Noch nie habe ich versucht, eine fiktionale Geschichte auf Deutsch zu schreiben. Diese sollte allerdings eher ein Geschehnis heißen, da sie kaum eine Handlung hat. Dieses Geschehnis wurde also geschrieben, da ich gestern magenkrank war und nach Ablenkung suchte; seine Bedeutung ist nichtig. Ich lade es hier nur aus historischen Gründen hoch. Grammatische Fehler gibt es ganz bestimmt.
Titel: Abwesenheit
Charakter: Ambassador Spock
Rating: Keine
Zusammenfassung: Die Abwesenheit ist die Achse, worum sich alles dreht.
Das ist nicht Jim.
Das ist einer, der zwar am selben Ort geboren wurde. Im leeren Weltraum ist er geboren. Aber es besteht einen fundamentalen Unterschied. Bei der Geburt von dem, der sich Jim nennt, aber nicht Jim ist, war der Vater abwesend.
Die Abwesenheit ist die Achse, worum sich alles dreht.
Freilich sind die Ähnlichkeiten verwirrend. Neben den vertrauten Gesichtszügen gibt es auch unerwartete Gemeinsamkeiten - unerwartet, weil Jim doch sehr anders aufwuchs - wie die Liebe zur klassischen Literatur. Letztlich aber bezeugen die Ähnlichkeiten die Unterschiede. Wird von der unvergleichlichen Ausstrahlung des jungen Kapitäns gesprochen - Spock zieht doch sehr schnell einen Vergleich. Schwärmt die Presse von dem unübertroffenen taktischen Genie - Spock erinnert sich an einen anderen, der wirklich unübertroffen war.
Nicht dass der eine echt und der andere ein leerer Schein wäre. Spock hat viel Erfahrung damit, Jim von seinen Doppelgängern zu unterscheiden. Der Sachverhalt ist vergleichsweise einfach. Spock kennt Jim. Den anderen kennt er nicht.
Es geht natürlich darüber hinaus. Aber die Wörter, die er dazu benötigen würde, um dies zu erklären, entkommen ihm, bevor er sie aussprechen kann. Er kann sie nicht mal aufschreiben. Die Gründe dafür sind kompliziert. Es liegt nicht nur daran, dass sie notwendig schablonenhaft und inadäquat wirken würden; es liegt auch nicht nur an der grauenvollen Tatsache, dass sie Jims Abwesenheit signifizieren würden.
Das ist nicht Jim, sondern eine Darstellung von ihm.
Nein, Spocks Hemmung ist anderer Natur. Die Seelenverwandtschaft ist unbeschreiblich. Am nächsten ähnelt sie einer chemischen Verwandtschaft. So wie in der Chemie mindestens, kann eine solche Bindung nicht einfach aufgelöst werden; es bleiben stets Überreste. Diese Überreste verkörpert jetzt Spock, der sie als Erinnerungen in seinem Gedächtnis aufbewahrt, als Teil seines Selbst. Sich selbst in die Zeichen der Sprache zu verwandeln - sich selbst und Jim zu objektivieren, das kann er nicht. Es wäre eine doppelte Tötung - metaphorischer Selbstmord.
Er ist allerdings inkonsequent. Mit dem Lesen hat er nicht aufgehört. Es ist ihm allerdings gleichgültig, ob er konsequent ist. Spock liest, weil Jim gern gelesen hat, und weil der Vorgang ihn näher an Jim bringt. Liest er ein Buch, das Jim sicherlich nicht kannte, dann immer mit einem Auge für die Passagen, die Jim gefallen hätten. Liest er ein Buch, das Jim besonders geliebt hat, dann immer mit dem sonderbaren Gefühl, dass sie von Jim handeln. Liest er einen Satz, der ihn an Jim erinnert, schreibt er ihn in einen Heft nieder, in dem er vornehmlich Metaphern sammelt. Die fremden Worte, Worte, die nicht mit eigener Schuld und Trauer aufgeladen sind, begleiten ihm beschwörend durch das Leben.
Und auch der, der sich jetzt als Jim begreift, weiß von der Grenze, die ihn von Jim scheidet. Eigentlich wusste er eher davon als Spock. Wie nachdrücklich hatte er auf die Unterschiede beharrt! Spock begriff erst, wie weit reichend, wie katastrophal die Folgen seines Fehlgriffes mit Nero waren, als der andere ihm unwillkürlich seine Gedanken verriet. (Jim hätte mehr Kontrolle über seine Gedanken ausgeübt.) Eine traumatische Kindheit, eine verzweifelte Jugend - es war ein schmerzvoller Augenblick, in dem Spock vom vollen Ausmaß seines Fehlgriffs erfuhr.
Und die alten Worte, Ich war und werde es immer sein: Ihr Freund, stimmen sie noch? Selbstverständlich. Dass der andere tief ergriffen schien, als Spock, ebenfalls gerührt, ihm zu seiner Beförderung gratulierte - mit diesen gegenseitigen starken Emotionen hatte er allerdings nicht gerechnet.
Der neue Kapitän hat die etwas anstrengende Gewohnheit, Briefe aus dem Weltraum zu schreiben. Freilich sind sie witzige, fein geschliffene Briefe, welche das Leben an Bord des Raumschiffes energisch und lebensnah schildern. Spock liest diese Darstellungen mit einem leichten Gefühl der Nostalgie. Aber er weiß ganz genau, dass ihr Ziel woanders liegt, als ihn zu amüsieren. Mehr oder weniger direkt verlangen die Briefe Antwort auf die Frage - wie war er? - bin ich wie ihn? Und Spock antwortet so ehrlich, wie er kann. Er schreibt, dass Jim seinen eigenen Pfad betreten habe und müsse. Das Schicksal sei ein ähnliches, aber ein anderes. Er solle dem Zuge seines Herzens folgen. Diese Antworten scheinen aber nicht zu befriedigen. Briefe aus dem Weltraum kommen zwar nur noch selten an, aber sie stellen immer hartnäckiger die unbeantwortbare Frage.
Eines Tages kündigt Sarek an, dass die Enterprise nach der vulkanischen Siedlung kommen werde, um Vorräte abzuliefern. Übrigens habe Kirk spezifisch nach Spock gefragt. Augenscheinlich wolle er sich mit Spock treffen. Spock freut sich über die Nachricht. Er hat es satt, mit indirekten Mitteln zu kommunizieren. Zwar schreibt er immer Antworte auf die Briefe, die ihm zugestellt werden, da es unmöglich wäre, sie nicht zu beantworten. Aber im Grunde missfällt ihm das Konzept des fernen Schreibens.
An diesem Tage geht er zu seinem Garten - geschützt von der Hitze durch Technologien, die seine Mutter teilweise entwickelt hatte - und pflanzt dort die Samen ein, die er von der Erde mitgebracht hatte. Auf dem Wüstenplaneten leben außer der Vulkanier nur noch Fossilien. Aber wenn der, der ihm immer Freund heißen wird, zu Besuch kommt, wird er es in der Anwesenheit von diesen Pflanzen tun.
Die Abwesenheit ist eine Achse, worum sich freilich vieles - aber nicht alles - dreht.