Ich sitze mal wieder in Lima am Flughafen. Heute Vormittag bin ich von Arequipa hierhergekommen und jetzt warte ich auf den Flieger, der mich nach Cajamarca bringen soll. Der Aufenthalt in Arequipa war im Hinblick auf die Erhebung von Archivmaterial nicht gerade ergiebig, aber die Stadt gefällt mir einfach unheimlich gut. Das historische Zentrum hat massenhaft Gebäude aus der Kolonialzeit zu bieten, die mir sehr gut gefallen. Sie sind für meine Begriffe durch einen architektonischen Stil gekennzeichnet, der in dieser Form in Lima oder Cuzco nicht anzutreffen ist. Auffällig ist der vulkanische Stein, der zum Bauen verwendet wurde. Als Motive lassen sich häufig Blumen und andere Pflanzen erkennen. Für mich persönlich war es bereits einfach nur schön, durch die Straßen zu laufen und die Gebäude zu betrachten. Dabei gibt es im Zentrum erstaunlich wenig Ampeln und um eine der Straßen zu überqueren, bleibt einem nichts anderes übrig, als den richtigen Augenblick abzuwarten und dann zügig auf die andere Straßenseite gehen, denn in den meisten Fällen kommt bereits ein kleines gelbes Taxi angedüst, dessen Fahrer den Fuß nur leicht vom Gaspedal nimmt, um den Fußgängern einen minimalen Vorsprung zu verschaffen. Arequipa verfügt über eine Unmenge an Kirchen und Klöstern, die man besichtigen kann -darunter insbesondere das knapp zwei Straßenblocks umfassende Kloster Santa Catalina-, innerhalb der Klöster und Kirchen zahlreiche Gemälde, vor allem aus der Cuzco-Schule, und eine Reihe stattlicher Anwesen von Herrschaften weltlicher Macht.
Das Klima ist über das Jahr hindurch relativ konstant von einer trockenen Hitze geprägt. Nachts kühlt es jedoch aufgrund der Lage der Stadt auf 2350 Metern Höhe nicht unerheblich ab. Die ist Luft aus demselben Grund natürlich etwas dünn, aber man gewöhnt sich daran. Für den hellhäutigen Mitteleuropäer, wie ich es bin, empfiehlt es sich angesichts der stärkeren Sonneneinstrahlung eine Kopfbedeckung zu tragen. Doch man sieht auch Peruaner, die zur Mittagszeit eine Zeitung über ihren Kopf halten, wenn sie nicht ohnehin eine Mütze oder einen Hut tragen. Die klimatischen Bedingungen sind außerdem für den Erhalt des Archivmaterials ausgesprochen günstig, wie ich zusammen mit Kollegin M. a.k.a.
lizart am Montag Vormittag im franziskanischen Monasterio de la Recoleta erfuhr, wo wir nach der Besichtigung der enormen Bibliothek ein us-amerikanisches Paar kennen lernten, das sich seit seiner Pensionierung der Katalogisierung des Bestandes dieser Bibliothek widmet und uns über den Zustand der dortigen Bücher aufklärte. Letztere stammen aus dem 15., 16., 17. und 18. Jahrhundert und befinden sich nun in der Obhut eines bibliophilen Paares mit hinreichender Vorbildung, die höchst zufrieden darüber sind, in Arequipa die Möglichkeit bekommen zu haben, derartige Bücher persönlich in Augenschein nehmen zu dürfen, die ihnen in den USA oder in Europa sicherlich nicht zugänglich gemacht worden wären. Nachdem wir ein paar Worte mit Helen und Chris gewechselt hatten, sprachen sie eine Einladung zum Abendessen aus, die wir ohne Zögern annahmen. Es wurde ein netter Abend, bei dem wir uns angenehm unterhielten und verschiedene peruanische Spezialitäten probierten.
Am Dienstag Morgen begab ich mich zum erzbischöflichen Archiv, wo mir jedoch mitgeteilt wurde, dass der Direktor gerade einen Termin wahrnehme, der etwas mehr Zeit in Anspruch nehme. Da ich nichts zu tun hatte, wartete ich dort, um die Rückkehr des Direktors abzupassen. Eine der Angestellten -die größtenteils damit beschäftigt waren, Mitgliedern der Gemeinde diverse Bescheinigungen auszustellen- erkundigte sich genauer nach meinem Thema und brachte mir daraufhin freundlicherweise ein Buch, dass verschiedene Beiträge zum Thema der Christianisierung Perus in der Kolonialzeit enthielt. Der Direktor erschien nach etwa zwei oder zweieinhalb Stunden, sodass ich endlich den erforderlichen Papierkram erledigen konnte, um offiziell die Archivbestände durchsuchen zu können. Dazu sollte ich allerdings eine Straße weiter im Büro des Erzbistums 50 Dollar hinlegen. Ich hatte drei Scheine von je 20 Dollar bei mir und wollte damit bezahlen. Die Angestellte hatte offenbar kein Wechselgeld dafür und verschwand kurz in einem anderen Büro. Bei der Rückkehr an ihren Arbeitsplatz teilte sie mir mit, dass das Erzbistum kein Wechselgeld in Dollar auszugeben pflege; ich möchte doch bitte die entsprechende Summe in Soles zahlen. Also tigerte ich einen Block weit zum nächsten Geldautomaten, kehrte zurück und bezahlte schließlich die Summe von 143 Soles, woraufhin mir ein Beleg ausgestellt wurde, den ich dem Direktor des Archivs vorzulegen hatte, damit ich meinen Ausweis entgegennehmen konnte. In diesem Augenblick war es bereits 12:30 Uhr -das Archiv würde um 13:00 Uhr schließen- und ich hoffte, ich würde die mir verbleibende halbe Stunde dazu nutzen können, einen Index oder ähnliches durchsehen zu können, um mich angemessen auf den folgenden Tag vorbereiten zu können. Doch leider fand die Angestellte den Index, der die Dokumente der Provinz Collaguas beschreiben sollte, nicht. Sie versprach mir jedoch, den Index bis zum nächsten Tag herauszusuchen.
Als ich am nächsten Tag dort aufkreuzte, teilte sie mir mit, dass der Index leider nicht aufzufinden sei. Damit blieb mir nichts anderes übrig als die Bündel einzeln durchzusehen. Meine Arbeit wurde allerdings noch von einem Fernsehteam unterbrochen, das mit dem Direktor ein Interview über die angrenzende Kathedrahle und das Archiv zu machen beabsichtige. Der Direktor schritt durch sein Archiv, präsentierte der Kamera hier und dort ein uraltes Buch und stellte schließlich auch den Studenten aus Deutschland als Beispiel für die Forscher von hoher Qualifikation vor, die das erzbischöfliche Archiv Arequipas aufzusuchen pflegen. Dem folgte ein kurzes Interview mit mir über das Thema meiner Arbeit und über meinen Eindruck von Arequipa und seinen Bewohnern.
Als das Fernsehteam das Archiv wieder verließ, hatte ich nach wie vor keinen für mein Thema wirklich relevanten Fund gemacht. Und ich sollte auch keinen mehr machen … Aber ich hatte die Nachmittage für mich, besichtigte weiter die Stadt, aß leckere Sachen und kaufte mir letztlich einen Pullover aus Baby-Alpaca-Wolle.