Turkestan im Leben und in wissenschaftlichen Werken
des deutschen Astronomen Franz von Schwarz
(Ende 19. Jh. - Anfang 20 Jh.).
Aus der Geschichte des Astronomischen Instituts der Akademie der Wissenschaften Usbekistans
In der zweiten Hälfte des 19. Jh., bald nach der Gründung des General-Gouvernements Turkestan entstand der Bedarf danach, sich in einem Raum zu orientieren, von dem selbst die Würdenträger des Reichs, die nicht die dümmsten waren, mitunter nur vage Vorstellungen hatten. Selbst der Fürst А.М. Gortschakow, der ein enger Freund von А.S. Puschkin war und zusammen mit ihm das Zarskoselskij-Litseum absolviert hatte, als er Außenminister Russlands wurde - er hatte dieses Amt ein ganzes Vierteljahrhundert inne (1856¬-1882), - „schwamm“ in der Geografie des Ostens und musste mittelasiatische Städte manchmal auf der Landkarte suchen. Das war aber gar kein Fehler seiner Bildung: das war der damalige geografische Wissensstand, und zwar nicht nur in Russland, sondern auch in einer anderen Weltmacht Großbritannien.
Das imperiale Jahrhundert verlangte indes eine Klärung im System der geografischen Koordinaten. Hier zeichnete sich eben eine Konfrontation zwischen den astronomischen Observatorien ab: auf dem Pulkovo-Hügel bei Petersburg und in einem Londoner Vorort Greenwich. Keine gemeinsame Sprache konnten der Große Trigonometrische Dienst Großbritanniens und die Russische kaiserliche geografische Gesellschaft finden. Es hat sich aus der Geschichte so ergeben, dass sich in Russland - im Gegensatz zur britischen Schule - die deutsche Schule durchsetzte.
Am 19. Dezember 1871 billigte der General-Gouverneur Turkestans K.P. von Kaufman den Vorschlag des Leiters des militärtopografischen Referats Hauptmann S.I. Žilinskij über den Bau der Sternwarte in Taschkent. Im April des folgenden Jahres wurde der Bauplan für die Gebäude und das Haus des Astronomen gebilligt. Anfang 1872 entschieden sich S.I. Žilinskij und der Hauptmann K.V. Scharnhorst, der die Leitung der Sternwarte übernehmen sollte, für das Grundstück, das heute das Astronomische Institut in Taschkent hat. Bald begann der Bau des Turms für den Refraktor und des Saals für den Meridiankreis. Am 16. Oktober 1873 wurde der Bebauungsplan für das Grundstück, das für die Sternwarte zur Verfügung gestellt wurde, von Kaufman gebilligt. Ursprünglich betrug seine Fläche rund sechs Hektar. Darauf gab es einen größeren See, das vom Fluss Ak-Kurgan gespeist wurde. Der See lag dort, wo heute das Laborhaus steht.
1873 löste Hauptmann А.R. Bohnsdorf den K.V. Scharnhorst ab, der Turkestan verlassen hatte. Noch ein Jahr später ist Bohnsdorf, dem als Astronomen auf Drängen des Direktors der Hauptsternwarte in Pulkovo Akademiemitglied О.V. Struve die Leitung der Sternwarte Taschkent aufgetragen wurde, nach Hamburg gereist. Seine Anwesenheit war dort wichtig, um die von Akademiemitglied Struve bestellten Instrumente in Empfang zu nehmen. Gegen Ende 1874 wurde ein Teil der Gebäude fertig gebaut und die wichtigsten Instrumente wurden nach Taschkent geliefert, so dass dieses Jahr mit Recht als das Geburtsjahr der Sternwarte Taschkent gelten kann. Im Oktober desselben Jahres wurden der Repsolds Meridiankreis, der 6-Zoll-Refraktor von Merz und die Sternuhr von Howüh nach Taschkent geliefert. Zusammen mit Bohnsdorf kam auch der Absolvent der Münchner Universität, der bayerische Staatsangehörige Franz Xavier von Schwarz (1847-1903) nach Taschkent, der eingeladen wurde, um meteorologische Arbeiten zu organisieren.
Die Münchener Universität, die seit 1472 besteht, trägt den Namen ihres Gründers Herzog Ludwig des Reichen und des Königs Maximilian I. von Bayern (Ludwig-Maximilians-Universität). Das ist eine deutsche Musterbildungseinrichtung, an der eine starke wissenschaftliche Schule besteht. Es genügt zu sagen, dass zwölf Professoren im 20. Jh. mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurden. Auch heute gehört die Universität zu den größten Zentren von Wissenschaft und Forschung in Deutschland. Es gibt an der Universität das europaweit einzige Zentrum für Biotechnologie sowie Institute für Astronomie und Astrophysik. Hoch in den bayerischen Alpen befindet sich das Universitätsobservatorium mit einem Spiegelteleskop. Aus einer solchen Alma Mater stammte auch der Mensch, der wie viele seiner talentierten Landsleute sich im asiatischen Teil Russlands bewähren sollte.
Im November 1874 wurde in Turkestan der Durchgang der Venus vor der Sonnenscheibe erwartet. Bohnsdorf und Schwarz trafen die Vorbereitungen für die Beobachtung dieses Ereignisses, welches damals von großer Bedeutung für die Bestimmung der Sonnenparallaxe war. F. Schwarz als Rechner der Sternwarte Pulkovo ist für diese Zwecke nach Perovsk (heute Kzyl-Orda) gereist. Bohnsdorf sollte die Beobachtungen in Taschkent machen, aber das trübe Wetter hat es verhindert. Bald darauf nahm Franz von Schwarz an einigen Turkestan-Speditionen als Astronom teil. 1875 war er Teilnehmer der Expedition von N.А. Maev zum Hissar-Gebiet. Das Ziel war eine umfassende Erforschung des bis dahin unbekannten Gebiets zwischen der Gebirgskette Hissar und dem Fluss Amudarja. Es war Franz von Schwarz, der die erste präzise Karte des Hissar-Gebiets und des Fürstentums Kuljab erstellte. Er erstellte auch die Tabellen der von ihm ermittelten Breiten und Längen von 14 Punkten und absoluten Barometerhöhen von 67 Punkten. 1879 erschien das Buch von N.А. Maev mit Ergebnissen der Hissar-Expedition. Für die genannten astronomischen Leistungen bekam Schwarz die Kleine Goldmedaille der Russischen Kaiserlichen geografischen Gesellschaft.
Im selben Jahr, 1875, verband der Astronom, damals als Assistent von Oberst Bohnsdorf, zwei Punkte anhand der Länge - Sergiopol und Kopal mit Taschkent durch ihre telegrafische Bestimmung. Als Teilnehmer der Expedition von N.А. Severtsev nach Fergana und Pamir 1877 ermittelte Schwarz die Position von 6 Punkten. Aber seine Reise zum Pamir war offensichtlich von kurzer Dauer: die Leitung der Sternwarte oblag bisher А.R. Bohnsdorf, aber nach seiner Abreise im Jahre 1877 nach Petersburg musste Schwarz diese Aufgabe wahrnehmen. Dennoch konnte es der unermüdliche Deutsche an einem Ort nicht lange aushalten: 1878 schloss er sich der Expedition von I.V. Muschketov an und nahm Beobachtungen an der Kaschgar-Grenze vor. Im selben Jahr begleitete der Astronom den Oberst Matveev auf Badachschan und im afghanischen Turkestan, wo er 5 Punkte bestimmte.
Am 31. Dezember 1878 wurde Franz von Schwarz auf Befehl für den Militärkreis Turkestan zum Assistenten des Leiters des astronomischen Observatoriums Taschkent mit der Zuständigkeit für den meteorologischen Teil ernannt. 1879-1880 leitete er die chronometrische Expedition ins Kuldscha-Gebiet, nahm astronomische, magnettechnische und barometrische Beobachtungen vor. Interessant ist die Ermittlung der Breite der Stadt Vernyj (heute Almaty) zu erwähnen, die von einem anderen turkestanischen Astronomen R.K. Zalesskij gleich nach dem berühmten Erdbeben vom 9. Juni 1887 wiederholt wurde. Das Ergebnis dieser Bestimmung war mit den Ergebnissen der früheren Bestimmungen von I.I. Pomerantsev und von Franz von Schwarz identisch. Das war ein Beweis dafür, dass ein so starkes Erdbeben die Dichte der unterirdischen Schichten nicht verändert oder zumindest die meridionale Ausrichtung der Neigung in diesem Ort nnicht beeinflusst hatte.
Die ferne Vergangenheit Mittelasiens im 19. Jh. zog die Aufmerksamkeit vieler europäischer Wissenschaftler an. Auch der deutsche Astronom Franz von Schwarz widmete diesem Thema sein in Deutschland in deutscher Sprache veröffentlichtes Buch „Turkestan, die Wiege der indogermanischen Völker“. Schwarz, der im Landkreis Turkestan mehr als 15 Jahre gelebt hat, interessierte sich neben der Astronomie sehr stark fürs Leben, für Traditionen und Kultur der Völker dieser Region. Er bereiste alle Ecken des Landkreises und untersuchte gründlich die ganze damals in russischer Sprache bestehende Literatur zur antiken, mittelalterlichen und neueren Geschichte der Völker, die dort gelebt hatten. Nach der Rückkehr nach Deutschland setzte Schwarz die Erforschung der Geschichte Turkestans fort, indem er sich auf die größte Sammlung von Büchern über Turkestan in der Staatsbibliothek München stützte. In der Heimat konnte er sein Werk berichtigen, ergänzen und abschließen.
Gemäß der Konzeption von Franz von Schwarz, die die General-Gouverneure Turkestans K.P. von Kaufman und Baron А.V. Vervskij teilten, ist Turkestan die historische Urheimat der Europäer. Auf seinem Gebiet kam es nach Überzeugung von Schwarz in der tiefen Vergangenheit zur Herausbildung von indogermanischen Stämmen und genau von hier aus fand die Migration der arischen Bevölkerung über viele Jahrhunderte in Richtung Europa, Nahost und Nordindien statt. Schwarz war der Meinung, dass Zentralasien auch eine Wiege der alten Kultur der Germanen, Kelten, Slawen und anderer Völker ist. Franz von Schwarz schrieb: „Eben hier kann man in der Lebensweise, den Gebräuchen und Traditionen Widerhall aus vielen biblischen Motiven und Geschichten von Homer finden“. Nur in Turkestan, wie er in seinem Hauptwerk schreibt, gelang es ihm, des Inhalts der Bibel und des Homerischen Epos bewusst zu werden, sie besser zu verstehen und zu würdigen.17
Im Buch „Sintflut und Völkerwanderungen“ argumentierte Franz von Schwarz (Stuttgart, 1894), dass die Sintflut in der Wirklichkeit ein lokales Ereignis gewesen sei, und zwar sei das Meer, welches früher auf dem Territorium der heutigen Gobi-Wüste existiert habe, aus den Ufern getreten und den früheren Lebensraum der Indoeuropäer Turkestan überschwemmt. Später hat sich die Legende weltweit verbreitet. Mit Ausnahme von einigen geologischen Lapsus ist Schwarz, der vor einem Jahrhundert gelebt hat, gar kein Vorwurf zu machen, das Buch widerspricht nicht der modernen Wissenschaft. Mehr noch: in Russland wurde Arkaim ausgegraben, allerdings etwas nördlicher als der Ort, wo nach Schwarz die Urheimat der Indoeuropäer gewesen war. Schwarz verbindet die große und die kleine Eiszeit mit der Auffüllung des Sachara-Meeres an der Stelle der heutigen Wüste und die Existenz einer Schneedecke hinter den Alpen - er verbindet das mit der ganz starken Verdunstung aus dem Sachara-Meer, welche sich in der Nähe der Alpen in Schnee und Eis verwandelte und dadurch einen gigantischen Gletscher entstehen ließ, der einen Großteil Europas bedeckte. Nachdem das Wasser aus dem Kaspischen Meer in das Schwarze Meer durchgebrochen und das Schwarze Meer sich ins Mittelmeer ergossen habe, welches wiederum in den Ozean durchgebrochen sei, sei sein Spiegel gesunken und damit sei der Überlauf in die Sachara verschwunden. Das Meer sei zur Wüste geworden.
Das läutete das Ende der Eiszeit ein. Franz von Schwarz wie die meisten heutigen Wissenschaftler ist der Auffassung, dass die Eiszeiten Wetterereignisse sind. In den biblischen Büchern des Daseins und Hiobs wird vom Beginn einer Eiszeit um diese Zeit gesprochen.
Franz von Schwarz stellt auch Überlegungen über die Herkunft und Bedeutung des Toponyms „Taschkent“ an:
„Das Wort besteht in seiner jetzigen Lesart aus dem türkischen „tasch“ und dem persischen „kent“, d.h. „eine steinerne Stadt“; aber da es hier überhaupt keine Steine gibt, [...] ließe sich das Wort genau so als eine Stadt ohne Steine deuten.
Manche sind der Meinung, dass Taschkent eine Stadt sei, die im Durchmesser einen „tasch“, d.h. 8 km habe. Ich bin allerdings der Auffassung, dass Taschkent, die von arabischen Schriftstellern Schaschkent genannt wird, einfach dasselbe wie das griechische „gexapolis“, d.h. „sechs Städte“ bedeutet. So hieß das von Jakubbek gegründete Königreich „alty-schachar“ (sechs Städte), und nach dem Anschluss [... ] der siebten Stadt Kara-schachar bekam es den Namen „yetty-schachar“ (sieben Städte). In der türkischen Aussprache klang der Name der Stadt als Taschkent, das „Tschaschmkent“ klang dann als „Tschimkent“; das Wort „kent“ blieb unverändert, denn es hatte sich etabliert, Kokand, Samarkand, Tschimkent, Pajkend, Jarkend; „kand“ wird anstelle von „kent“ ausgesprochen, wenn die vorangehende Silbe auf „а“, „о“, „i“ endet; richtiger wäre zu schreiben „Taschkand“: so wurde dieses Wort früher auch ausgesprochen; die Russen, die die Linguistik nicht kannten, fingen an „Taschkent“ zu schreiben.
[... ] Vor den Russen war Taschkent mit einer Mauer aus Löß umgeben. [...] Der obere Rand der Mauer hatte die Form eines Zickzacks und war mancherorts verziert. [...] Die Höhe der Taschkenter Mauer, die ich 1874 noch sehen konnte, betrug 4,5 - 6 Meter, ihr Kreisumfang war 25 km. [...] Außer der Mauer hatten die Taschkenter einige Beobachtungspunkte außerhalb der Stadt: künstliche kegelförmige 12-15 m hohe Hügel, auf denen die Wache stand. Die Beobachtungspunkte wurden paarweise aufgestellt und zogen sich auf der Strecke nach Fergana bis zur Poststation Uralskja, 70 km von Taschkent entfernt. Zurzeit ist die Stadtmauer von Taschkent verfallen, ihr östlicher Teil wird abgetragen und die Rohstoffe werden für die Herstellung von Ziegeln verwendet.
Früher gab es in Taschkent eine „urda“, d.h. eine Zitadelle, die mit einer gesonderten Mauer umgeben war und auf dem linken Ufer des Flusses Bozsu stand. Die urda wurde von den Russen gleich nach der Eroberung der Stadt zersprengt und wurde mittlerweile mit Kasernen und anderen Gebäuden bebaut“.
Einige umstrittene, aber kühne Hypothesen, die von Schwarz aufgestellt wurden, animierten unumgänglich mehrere Opponenten zur Diskussion. Gleichzeitig gewann er auch Gleichgesinnte. Besonders kritisch stand ihm das Mitglied der Akademie der Wissenschaften V.V. Barthold gegenüber.
Während seiner Turkestan-Expeditionen konnte Franz von Schwarz Informationen für ein weiteres Buch sammeln, das er „Alexanders Feldzüge nach Turkestan“ nannte und in seiner Heimatstadt München 1893 veröffentlichte und dann in Stuttgart 1906 neu aufgelegt wurde. Nach dem Besuch der Orte, durch die Alexander des Große gezogen war, und nach dem Studium von Werken der antiken Autoren schrieb Franz von Schwarz ein Buch, das nur dem mittelasiatischen Teil des Feldzugs des Griechen galt. Darin äußert er interessante Überlegungen zur Topografie des Feldzugs auf der Grundlage eines Vergleichs von Quellendaten und persönlichen Eindrücken. Von hohem Wert sind die topografischen und Streckenkarten, Fotografien und Schemata, die vom Autor erstellt wurden.
Zu den Spuren des Aufenthalts Alexanders in Mittelasien äußerte Schwarz verschiedenste Vermutungen und Hypothesen, die nicht nur auf den vom ihm untersuchten Quellen, sondern auch auf den von ihm notierten lokalen Überlieferungen, Legenden und einer Analyse der mittelasiatischen Toponyme und Hydronyme basieren. Er war zum Beispiel der erste, der den Versuch unternahm, Aorn - Arrian genannt - eine der zwei größten Städte Baktriens zu lokalisieren. Er kam zum Schluss, dass Aorn im Tal des Flusses Hulm an der Stelle von Tasch-Kurgan gelegen hatte. Diese Hypothese hatte seitdem ihre Verfechter, aber auch Gegner. So lehnte das Mitglied der Akademie der Wissenschaften È.V. Rtveladze, basierend auf seinen eigenen archäologischen Untersuchungen, diese Hypothese ab und stellte seine eigene auf, indem er Aorn mit der Siedlung Altyn-Dilyertepa 35 km von Balch (einer antiken Stadt Baktriens) gleichsetzte.
Franz von Schwarz konnte die Stadt der Branchiden in der Nähe von Kelif richtig lokalisieren. Besonderes Augenmerk richtete er auf den letzten Feldzug Alexanders des Großen, der im Herbst und Frühjahr 328-327 v.u.Z. in den Tal- und Berggebieten stattfand, die zwischen Marakanda und Baktrien lagen. Zu Kampfhandlungen kam es hauptsächlich in Xenipp, Nautak und Paretaken, wo solche Felsburgen wie Fels Sisimitra, Fels in Sorgiana, Fels Horienna sowie in Gabaz und Bubaken belagert und eingenommen wurden. Schwarz äußerte die Vermutung über die Lokalisierung all dieser Felsburgen, die auf einer Analyse von Informationen aus antiken schriftlichen Quellen basieren, die durch Angaben aus den von ihm erstellten geografischen Karten belegt wurden.
Da Buch von Franz von Schwarz über die Feldzüge Alexander des Großen nach Turkestan wurde kurz nach seiner Veröffentlichung von N.I. Vsevolodskij kritisiert. È.V. Rtveladze weist hingegen darauf hin, dass Fehler und Irrtümer westlicher Forscher damit verbunden sind, dass sie selber die Aufenthaltsorte Alexanders in Mittelasien nie besucht und die reale Geografie der Gebiete nicht gekannt hätten, durch die die griechisch-mazedonischen Truppen gezogen waren. Rtveladze schreibt: „die Ausnahme stellt wohl nur F. Schwarz - der Autor eines großen Werks in der deutschen Sprache - dar, der in Turkestan gelebt und astronomische Beobachtungen in der Expedition von N.А. Maev durchgeführt hat“. Alles richtig. Aber gerechtigkeitshalber sollte erwähnt werden, dass Franz von Schwarz nicht nur an dieser Expedition, sondern auch an einigen anderen teilgenommen hat. Wichtig ist, dass genau seine Forschungen später das Interesse der Wissenschaftler in Deutschland für diese Weltregion geweckt haben.
Der von Franz von Schwarz faszinierte, herausragende deutsche Forscher Willi Rikmer Rikmers (1873-1965) war Mitveranstalter großartiger Expeditionen zum russischen Turkestan und zum Pamir. 1913 arbeitete eine von der Deutschen und Österreichischen Alpinen Gesellschaft organisierte große deutsche Expedition im östlichen Teil des Gebirgskamms Peter des Großen in Daravaza; sie wurde von W. Rikmer Rikmers, H. von Fiker und R. Klebelsber geleitet. Mit ihr sollten systematische Pamir-Forschungen beginnen und in den kommenden Jahren fortgesetzt werden. Jedoch sind diese Pläne am Ersten Weltkrieg und dann an der Revolution von 1917 in Russland gescheitert.
Im Herbst 1925 wurde in Moskau während der Feierlichkeiten anlässlich des 200. Gründungstags der Russischen Akademie der Wissenschaften der Gedanke vom Nutzen der gemeinsamen deutsch-russischen Expeditionen auf dem Gebiet der UdSSR zum Ausdruck gebracht. Unter den möglichen Forschungsobjekten nannte der deutsche Meteorologe Professor H. von Fiker den Westpamir. Ende Juni 1926 kam es in Berlin zum ersten Eignungsgespräch der deutschen Gruppe mit den Vertretern der Akademie der Wissenschaften der UdSSR. Danach erstellt Fiker einen vorläufigen Plan der „Russisch-deutschen Expedition in die Gebiete des Transalay und Seltau“ im Pamir. Im Frühjahr 1927 wurde dieser Plan dem Präsidium der AW der UdSSR vorgelegt.
Mit der Gesamtleitung der ganzen Expedition beauftragte die Partei der Bolschewiken Nikolaj Petrovič Gorbunov (1892-1937), einen der herausragenden Organisatoren der Wissenschaft, der 1918-1919 für die Organisation und Koordinierung der Tätigkeit der Russischen Akademie der Wissenschaften und anderer russischer wissenschaftlicher Einrichtungen viel geleistet hat und später Mitglied und Sekretär der Akademie der Wissenschaften der UdSSR wurde. Später wurde er repressiert. Zu seinem Stellvertreter für die Expedition wurde ein weiterer außergewöhnlicher Mensch - der bereits erwähnte Dmitrij Ivanovič Ŝerbakov (1893-1966) ernannt, der später auch zum Mitglied der Akademie der Wissenschaften wurde und die Abteilung für geologische und geografische Arbeiten an der Akademie der Wissenschaften der UdSSR geleitet hat. Seine wissenschaftlichen Werke beeinflussten sehr stark die Entwicklung der modernen Mineralogie, Geochemie und Petrografie. Zum Leiter der deutschen Gruppe wurde von der Gesellschaft Willi Rikmer Rikmers und zum Gruppenältesten der deutschen Alpinisten F. Borchers ernannt. Zum wissenschaftlichen Rat der Expedition gehörten die größten Wissenschaftler der damaligen Zeit, die sich mit Zentralasien befassten: Mitglied der Akademie der Wissenschaften S.F. Oldenburg, Mitglied der Akademie der Wissenschaften V.V. Bartold, Mitglied der Akademie der Wissenschaften V.L. Komarov, Mitglied der Akademie der Wissenschaften А.Е. Versman, Professor N.L. Korženevskij sowie N.P. Gorbunov, D.I. Ŝerbakov, H. von Fiker u.a.
Der junge Wolfgang Lend (1900-1986), später ein hervorragender Iranist, Professor der Universität Hamburg, der ein umfassendes wissenschaftliches Erbe, darunter auch Werke zur Interpretation der Gathas von Zarathustra und zur Entschlüsselung von erhaltenen Textfragmenten aus Turfan hinterlassen hat, übernahm die Aufgabe des Sammelns von Material für die europäische Wissenschaft sowohl über die Dialekte von Pamir, als auch über die tadschikischen Mundarten der persischen Sprache. Außer ihm sollte W. Rikmer Rikmers Gegenstände der materiellen Kultur sammeln, der einen speziellen Auftrag einiger deutscher Museen hatte, verschiedene Muster und Stickereien in den entlegenen Gebieten des Bergtadschikistan zu sammeln. Hierbei sollte W. Rikmers von A. Ivanov, dem Lehrer für östliche Sprachen aus Taschkent, unterstützt werden.
Bis heute bleibt das Phänomen der sowjetisch-deutschen Expedition von 1928 und der auf ihrer Grundlage erfolgten vieljährigen Tadschikisch-Pamirischen Expedition (die Deutschen wurden übrigens nicht mehr dazu eingeladen) unbegreiflich, deren Tätigkeitsfeld das Gebiet von ganz Mittelasien umfasste. Efim Rossels schrieb über die sowjetisch-deutsche Expedition: „Die Hauptaufgabe der Expedition bestand darin, eine genaue Landkarte zu erstellen und „den weißen Fleck“ zu untersuchen, der einen erheblichen Teil des geplanten Gebietes einnimmt und um den die lokale Bevölkerung viele Legenden gebildet hat, nach denen in den unzugänglichen Schluchten von Tanymass ein geheimnisvoller Stamm lebe, der die Wege zu seinen Besitztümern sorgfältig bewache. Die Legenden besagen, dass vor vielen, vielen Jahren sich ein alter Stamm, um sich vor den Eroberern zu retten, über geheimnisvolle Bergpässe - Kaschal-Ajak und Tanymass - zurückgezogen habe und verschollen sei“. Nach der Verhaftung und Erschießung von N.P. Gorbunov sind viele Unterlagen der Expedition unwiederbringlich verloren gegangen oder in Vergessenhei geraten.
Es sei lediglich noch ein erstaunlicher Umstand zu betonen: selbst nachdem die Forscher eins nach dem anderen „die weißen Flecke“ auf der Karte von Pamir entfernten und das Gebiet umfassender und tiefgehender erforschten, blieben die sakrale Geografie und die sakrale Geschichte dieser erstaunlichen Gegend der Welt außerhalb des wissenschaftlichen Suchgebiets und die Informationen, die von den ersten Expedition gewonnen wurden, wurden außer acht gelassen.
Erst 1958 organisiert die Akademie der Wissenschaften der UdSSR eine große Expedition zum Pamir-Alaj-Gebiet unter Beteiligung von Wissenschaftlern aus verschiedenen Fachbereichen zum Zwecke einer umfassenden Untersuchung des wenig erforschten Gebiets. Die neue Expedition hat es nicht geschafft, ins Gebiet des unzugänglichen Tanymass zu gelangen, konnte aber sehr gute Ergebnisse in Geografie, Pflanzen- und Tierwelt sowie Ethnografie des unerforschten Gebietes gewinnen. Zur Expedition gehörte Professor B.F. Poršnev, der sich als Geschichtswissenschaftler in erster Linie für die Herkunft des homo sapines interessierte. Er vertrat die Auffassung, dass unsere Vorfahren im sozialen Sinne Menschen im Zuge der Wechselbeziehungen mit dem geheimnisvollen Stamm geworden waren, der von der Expedition von 1928 beschrieben wurde. Auf der Grundlage der Ergebnisse der Expedition zum Pamir-Alaj-Gebiet gibt B.F. Poršnev 1963 seine Arbeit „Der gegenwärtige Stand der Frage nach den Relikthominoiden“ heraus. (Poršnev B.F. Sovremennoe sostoânie voprosa o reliktovyh gominoidah (Der gegenwärtige Zustand der Frage nach Relikthominoiden). Moskau, Verlag des Instituts für wissenschaftlich-technische Information der Sowjetunion, 1963).
Eine Fortführung der Forschungen nach dem geheimnisvollen alten Stamm von Tanymas wurde unter dem Einfluss der Werke von Franz von Schwarz 1988 von den Deutschen - Viktor Arvedovič Ivonin und Artur Müller begonnen, die zu mehreren Expeditionen des erfahrenen Bergsteigers und Sportmeisters V.D. Kuleschov gehörten. Allerdings ist im Zuge des Zusammenbruchs der UdSSR das wissenschaftliche Interesse an diesem Problem versiegt. V.А. Ivonin nutzt die damals einzige mögliche Form der Veröffentlichung der Ergebnisse als schöngeistige Abenteuergeschichten, die eine faszinierende Symbiose der realen Tatsachen der Tätigkeit der Expeditionen, der lokalen Legenden und des urdeutschen Romantismus darstellen. In dieser ungewöhnlichen Form entstand eine lange historische Kette von den hervorragenden Werken von Franz von Schwarz zu den heutigen Deutschen, den Nachfolgern seiner legendären Ideen.
Literatur
1. Alexander des Grossen Feldzüge in Turkestan. Kommentar zu den Geschichtswerken des Flavius Arrianus LI. Q. Gurtius Rufus auf Grund vieljähriger Reisen im Russischen Turkestan und angrenzenden Ländern von Franz v. Schwarz. München, 1893. 103 Seiten; Schwarz F. von. Alexanders des Grossen Feldzuge in Turkestan. Stuttgart, 1906.
2. Schwarz F. von. Alexanders des Grossen Feldzüge in Turkestan, I. Stuttgart, 1906.
3. Schwarz F. von. Turkestan, die Wiege der indogermanischen Völker. Nach
fünfzehnjährigem Aufenthalt in Turkestan dargestellt von Franz v. Schwarz vormals Astronom der Taschkenter Sternwarte und Leiter des Turkestanischen Meteorologischen Instituts. Freiburg im Breisgau. Herdesche Verlagshandlung, 1900. 584 Seiten. Zweigniederlassungen in Wien, Strassburg, München und St. Louis, Mo.
4. Arrian. Pohod Aleksandra (Alexanders Feldzug). Moskau: „Mif“, 1993.
5. Barthold V.V. Buduŝee Turkestana i sledy ego prošlogo (Zukunft Turkestans und Spuren seiner Vergangenheit)//Aufsätze. Bd. III. Beiträge zur historischen Geografie. Moskau: Verlag „Nauka“. Hauptredaktion für östliche Literatur, 1965.
6. Barthold V.V. Novaâ kniga o Turkestane (Ein neues Buch über Turkestan). - F. V. Schwarz. Turkestan, die Wiege der indogermanischen Völker, nach fünfzehnjährigem Aufenthalt in Turkestan. Freiburg im Breisgau 1900, XX+606 S. mit 1 farb. Taf. 178. Fig. u. 1 Karte d. Turkestan. 1900//Russkij Turkestan. Nr. 25 (28.02./13.03.).
7. Karte des Hissar-Gebiets und des Fürstentums Kuljab, die anhand von Informationen, die vom Sekondeleutnant des 3. Turkestanischen Schützenbatallions Vischnevskij gesammelt wurden, und anhand von astronomischen Punkten, die von Herrn Schwarz ermittelt wurden, unter Leitung von Major Maev 1875 erstellt wurde. Maßstab 20 Werst pro 1 d. (Anlage zur Zeitung „Turkestanskie Vedomosti“. 1876).
8. Lunin B.V. Srednââ Aziâ v naučnom nasledii otečestvennogo vostokovedeniâ. Istoriografičeskij očerk (Mittelasien im wissenschaftlichen Erbe der einheimischen Orientalistik. Ein historiografischer Essay). Taschkent: Verlag „Fan“ der Usbekischen SSR, 1979. S. 117-118; s. auch die Rezension von N.I. Veselovskij: Berichte der Ost-Abteilung der Russischen archäologischen Gesellschaft. Petersburg. 1894. Bd. VIII.
9. Maev N.А. Očerki Hissarskogo kraâ (Beschreibungen des Hissar-Gebiets)//“Turkestanskie Vedomosti“, 1876. Nr. 2-7, 9-14: O putešestvii gg. Maeva, Višnevskogo i Švarca (Über die Reise von Herren Maev, Vischnevskij und Schwarz) //Turkestanskij sbornik. Т. 152.
10. Maev N.А. Očerki Hissarskogo kraâ (Beschreibungen des Hissar-Gebiets)//Informationen für die Statistiken des Landkreises Turkestan. Jahrbuch. Verlag des Turkestanischen Statistikkomitees. Hrsg. N.A. Maev. Ausgabe V. St.-Petersburg: Druckerei und Chromolitografie von А. Transchel und Stremjannaja. Nr. 12, 1879.
11. Maev N.А. Geografičeskij očerk Hissarskogo kraâ i Kulâbskogo bekstva (Eine geografische Beschreibung des Hissar-Gebiets und des Fürstentums Kuljab). Nachrichten der Russischen geografischen Gesellschaft, Bd. XII, 1876.
12. Postoev А.I. 60 let Taškentskoj astronomičeskoj observatorii (60 Jahre Sternwarte Taschkent) (1874-1934)//Arbeiten der Sternwarte Taschkent. Т. Y. LX. 1874-1934. Taschkent: Verlag des Wissenschaftskomitees der Usbekischen SSR, 1935.
13. Rahmanova R.M. Iz istorii izučeniâ sredneaziatskoj antičnosti do oktâbrâ 1917 g. (Aus der Geschichte der Erforschung der asiatischen Antike bis 1917)//Wissenschaftliche Werke der Staatlichen Universität Taschkent. Aufgabe 281. Beiträge zur Geschichte Mittelasiens. Taschkent: Verlag „Nauka“ der Usbekischen SSR, 1966.
14. Severcev N.A. Putešestviâ po Turkestanskomu kraû (Reisen durch den Landkreis Turkestan). Moskau: OGIZ, Staatlicher Verlag für geografische Literatur, 1947.
15. Schwarz F.F. (Astronom) //Obzor russkih putešestvij i ekspedicij v Srednûû Aziû (Eine Übersicht der russischen Reisen und Expeditionen nach Mittelasien). Teil III. 1869-1880. Erstellt von: Dr. der Geschichtswissenschaften О.V. Maslova. Informationen zur Bibliografie. Aufgabe IX. Taschkent: Staatliche Lenin-Universität Taschkent. Taschkent, 1962.
16. Ŝeglov V.P. Kratkaâ istoriâ Taškentskoj astronomičeskoj observatorii Astronomičeskogo instituta Akademii nauk Uzbekskoj SSR (Kurze Geschichte der Taschkenter Sternwarte des Astronomischen Instituts der Akademie der Wissenschaften der Usbekischen SSR) (1873-1973) // 100 Jahre Astronomisches Institut der Akademie der Wissenschaften der Usbekischen SSR. Taschkent: Verlag „Fan“ der Usbekischen SSR, 1974.
17. Ŝeglov V.P. Institut astronomii AN UzSSR i ego istoriâ. Istoriâ Taškentskoj astronomičeskoj observatorii Astronomičeskogo instituta Akademii nauk UzSSR (Institut für Astronomie der Akademie der Wissenschaften der Usbekischen SSR und seine Geschichte. Geschichte der Taschkenter Sternwarte des Astronomischen Instituts der Akademie der Wissenschaften der Usbekischen SSR)//Ausgewählte Werke. Taschkent: Verlag „Fan“ der Usbekischen SSR, 1989.
18. Ŝeglov V.P. Rol' Taškentskoj astronomičeskoj observatorii v geografičeskom i kartografičeskom izučenii territorii byvšego Turkestana)//Werke der Sternwarte Taschkent. Т. Y. LX. 1874-1934. Taschkent: Verlag des Wissenschaftskomitees der Usbekischen SSR, 1935.
19. Èdvard Rtveladze. Aleksandr Makedonskij v Baktrii i Sogdiane. Istroriko geografičeskie očerki (Alexander der Große in Baktrien und Sogdiana. Historische und geografische Essays). Taschkent: Kunstakademie der Republik Usbekistan. 2002. Sieh auch Savickij G.I. Arrian kak istočnik po istorii Srednej Azii (Arrian als Quelle für die Geschichte Mittelasiens) //Werke der Pädagogischen Hochschule Samarkand. 1941. Bd. 3.
Germanov, Valeriy Aleksandrovič
wissenschaftlicher Hauptmitarbeiter des Instituts für Geschichte der Akademie der Wissenschaften der Republik Usbekistan, Dr. der Geschichtswissenschaften