25 Pfingstfestival im Wald

Aug 08, 2018 06:55


Dies ist Teil 25. Hier geht es zum Anfang der Geschichte.

Wir machen ein ganzes Biodanzafestival in Eigenorganisation. Veranstaltungsort ist bei Alex im Wald. Da ist Platz ohne Ende, ein riesiger Abenteuerspielplatz.

Samstag

Ich bin erst nicht sicher, ob ich hin möchte, schreibe Julia meine Bedenken, und dann fahre ich doch los. Die Lust auf meine Lieben ist doch größer.

Bei der Schlafzimmer-Lotterie ziehe ich den Hauptgewinn: Ich bekomme ein Zimmer mit Alexandra!

Es sind über 20 Leute da, sogar Line, die erst gar nicht wollte. Sie bleibt aber nur einen Abend.

Am Samstag Abend die erste Vivencia bei Alex im Wohnzimmer. Da ist es doch etwas eng, aber macht nichts. Gemütlich bollert der Holzofen. Danach lange Kuscheln und dann ins Bett.

Sonntag

Sonntag Morgen die zweite Vivencia. Naja, Morgen ist bei mir 11h, und einige waren tatsächlich schon zum Strand und wieder zurück. Ich entscheide, dass mir das zu stressig ist und dass ich lieber an einem anderen Tag dorthin möchte. Danach ausruhen, ein Spaziergang mit Alexandra und auch schon die dritte Vivencia. Da das Wetter jetzt gut ist, im Freien. Der Waldboden ist gewöhnungsbedürftig, denn wir tanzen selbstverständlich barfuß. Für die Tänze am Boden gibt es Picknickdecken.

Mir kommen alle unheimlich kuschelig vor, noch mehr als sonst, ich fühle mich richtig geborgen und verbunden. Abends Lagerfeuer, reden und singen. Beim Reden tue ich mich wieder schwer mit Gemeinschaft, wie immer.

Henning sagt zu mir: „Du bringt so viel Liebe in die Gruppe!“

Lea schaut mich an und sagt: „Also noch eine Woche Deinen verliebten Blick würde ich nicht aushalten!“

Dagmar sagt mir, ich habe eine angenehme Größe für einen Mann. Das habe ich noch nie gehört! Süße kleine Frau!

Als ich ins Bett gehe, ruft Alexandra mir noch zu: „Ja, Schatz, ich komm gleich!“

Schön wie im Traum.

Montag

Am Montag Morgen gibt es Yoga bei Markus. Das ist richtig gute Gymnastik! Dabei machen wir Verrenkungen, die ich gar nicht für möglich gehalten hätte. Tut aber gar nicht weh.

Danach berichtet Markus, dass es Irmgard sehr schlecht geht. Ihr Freund ist gestorben. Das macht mich auch ganz schön traurig. Ich habe mich immer über Irmgard und "ihre Männer" lustig gemacht, aber er war der einzige, der sich wirklich um sie gekümmert hat!

Ich setze mit Conny eine Sprachnachricht an sie ab, denn sie ist nicht auf dem Festival.

Danach nimmt eine der Frauen mich zur Seite und erklärt mir, dass meine Nähe Ihr gestern nicht gut getan hat. Sie habe sich doch abgewendet und weil ich darauf nicht reagiert habe, sei sie ganz aus dem Kreis rausgegangen. Ich erinnere mich zum Glück gut. Es macht mich tief betroffen und besorgt. In der Situation war ich voller Liebe, die ich ihr geschenkt habe. Ich habe nichts davon gemerkt, dass sie die nicht haben möchte. Es hat sich für mich nach tiefer Verbundenheit angefühlt, aber die hat gar nicht existiert. Alte Ängste brechen auf. Ich kann meine Gefühle nicht mit anderen teilen, bin immer allein. Mein Autismus trennt mich vom Rest der Gefühlswelt und ich merke es nicht einmal. Ich falle richtig in ein tiefes Loch.

Mit Markus und Tristan haben wir gleich zwei Ärzte in der Gruppe und beide bieten Massage an. Markus ist ja ganz verrückt danach. Er lädt mich auf einen Spaziergang ein, der aber nur 30m lang ist und auf seiner Liege endet. Eigentlich war Doreen dran, aber stattdessen werde ich jetzt von Markus und Doreen massiert. Danach verzieht sie sich, und ich massiere Markus. Hat die jetzt Angst gekriegt?

Am Anfang der letzten Vivencia berichtet eine Teilnehmerin, wie viel Angst sie hat, von uns nicht angenommen zu werden und sie weint ganz bitterlich. Das geht wohl nicht bloß mir so. Ich würde am liebsten zu Ihr hinspringen und sie drücken, aber ich bin verunsichert und mache nichts. Auch andere fühlen sich schlecht, Hanno sagt, er fühle sich depressiv, und ich kann ihm das gar nicht glauben. Ich denke: Wie kenn ein Mann depressiv sein, der Mathilde im Handstreich erobert und immer noch mit ihr zusammen ist? Rechnerisch unmöglich! Denn sie ist eine starke, stolze Frau. Hilde ist auch nur am Weinen. Sie sagt nicht warum, aber ich denke ganz automatisch, dass es wegen ihrem Freund ist, der eine andere hat.

Dann stecken alle einander an, es wird ein kollektiver Weinkrampf und auch ich bin voll dabei. Anscheinend reagiere ich auf kein Gefühl so spontan mitfühlend wie auf Trauer. Auch Henning liegt am Boden. Ich denke an Irmgard und weine für sie mit.

Die Vivencia geht trotzdem weiter. Zum Schluss bilden wir Dreiergruppen, es gibt Farbe und wir dürfen einander anmalen. Das gabs noch nie. Es wird ein rauschendes Hippiefest. Ich werde zum Elfenkrieger umgebaut und erkenne mich später selbst auf dem Foto nicht wieder. So schnell geht beim Biodanza wieder die Sonne auf.

Freya reicht mir ihre Flasche und sagt: „Trink! Du brauchst das!“ Tatsächlich komme ich fast um vor Durst. Sie ist so fürsorglich, das ist so lieb von ihr und macht mich ganz glücklich. Süße Biodanzeras!

Zum Abschied bin ich traurig wie immer, auch die Geschichte mit der Frau, die sich abgewandt hat weil ich sie nicht gefühlt habe, sitzt mir tief in den Knochen. Ich bin jetzt ganz vorsichtig und stelle fest, dass Freya mir immer noch ganz nahe kommt und mich fest drückt. Gut! Alexandra küßt mich nach wie vor superzart. Gut! Lea ist zurückhaltend. Aha. Conny reicht mir immerhin die Hand und lächelt. Henning küsst mich immer noch auf den Mund. Daran muss ich mich immer noch gewöhnen! Ich sage Hilde zum Schluss, dass sie mir so leid tut, weil sie so traurig ist. Sie drückt mich fest „Ich hab Dich lieb!“.

Ich bleibe wie immer bis zum bitteren Ende, helfe noch allen beim Einladen und fahre traurig nach Hause. Vielleicht bin ich einfach nur deshalb traurig, weil das schöne Fest zu Ende ist.

Das Biodanza-Tagebuch endet hier. Wenn Du das ganze Tagebuch von Anfang an lesen möchtest, klicke hier. Aber unsere gemeinsame Geschichte endet keinesfalls. Die Biodanza-Gruppe besteht bis heute, genauso die Freundschaften, die ich darin geschlossen habe.

Unter den anderen habe ich viele Paarbeziehungen entstehen und gehen sehen, manche haben die Gruppe verlassen, andere sind noch da und es gibt viele neue Gesichter.

Ich habe oft neidvoll und traurig auf die frischen Päärchen geschaut. Ich bin asexuell. Es scheint, als ob mir diese Art von Liebesglück verwehrt ist - bis jetzt.

Doch ich habe ein anderes Geschenk bekommen: Die Herzliebe der Biodanzamenschen. Ich habe nie Menschen gekannt, die so ein annehmendes und offenes Wesen haben wie diese. Die aus purer Freundschaft stundenlang kuscheln möchten. Die Herzliebe hat nichts mit Erotik zu tun. Es ist die kindliche, freudige, Liebe, die sich jeder Mensch zurückwünscht - wenn er sie denn jemals hatte. Hier gibt es sie umsonst.

Meine "Odyssee der Liebe" geht immer noch weiter. Diese Reise ist mir zum freudespendenden Lebensinhalt geworden. Nach über 6 Jahren Biodanza kann ich immer noch den Duft des Abenteuers spüren, die schiere Freude des bedingungslosen Angenommenseins, die tiefe Offenheit untereinander, die Hilfsbereitschaft aller für alle und das wunderbare Gefühl, anderen aus vollem Herzen meine Liebe zu schenken.

Inzwischen habe ich selbst angefangen, Tänze anzuleiten. So möchte ich die Liebe und die Freude in die Welt tragen.

Hab Dank, getreuer Leser, wenn Du bis hierher dabeigeblieben bist. Ich habe gerne für Dich geschrieben!
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