1 Zeit für Liebe

Aug 08, 2018 21:05

Ich will nur Kuscheln! - Eine Odyssee der Liebe

Mein Name ist Adrian Durstbusch. Ich bin 47 Jahre alt; ich bin atheistisch, autistisch und asexuell. Und ich sehne mich nach einer tiefen und innigen Verbindung mit anderen Menschen.

August '14

Morgen ist wieder einer von noch ca. 10.000 gleichen Arbeitstagen. Alles ist grau. Selbst meine Freundschaften sind grau, immer gleich. Ich habe solche Sehnsucht nach starken Gefühlen. Und ich möchte einfach mal ganz fest in den Arm genommen werden.

Es wird Zeit für etwas Neues.

Zeit für Liebe

Was ist das nur für eine Welt, in der man an jeder Straßenecke Sex kaufen kann, aber nirgends eine Umarmung? Ich will keinen Sex. Ich will geliebt werden. Ich suche das Internet ab, ob es nicht doch irgend so etwas gibt. Ich hatte erst nach Escort Service gesucht. Aber das war mir alles viel zu teuer und unsicher. Ich will doch keinen Menschenhandel betreiben. Ich denke, es könnte ja auch einen Kuschelservice geben und tippe das ein. Es gibt tatsächlich einen. In Hamburg, für 90 Euro die Stunde. Mann, so weit weg. Da gibt es aber einen Hinweis auf „Kuschelpartys“ auf der Seite. Nie gehört. Danach gegoogelt, Volltreffer! Es ist in einer Großstadt eine Stunde entfernt, einmal im Monat. Das ist es.

Kuscheltraum 1

Samstag gehts los. Es ist August und brüllend heiß, aber ich will nicht mehr warten. Es sind 5 Männer und 3 Frauen in dem Raum, außerdem das Paar, das die Show anleitet. Sie nennen sich Kuscheltrainer! Sonst Maike und Winfried.

Winfried gibt Anweisung und macht dazu sanfte Musik an. Es gibt ein „Aufwärmprogramm“, und es beginnt mit Blickkontakt. Man soll sich in die Augen sehen! Eine Frau sieht mich die ganze Zeit an! Und wie nett! Sie hört gar nicht mehr auf. Ich bin völlig hingerissen, so etwas habe ich noch NIE erlebt! Sie heißt Sigrid. Hübsch ist sie auch noch. Ich habe ja noch nie richtig über Blickkontakt kommuniziert, und dann gleich so toll! Schiere Begeisterung.

Es gibt "Achtsamkeitsübungen" - was ist das? Wir stehen zu zweit zusammen und ich darf den anderen, es ist ein Mann, irgendwo hinfassen, außer Intimbereich. Er sagt rot, gelb oder grün. Also rot heißt nein, ist klar. Dann sortieren wir uns neu und massieren einander die Füße. Wie ungewohnt. Ein völlig fremder Mensch. Mach ich das richtig?

Es gibt eine Pause mit Snacks, möchte ich jetzt reden? Ich kenn hier doch keinen.

Dann kommt der kuschelige Teil. Eine Mattenlandschaft hat sich breit gemacht, mit Decken und Kissen, bunt und weich. Wir stehen alle am Rand wie die Pinguine vorm Eismeer, wer traut sich?

Wilfried gibt Hilfe. Wir dürfen auf alle Viere gehen und ganz langsam reinschleichen, wie eine Schmusekatze, soll ich mir so vorstellen. Ich habs nicht so mit dem Vorstellen, schleiche trotzdem.

Sigrid ist wieder neben mir - wieder dieser Blick! Jetzt wird es mir doch zuviel und ich wende mich ab. Ich finde eine andere, die mich in den Arm nimmt. Wie schön. Nach zehn Minuten sagt sie „ich will Dich auch noch von hinten“, und sie drückt mich nochmal. Dass jemand MICH umarmen möchte! Freiwillig! Unglaublich! Doch dann verlässt sie den Raum und ist verschwunden.

Und jetzt?

Der älteste Mann heißt Heinz. Er breitet seine Arme aus: „Komm!“ Was für eine wundervolle Geste. Zum ersten Mal im Leben kuschele ich mit einem Mann! Es ist noch ein dritter mit im Bunde und wir kuscheln zu dritt. Es wird ein unvergessliches Bild: Drei Männer liegen auf einem Haufen, die Leiterin kommt tatsächlich mit einer Regenbogenfahne und fächelt uns Luft zu.

Ich weine vor Freude. So viel Liebe!

In den folgenden drei Wochen kann ich auf Kommando weinen, ich muss nur an den Kuscheltraum denken. Den tiefsten Eindruck hat der Blickkontakt hinterlassen. „In zehn Minuten vom Autismus geheilt“, was für eine Bild-Schlagzeile.

Fetisch Zentrale

Ich möchte ewas ausprobieren, jetzt ist es mir egal. Ich will nicht die nächsten 30 Jahre ohne Liebe auskommen. Eine Bekannte aus der Transenszene hatte mir viel über „BDSM“ (SadoMaso) erzählt, und dass es dabei gar nicht um das Schlagen geht, sondern um Rollenspiele. Man spielt die Rolle des Herrn oder Sklaven, manche finden das geil. Ich nicht. Es bringt mich aber auf eine andere Idee:

Wenn es BDSM-Studios gibt, wo also Leute für Geld eine Rolle spielen: Dann können die doch auch die passende Rolle für mich spielen!

Damit ist die Mission definiert. Über Google finde ich die Fetisch Zentrale und fahre am Mittwoch hin.

Nachdem ich mich nach dem getarnten Eingang totgesucht habe will ich schon aufgeben. Nach drei Versuchen am Handy geht doch noch jemand ran und weist mir den Weg. Gerade gutgegangen. Es gibt tatsächlich ein richtiges Beratungsgespräch, so was ich denn möchte und wen und so. Für mich wäre wohl „Aufklärungsgespräch“ zutreffender. Ich erfahre noch eine Menge über BDSM und die Preise. Es gibt „aktive Damen“, die die Domina spielen, und die man nicht anfassen darf. Und es gibt „passive Damen“, die man auch knuddeln darf und mit denen man auch Sex haben kann. Da ich knuddeln möchte, brauche ich also eine passive Dame. Sie heißt Celina, ist wohl 20 Jahre alt, klein und zart und wunderschön und fast nackt.

Es gibt dort eine ganze Reihe von „Folterkellern“ mit einem Haufen Vorrichtungen, die normale Leute wohl noch nie gesehen haben. Ich brauche die zwar nicht, aber irgendwohin muss man ja. Gemütliche Räume gibt es leider nicht. Immerhin eine Liege für zwei.

Die Frau ist unglaublich nett. Sie plaudert ganz locker mit mir, und mir fällt ein, dass ich für mehr bezahlt habe. Also bestelle ich als nächstes Umarmung und das macht sie sofort.

Ich bin schwer beeindruckt, dass gekaufte Liebe sich so echt anfühlen kann. Sie ist so einfühlsam und freundlich und ruhig, streichelt mich zart, ab und zu ein Küsschen. So liegen wir zusammen auf der Liege und ich erkunde ihren Körper.

Erstaunlicherweise erregt mich das kein bisschen. Es ist einfach nur wunderschön.

Nach meiner Hände-Erkundungstour drehe ich mich um und lasse mich von ihr von hinten drücken, bis die Zeit um ist und döse ein wenig dabei. Danach verabschieden wir uns.

Mit einem wundervollen Gefühl im Herz gehe ich aus dem Laden und strecke beide Arme nach oben: Freiheit!

Erst später fällt mir ein, dass ich ja auch Sex mit der Dame hätte haben können. Ich habe nicht mal daran gedacht!

Biodanza 1

In der Pause vom Kuscheltraum habe ich von den Anderen erfahren, was es noch alles Tolles gibt. Es lagen auch Flyer aus. Ich hatte noch nie von Biodanza gehört. Es schien mir aber ansprechend. Freies Tanzen, häufige Partnerwechsel, keine festen Partner. Man macht es für sich und das Gefühl. Es soll ein bisschen wie Kuscheltraum sein, aber mit einem Schwerpunkt auf Tanzen.

Ich bin doch unsicher und rufe die Lehrerin an. Sie erklärt mir ein Bisschen was, doch ein Satz bleibt hängen: "Es muss nicht gut aussehen, Du machst es für Dich."

Ich hatte die Lust am freien Tanzen erst kurz vorher spontan entdeckt. Ich hatte zuhause Musik gehört und war auf einmal aufgesprungen und losgelegt. Wie aus dem Nichts. Auch so ein Wunder.

Jetzt also als Gruppe. Es ist noch am selben Tag wie der Fetisch-Ausflug in der Großstadt. In einem kleinen Raum sind ca. 6 Männer und 6 Frauen. Der Heinz vom K-Traum ist auch wieder da. Ob die anderen mich hier wollen?

Vor jedem Tanz erklärt Sie etwas, keine Schritte, eher ein Motto, ein Gedanke, und dann tanzt sie es vor. Sie sagt aber auch, dass man es ganz anders tanzen darf, wenn man möchte. Und wenn man gar nicht möchte, darf man einfach Pause machen.

Die Tänze sind interessant, man kann tatsächlich tanzen wie man will! Ein Tanz heißt „verbindet Euch mit der Erde“. Der Rest ist Phantasie.

Es gibt Tänze im großen Kreis mit Anfassen, alleine, zu zweit, zu dritt...

Auch hier wird wieder dieses tolle Blickkontakt-Spiel geübt. Anschauen, tanzen, dann weiter zum nächsten. Wie im Kennenlernrausch. Ich stelle fest, dass die Frauen alle etwas reserviert sind, aber die Männer sehr offen auf mich zugehen. Ein junger großer namens Bernhard ist besonders nett. Heinz natürlich auch. Mit den Frauen werde ich nicht so warm. Zum Schluss sucht man sich einen Partner, legt sich gemeinsam auf eine Matte und schaut in den (gedachten) Nachthimmel.

Ich liege also mit einem völlig fremden Mann auf einer Decke, händchenhaltend, und es gibt schon wieder Freudentränen. Ich sehe einen anderen Mann, der seine Partnerin schon im Arm hat und bin etwas neidisch. Ach, die kennen sich bestimmt.

Ausgerechnet die Frau, die mir von allen am reserviertesten erschien, fragt mich danach, ob ich mit ihr zum Bahnhof spazieren möchte. Überraschung.

Diese drei Dinge passierten in einer Woche. Sie und das, was ich danach erleben durfte, haben mein Leben verändert.

Hier geht es zum 2. Teil!

Sie dürfen gerne einen Kommentar schreiben; Sie können mich auch unter adrian(dott)durstbusch(ätt)web(dott)de erreichen.
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