Story: Machtlos

Feb 04, 2013 12:09

Titel: Machtlos
Genre: hm, weiß nicht. Etwas Angst?
Zusammenfassung: Er hatte gesagt, dass seine Kollegen und er Schlimmeres verhindern würden. Hatte versprochen, er würde ihn im Auge behalten.
Anmerkungen: missing scene zu "Licht".
A.N. 1: wie immer ohne Beta, muss noch mal drüber schauen, ist noch nicht rund
A.N. 2: Outsider p.o.v.
A.N. 3: In der Sendung mit der Maus gab es einen Beitrag über einen Tag im Jugendknast. Dort wurde unter anderem gezeigt, dass immer ein paar der Häftlinge gemeinsam essen dürfen. Ich habe keine Ahnung, ob es das im normalen Strafvollzug auch gibt, aber habe es jetzt einfach mal so übernommen.
Wörter: 1400


Er hatte gesagt, dass seine Kollegen und er Schlimmeres verhindern würden. Hatte versprochen, er würde ihn im Auge behalten.

***

Die Insassen waren unruhig, schon den ganzen Tag. Irgendetwas lag in der Luft, auch wenn es nicht zu greifen war.

Der Beamte von der Frühschicht hatte zwar bei der Dienstübergabe nichts darüber berichtet, aber ihm war es sofort aufgefallen; er war lange genug im Job, um solche Schwingungen unmittelbar wahrzunehmen. Da knisterte eine unterschwellige Anspannung, eine Art negative Energie.
Doch so sehr er seine Augen und Ohren offen hielt, er fand nicht heraus, wo genau es brodelte und wer dahinter steckte. Es schien gleichzeitig alle und niemanden zu betreffen.

Tatsache war, dass es mehrere Cliquen und Gangs im Gefängnis gab, die Leute hatten sich untereinander in verschiedene Gruppen unterteilt und einige von ihnen waren regelrecht verfeindet. Ab und an kam es zu Fehden zwischen diesen Chaoten; gut möglich, dass sich die Stimmung im Block in den letzten Wochen so aufgeheizt hatte, dass wieder einmal offene Animositäten zwischen zwei rivalisierenden Banden anstanden.
Also hielt Denninger sein Team zu äußerster Aufmerksamkeit an und sie alle gaben besonders auf die Anführer der jeweiligen Gruppen acht.

Als er am Nachmittag nach einer kurzen Besprechung aus dem Büro des Gefängnisdirektors zurückkehrte, lehnte er sich an die Wand und beobachtete schweigend die Häftlinge, die auf den Fluren herumstanden und sich leise unterhielten. Auf den ersten Blick schien nichts ungewöhnlich zu sein; ein paar fehlten noch, sie waren zum Dienst in der Küche eingeteilt und bereiteten das Abendessen vor.

Denninger machte weiter seine Runden, hielt die Insassen im Auge und wartete ungeduldig darauf, dass endlich die Essenszeit vorbei war und sie die Männer einschließen konnten. Normalerweise gönnte er ihnen die paar Minuten außerhalb der Zelle, ohne Arbeit und Zwang, aber heute war das anders. Heute ließ ihn diese Unruhe einfach nicht los.

Inzwischen waren auch die Jungs aus der Küche zurückgekommen. Das Essen war fertig, und die, die nicht an der gemeinsamen Mahlzeit teilnehmen durften, befanden sich wieder in ihren Zellen.
Er stieß sich gerade von der Wand ab und wollte auf einen Kollegen zusteuern um die zehn Männer, die zusammen essen würden, zu den Tischen zu dirigieren, als er aus dem Augenwinkel wahrnahm, wie einer der Jungs, der in der Küche gearbeitet hatte und einer derer, die an der Treppe herumlungerten, sich anfeixten und dann abklatschten. Kurioserweise waren das eigentlich zwei der größten Konkurrenten hier im Block.

In der Sekunde war bestätigt, dass er sich nicht getäuscht hatte, was die spürbare Anspannung anging. In der gleichen Sekunde wusste er jedoch, dass sie nichts mit einem Bandenkrieg zu tun hatte.
Eine Sekunde später wurde ihm klar, dass Boerne nicht aus der Küche zurückgekehrt war und niemand hatte es bemerkt.

Dabei hatte er versprochen, er würde ihn im Auge behalten.

Er brüllte einem Kollegen zu, ihm zu folgen und wies die weiteren an, alle Häftlinge sofort in die Zellen zu bringen.
Die Beamten wirkten für einen Moment erstaunt, folgten seinen Anweisungen aber umgehend und trieben die Männer zusammen.
Ein paar der Insassen, die nun mit harschen Worten geradewegs aus dem Flur gescheucht wurden, wirkten verwundert; drei oder vier jedoch grinsten.
Und Denninger würde nicht vergessen, wer.

Die große Küche war schnell durchquert und es war gleich ersichtlich, dass sie leer war. Es war ihm ohnehin klar, dass der Kühlraum sein Ziel sein musste. Der Kühlraum, der am Tag zuvor eine neue Kamera hatte bekommen sollen; nur deshalb hatte er Boerne wieder mit auf den Arbeitsplan gesetzt, in dem Glauben, er wäre nun geschützt. Doch - wie er erst im Nachhinein erfuhr - hatte die Installation aus irgendwelchen Gründen nicht wie geplant stattgefunden und niemand hatte ihn darüber informiert.

Als er die verkrümmte Gestalt in einer Blutlache auf dem Boden liegen sah, blieb er für eine Sekunde wie gelähmt stehen.
Sein Begleiter, der neben ihm ins Stocken gekommen war, brauchte keine Anweisung, er sah sofort, was zu tun war. „Ich rufe Neuhaus und den Notarzt!“ Mit diesen Worten riss er sein Funkgerät heraus und informierte den Arzt des Krankenflügels.

Denninger ersparte sich eine Antwort, er löste sich aus seiner Schockstarre und warf sich neben den Verletzten auf die Knie.
Auf den ersten Blick erkannte er, dass Boerne lebte. Noch. Sein ganzer Körper wurde von verkrampften, flachen Atemzügen erschüttert, das feuchte, gurgelnde Geräusch das dabei ertönte, ließ Denninger selber unwillkürlich nach Luft schnappen.

Geschockt ließ er seinen Blick über den besinnungslosen Mann schweifen. Boernes blutdurchtränktes Hemd klebte an seinem Oberkörper, unterstrich mit Übelkeit erregender Deutlichkeit den sichtbar deformierten Brustkorb; sie hatten ihm die Rippen eingeschlagen. Zusätzlich rann ihm ein dünnes Blutrinnsal aus dem Ohr; Denninger verstand genug von Medizin um zu wissen, dass das ein verdammt schlechtes Zeichen war.

Fassungslos berührte er die Schulter des Professors und griff die kalten Finger einer seiner Hände und zuckte fast erschreckt zurück, als Boerne sich im nächsten Moment regelrecht an ihm festkrallte. Er war eindeutig bei Bewusstsein.
„Großer Gott.“ So hilflos hatte Denninger sich noch nie gefühlt.

Nach dem ersten Schrecken hielt er Boerne ganz fest, um ihm zu zeigen, dass er ihn nicht allein lassen würde, beugte sich zu ihm herab und redete begütigend auf ihn ein. Er traute sich nicht, ihn zu bewegen sondern ließ ihn zusammengekrümmt wie er war, machte unbewusst jeden einzelnen krampfhaften Atemzug  des Verletzten mit und wartete verzweifelt darauf, dass Neuhaus endlich eintreffen würde.
Doch die Zeit kam ihm wie eine Ewigkeit vor.

Ohne Unterlass hielt er einen leisen Monolog aufrecht und beobachtete besorgt, dass Boerne sich mehr und mehr anstrengen musste; seine gurgelnden, keuchenden Atemstöße gingen immer gequälter, jeder einzelne war ein Kampf.
Instinktiv verstärkte Denninger seinen Griff und sprach umso eindringlicher und beruhigender auf den Verletzten ein; doch mit einem Male erlahmte die Hand in seinem Griff und der Körper des jüngeren Mannes erschlaffte vollständig.
Für einen kurzen Moment gab er sich der Hoffnung hin, dass der Professor das Bewusstsein verloren hatte und nun zum Glück die Schmerzen und die Panik nicht mehr ertragen musste - bis ihm voller Entsetzen auffiel, dass Boernes Brustkorb sich nicht mehr bewegte. Da war keine Regung mehr. Er hatte aufgehört zu atmen.

„Nein! Verflucht, NEIN!“ Mit zitternden Fingern suchte Denninger nach einem Lebenszeichen, und zu seiner immensen Erleichterung fand er tatsächlich noch einen schwachen Herzschlag;  der kaum spürbare Puls raste und stolperte beängstigend unregelmäßig, aber er war da.
Doch ohne Atemtätigkeit war es war nur eine Frage kürzester Zeit, bis auch Boernes Herz stehenbleiben würde.

„Herrgott, wo bleibt Neuhaus?“
Er schrie es fast und sein junger Kollege, der inzwischen bei ihm kniete und entsetzt auf den Professor starrte, zuckte erschreckt zusammen.
Im gleichen Augenblick wurde die Tür zum Kühlraum aufgerissen und der Arzt und einer seiner Pfleger rannten auf sie zu.
„Helmut, er hat aufgehört zu atmen!“ Denninger hörte die Panik in seiner eigenen Stimme, aber es war ihm egal.

Der Gesichtsausdruck seines heraneilenden Kollegen, der sich bei Boernes Anblick zornig versteinert hatte, wich Fassungslosigkeit. Aber Neuhaus war professionell genug, sich davon nicht in seiner Effizienz beeinflussen zu lassen sondern begann unmittelbar, dem Verletzten zu helfen.

Denninger kam sich vor, wie in einem Alptraum gefangen. Er verstand so gut wie nichts von den Fachbegriffen, die die Mediziner sich gegenseitig zuriefen, aber es war nicht zu übersehen, wie angespannt sie waren. Boernes Zustand war kritisch, daran bestand kein Zweifel.

Die ganze Zeit wandte er seinen Blick nicht vom Gesicht des leichenblassen Professors ab.
Erstarrt beobachtete er, wie der Krankenpfleger Boerne auf den Rücken rollte, seinen Kopf weit überstreckte, ihm eine Maske auf Mund und Nase presste und konzentriert damit anfing, mit einem Beatmungsbeutel Sauerstoff in seine Lungen zu pumpen.
Er wandte den Blick nicht ab, als Neuhaus dem Verletzten einen Zugang legte um ihn mit lebenswichtigen Infusionen zu versorgen und weigerte sich auch, wegzuschauen, als er Boernes Poloshirt zerschnitt und einen Stapel Mull auf die schreckliche Verletzung klebte.
Hilflos sah er zu, wie das Team des Rettungswagens endlich eintraf und den Professor innerhalb kürzester Zeit an diverse Monitore anschloss; schluckte, als er beobachtete, wie er schlaff und leblos auf die Trage gehoben wurde.
Auch als die Sanitäter die Atemmaske entfernten und der Notarzt binnen weniger Sekunden einen Schlauch in Boernes Luftröhre einführte, über den sie ihn dann beatmeten, fixierte er das bleiche Gesicht.

Erst als sie ihn im Laufschritt wegrollten, blutig, vollständig verkabelt, halb verborgen unter einer Decke und einem Wust von medizinischen Geräten, blieb Denninger nichts anderes übrig, als ihm hilflos hinterherzublicken.

Dabei hatte er versprochen, er würde ihn im Auge halten.

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