Schnauze Auto-Aggression: Das Design der neuen Vehikel von BMW und anderen Premiummarken offenbart

Oct 02, 2020 10:05

Schnauze

Auto-Aggression: Das Design der neuen Vehikel von BMW und anderen Premiummarken offenbart Gewaltbereitschaft wie große Ratlosigkeit

Von Gerhard Matzig

Der Guinea-Pavian gehört zu den Backentaschenaffen, er liebt Savannen. Die Internationale Automobil-Ausstellung gehört nicht zu seinem Lebensraum. Auch sonst hätte sich der Pavian kaum für die „Monsterniere“ interessiert, die sich Adrian van Hooydonk als BMW-Chefdesigner für die Front des neuen 4er-Modells ausgedacht hat.

Warum? Weil der Guinea-Pavian das Zusammenleben auch ohne Imponiergehabe und einer „Lichtgrafik“ der Heckleuchten organisiert, die an den „menschlichen Herzschlag“ erinnern soll, aber doch nur das Übermenschliche einer kampfbereiten Maschine illuminiert. Die Savanne ist unserer Zivilisation an Gelassenheit weit überlegen.

Als Studie ist die Kühlergrillwucherung seit der IAA bekannt. Geleakt wurden paparazzohafte Bilder im Frühjahr, offiziell vorgestellt wurde das Design im Juni - und jetzt erobert die BMW-Niere unseren Lebensraum. Das ist, wie man weiß, die Straße und also der Stau, wo auch schon Audi und Mercedes so gewaltbereit wie ratlos herumstehen. Der neue 4er wird von BMW raubtierhaft, auf Beute lauernd inszeniert. Er sagt, was sonst Greta Thunberg sagt: „I want you to panic.“

Das gilt zunehmend für das Autodesign der letzten Jahre. Die Autoindustrie, der man eigentlich die Daumen drückt, weil man Autos und ihre grandiose Technik- und Ästhetikgeschichte verehrt und weil man die individuelle Mobilität trotz Greta für eine Errungenschaft nicht nur der Moderne, sondern auch der Zukunft hält, befindet sich in einer immer irrer werdenden Aufrüstungsspirale ornamentaler Selbstüberhöhung. Die Monsterniere nun ist ein Höhepunkt.

Dem abartig vergrößerten Kühlergrill steht man gegenüber wie einer Wand wahnhafter Wehrkraft. Die Niere definiert bei BMW seit den Dreißigerjahren den zweigeteilt abgerundeten Kühlergrill. In der BMW-Historie wurde sie immer wieder breiter oder schmäler, niedriger oder höher. Die Formevolution ist selbstverständlich. Nun aber will man aus dem Auto auch ein Monsterauto machen. Monstertrucks mit bizarr aufgedunsenen Bauteilen kennt man aus amerikanischen Showveranstaltungen. Es sind die Bestiarien der Mobilitätsgeschichte. Das exotisch Monsterhafte hat jetzt den Autosalon von nebenan erreicht, wo sich die Sammlung von Alltagsvehikeln ausnimmt wie der Fuhrpark des Marvel-Universums. BMW baut jetzt das Batmobil, ersetzt aber den Turbinengrill durch die Monsterniere.

Möglicherweise lassen sich auf diesem Grill Rinderhälften grillen? Oder er dient dazu, überfahrene Hindernisse - etwa kleine Schulkinder - zu häckseln? Man weiß es nicht. Was man weiß: Wie sich beim BMW M 4 Competition Coupé zusammen mit dem „M Race Track Paket“ die bereits regelhaft vorhandenen 510 PS zu noch mehr „Topspeed“ entfalten lassen.

„Die Rückkehr“, heißt es im BMW-Konfigurator, „zu Parametern, die für Fahrsicherheit im öffentlichen Straßenverkehr ausgelegt sind, ist … möglich.“ Kann es sein, dass so ein Auto entweder bei illegalen Rennen, auf Rennbahnen oder auf dem Terrain der Poserei zu sich findet? Und wäre dann eine Theorie im Sinne Luhmanns Alltagspraxis, wonach das Auto in der Mobilitätskrise, die eine Krise des Massenprodukts und des begrenzten Raumes ist, nur noch als derart überzüchtetes Unikat überleben kann?

Das gilt zumindest dann, wenn sich die verachteten Parameter des öffentlichen Straßenverkehrs irgendwann erledigt haben. Schon jetzt steht man abseits solcher Szenarien, die sich futuristisch geben, aber doch nur in die Vorgestrigkeit des Futurismus führen, ratlos vor einem Stück Autoerektionsdesign, das offensichtlich nur eines will: verstören. Die Futuristen, die in ihrem faschistoiden Manifest das Automobil als Zukunftsversprechen ausdeuteten, schrieben begeistert über Hunde, „die sich unter unsere brennenden Pneumatiks“ legen wie der Hemdkragen unter das Bügeleisen. Auch deshalb: Ein Rennwagen sei schöner als eine antike Skulptur. Vieles, was einem heute als Concept Car aus der vorgeblichen Zukunft der Automobilität begegnet, erinnert fatal in genau diesem Sinn an die rasend immobilen Skulpturen des Futuristen Umberto Boccioni, der wie andere Futuristen am neuen Menschen- und Gesellschaftsbild knetete. Die BMW-Niere hat ihren Platz darin.

Längst dient nicht mehr nur der Kühlergrill eines Autos dem Kühlen des Motors. Die meisten Pkws saugen die Luft, die sie benötigen, von unten an. Nur sehr sportliche Autos brauchen auch mehr Luft. Bei elektrisch betriebenen Fahrzeugen wird der Kühlergrill obsolet. Die Kühlerfigur, die für Rolls Royce erfunden wurde, heißt „Spirit of Ecstasy“. Der Geist der Ekstase ist es, von dem die neue BMW-Niere noch immer erzählt, weil sie, obschon der Kühlergrill fast zum Blinddarm wurde, ohne dieses Narrativ nicht auskommt. Der überdimensionierte Grill ist sinnlos. Bezeichnend für das Autodesign von heute ist, dass Dinge, die fast nicht mehr gebraucht werden (zum Beispiel auch übergroße Auspuffrohre), paradoxerweise ins Krankhafte wuchern.

Was aber für die eine Fraktion in den sozialen Netzwerken eine Design-Straftat ist, die Monsterniere, die ins Reich des Krankhaften weist („was ist in die gefahren?“), ist für die anderen eine Großtat („mutig, endlich einmal etwas anderes“). So oder so: Fast alle Autohersteller (außer etwa den luziden Tschechen von Škoda) leben phänomenologisch von der Droharchitektur. Wenn es evolutorisch nun so weitergeht, gerät die nächste IAA zum bevorzugten Habitat für Primaten, die dann aber absolut nicht so gechillt sind wie der Guinea-Pavian.

Um herauszufinden, was denn „in die“ gefahren ist, wie in den an sich zivilisierten Adrian van Hooydonk, ruft man einen Experten für Autodesign an. Paolo Tumminelli heißt er. Über Autos, die gestisch mit den Augen rollen, die Krallen ausfahren, die fauchen und das Maul auch sonst aufreißen, hat er eine Studie verfasst: „Aggromobile - A Semiotic Analysis of Automobile Faces“. Darin weist er nach, wie aus der Gestaltung von Autos eine immer gespenstischere Zurüstung wurde: mit Fahrzeugen, die immer bösartiger in die Welt gucken. Die Autoaggression wurde zum Normalfall. Das Auto als Sehnsuchtschiffre und Antwort der Gegenwart auf die gotischen Kathedralen (Roland Barthes) gibt es nicht mehr. Es herrscht die Ästhetik der Angst. Paolo Tumminelli sagt allerdings, dass Männer wie Frauen Autos heutzutage besonders dann attraktiv finden, wenn sie „maskulin, muskulös und generell einschüchternd wirken“. Die Hersteller sind nicht allein verantwortlich für die Straße als Kriegsgebiet. Wir, die Konsumenten, gehören dazu. Oder immerhin: viele von uns. Was sagt das über die Gesellschaft, wenn wir alle unterwegs sind wie Hulk?

„Wir haben“, sagt Tumminelli am Telefon, „eigentlich fast keine echten Kleinwagen mehr in Deutschland, denn auch ein Kleinwagen ist heute so groß wie früher die Oberklasse.“ Man sieht das, peinlich berührt, immer dann, wenn sich in der engen Altstadt Adipositas-Autos begegnen wie Sumoringer. Der ADAC hat deshalb gefordert, man solle die kleinen Straßen den großen Autos anpassen. Nicht umgekehrt, was eine lustige, weil im Wortsinne verrückte Idee ist. Abgesehen von der Größe als Einschüchterungskriterium kann Paolo Tumminelli auch nachweisen, wie sich das Autodesign um die Grammatik der Bedrohung bemüht. Er unterscheidet etwa das Prinzip „Maul“ (wozu die Monsterniere gehört), das Prinzip „Pfeil“ oder auch das Prinzip „Ellbogen“. Damit ist zum Beispiel der schmale Aufbau auf einem breiten Unterbau gemeint. Das suggeriert Kraft. Und erklärt auch, warum äußerlich immer größere Autos innen immer weniger Platz bieten. Um den fahrenden Menschen im Wagen und seine Bequemlichkeit geht es nicht. Es geht um den vor Angst schlotternden Menschen vor dem Wagen. Studien zufolge, so Tumminelli, ist es so: Wenn der fahrbare Hulk auf Passanten zurollt, die eine Straße queren möchten, tun sie das möglichst zügig. Die Hau-ab-Gestik ist kein Problem, wenn es um „den einen“ Lamborghini geht, der natürlich kein Peace-Zeichen sein kann. „Lächerlich“, sagt Tumminelli, „wird es, wenn Corsa oder Twingo aussehen, als nähmen sie Anabolika“.

In Tumminellis Studie über Aggromobile gibt es auch das Prinzip „Sturmhaube“. Manche Autos sind so wenig einsehbar geworden durch die veränderte Relation von transparentem Glas und hochgezogenen Blechschürzen, dass sie an Panzerwagen erinnern. Oder an den Totenkopf einer Piratenflagge. Wer will, kann es ausprobieren: Der BMW X5 lässt sich als sportliche Variante und in der Farbe Weiß exakt so konfigurieren, dass die gesamte Frontpartie als Totenkopfzeichen gedeutet werden kann. Auch ein Starwars-Sturmtruppler lässt sich in diesem Design hinter einem Helm vermuten. Derzeit hat man die Wahl: Man kann sich einen Todesstern zulegen oder, in Deutschland ab 2021 und ab 7 000 Euro, den Citroën „Ami“. Das ist ein elektrifiziertes Kleinstauto, 2,50 Meter lang, 1,50 Meter breit und 1,50 Meter hoch. Der Gegenentwurf zum Aggrostyle soll ein Auto für Leute sein, die gar kein Auto mehr haben wollen. Leider sieht der Ami aus wie ein Sitzkissen.

Eine utopische Vorstellung wäre diese: ein Auto für Leute, die weder einen Todesstern noch ein Sitzkissen haben wollen. Sondern ein Auto.

Süddeutsche 2.10.2020

auto, semiotik, semantik, verkehr, psychologie

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