Sep 01, 2021 20:09
„Ich würde definitiv nicht in Kryptowährungen investieren“
Der Kulturwissenschaftler Michael Seemann beschäftigt sich mit der Macht von Internet-Plattformen wie Facebook, Google oder Uber. Ein Gespräch über Konzentrationsprozesse im Netz und den Nutzen von Blockchains.
Text und Interview: Christoph Koch
Michael Seemann, 44, ist Kultur- und Medienwissenschaftler, Blogger, Podcaster und unterrichtet an der Universität zu Köln sowie der Universität der Künste in Berlin. In seinem aktuellen Buch „Die Macht der Plattformen - Politik in Zeiten der Internetgiganten“ beschäftigt er sich mit dem Wesen dieser neuen ökonomischen Großmächte. 2016 war er Sachverständiger zum Thema Plattformregulierung im Bundestag.
• Egal ob Kommunikation in den sozialen Medien, Hotelbuchung oder Partnerschaftsanbahnung - unser Leben scheint ohne Plattformen nicht mehr zu funktionieren. Warum eigentlich? Und was macht eine Plattform aus?
Laut dem Kulturwissenschaftler Michael Seemann haben Plattformen sowohl Merkmale von Märkten als auch von Unternehmen und Staaten. Sie sind alles und zugleich nichts davon. Es handele „sich nicht einfach nur um eine neue Technologie oder ein neues Geschäftsmodell (…), sondern um nicht weniger als ein eigenständiges Strukturparadigma sozialer Organisation, das neben Markt, Staat und Unternehmen eine eigene Kategorie beansprucht“, schreibt Seemann in seinem aktuellen Buch.
Vereinfacht gesagt, erleichtern Plattformen den Austausch. Ebay sorgt dafür, dass auch Käufer und Verkäufer von Raritären zueinanderfinden. Airbnb bringt Leute, die ein leeres Zimmer haben, mit solchen zusammen, die eine Übernachtungsmöglichkeit suchen. Die eigentliche Interaktion findet zwischen dem Gast und der Gastgeberin statt, die Plattform dient lediglich als Vermittlerin. Doch ohne sie hätten beide Parteien vermutlich nie zueinandergefunden.
Neu ist das Geschäft nicht. Vor Ebay gab es die Kleinanzeigen der Zeitung, vor Uber die Taxivermittlung und vor Airbnb die Touristeninformation. Doch Internet und Smartphones haben die Reichweite solcher Angebote enorm gesteigert, die Benutzung stark vereinfacht und das Prinzip so auf eine andere Ebene gehoben.
Plattformen können wachsen, indem sie mehr Kunden gewinnen, ihr Geschäft ausdehnen oder aber von anderen Plattformen überwölbt werden. Ein eindrückliches Beispiel ist Instagram: Die Foto-App erlaubte es Menschen, ihr bei Twitter mühsam aufgebautes Netzwerk, ihren Social Graph, mitzubringen. Deshalb war die App aus dem Stand erfolgreich. Hinzu kommen Netzwerkeffekte: Je mehr Menschen sich bei einem Anbieter versammeln, desto größer ist der Nutzen für die oder den Einzelnen.
Die Macht einer Plattform hängt Seemann zufolge außerdem stark von der Frage ab, wie stark sie das kontrollieren kann, was auf ihr geschieht. Er nennt drei Typen: „Zum einen gibt es Protokollplattformen wie E-Mail. Dann gibt es Schnittstellenplattformen, also beispielsweise den PC, Betriebssysteme wie Windows oder iOS oder Programmiersprachen. Und drittens gibt es Dienste- plattformen, Whatsapp, Amazon, Uber, Airbnb - jene Plattformen, von denen wir heute meist reden.“ Letztere hätten die größte Souveränität. „Sie können am besten kontrollieren, wer sie wie nutzt. Man kann niemanden davon abhalten, eine Mail-Adresse zu haben, aber Twitter kann jemanden sperren, ihm also die Nutzung der Plattform untersagen.“
Wegen der großen ökonomischen Vorteile schreitet die Plattformisierung vieler Branchen voran, mittlerweile auch in der Finanzwelt. Die Deutsche Bank will sich schon seit einigen Jahren zur Plattform wandeln (siehe auch brand eins 06/2018: „Von Geldhäusern zu Marktplätzen“) . Moderne Trading-Plattformen wie Etoro oder Naga erlauben es Anlegern, die Portfolios erfolgreicher Händ-ler oder Fonds zu kopieren. Und Crowdlending-Plattformen wie Smava oder Aux- money wollen das Kreditwesen zu einem Vermittlungsgeschäft zwischen Gläubigern und Schuldner umstruktuieren.
Das größte Projekt sind Kryptowährungen wie Bitcoin oder Ethereum. Was hinter ihnen steckt, erläutert Michael Seemann im Interview.
brand eins: Herr Seemann, sind klassische Währungen wie der Euro oder der Dollar eigentlich auch Plattformen?
Michael Seemann: Die klassische Währung ist eine Schnittstellenplattform. Sie wird von einer einzigen Instanz, der Notenbank definiert. Das ist wichtig, damit das System funktionieren kann.
Genau das wollen Kryptowährungen wie Bitcoin ändern.
Kryptowährungen versuchen, Geld von einer Schnittstellen- zu einer Protokollplattform zu machen. Das heißt, dass nicht mehr eine einzelne Instanz entscheidet, sondern dass unterschiedliche Akteure wechselseitige Vereinbarungen treffen. Gerade bei Bitcoin ist es das erklärte Ziel, die Souveränität der traditionellen Währungen zu brechen. Der Vorwurf lautet, die Zentralbanken hätten zu viel Macht und diese soll dezentralisiert werden.
Was spricht dagegen, Macht gleichmäßiger zu verteilen?
Natürlich ist es legitim, Macht zu dezentralisieren. Die Frage ist allerdings, ob dies bei Währungen sinnvoll wäre. Dank zentraler Kontrolle lassen sich beispielsweise bestimmte Transaktionen rückgängig machen, die fehlerhaft oder betrügerisch waren. Man kann Geldwäsche und Terrorfinanzierung unterbinden. Und man kann mithilfe der Zentralbanken politisch agieren, also beispielsweise Anreize für Investitionen schaffen. In der Protokollvariante würde so etwas nicht mehr funktionieren.
Aber bedeutet Dezentralität nicht auch mehr Transparenz und Teilhabe?
Es gibt ganz klar zu wenig Transparenz in unserem Finanzsystem. Wer hat welche Gelder, wohin fließen sie, wer nimmt darüber welchen Einfluss? Aber das würde durch dezentrale Kryptowährungen nicht besser, sondern schlimmer. Dezentralität wird als Allheilmittel gesehen, aber sie ist oft nicht von Dauer.
Bestes Beispiel ist das Internet als solches: Es ist schon lange nicht mehr das dezentrale Netz, als das es gegründet wurde, sondern wir sehen extreme Konzentrationsprozesse. Die Kernbereiche des Netzes und die Leitungen sind in der Hand von wenigen Anbietern. Wir sehen lokale Monopole von Internetprovidern und auf einer höheren Ebene haben Google und Facebook eine riesige Marktmacht und letztlich ihre privaten Netze. Auch Kryptowährungen sind offiziell dezentrale Plattformen, aber alles an ihnen strebt nach Zentralisierung.
Das müssen Sie erklären.
Die großen Kryptowährungen wie Bitcoin basieren auf etwas, das sich Proof of Work nennt, Arbeitsnachweis. Damit ist gemeint, dass man für das Ausführen von komplizierten Rechenoperationen belohnt wird, also für das sogenannte Mining. Doch da kommen Skaleneffekte zum Tragen, denn ein Rechenzentrum mit 100 000 Mining-Computern ist um ein Vielfaches billiger als 100 000 Einzelrechner. Das Mining konzentriert sich also in den Händen einiger weniger großer Player. Das ist bei Kryptowährungen, die auf dem Blockchain-Prinzip basieren, besonders problematisch.
Warum genau?
Weil deren Sicherheitskonzept darauf beruht, dass die Datenbank dezentral ist und jeder Teilnehmer eine Kopie dieser Blockchain hat. Deshalb kann sie offiziell von niemandem manipuliert werden. Wer jedoch mehr als 50 Prozent der Rechenleistung des Netzwerkes aufbringt, kann eben doch Manipulationen vornehmen und beispielsweise dieselben Coins zweimal ausgeben.
Bei Bitcoin und vielen anderen Kryptowährungen liegt diese Mehrheit an der sogenannten Hashing-Power schon längst in den Händen von einigen wenigen, und diese Währungen leben deshalb jetzt schon von deren Goodwill. Erschwerend kommt hinzu, dass auch in den sogenannten Exchanges, also den Tauschbörsen, wo Kryptowährungen gehandelt werden, immer mehr Zentralisierung zu beobachten ist.
Warum ist das problematisch?
Große Krypto-Handelsplattformen wie Binance oder Coinbase können die Kurse massiv beeinflussen. Beim jüngsten Crash im Frühjahr waren beispielsweise einige von ihnen zeitweise offline, offiziell aus technischen Gründen. Aber damit wird dann eben auch verhindert, dass Menschen ihre Kryptowährungen verkaufen und der Kurs weiter absackt.
Zudem gibt es noch unberechenbare Figuren wie Elon Musk, der mit einem Tweet den Bitcoin-Kurs um 20 Prozent steigen oder sinken lassen kann. Wer da von einer dezentralen Plattform spricht, die von Einzelnen nicht mehr beeinflusst werden kann - den kann ich nicht ernst nehmen.
Die meiste Kritik gibt es wegen der katastrophalen Umweltbilanz. Zu Recht?
Der Energieverbrauch ist massiv und liegt in dem verschwenderischen Ansatz von Proof of Work begründet. Nur wer zuerst eine komplexe Rechenaufgabe erfüllt, darf der Blockchain neue Blöcke hinzufügen. Aber auch mit anderen Methoden bliebe der grundsätzliche Ansatz der Blockchain unpraktisch: Wenn ich für eine einzige Transaktion nicht einen Eintrag in einer zentralen Datenbank ändern, sondern Mil- lionen von verteilten Datenbanken anfassen muss, ist das ineffizient.
Was ist von den zahllosen Start-ups zu halten, die ankündigen, sie wollten eine Anwendung auf der Blockchain nachbauen?
Die Blockchain ist einerseits die langsamste Datenbank der Welt, andererseits kommt auch sie ohne Kontrolle nicht aus. Wenn beispielsweise jemand sagt, er möchte Uber nachbauen, aber mit Blockchain-Technologie, dann muss trotzdem jemand überprüfen, ob Fahrer A Kunde B wirklich von C nach D gefahren hat und ihm deshalb eine Bezahlung zusteht. Man darf ja nicht einfach irgendetwas ungeprüft in die Blockchain reinlügen. Für diese Überprüfung braucht es doch wieder eine zentrale Instanz.
Gibt es überhaupt sinnvolle Anwendungen?
Ich sehe sie derzeit nicht. Oft ist auch gar nicht klar, welches Problem eine Blockchain lösen soll. Wenn jemand sagt, er will eine Blockchain-Version von Facebook bauen, dann muss er sich fragen lassen, was sich dadurch verbessern soll. Dass Facebook eine zentrale Datenbank hat, die das Unternehmen gegebenenfalls manipulieren könnte, ist doch aktuell nicht das wirkliche Problem an Facebook!
Der einzige positive Effekt, den ich an der Blockchain-Technologie sehe, ist, dass allein durch den Hype vielleicht Dinge digitalisiert werden, die vorher mangels Bereitschaft und Finanzierung nicht digitalisiert worden sind. Würden sich Blockchain-basierte Standards für Lieferkettenlösungen etablieren, könnten diese eine Zukunft haben. Aber nicht wegen der Blockchain, sondern weil es noch keine konkurrierenden Standards gibt.
Hat der Bitcoin Ihrer Ansicht nach Zukunft?
Der Versuch, Bitcoin als Währung zu etablieren, ist klar gescheitert. Man kann theoretisch damit bezahlen, aber der Kurs ist viel zu instabil, als dass das sinnvoll wäre. Kryptowährungen sind kein Zahlungsmittel, sondern eine Anlageform. Aber auch da funktionieren sie nur begrenzt: Wie bei einem Schneeballsystem steigt ihr Wert nur, solange es immer wieder neue Investoren gibt. Wenn dieser Zustrom abebbt, weil irgendwann jeder von seinem Friseur den Anlagetipp Bitcoin bekommen hat, dann bricht dieses System in sich zusammen.
Zudem brechen regulatorisch harte Zeiten an: zum einen aus klimapolitischen Gründen, zum anderen aufgrund der immer massiver werdenden Cyber-Kriminalität. Die Bedrohung durch Erpresser-Software wird erst durch Kryptowährungen richtig lukrativ. Inzwischen hat die US-Regierung Ransomware zu einer nationalen Sicherheitsbedrohung erklärt. Das deutet darauf hin, dass die regulatorischen Daumenschrauben weiter angezogen werden.
Ich bin wirklich nicht der Typ, der Investment-Tipps gibt. Aber ich würde definitiv nicht in Kryptowährungen investieren. ---
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