Titel: Spielschuld
Genre: beware of the extremely fluffy easter-plot-bunnies
Zusammenfassung: Nadeshda schaute nochmals zurück auf Frau Haller und ihren Begleiter, die sich nun langsam weiter von ihnen wegbewegten. „Ich bin gespannt was Professor Boerne dazu sagen wird, dass sein besseres Viertel sich nun plötzlich ein anderes Dreiviertel gesucht hat.“
Wörter: 2680
A.N 1: Jesus, ich habe zu viele Schokoladeneier gegessen. Ich laboriere hier gerade an den Folgen einer geistigen Hyperglykämie und ihr müsst es ausbaden. Also seid gewarnt vorm Zuckerschock! *hust*
Thiel hasste solche Dienste! Stunden um Stunden hatten sie über alten Protokollen gebrütet, und all ihren Mühen zum Trotz standen immer noch mit leeren Händen da.
Nichts, aber auch wirklich nichts Gescheites war heute zustande gekommen. Diesen Tag konnte man doch wirklich komplett vergessen.
„Boah, meine Herren!“ Mit einem Aufseufzen lehnte er sich in seinem Schreibtischstuhl zurück und reckte sich, bevor er die Hände in seinem Nacken verschränkte und Nadeshda ansah. „Ich hab‘ die Nase voll, wir haben heute weiß Gott genug Akten geschoben! Wissen Sie was? Wir fahren jetzt ins Kalinka, ich lade Sie auf ein Bier ein.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, stand er energisch auf und zog seine Jacke von der Rückenlehne seines Stuhls. „Außerdem habe ich Hunger und mein Kühlschrank ist leer. Aber Ihr Vater hat doch bestimmt etwas Leckeres auf der Tageskarte stehen, oder?“ Nach einem solchen Schrotttag musste man sich einfach etwas Gutes tun.
Doch statt ihm begeistert zuzustimmen, hob seine junge Assistentin wie abwehrend die Hände. „Tut mir leid, Chef. Das Kalinka ist für drei Wochen geschlossen, meine Eltern sind auf Verwandtschaftsbesuch in Russland.“
„Och, so’ne Kacke.“ Thiel, der schon einen Jackenärmel übergestreift hatte, hielt enttäuscht inne. „Naja, egal. Dann muss ich auf dem Weg nach Hause halt an einer Pommesbude vorbeifahren.“ Für ihn war jetzt trotzdem Feierabend, er zog seine Jacke vollständig an und Nadeshda erhob sich ebenfalls.
„Wissen Sie was, ich bin auch nicht zum Einkaufen gekommen. Aber es ist doch Send!“ Sie legte fragend den Kopf schräg, als sie vorschlug: „Sie laden mich auf ein Bier ein und ich Sie auf eine Currywurst? Es gibt dort einen Stand, der steht seit Jahren an der gleichen Stelle, ich kenne ihn schon ewig. Die Wurst wird Ihnen schmecken, da bin ich mir sicher!“
Thiels Laune besserte sich schlagartig, ein zufriedenes Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. Er musste keine zwei Sekunden überlegen. „Worauf warten wir noch? Sie fahren!“
Die Aufforderung war unnötig, Nadeshda schnappte in diesem Augenblick bereits den Schlüssel des alten Passats von ihrem Schreibtisch.
Zwanzig Minuten später hatten sie sich von den Besuchermassen an unzähligen Karussels und Buden vorbeischeiben lassen, bis sie an dem Würstchenstand angekommen waren, von dem Nadeshda erzählt hatte. Und sie hatte nicht zu viel versprochen, wie Thiel ihr mit vollem Mund versicherte; die Currywurst war so lecker, dass er sich begeistert eine zweite gönnte.
Während Thiel noch genüsslich mit seinem Stück Brot die restliche Sauce aus dem Pappschälchen aufwischte, beobachtete Nadeshda, die natürlich längst mit dem Essen fertig war, die vielen Menschen, die an ihnen vorbeibummelten. Plötzlich streckte sie sich und starrte angestrengt zu einem Fahrgeschäft hinüber, dass sich einige Meter weiter hinten auf der anderen Straßenseite befand.
„Schauen Sie mal, Chef! Da ist Frau Haller! Und sie ist nicht allein unterwegs.“ Sie klang ganz überrascht.
Thiel fand das jetzt allerdings nicht so bemerkenswert. „Naja, warum nicht? Macht doch Spaß, mit `ner Freundin über die Kirmes zu bummeln.“
Während er das letzte Stück Toast in den Mund steckte, warf Nadeshda ihm einen amüsierten Blick zu, richtete ihre Augen dann aber gleich wieder auf das Gewimmel von Personen. „Von einer Freundin habe ich nicht gesprochen. Ihr Begleiter ist schätzungsweise 1,80 m groß und gut gebaut, trägt, so wie ich das von hier beurteilen kann, eine knackige Jeans und eine dunkelblaue Jacke. Und er hat einen Arm um sie gelegt.“
„Was??“ Verwundert fuhr Thiel sich mit einer Handvoll Servietten über den Mund und stellte sich auf die Zehenspitzen, um Nadeshdas Blick zu folgen. „Wo sind die beiden?“
„Dahinten.“ Seine Assistentin wies mit dem Finger auf eine Menschentraube. „Neben den Jungs mit den Luftballons, man sieht im Moment nur Frau Hallers Haare und seine Jacke.“
Nun hatte Thiel die kleine Rechtsmedizinerin und ihren Begleiter, vom dem er allerdings nur einen Teil des Rückens sehen konnte, ebenfalls entdeckt. Erstaunt ließ er sich auf die Füße zurücksinken „Meine Güte, jetzt bin ich platt. Damit hatte ich nicht gerechnet.“
„Warum nicht?“ Nadeshda schaute ihn schräg von der Seite an. „Frau Haller ist doch eine attraktive Frau?“
Noch während sie sprach, schüttelte Thiel schon den Kopf. „So habe ich das nicht gemeint. Ich hätte nur nicht damit gerechnet, dass sie jemand Fremdes… also…“ Er merkte, dass er sich ein wenig verrannt hatte, doch nun war es zu spät zurückzurudern und er kam nicht umhin, ihr seine heimliche Theorie mitzuteilen. Schulterzuckend erklärte er: „Ich habe gedacht, sie schielt auf Boerne.“
Entgegen seiner Vermutung lachte Nadeshda nicht, sondern musterte ihn verwundert und nickte dann langsam. „Ganz ehrlich, das habe ich auch immer gedacht.“ Sie wandte ihren Blick wieder von ihm ab und schaute nochmals zurück auf Frau Haller und ihren Begleiter, die sich nun langsam weiter von ihnen wegbewegten. „Ich bin gespannt was er dazu sagen wird, dass sein besseres Viertel sich nun plötzlich ein anderes Dreiviertel gesucht hat.“
„Ja, das frage ich mich auch.“ Thiel kratzte sich am Kopf. War er bislang ziemlich sicher gewesen, dass Frau Haller in ihrem Chef mehr als nur einen Vorgesetzten sah, war er außerdem überzeugt davon, dass es andersherum ebenso war. Gut, bei Frau Haller hatte er sich offensichtlich getäuscht, aber galt das auch für Boerne?
Besser wäre es wohl wenn er auch hier mit seiner Einschätzung daneben liegen würde, sonst waren unter Garantie einige turbulente Szenen in der Rechtsmedizin zu erwarten. Er mochte sich nicht wirklich ausmalen, wie der Professor reagieren würde, wenn er dahinter kam, dass seine Assistentin sich einen Freund angelacht hatte.
Kurzentschlossen blickte er auf. „Wir können ja mal fragen, ob die beiden mit uns ein Bier trinken wollen...“ Er versuchte, ganz entspannt und neutral zu klingen, doch Nadeshda begann zu grinsen. „Chef, Sie sind genauso neugierig wie ich, geben Sie es ruhig zu. Aber ich denke auch, wir sollten ihn mal genauer in Augenschein nehmen. Das kann ja nicht schaden.“
Thiel konnte ein belustigtes Schmunzeln nicht unterdrücken, als er sich neben seiner Assistentin in den Menschenstrom einfädelte. „Nee, das schadet bestimmt nich.“
Sie ließen sich von den Kirmesbesuchern treiben, gingen dabei in die gleiche Richtung wie Frau Haller und ihr Partner. Allerdings verloren sie die beiden in dem unglaublichen Gewühl nach kurzer Zeit schon aus den Augen. Ihn hatte Thiel noch gar nicht recht zu Gesicht bekommen, und nach ein oder zwei Minuten sah er auch Frau Hallers blonde Haare nicht mehr aufleuchten. Es war einfach zu viel los an diesem lauwarmem Sommerabend, unzählige Menschen aller Altersklassen waren unterwegs, von Familien mit Kindern über verliebte Teenager und grölende Halbstarke bis hin zu Senioren.
Für eine Weile suchten sie noch, schauten rechts und links an den vielen Buden, doch leider konnten sie Boernes Assistentin nicht wieder entdecken.
Thiel wollte gerade vorschlagen, es gut sein zu lassen und endlich ein Bier zu trinken, als Nadeshda plötzlich an seinem Jackenärmel zog. „Da steht Frau Haller! Da, vor dem runden Tisch am Getränkestand!“
Ein Grinsen breitete sich auf Thiels Gesicht aus. „Na das passt ja wie die Faust aufs Gesicht! Dann mal nix wie hin.“
Ein wenig forsch schwenkten sie ab und bahnten sie sich den Weg durch die Besuchermassen. Boernes Assistentin stand entspannt neben einem der weißen Stehtische und beobachtete mit einem leisen Lächeln im Gesicht quietschende Kinder, die in einem kleinen Karussell neben der Bierbude begeistert ihre Runden drehten; ihren Begleiter konnte Thiel in den zahllosen Kunden vor dem Tresen allerdings nicht ausmachen. Aber über kurz oder lang würden sie ihn ja bestimmt zu Gesicht bekommen.
Auf sein lautes „Moin Frau Haller!“ drehte sie sich erstaunt um und ein ehrlich erfreuter Ausdruck breitete sich auf ihrem offenen Gesicht aus. „Na sowas! Herr Thiel! Nadeshda! Das ist ja eine nette Überraschung. Was machen Sie denn hier?“
Thiel zuckte entspannt mit den Schultern. „Ich wollte Nadeshda auf ein Bier einladen nach dem bescheuerten Dienst heute. Und dann haben wir Sie zufällig hier stehen sehen und dachten, wir sagen mal kurz hallo!“
Auch Nadeshda grüßte strahlend, aber Thiel war sich darüber im Klaren, dass ihr amüsiertes Grinsen wohl vor allem auf seine leicht zurechtgebogene Antwort zurückzuführen war.
Frau Haller konnte das natürlich nicht ahnen sondern erwiderte das Lächeln fröhlich. „Na, das war aber wirklich ein großer Zufall bei der Völkerwanderung hier! Dann tun wir uns doch zusammen, wir wollten auch gerade…“
Bevor sie ihren Satz beenden konnte, ertönte eine Stimme in ihrem Rücken: „Sie können froh sein, dass ich Sie habe kommen sehen, kurz bevor ich meine Bestellung aufgegeben habe. Ich gehe doch Recht in der Annahme, dass Sie ein Glas mit uns trinken?“
Thiel fuhr herum und riss vor Verblüffung die Augen auf, als er beobachtete, wie Boerne vier Gläser auf dem Tisch abstellte und dann mit einem Nicken zuerst Frau Haller und anschließend Nadeshda versorgte. Zu guter Letzt bekam Thiel selbst ein kühles Bier in die Hand gedrückt.
Nadeshda hatte sich offensichtlich etwas eher von ihrer Überraschung erholt und schaffte es, wieder fast normal zu klingen, als Boerne und Frau Haller ihr zuprosteten. Thiel selber allerdings sagte kein Wort, sondern starrte weiterhin ungläubig auf seinen Kollegen, was den Professor dazu brachte, ihm über den Rand seiner Brille hinweg einen stirnrunzelnden Blick zuzuwerfen. „Thiel! Bekommen Sie den Mund nicht mehr auf? Dann sollten Sie schleunigst einen Arzt aufsuchen, eine Kieferklemme ist oft das erste Symptom einer Tetanusinfektion.“
Frau Haller schüttelte lächelnd den Kopf und stieß ihrem Vorgesetzten spielerisch in die Seite. „Mensch Chef, jetzt werden Sie mal nicht fies. Ich kann durchaus verstehen, warum Herr Thiel so verblüfft ist.“
Boerne gab daraufhin nur ein despektierliches Geräusch von sich und endlich schaffte Thiel es, seine Starre abzuschütteln. „Das können Sie laut sagen“, brummte er und langsam breitete sich ein Grinsen auf seinem Gesicht aus, während er Boerne nochmals unverhohlen musterte. „Also so habe ich Sie ja wirklich noch nie gesehen. Wie kommt’s? Gedenken Sie, uns aufzuklären?“
Nadeshda schaute auch ganz interessiert, als Boerne die Augen verdrehte und nach einem Seitenblick auf seine Begleiterin seufzte: „Ganz ehrlich, das ist eine lange Geschichte...“
Doch Frau Haller schüttelte gleich den Kopf und ließ ihn gar nicht weiterreden. „Unsinn. Das kann man auch in wenigen Worten erklären. Er hat beim Kickern verloren.“
Als sie nicht weitersprach, blickte Thiel verwirrt zwischen den beiden Kollegen hin und her. „Ich versteh‘ kein Wort. Geht’s vielleicht etwas genauer?“
Die kleinwüchsige Rechtsmedizinerin sah ihren Chef auffordernd an, doch er hob wie abwehrend die Hände. „Alberich, jetzt haben Sie einmal angefangen damit, dann bringen Sie das mal schön zu Ende.“
Das ließ Frau Haller sich nicht zweimal sagen. „Er hat mir vor ein paar Wochen erzählt, dass er mit seiner Nichte Betty in einem Freizeitpark war. Und ehrlich gesagt habe ich einen Lachanfall bekommen bei der Vorstellung, wie der Chef im Armani-Anzug neben einer kreischenden Zwölfjährigen in der Geisterbahn sitzt.“ Sie begann, ungemein ansteckend zu kichern und genau wie bei Nadeshda breitete sich auf Thiels Gesicht ein Grinsen aus. „Ja, das stelle ich mir allerdings auch recht bescheuert vor.“
Nun gelang es Boerne doch nicht mehr, ruhig zu bleiben. „Als ob ich einen Anzug tragen würde, wenn ich einen Freizeitpark besuche!“ schnaubte er, bevor sie weitersprechen konnte. „Aber Alberich hier wollte mir partout nicht glauben, dass ich über ein kleines, ausgesuchtes Sortiment legerer Kleidung verfüge und hat mich tagelang damit getriezt, dass sie mich in diesem Aufzug sehen will.“ Er gab sich Mühe, rechtschaffen mürrisch zu klingen, doch seine leise zuckenden Mundwinkel verrieten ihn, als er hinzufügte: „Als ob ich mir so etwas ausdenken würde!“
Frau Haller lachte und ergriff erneut das Wort. „Natürlich hat er sich geweigert, mir diese legere Kleidung zu präsentieren, also habe ich ihn ein Weilchen in Ruhe gelassen…“
„…um mich in falscher Sicherheit zu wiegen…“ mischte Boerne sich wiederum ein, doch Frau Haller fuhr ungerührt fort: „…aber vorhin habe ich ihn zum Kickern herausgefordert mit der Bedingung, dass wir nicht um Geld spielen, sondern dass der Gewinner einen Wunsch frei hat, den der andere erfüllen muss.“
Thiel starrte Boerne ungläubig an. „Und darauf haben Sie sich eingelassen? Ich kann es nicht glauben.“
"Natürlich! Wo bleibt denn Ihr Sportsgeist, Thiel?" Boerne zuckte nun ehrlich aufgebracht mit den Schultern. „Wie sollte ich denn ahnen, dass sie auf solch einen absurden Gedanken kommen würde? Ich bin davon ausgegangen, dass sie verlangt, beim nächsten Gerichtsverfahren als Gutachter zu fungieren, oder dass sie mich dazu verdonnert, zwei Wochen lang die schmutzigen Obduktionsbestecke wegzuräumen. Das hier…“ damit warf er einen gespielt verzweifelten Blick an sich hinunter und hob danach demonstrativ sein Pilsglas „…war nun wirklich die letzte meiner Ideen.“
Frau Haller lachte fröhlich und auch Boerne konnte ein Lächeln nicht mehr unterdrücken, als er seinen Arm und sie legte und sie ein wenig an sich zog. „Aber Sie hätten sie sehen sollen, als ich sie vorhin daheim abgeholt habe. Ihr sind die Augen fast aus dem Kopf gefallen. Allein das war es wert.“
„Ja, das stimmt. Ich war wirklich platt.“ Frau Haller blickte zu ihm auf und strahlte noch mehr. „Und ich sage es nochmal Chef, es steht Ihnen gut. Sie könnten so was ruhig öfter tragen.“
Doch Boerne schüttelte gleich energisch den Kopf. „Vergessen Sie’s.“
„Schade.“ Die kleine Frau seufzte übertrieben, bevor sie sich augenzwinkernd an Thiel und Nadeshda wandte: „Keine Sorge, irgendwann werde ich ihn wieder überlisten.“
„Das glauben Sie doch wohl selber nicht, als ob ich noch einmal auf so etwas hereinfallen würde!“ Boerne drückte nochmals ihre Schulter, bevor er sie wieder losließ und hielt dem Kommissar dann wortlos sein Bierglas hin, aus dem er nur einen Schluck getrunken hatte. Es war ihm wohl nicht entgangen, dass Thiel, der nach dem scharfen Essen inzwischen ziemlichen Durst verspürte, sein eigenes mehr oder weniger auf einen Zug geleert hatte.
„Nehmen Sie ruhig. Ich denke, für heute habe ich ihn genug gequält“, kicherte die Rechtsmedizinern, nachdem Thiel ihr einen fragenden Blick zugeworfen hatte, und Thiel lachte ebenfalls. „Na gut, wenn Sie seine Spielschuld dann trotzdem als abgeleistet ansehen, kann ich es ja ohne schlechtes Gewissen annehmen.“ Damit griff er nach dem Glas und gönnte sich noch einen großen Schluck.
„Professor, was hätten Sie denn von Frau Haller verlangt, wenn Sie gewonnen hätten?“, fragte Nadeshda neugierig.
„Ich hätte Alberich gezwungen, mich morgen auf den Wochenendkongress nach Köln zu begleiten“, erklärte Boerne ganz ungerührt. „Das Thema ist durchaus interessant und es wäre mir gewiss gelungen, noch kurzfristig zwei Karten für die Philharmonie zu organisieren. Das WDR Sinfonieorchester spielt dort am Sonntag Wagner, zu Ehren seines 200. Geburtstages. Die Inszenierung wird mit Sicherheit phänomenal.“
„Oh.“ Frau Hallers Lächeln war bei seinen Erläuterungen einem Ausdruck der Betroffenheit gewichen. „Dazu hätten Sie mich nicht zwingen müssen." Sie klang plötzlich ganz leise und enttäuscht. "Wenn ich das geahnt hätte, hätte ich freiwillig verloren.“
Die Stimmung am Tisch war mit einem Male gekippt. Nadeshda runzelte die Stirn und Thiel warf seinem Kollegen einen perplexen Blick zu, doch Boerne bemerkte das nicht. Er war ganz auf seine Assistentin konzentriert.
„Tatsächlich? Würde Ihnen das Spaß machen?“ Da war ein Hauch von Unsicherheit in seiner Stimme, den Thiel so bei ihm noch nie gehört hatte, als er wie fragend vorschlug. „Ich könnte versuchen, die Karten noch zu bekommen?“
Frau Hallers Augen begannen zu strahlen, als sie enthusiastisch nickte, und auf Boernes Gesicht breitete sich daraufhin ein erfreutes Lächeln aus. Erneut legte er einen Arm um sie und wandte sich dann Thiel und Nadeshda zu: „Sie werden Verständnis haben, wenn wir uns jetzt so unvermittelt verabschieden, aber Alberich muss packen und ich muss dringend telefonieren. Und dazu ist es hier entschieden zu laut. Guten Abend zusammen!“
Thiel hatte das Gefühl, das Grinsen, das sich auf sein Gesicht geschlichen hatte, während er seine Kollegen beobachtet hatte, sei inzwischen festgewachsen. Er konnte nur lachend winken, als Boerne noch einmal kurz nickte und Frau Haller ihnen ein fröhliches „Wir sehen uns am Montag!“ zuwarf, bevor ihr Chef sie vom Getränkestand wegsteuerte und sie innerhalb von Sekunden in den Menschenmassen verschwanden.
„Viel Spaß!“ rief Nadeshda ihnen nach und schüttelte dann ungläubig lächelnd den Kopf. „Also das war jetzt irgendwie eine unerwartete Entwicklung.“
Thiel schnaubte amüsiert. „Damit hatte ich auch nicht gerechnet. Aber ich habe das Gefühl, dass wir beide verdammt richtig gelegen haben. Ich bin gespannt, wie es weitergeht.“
Anscheinend war er zu voreilig gewesen mit der Annahme, dass man diesen Tag nun wirklich komplett vergessen konnte. Es schien ihm mit einem Male sogar, als ob auf Dauer etwas ganz Besonderes daraus entstehen könnte.