Feb 05, 2007 15:10
Oh dieses Wetter. Da sollte man lieber keinen Hund auf die Straße jagen. Obwohl, Ausnahmen bestätigen jede Regel. Charles war eine solche Ausnahme. Ich würde jeden reudigen Straßenköter in meine Wohnung lassen, bevor Charles jemals wieder über die Schwelle meiner Haustür treten würde. Für alles im Leben gibt es nämlich Grenzen, ganz besonders für Charles. Wenn es nach mir ginge, würde Charles eher heute als morgen das Land gut verpackt, als Expresspaket verlassen. Eigentlich Europa, nein den Kontinent… oder halt, noch besser, den Planeten! Je weiter, desto besser. Hauptsache, Charles kehrt niemals zurückkehrt. Schon der Gedanke, ihm irgendwann im Leben noch einmal begegnen zu müssen, produziert ekelhafte Hautausschläge in meinem Gesicht. Mein Herz beginnt wie wild zu rasen, wenn ich mir vorstelle, nochmals eine einzige Sekunde in seiner Gegenwart verbringen zu müssen.
Man merkt sicher schon, .. Charles und ich haben ein Problem.
Es mussten doch tatsächlich einige Jahre ins Land ziehen, ehe diese Tatsache richtig wahrgenommen habe. Genau genommen waren es fast zehn Jahre lang. Zehn Jahre, in denen ich von Tag zu Tage mehr zu Charles Haustier geworden bin. Wenn ich nicht die Beziehung radikal beendet hätte, wäre ich wahrscheinlich von Charles zum Tierarzt gebracht worden, um mich einschläfern zu lassen.
Obwohl, die ersten drei Tage mit Charles hatten durchaus ihre Reize. Im Nachhinein betrachtet kann ich sogar sagen, dass es in all den Jahren die schönsten Tage waren, die mich unendlich glücklich gemacht haben.
Jetzt ergibt sich sicher die Frage, warum?
Charles hatte noch am Tag nach unserem ersten Treffen einen leichten Autounfall und musste ganze fünf Tage ans Bett gefesselt im städtischen Krankenhaus verbringen. Offenbar waren seine Verletzungen so groß, dass er sich drei Tage davon überhaupt nicht bewegen könnte und vollgepumpt mit Schmerzmitteln fast nur schlafend in diesem Bett lag. Am vierten Tag konnte sich wieder artikulieren und war hellwach. Das Unglück begann schleichend seinen Weg zu gehen...
Wieder stellt sich eine Frage. Wie kann man mit so viel negativer Einstellung fast zehn lange Jahre zu zweit verbringen kann? Hm, ja… aber man stelle sich vor, wie jemand unschuldig verurteilt, zehn Jahre im geschlossenen Vollzug zubringen kann, ohne verrückt zu werden! Mit Freiwilligkeit hat das nämlich nichts zu tun. Gar nichts. Es war eine Zwangssituation, die ich unter Aufbringung aller Kräfte zu einem glücklichen Ende gebracht habe. Charles dürfte, just in Moment, durch die eisige nasse Nacht stiefeln. Seine paar Habseeligkeiten soll er später abholen oder es bleiben lassen. Obwohl ich versucht war, mich anders zu entscheiden, habe ich seine Klamotten nicht öffentlich verbrannt. Ich habe auch Charles leider nicht verbrannt, was mir allerdings noch weitaus schwerer gefallen ist, als seine Klamotten am Leben zu lassen. Die Versuchung, Charles ein für alle Mal auszulöschen, hat mich einen echten Kampf mit meiner bösen Seite ausfechten lassen. Die böse Seite wollte nämlich, dass ich Charles leben lasse, während meine gute Seite allerlei Varianten vorgeschlagen hat, den Rest der Welt vor Charles zu schützen.
Erschlagen? Erstechen? Erwürgen? Ertränken? Erhängen? Der berühmte Fön in der Wanne? Zyankali ins Essen? Eine Giftschlange oder eine Tarantel in seinem Bett? Eine Giftschlange UND eine Tarantel in ihrem Bett? Eine letzte gemeinsame Reise nach Ägypten? An die Ufer des Nil? Ein kleiner Schubs, wenn zwei Dutzend Krokodile Charles gierig ansahen?
Obwohl ich diese Arten von Tieren abgrundtief hasse, sie mich anekeln, war wohl doch mein Hass auf Charles vie größer und ich bekam Mitleid für Krokodile, Taranteln und Giftschlangen. Meinen guten Fön wollte ich auch nicht opfern. Blut in meiner Wohnung musste auch nicht sein. Da würde ich Stunden putzen müssen, um die Spuren zu verwischen. Blieb also mit nur der gewaltlose Rausschmiss. Schade eigentlich. Meine böse Seite hat es nun zu verantworten, wenn Charles den Rest der Welt demütigte. Arme Welt.
Vielleicht erfror er ja in dieser Nacht? War es ein Fehler, Charles nur in Unterhosen bei Temperaturen von unter 15 Grad Minus auszusetzen? Es war kein Fehler. Ein Fehler war es höchstens, dass ich ihm noch diese lächerlichen Stiefel hinterhergeworfen habe. Aber was soll’s.
Viel, viel schlimmer war es da schon, dass ich nicht rechtzeitig mein gespartes Geld in Sicherheit bringen konnte. Wie konnte ich nur so blöd sein und Charles vertrauen? Allein dieser Name verrät Misstrauen. Oder war es einfach nur Dummheit von mir? Uneinsichtigkeit? Oberflächlichkeit? Was auch immer es war - es war für Charles eine Einladung, mich zu ruinieren, die er dankend angenommen hat.
Mein Geld ist futsch. Alles was ich für mich.. für meine sichere Zukunft … für ein neues Auto, eine Weltreise, mein Traum auszuwandern.. WEG! Und wenn ich an diese Fach im Schreibtisch denke, wo sorgfältig Rechnungen gefalten waren, Rechnungen, Zahlungserinnerungen, Mahnungen über diverse Technikartikel, das Spielzeug jeden Mannes, wird mir übel. Statt sich mit dem Geld zufriedenzugeben, nein, man muss meinen Namen, der sauber und rein war auch noch finanziell ruinieren. Er hat meine Unterschrift gefälscht, um bei einigen Institutionen *einkaufen* zu können, die ich nun abzuzahlen habe.
Hatte ich schon erwähnt, dass Charles mich in den vergangenen zehn Jahren mindestens einhundert Mal betrogen hat? Nein? Als ich in meiner Wut über Charles Verschwendungssucht den Keller durchsucht habe, um eventuelle Waren aufzustöbern, die ich vielleicht noch zurückgeben konnte, fiel mir ein unauffälliger Koffer in die Hände. Geschickt wie er manchmal sein konnte, hatte Charles diesen Koffer unter Bergen von überflüssigem Hausrat verstaut. Als ich den Koffer öffnete, purzelten mir unzählige Liebesbriefe seiner verflossenen Liebesdienerinnen entgegen. Anhand der Poststempel auf den Umschlägen erkannte ich, dass mein lieber Charles kaum Zeit verstreichen ließ, wenn’s ums Betrügen ging.
„Liebster! Nie werde ich die heiße Nacht mit Dir vergessen...!“
Knapp hundert Briefe, in denen jedes Mal andere Weiber Charles ihre Liebe bekundeten. Ein Teil dieser Briefe war derartig obszön, dass ich mich fragte, welcher Charles wohl gemeint war. Mein Charles war jedenfalls, wenn er sich denn mal die Zeit nahm, mit mir ein Schäferstündchen verbrachte, die Ausgeburt von Prüderie und Langeweile. Die wenigen Male, die Charles und ich nichtschlafend im Bett verbrachten, würden auch von der freiwilligen Selbstkontrolle FSK ohne jede Altersbeschränkung, in den Videotheken landen können. Die Sendung mit der Maus war dagegen der reinste Schocker!
Betrogen, beraubt, beschissen. Drei Worte, die fast zehn Jahre mit Charles treffend beschrieben.
Eigentlich kann doch nur eine völlig primitive, frigide, dumme und blöde Kuh mit diesem Charles zusammenleben, ohne etwas zu bemerken. Und eigentlich bin ich selbst daran schuld, ich hab es somit nicht anders verdient. Die Schuldige bin ich, dass sehe ich auch ein. Es ist schließlich nicht so, dass ich uneinsichtig bin. Im Gegenteil! Alle Erfahrungen, die ich mit Charles gemacht habe, werde ich in meiner täglichen Arbeit nutzen, um anderen unglücklichen Paaren zu helfen. Nein, ich bin keine verbitterte alte Frau, die sich rächen will.
Ich habe nämlich das Glück, Psychologie studiert zu haben und eine kleine Eheberatung eröffnet, um Paaren in Krisen den rechten Weg zu weisen. Ich weiß nämlich, wovon ich rede...!