Baggi auf Abwegen. Das hier ist nicht Tatort Münster. Dürfte also nur die Wenigsten interessieren.
Aber musste trotzdem sein.
Bingo-Prompt: Verletzung
Fandom: Mörderische Stille (ZDF-Krimi vom Anfang des Jahres) Wenn ihr den Film nicht kennt, aber noch schauen wollt: Achtung, Spoiler! An dieser Stelle aufhören zu lesen!
Zusammenfassung: Er sah sie an, in seinen Augen nichts als Verständnis. „Er hat den Halt verloren.“ Sie wussten beide, dass er nicht von dem Moment sprach, in dem Holzer über Bord gestürzt war.
Genre: h/c, etwas Angst
Wörter: 660
Anmerkungen: missing scene zu "Mörderische Stille". Ergibt nur Sinn, wenn man den Film kennt. Und vielleicht nicht mal dann. *hust*
Ich habe selten einen Krimi gesehen, in dem mich eine kurze Sequenz derart beschäftigt hat. Da der Regisseur und Drehbuchautor den Film bis ins Detail durchdacht hat, weigere ich mich zu glauben, dass Holzers Versinken im Meer rein der Spannung halber inszeniert wurde. Seine Protagonisten waren derart ausgefeilt - da steckt auf jeden Fall ein Grund dahinter… fragt sich, welcher. ;)
Wenn jemand von euch seine Sicht auf das Geschehen an Bord der Relief mit mir teilen möchte: ich würde mich freuen! Bin total neugierig, wie jemand anders diesen Moment empfunden hat.
Wenn sie gekonnt hätte, sie hätte ihn angeschrien. Wieso hatte er losgelassen? Wie hatte er das nur tun können?
Am liebsten hätte sie ihn geschüttelt, mit all ihrer Kraft. Doch stattdessen kletterte sie zu ihm auf das schmale Bett, zog ihn hoch in ihre Arme und hielt ihn, sobald Michael von ihm abließ. Bettete seinen Kopf an ihrer Schulter und hielt ihn an sich gepresst, während ihr Mann alle Decken, die sie an Bord hatten, zusammentrug, um sie um seinem unterkühlten Körper festzustecken.
Sie half ihm nicht dabei; sie war zu beschäftigt damit, den reglosen Kommissar zu beobachten, ängstlich auf jeden neuen Atemzug zu warten, auf eine noch so kleine Bewegung zu hoffen.
Und Michael ließ sie.
Doch Holzer rührte sich nicht. Er hatte die Besinnung verloren, kaum dass sie ihn aus dem Meer gezogen hatten, und auch, während sie ihn hektisch - und in ihrer Hast wenig sanft - unter Deck transportiert und ihm seine vom eisigen Wasser durchtränkten Kleidungsstücke vom Körper gezerrt hatten, war er nicht zu sich gekommen.
Ein schmerzerfülltes Keuchen war die einzige Reaktion gewesen, die ihre fieberhafte Arbeit ausgelöst hatte. Natürlich hatte sie das Geräusch nicht gehört, aber sie hatte gefühlt, wie er sich angespannt hatte in dem Augenblick, und vor allen Dingen gesehen, wie er stöhnte, wie ein gequälter Ausdruck über sein erschöpftes Gesicht huschte.
Michael hatte verblüfft zu ihr aufgeschaut, als er den Grund dafür entdeckt hatte; die Prellungen freigelegt hatte, die sich über Holzers Rippen, seinen Rücken und Nacken zogen. Er hatte gleich realisiert, dass längst nicht alle von Heiders Angriff stammen konnten.
Doch sie hatte den direkten Blickkontakt verweigert. Zu bitter war das Bewusstsein, dass sie und ihre Tochter für einige dieser Verletzungen verantwortlich waren.
Der Kommissar hatte viel einstecken müssen in den letzten Tagen. Zu viel einstecken müssen?
Verzweifelt verstärkte sie ihren Griff, legte ganz behutsam ihre Hand an seine eiskalte Wange. Als würde es ihm helfen, wieder zu sich zu finden. Aber er lag weiterhin schlaff und schwer in ihrem Schoß.
Ihre Finger zitterten, als sie dem bewusstlosen Mann eine tropfende Haarsträhne aus der Stirn strich. Hilflos; und immer noch fassungslos. In dem Moment, in dem er seine Hände vom Rettungsring gelöst hatte und in die Tiefe gesunken war, war etwas in ihr zu Eis erstarrt. Wie hatte er das tun können? Sein Leben war zu wertvoll, um einfach loszulassen. Er war zu wertvoll, um einfach loszulassen. Wieso sah er das nicht?
Tränen stiegen ihr in die Augen, als sie sein blasses Gesicht fixierte, doch beinah zornig blinzelte sie sie weg. Fixierte ihn weiterhin, so lange sie noch die Gelegenheit dazu hatte. Wollte sich seine Züge einprägen. Jede Kontur, jede kleine Falte.
Zurückhaltend war dieser Mann, geradezu in sich gekehrt. Scharfsinnig. Feinfühlend. Verletzlich. Aber auch erschöpft. Unglücklich.
Schuldig. In seinen Augen.
Noch nie hatte sie sich einem völlig Fremden so schnell so nahe gefühlt. Zwei verwundete Seelen, die sich im Strudel des Lebens gefunden hatten.
Sie schreckte auf, als Michael ihren Arm fasste, um ihre Aufmerksamkeit zu erhaschen. Er sah sie an, in seinen Augen nichts als Verständnis. „Er hat den Halt verloren.“
Sie wussten beide, dass er nicht von dem Moment sprach, in dem Holzer über Bord gestürzt war.
„Halte du ihn. So lange du kannst.“ Er drückte ihre Hände. Liebevoll.
Ein Abschied.
Dann stand er auf und rief die Küstenwache.
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Seine Hände unter den ihren waren warm. Beruhigend warm und lebendig. Kein Vergleich zu der Eiseskälte und der Angst gerade mal sechsunddreißg Stunden zuvor.
Sie hielt ihn. Hielt seine Hände an die Reling gepresst, mit aller Kraft. Und er ließ sich halten. Ließ sich halten und sagte nichts, sah sie nur an.
Er brauchte auch nichts zu sagen, sie konnte all seine Gedanken und Gefühle in seinen Augen ablesen. Das hatte sie von der ersten Sekunde an gekonnt.
Schließlich zog er seine Hände unter ihren hervor. Behutsam. Vorsichtig. Und doch entschieden.
Ein Abschied.
Sie wandte sich nicht mehr zurück, als sie das Boot aus dem Hafen steuerte.