Paris will, dass auf EU-Ebene mehr Französisch gesprochen wird. Das ist eitel, rückwärtsgewandt und

Dec 31, 2021 22:53

Paris will, dass auf EU-Ebene mehr Französisch gesprochen wird. Das ist eitel, rückwärtsgewandt und schädlich für die EU.

Eines muss man Emmanuel Macron lassen: Der Mann ist kühn. Er will nämlich die französische EU-Ratspräsidentschaft nutzen, um die Wichtigkeit der französischen Sprache in den EU-Institutionen wiederzubeleben.

Die Idee ist nicht neu, doch der Zeitpunkt wirkt außerordentlich opportun: Genau ein Jahr nach dem endgültigen Brexit übernimmt Paris am 1. Januar sechs Monate lang die Leitung des Tagesgeschäfts in Brüssel. Perfekt also, um der faktischen Vorherrschaft der Sprache Shakespeares auf allen Fluren der Brüsseler Machtmaschinerie etwas entgegenzusetzen.

Unter französischer Présidence soll demnach fast ausschließlich die langue de Molière gesprochen und geschrieben werden. Der englische Monolinguismus, so denkt man in Paris, schafft noch mehr Distanz zwischen dem Bürger und der ohnehin als kalt empfundenen EU. Clément Beaune, Frankreichs Staatssekretär für EU-Angelegenheiten, spricht dabei von einem „vitalen Kampf“ für die Mehrsprachigkeit.

Die Argumente für mehr Französisch in Brüssel wirken auf den ersten Blick nachvollziehbar. Doch was als nobler Feldzug im Namen der kulturellen Diversität und der Bürgernähe präsentiert wird, ist in Wirklichkeit ein eitles Nachhutgefecht. Macron, der im April für seine Wiederwahl kämpft, will dadurch ein Stück einstige Grandeur wiederherstellen. Paris geht es nämlich nicht wirklich um Mehrsprachigkeit, sondern vor allem um die Nostalgie der frankofonen EU-Vorherrschaft.

Macrons Vorstoß ist dabei nicht nur eitel, sondern droht die historische Chance zu vermasseln, vor der die EU derzeit steht. Denn durch den Brexit kann die englische Sprache endlich zum neutralen Werkzeug aller Europäer werden. Anders als Deutsch oder Französisch ist Englisch seit Anfang 2021 nicht mehr die Sprache eines großen Mitgliedstaats. Wenn in Brüssel auf Englisch verhandelt oder debattiert wird, hat nunmehr nur eine geringe Zahl von Sprechern (lediglich die Iren und Malteser) einen Vorteil.

Für die Schaffung einer europäischen Öffentlichkeit, die notwendig ist, damit die Europäer politisch zusammenwachsen, ist die englische Sprache demnach ein ideales Einigungsinstrument. Die meisten Jugendlichen des Kontinentes beherrschen sie durch YouTube, Popmusik und Netflix ohnehin schon (zumindest passiv).

Der Gebrauch der englischen Sprache muss dabei entdramatisiert werden. Anders als die Franzosen es suggerieren, handelt es sich bei der Adoption der englischen Sprache im Umgang mit EU-Mitbürgern keineswegs um einen Verrat an der eigenen Muttersprache. Und das EU-Englische, das manchmal wegen seiner vermeintlichen Holprigkeit als „globish“ belächelt wird, ist auch keineswegs ein „Sprachenersatz, durch den unser Denkhorizont eingeschränkt wird“, wie Clément Beaune noch sagt.

Im Gegenteil: EU-Englisch hat das Zeug, eine Supersprache zu werden. Etwa indem sie mit Erfahrungen, Wörtern, Ausdrücken und Akzenten aus 27 kulturell diversen Ländern bereichert und mit Stolz gesprochen wird. Dies zu begreifen und zu fördern, wäre wohl richtig kühn - anders als der nostalgische Blick in den Rückspiegel.

Kontakt: diego.velazquez@wort.lu

Wort 29.12.2021

kielce, saarland, deutsch, frankophonie, luxembourg, wort, finnland, sprache

Previous post Next post
Up