Titel: Fünfundzwanzig Mark
Autor*in: Tsutsumi
Fandom: Youtuber/Fewjar
Personen: Lefloid, Frodo(Max)/Jakob
Prompt:"Das ist doch alles nur Kommerz!"
Summary:
Spielt im Universum meines neuesten Hirngespinstes, in dem ich Flo und Frodo nach Ostberlin Anfang der Achtziger Jahre versetzt habe und Jakob in Westberlin lebt.
Dies hier könnte ein Auszug aus etwa ein Jahr nach Beginn der Geschichte sein.
(Und ja, meinen Recherchen zufolge wurde den Westlern auf dem Weihnachtsmarkt am Alex wirklich so eine hohe Summe an Eintrittsgeld abgeknöpft.)
„Fünfundzwanzig Mark?“, rief Flo. Selten hatte Max ihn entsetzter erlebt - und das musste bei Flo echt was heißen.
„Wat soll'n dit heißen, fünfundzwanzig Mark?! Du verarschst mich doch!“
„Jetzt mach doch da nich' so'nen Wind drum.“ Jako winkte schnell ab. Sichtlich verlegen sortierte er seine Eintrittskarte gerade ins Portemonnaie und versuchte dabei, seine Tasche nicht von der Schulter rutschen zu lassen. Max wusste, dass er darin seinen teuren Fotoapparat mit sich herumschleppte.
„Der Weihnachtsmarkt is' kostenlos!“, sagte Flo. Er trat im Schneematsch von einem Bein aufs andere und fror schon wieder. Zugegeben, er hatte unter der Weltzeituhr ziemlich lange auf Max und Jakob warten müssen. Der Andrang am Grenzübergang war heute heftig gewesen, so dass Max wiederum lang auf seinen Westberliner Besuch gewartet hatte.
„Nich' für Nicht-DDR-Bürger“, erwiderte Jako. Er zuckte mit den Schultern.
„Ja, jut, von mir aus!“, rief Flo. „Aber fünfundzwanzig Mark? Das is' doch alles nur Kommerz, und zwar auf deine Kosten! Dit isses echt nich' wert, Keule. Woll'n wa nich' lieber woanders hingehen?“
„Jetz' hatta die Eintrittskarte ja schon jekooft“, erinnerte Max ihn.
Es war das letzte Mal, dass Jako sie in diesem Jahr besuchte und Max hatte keine Lust auf dicke Luft. Jako würde in den Weihnachtsferien in den Südwesten fahren, wo er herstammte, die Feiertage und Silvester bei Familie und Freunden verbringen, weit weg von Berlin.
Flo zog einen Flunsch und vergrub seine Hände tief in den Taschen seiner Jacke.
„Von mir aus. Des Menschen Wille is' sein Himmelreich oder so.“
Der Weihnachtsmarkt auf dem Marx-Engels-Platz war schon gut gefüllt. Man schob sich ein wenig durch die Menschenmenge.
Sie machten eine erste Runde zum Auskundschaften der Fahrgeschäfte und Fressbuden. Dresdener Stollen und Pfefferkuchen, Bratwürste, Riesenrad, gleich daneben die Spinne und das Schlittenfahrt-Karussell.
Flo zog sie zum Auto-Scooter, wo sie eine ganze Weile anstehen mussten.
Jako holte seine Kamera aus dem Beutel und machte klickend ein paar Weihnachtsmarktfotos.
„Findest du dit echt so spannend?“, wollte Max wissen. „Sieht doch bestimmt ooch nich' so viel anders aus, als drüben.“
„Es wirkt anders“, sagte Jako. Seine Mundwinkel zuckten sanft. „Atmosphäre kann man auch auf Fotos einfangen, weißte. Los, stellt euch mal zusammen!“
Max zog Flo an sich heran und sie schnitten - sehr zu Jakos Unwillen - Grimassen, als er sie knipste.
„Muss das sein?“, rief er. „Wie sieht denn dit aus?“
(Manchmal neckte Max ihn mit Absicht ein bisschen, nur damit Jako die niedliche Imitation eines Berliner Dialekts rausholte.)
„Ich bin nich' fotogen.“
„Klar bist du das!“
„He“, mischte sich einer der Autoscooter-Menschen ein. „Wollta nu' fahr'n oder nich'?!“
Flo sprang voraus und griff sich einen der Einsitzer. Sollte er. Er hatte kein Auto, aber Max konnte sich gut vorstellen, was für einen Fahrstil sein bester Freund an den Tag legen würde.
„Frodo, willst du fahren?“
Jako zeigte auf eines der Autos.
„Ja, klar!“
Max sprang in den Fahrersitz. Kaum dass das schnarrende Startgeräusch ertönte, wurden sie schon von hinten gerammt.
Flos dreckige Lache ertönte über das gesamte Fahrgeschäft, als er kurz darauf an ihnen vorbeizog.
Max zog eine Augenbraue hoch;
„Jako, erbitte Erlaubnis, Flo seinen schadenfrohen Arsch abzufahren.“
„Erlaubnis erteilt!“
Und Max trat aufs Pedal.
Sie arbeiteten sich systematisch durch alles durch, was keine Kinderfahrgeschäfte waren (auch wenn Flo einen nicht ganz ernst gemeinten Versuch startete, in eines der winzigen Cockpits der Spinne zu klettern und von einem pikierten Mann der Betreiber dazu aufgefordert werden musste, sofort den Elefanten zu verlassen).
„Wenn Jako so viel Zaster für den Spaß hier hinlegt, müssen wa dit halt richtig auskosten!“
„Ehrlich, Flo, es is' in Ordnung!“
Jako warf in übertriebener Dramatik die Hände in die Luft;
„Es is' Weihnachten, da gibt man halt 'n bisschen Geld aus.“
„Für sinnvolle Dinge vielleicht. Apropos, wollen wa endlich was essen?“
Sie stellten sich für eine Bockwurst mit Senf an, danach für Champignons mit Knoblauchsoße und dann kandierte Äpfel.
Dann holte Jako wieder seinen Fotoapparat heraus. Er machte Bilder von den Buden und den Kinderkarussells, von einem Pärchen, das sich verschwörerisch über eine Bratwurst in einer Schrippe beugte und jeweils von einem der Wurstenden abbiss. Ihre Nasen berührten sich fast.
Max sah ihm dabei zu, bis er in der Menge die beiden Uniformierten entdeckte.
„Steck ma' lieber weg, det Ding“, murmelte er Jako zu und legte eine Hand auf die Kamera.
„Was? Wieso?“
„Vorsichtshalber.“ Er nickte unauffällig in die Richtung der beiden Volkspolizisten, die sich langsam und mit im Rücken verschränkten Armen durch die Menge arbeiteten.
Jakob folgte seinem Blick.
„Aber..ich mach doch nichts Illegales.“
„Weiß ich ja. Aber du bist halt von drüben, und wenn die dich auf'm Kieker haben...“ Max seufzte tonlos.
„Ick will ja nur nich', dass'se dir deinen Film wegnehmen. Du hast doch so schöne Fotos jemacht.“
Vielleicht war er übervorsichtig. Vielleicht würden die VPs es ja sogar gut finden, dass da jemand Fotos von ihrem schönen Weihnachtsmarkt schoss. Aber so richtig wusste man das nicht.
Jakos Blick wurde weicher.
„Na gut“, murmelte er und packte die Kamera wieder ein. „Wollen wir uns noch was zu knabbern kaufen?“
Vor dem Riesenrad machte Flo Halt.
„Keene zehn Pferde kriegen mich da rin!“, sagte er sehr entschieden. Jako zog verwundert die Augenbrauen hoch.
„Du hast Höhenangst?“, fragte er halb belustigt.
„Ick hab keene Höhenangst!“, betonte Flo. „Ick hab Fallangst! Det is'n Unterschied! Kiek doch ma', wie die Gondeln schaukeln!“
„Das muss doch aber so sein.“
Jako verkniff sich merklich das Lachen. Vielleicht war das die natürliche Reaktion, wenn man sonst nur die vorlaute Draufgängerseite von Florian Mundt kannte.
„Geht mal alleene! Los, schuu!“ Flo winkte sie demonstrativ weg von sich und zum Riesenrad hin. „Ick hol mir 'nen Glühwein oder so.“
Max konnte nicht sagen, dass es ihn sonderlich störte, dass Flo sie zu zweit alleine in eine der Gondeln steigen ließ. Er war selbst kein riesiger Fan von Riesenrädern. Wenn es zu sehr schwankte, wurde ihm schnell schlecht. Oh Gott, hoffentlich wurde ihm hier nicht übel. Das letzte, was er wollte, war, Jako in den Schoß zu kotzen.
Der Mann vom Riesenrad verriegelte ihre Gondel und sie stiegen sanft in die Höhe. Man konnte die Straßenkreuzung neben dem Weihnachtsmarkt überblicken, den Alex nebenan und all die Menschen, die dort unten herumwuselten. Max suchte kurz nach Flo in der Menge, doch mit seinen schwarzen Klamotten würde er den nie finden.
„Frodo?“
„Hm?“
„Guck mal freundlich.“
Er wandte sich herum. Jako saß ihm gegenüber und hatte seinen Fotoapparat schon wieder hervorgeholt, nur um damit auf Max zu zielen.
„Und ich meine freundlich. Nich' wieder so komisch wie vorhin!“
„Aber ick seh besser aus, wenn ich komisch gucke!“, verteidigte Max sich. „Ick bin halt 'n komischer Typ!“
„Ich weiß, dass du das bist. Aber ich möchte auch mal 'n Bild, auf dem du einfach aussiehst wie du.“
Irgendetwas in Max' Bauch kitzelte, als Jako das sagte. Sein Freund wollte ein Foto von ihm. Um ihn anzugucken.
Er lehnte sich so entspannt er konnte, auf der Plastesitzbank der Gondel zurück und lächelte. Zumindest bildete er sich ein, dass er das tat. Jako schien damit zufrieden zu sein. Er drückte ab und man konnte die Blende sich öffnen und wieder schließen sehen.
„Gib ma' her!“, forderte Max ihn auf. „Dann will ick nämlich aber ooch 'n Foto von dir.“
Jako stellte ihm die richtige Belichtung ein und gab ihm den Apparat. Durch den Sucher der Kamera sah er noch schöner, noch weicher aus als ohnehin schon. Wie machten diese Geräte das nur? Max stellte ihn scharf und betrachtete ihn kurz, bevor er das Foto schoss. Die langen, zum Zopf verknoteten Haare, die unter seiner Wollmütze hervorschauten, seine dunklen Augen, sein schmaler Mund.
Max drückte ab. Dann gab er Jako den Apparat wieder.
„Is dit wirklich in Ordnung jewesen?“, fragte er, nachdem sie kurz geschwiegen und in Gedanken versunken nach unten geschaut hatten.
„Was?“
„Dit mit den fünfundzwanzig Mark.“
Jako verzog seinen Mund zu einem Grinsen;
„Ach Frodo. Ich weiß, Flo und du, ihr teilt euch manchmal ein Gehirn, aber du musst nich' übertreiben. Ich bin gern hier. Das weißt du.“
„Ja, weiß ich schon. Aber wir hätten uns ooch einfach bei mir zu Hause treffen können. Wäre ja weniger kostspielig für dich jeworden.“
„Na ja. Aber...“ Jako beugte sich etwas vor. „Es is' Weihnachten. Ich wollte was Besonderes machen. Und wenn wir uns jetzt wahrscheinlich eine Weile nich' sehen...“
Die Sache war, dass Max nie wusste, ob und wann er Jako wiedersehen würde. Er hatte schon davon gehört, dass Leuten aus Westberlin die Einreise unter irgendwelchen fadenscheinigen Gründen verweigert wurde, obwohl man den behelfsmäßigen Berliner Personalausweis hatte, obwohl man den Berechtigungsschein für ein Tagesvisum hatte. Davon gab es ohnehin nur dreißig im Jahr. Vielleicht würde irgendwann irgendjemand herausfinden, was genau Jako hier anstellte. Oder vielleicht fand irgendwann jemand einfach, dass er zu oft hierher kam.
Jako wandte seinen Blick zurück zu seinem Beutel und er fischte etwas hervor.
„Übrigens, hier“, murmelte er. „Verfrühtes Geschenk.“
Er hatte sie in buntes Geschenkpapier eingewickelt, aber es war offensichtlich, dass es eine Kassette war. Eines von Jakos „Mix-Tapes“, wie man das drüben nannte. Solche hatte er Max schon oft mitgebracht und Max hatte sie manchmal mit seinen eigenen Mixen überspielt. Er empfing die Westberliner Radiosender natürlich, aber die Kunst war, die Lieder in die perfekte Reihenfolge zu bringen. Jako war gut darin.
„Ach, dit wär doch nich' nötig gewesen“, sagte Max. „War ich nich' mit Mixen dran? Ick hab doch deine Kassette noch.“
„Das hier is' 'n bisschen was anderes.“
„Was anderes...?“
Die Gondel bewegte sich wieder bergab und wurde langsamer. Sie hatten komplett die Zeit vergessen.
Der Mann von eben kam zurück und machte sich daran, die Tür ihrer Gondel zu entriegeln.
„He, Meister!“ Max fischte schnell Kleingeld aus seiner Jackentasche und hielt es dem Mann hin.
„T'schuldigung für den Aufwand, aber können wa noch 'ne Runde fahr'n, bitte?“
Der Kerl guckte genervt, doch er nahm das Geld und ließ von der Verriegelung ab.
Erst als sich das Riesenrad wieder bewegte, sagte Jako wieder etwas;
„Mach's auf! Dann wirste sehen, was ich meine.“
„Aber es is' doch noch gar nich Weihnachten.“
„Is' doch egal!“
Max knüpperte vorsichtig die Schleife auf und öffnete das Geschenkpapier.
Jako hatte die Kassette selbst beschrieben. Seine merkwürdige, runenhafte Schrift, die er sich extra ausgedacht hatte, würde Max überall erkennen.
„Warte mal... da is' deine Musik drauf??“
„Nich' nur meine.“
Er hatte ziemlich groß Fewjar auf den Seiteneinband der Kassette geschrieben. Endlich würde Max etwas von der Band seines Freundes hören können, würde den sagenumwobenen Felix und Andre indirekt kennenlernen.
Er wäre vermutlich der erste Ossi, der diese Band hören durfte.
Er sah auf und Jako betrachtete ihn mit diesem seinen weichen Lächeln.
„Ich hoffe, es ist nicht zu langweilig“, sagte er.
Das Riesenrad blieb stehen. Ihre Gondel war nun am oberen Zenit angekommen.
Max warf einen prüfenden Blick aus ihr hinaus. Links und rechts von ihnen waren die Gondeln leer. Niemand würde sie hier sehen.
„Nix an dir is' langweilig“, murmelte er, steckte die Kassette sicher in seine Tasche weg und rutschte auf der Sitzbank vorwärts, fasste Jako bei den Ärmeln seiner Jacke. Jako kam ihm entgegen, ihre Beine verschränkten einander und dann konnte Max ihn küssen.
Jako legte ihm zärtlich eine Hand an die Wange. Er schmeckte nach Pfefferkuchen und entfernt nach dem Rauch seiner Zigaretten, aber warm, warm warm.
Und wie so oft wünschte sich Max, dass er und sein Freund nicht durch eine Mauer, eine Grenze, eine ganze Welt getrennt wären, dass sie sich nicht auf dreißig Tage Beisammensein im Jahr beschränken müssten.
Aber auf der anderen Seite war das hier besser als gar nichts. Er hatte jetzt eine ganze Kassette Jako für sich, mit der er die Zeit bis zum nächsten Mal überbrücken würde können.