Feb 12, 2009 09:51
V. Grad eben warn wir noch total entspannt
Bela und Farin hatten nach einem kurzen Wortwechsel nüchtern aber einig beschlossen, dass es ihnen ihre altersbedingten Gebrechen gar nicht erlaubten, bei gegebenen Temperaturen weit unter der Nullgrenze mehr als eineinhalb Stunden auf einem ungemütlichen, wenn auch übertrieben modernen Bahnhofsgleis zu verbringen. So machten sie sich auf die Suche nach einem Imbiss, der ihren Highsociety-Ansprüchen gerecht war. Eine entsprechende Sushibar war zwar schnell eine festgelegte Sache, diese zu finden war für die beiden Urberliner auf dem hochtechnisierten Betonklotz von Hauptbahnhof aber eine wahre Mission Impossible. Sie kamen sich in ihrer Orientierungslosigkeit reichlich blöd vor und gewannen sich gegenseitig ein schiefes Grinsen ab, als sie gleichzeitig einen Fluch ausstießen, weil sie auf ihrer bootlosen Irrfahrt zum dritten Mal die Filiale einer FastFood-Kette kreuzten, deren seltsames Maskottchen (ein Clown in geschmackvollem orange-rot-weiß) ihnen undefinierbare Fleischklopse zwischen Quietschebrötchen für wahre Unsummen anbot.
„Die vermehren sich…“
„Oder es verfolgt uns…“
…
„Wir könnten ja mal rein gehen.“
Bela spürte den entsetzen Blick und verdrehte die Augen, „Warum musst du auch immer so pingelig sein? Die paar Geschmacksverstärker werden dich auch nich umbringen, oller Öko. Mit der Band war ich ständig bei denen.“
Plötzlich war es wieder still um sie herum, der Gang auf dem sie standen schien sich schlagartig zu leeren, sie waren ganz allein. Die Luft schien sich anzuspannen. Angegriffener als von Bela beabsichtigt blickte der Blonde auf.
„Oh mit DER Band also. Na tut mir ja Leid, dass ich nicht so supergeil drauf bin wie ihr!“ Farin schnaubte. Bela seufzte hörbar.
„Jan, das ist kindisch. Hör auf.“ - Jetzt drehte der Größere sich zu ihm um und Bela sah, dass er die Hände in den Jackentaschen zur Faust ballte.
„Was ist kindisch? Dass ich mich aufrege, dass du mir gegenüber diese Horde Pseudo-Musiker vorziehst, die dich Boss nennen und jeden Abend zwei Stunden lang an dir rum grapschen, damit du sie besser bezahlst???“
Das saß. Bela fand keinen Atem für ein höhnisches Lachen.
„Ach? Das stört dich? Sieh an, auf der Bühne bist du was das angeht doch auch gut dabei, oder?“ Sie standen sich gegenüber wie Raubtiere, bereit, jeden Moment der Provokation ein Ende zu machen und Taten folgen zu lassen. Farin zeigte seine Fäuste jetzt außerhalb der Jacke.
„Zu mehr bist du ja auch schon lange nicht mehr zu gebrauchen! Schlagzeuger, das ich nicht lache! Du solltest vielleicht mehr Zeit mit dem Üben als mit dem Vögeln verbringen! Was du mit dieser Tussi und diesen Typen auf der Bühne abziehst ist einfach nur widerlich!“
Das reichte. Bela sah rot. Das Krachen hallte scheinbar im ganzen Bahnhofsgebäude wieder, als er Farin stieß und dieser mit großer Wucht gegen die Wand neben den bizarren Clown-Aufsteller knallte. Sie sahen sich nach einer gefühlten Ewigkeit in die Augen. Blitze zuckten.
„So siehst du das also ja? Widerlich? DU, der mit nem ganzen Rudel Boxenluder rumtingelt und für jede Kamera den dickeirigen Playboy gibt! Ich lach mich TOT!“
Farins Blick wurde stechend, doch noch hielt seine Fassade. Seine langen Finger bohrten sich in Belas Schultern, schlangen sich langsam um seinen Hals, sein Kopf bestimmte, was er sagte: „Besser Boxenluder inner Band als kleine Mädchen im Bett oder?!“
„Halt die Fresse! HALT DEINE BLÖDE FRESSE!“
Erneut ertönte ein Knall, die beiden Männer schlugen auf dem Boden auf und blindlings aufeinander ein, rissen aneinander, stießen fort, traten, rammten den jeweils anderen auf den harten Fliesenboden des Bahnhofs. Ihre Masken waren gefallen, ihre Gesichter wutverzerrt, sie brüllten sich Phrasen entgegen, wie zwei kämpfende Tiere. Sie rangen miteinander, prügelten sich, und ihr einziges Ziel schien zu sein, den anderen zu verletzen. Der ganze Frust der letzten Monate, die Angst vor dem, was kam, der Stress, die Spannungen und die Unzufriedenheit mit allem, was passiert war entlud sich in diesem Streit, ausgelöst durch einen völlig banalen Umstand, einen Tropfen, der das Fass zum überlaufen gebracht hatte.
Was ihre Gesundheit anging, so konnten beide von Glück sprechen, denn gerade als Bela wieder einmal die Oberhand hatte, auf Farins Brustkorb sitzend, die Knie gegen die Oberarme drückend, eine Hand gefährlich fest auf dem Kehlkopf und zu einem Schlag ausholte, da schaffte es ein völlig Fremder, zu ihnen durchzudringen.
Eine dunkle Hand hielt Belas Faust fest.
„Hey, kann ich euch helfen?“
Beide hielten inne, der Hass in ihren Augen erlosch. Nüchterne, nichts sagende Blicke blieben zurück. Sie schauten hoch, der große, schlaksige Mann sah fragend auf sie hinab. Er trug dieselbe Uniform wie der Clown, der sie bis hierhin gebracht hatte. Wie selbstverständlich standen sie auf. Farin ging einfach los, sagte nichts weiter, Bela sah ihm kurz nach, murrte dann nur:
„Ne Coke und nen Cheeseburger, Meister…“
Erst auf dem Bahnsteig trafen sie sich wieder. Der Zug fuhr gerade ein und am Bahnhof war so wenig los, dass selbst Bela B. Felsenheimer rechtzeitig heran geschlurft kam, um zuzusteigen. Ein eisiges Schweigen hielt sich in der Luft, doch sie setzten sich nach außen hin wieder völlig gelassen einander gegenüber. Diese Masche konnten sie stundenlang abziehen, bis sich die Wut auf beiden Seiten in Luft aufgelöst hatte, ohne, dass sie miteinander sprechen mussten. Allerdings hatte Bela diesmal eher das Gefühl, mit dem Vorhaben, alles so zu machen wie die letzten Jahre, so einiges zu riskieren. Er sah sehr verdutzt von der sich in Bewegung setzenden nächtlichen Landschaft auf, als sein gegenüber ihm eine für seine Begriffe geradezu himmlisch duftende Papiertüte entgegen schob, von der ihn das berühmte goldene M anleuchtete. Kurz sah er hinein. Ein Cheeseburger und ne Coke…
Nach dem Streit war ihm der Appetit vergangen und er hatte den dunkelhäutigen jungen Mann im Clownskostüm mit dem Essen einfach stehen gelassen. - Statt dessen hatte er etwas anderes gesucht und gefunden. Nun schob er Farin auf dieselbe unbeteiligte Art eine Plastikbox voll Maki Sushi entgegen. Beide hatten nach der Auseinandersetzung tatsächlich nur an den anderen gedacht…
Unter beschämtem aber friedlichem Schweigen begannen die beiden nun doch recht hungrigen Männer, wie zwei kleine Jungen nach einer Prügelei, oder ein Ehepaar nach einem ausgedehnten Zoff, vor sich hin zu kauen.
Tatsächlich schien Liebe an dieser einen Stelle durch den Magen zu gehen, oder es lag tatsächlich einfach an der simplen gegenseitigen Geste, völlig egal, wie Bela fand. Schlussendlich verließen sie, noch immer sehr schweigsam, aber völlig ruhig und entspannt, und diesmal nicht nur nach außen hin, den Wagon. Er stellte im Stillen fest, dass er Züge langsam aber sicher satt hatte und als könnte er seine Gedanken lesen, fuhr der Blonde ihn ganz ohne zu fragen mit dem Auto nach Hause, denn er war nicht wie Bela mit dem Taxi zum Bahnhof gekommen. Überhaupt benahm er sich äußerst rücksichtsvoll, half, Belas Koffer in den Kofferraum und selbst auf dem Beifahrersitz zu platzieren (ganz ohne dass dieser sich wie ein Pflegefall fühlte) und schaltete sogar schnell den CD-Player aus, bevor John Lennon dem Älteren „HELP!“ ins Ohr brüllen konnte; Alles schien sich zu beruhigen. Irgendetwas in Bela, vermutlich einmal mehr sein mehr oder minder allwissendes Bauchgefühl, sagte diesem allerdings, dass der Tag noch nicht zu Ende war. Erst skeptisch, seinem sechsten Sinn aber dann doch lieber einfach blind vertrauend, wartete Bela ab, bis der Kombi vor seinem Haus in einem Randgebiet von Hamburg hielt… Sollte er…?
„Also dann…“
„Jan!!“
Er spürte, wie rot seine Ohren wurden, als ihn sein Chauffeur mit hochgezogenen Brauen ansah und betete, dass seine schon zu lang gewachsenen Haare das nötigste verdeckten.
„Ähem… ich sitze hier… also du musst nicht schreien.“, schluckte er? „Was ist?“
„Komm mit hoch.“, purzelten so etwas wie ein Satz aus Belas Mund.
Farin zuckte zusammen, als er wagemutig die Hand auf sein Knie legte, blickte weiterhin zweifelnd drein, nicht ahnend, dass der Kleinere genau so wenig Ahnung hatte, was diese Aktion hier bringen sollte, wie er selbst.
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