20. Kapitel
"Geduld ist die Kunst zu hoffen"
*~*~*
Heute ist es endlich so weit. Du hast keine Ahnung, warum du dir da so sicher bist. Geschweige denn, woher du weißt, dass sich genau heute etwas an der ganzen momentanen Situation ändern wird.
Es ist einfach so. Du hast es schon seit heute Morgen geahnt und seit Thomas euch in die Kabine geschickt hat, ist es für dich zu einer Gewissheit geworden.
Heute ist der Tag, an dem es sich endlich und endgültig entscheiden wird.
Du bist überzeugt davon und vielleicht lässt du dir auch deswegen heute mal besonders viel Zeit beim Duschen und Umziehen.
Willst es noch ein bisschen hinauszögern, irgendwie. Bemerkst Clemens‘ Blicke dabei natürlich.
Beinahe ungeduldig. Aber eben doch nur beinahe.
Während du langsam in deine Klamotten schlüpfst, leert sich die Kabine.
Inzwischen ist es über eine Woche her, dass du Clemens im Regen hast sitzen lassen. Im doppelten Sinn. Und seitdem habt ihr auch nicht mehr wirklich miteinander geredet.
Zumindest nicht mehr, als es für zwei Kollegen normal gewesen wäre.
Habt euch kurz begrüßt, habt zusammen die Übungen gemacht, wenn Thomas euch so eingeteilt hat und nach dem Training habt ihr euch mit einem kurzen, unverbindlichen Nicken verabschiedet.
Habt euch eine Weile lang so behandelt, als wäre nie etwas zwischen euch gewesen.
Und du hast das Gefühl, dass euch das beiden ganz gut getan hat, irgendwie. Mal wieder normal miteinander umzugehen.
Zu deiner Erleichterung hast du auch keine Spur mehr von Boro gesehen. Nicht die geringste. Er ist nicht aufgetaucht. Weder auf dem Parkplatz noch sonst wo.
Und du bist dir ziemlich sicher, dass Tim es sich nicht hätte nehmen lassen, es dir unter die Nase zu reiben, wenn Clemens seine Entscheidung in irgendeiner Art und Weise geändert hätte.
Hat er wohl nicht. Hoffst du. Hoffst du wirklich inständig.
Du stehst vor dem Spiegel. Und als du einen Blick hineinwirfst, wird dir klar, dass ihr allein seid.
Du und Clemens.
Allein in der Kabine.
Für einen Moment betrachtest du Clemens einfach nur. Siehst ihn immer noch gerne an, findest ihn einfach immer noch schön, wie er jetzt hier auf der Kabinenbank sitzt und auf dich zu warten scheint.
Sein Blick ist geistesabwesend, er kaut auf seiner Unterlippe herum. Und doch hat er etwas Entschlossenes an sich.
Etwas, das dich an den Tag vor einer Woche erinnert, als Clemens plötzlich vor Mesuts Tür stand. Nur, dass er heute definitiv weniger verzweifelt aussieht. Zum Glück.
Dass Clemens gar nicht mehr auf der Kabinenbank sitzt und du mit deinen Gedanken mal wieder völlig abgeschweift bist, wird dir erst klar, als du jetzt ein leises Räuspern hinter dir vernimmst.
Du atmest noch einmal tief durch, drehst dich dann zu Clemens um.
Der dich anlächelt. Beinahe scheu. Und ein bisschen nervös.
Sogar ziemlich nervös, stellst du fest, als Clemens sich jetzt durch die Haare fährt. Das macht er wirklich nur in Ausnahmesituationen.
Also scheint das hier doch irgendwie eine Extremsituation zu sein.
Und jetzt wird dir doch ein bisschen mulmig.
Bevor du jedoch etwas sagen kannst, ergreift Clemens auch schon das Wort.
„Basti, ich…also…ich hab mich gefragt…ich dachte…“, Clemens bricht ab, schüttelt den Kopf und ärgert sich dabei ganz offenbar über sich selbst, „…Also Basti, eigentlich wollte ich dich fragen, ob du heute Abend schon was vor hast? Und wenn nicht…dann wollte ich fragen, ob du heute Abend vielleicht mit mir essen gehen würdest?“
Du siehst in diesem Moment bestimmt selten dämlich aus, aber du kannst einfach nicht anders. Ein völlig debiles Grinsen schleicht sich auf dein Gesicht.
„Keine Sorge, Clemens, ich hab‘ nichts anderes vor. Garantiert nicht. Wann holst du mich ab?“, grinst du Clemens an, der jetzt einfach nur erleichtert scheint.
„Wann immer du willst…und halt dir den Rest der Woche doch auch schon mal frei…“, erklärt Clemens daraufhin mit einem Mal sehr viel lockerer.
Als hättest du Clemens mit deiner Antwort von einer riesigen Last befreit.
Denn er klingt jetzt mit einem Mal wieder wie der Clemens, den du inzwischen schon so lange kennst. Den du liebst.
Und nicht wie der verunsicherte Mann, den Boros plötzliches Auftauchen in Bremen völlig aus der Bahn geworfen hat.
„Ach…und warum sollte ich das tun?“, kannst du dir schließlich nicht mehr verkneifen - hoffst dabei natürlich nur auf eine Antwort.
„Weil es jetzt endlich Zeit dafür wird, dass wir uns richtig kennen lernen. Und ich nicht glaube, dass ich damit nach heute Abend aufhören will. Oder in der nächsten Zeit überhaupt…“, lächelt Clemens dich an.
Dein Herz macht einen Hüpfer. Da hast du deine lang ersehnte Antwort also.
Und dir wird klar, dass es hin und wieder doch noch Hoffnungen gibt, die sich auch erfüllen.
Wenn man sehr viel Glück hat. Oder Geduld.
Oder wie in deinem Fall - anscheinend einfach beides.