Reserven, so heißt es, ist im Ausland blockiert, aber noch weiß man nicht, wo das Gold liegt - und ob es nicht vielleicht über den Umweg Dubai geschmolzen zurück in die Schweiz kommt und von dort aus, mit dem Stempel der Seriosität versehen, wieder in Umlauf gebracht wird.«
Der Druck aus Washington auf Bern werde zunehmen, prophezeit der Mann, der einVierteljahrhundert lang die OECD Arbeitsgruppe zur Bekämpfung von Korruption leitete: »Zum Schwur kommt es, wenn die Schweiz bestimmte Namen von Russen liefern soll und sich unter Berufung auf Bankgeheimnis und Anwaltsgeheimnis weigert - dann wird es mit der Freundlichkeit von Antony Blinken und Joe Biden schnell ein Ende haben; die wollen nämlich weg vom bloßen Einfrieren russischer Vermögen hin zur vollständigen Beschlagnahmung.«
Jahrzehntelang habe die Schweiz unter dem Deckmantel der Neutralität aus akuten Krisen Profit geschlagen - im Zweiten Weltkrieg wie auch später während des Kalten Krieges und des südafrikanischen Apartheidregimes, urteilt der Basler Jurist.
Nun stehe einmal mehr die Reputation des Landes auf dem Spiel, denn: »Rein rechtlich gesehen sind Sanktionsverletzungen schwere Verbrechen.«
Walter Mayr, Spiegel 23.7.2022
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