Same Time, Same Place
Artist:
watchersgoddess Author:
annj_g80 Disclaimer: Nichts gehört uns.
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Jedes Mal aufs Neue war es, als würde er eine andere Welt betreten, kaum dass sein Fuß die Schwelle zur Bibliothek überquert hatte. Die staubige Luft kroch in seine Nase, kratzte seinen Hals. Er unterdrückte ein Räuspern und konzentrierte sich darauf, so geräuschlos wie möglich die Gänge entlang zu huschen.
Es war kurz vor zehn Uhr Abends und die Bibliothek würde jeden Moment schließen. Madame Pince's schrille Stimme würde ertönen und die verbliebenen Schüler zum Gehen auffordern. Nicht dass es viele Schüler gab, die sich um diese Uhrzeit noch hier aufhielten. Zumindest nicht um der Bücher willen.
Unbewusst machte er einen großen Schritt über die knarrende Diele neben dem Regal mit den Astronomie Büchern.
Die abendlichen Besuche in der Bibliothek hatten vor vielen Jahren begonnen, um ihm ein letztes Mal jeden Tag die Möglichkeit zu geben, Schüler beim Brechen der Regeln zu erwischen. Doch zugegebenermaßen ging es schon seit langem nicht mehr darum. Nicht vorrangig.
Er blieb vor der letzten Ecke stehen und sah vorsichtig um sie herum. Dort saß sie, wie jeden Abend, ihren Kopf tief über ein Pergament gebeugt. Hastig kritzelte sie die letzten Notizen des Tages, als ob es die letzten in ihrem Leben wären. Die Bücher lagen um sie herum verteilt, wie wahllose Zutaten für ein umfangreiches Rezept.
Sie sah auf, strich sich einige Strähnen aus dem Gesicht und fuhr dann mit dem Finger über eine Seite des Buches, das rechts von ihr lag. Erneut senkte sich ihr Kopf und ihre dunklen Locken fielen hinab, wie ein Vorhang, der jedes Mal aufs Neue verbarg, was ihr Verstand zu Tage brachte.
Er beobachtete sie gerne. Als würde er einer malenden Künstlerin zusehen, ohne das Gemälde zu kennen. Die Bücher in ihrer Nähe schienen hoffnungsvoll zu vibrieren. Als ob sie genau wüssten, dass die Gryffindor ihrer Worte würdig war. Wie kleine, unsichtbare Hauselfen, die ihr jede Frage von den Augen ablasen und sofort ihre Antworten anboten. Beinahe lächerlich, wie sehr diese zahllosen, gebundenen Seiten, die doch aus nichts anderem bestanden als Papier und Tinte, zum Leben erweckt wurden durch die pure Anwesenheit einer jungen Frau.
So in Gedanken versunken bemerkte er erst jetzt, wie sie erneut ihren Kopf gehoben hatte und nun angestrengt zu lauschen schien. Er hielt die Luft an, trat zurück hinter das Regal und hörte, wie sie eilig ihre Pergamente zusammensuchte, die benutzten Bücher auf einen Stapel sortierte und kaum war sie damit fertig, ertönte die magisch verstärkte Stimme von Madame Pince und forderte alle Verbliebenen auf, die Räumlichkeiten zu verlassen.
Nachdem Hermines Schritte verklungen waren, blieb er noch einen Augenblick stehen. Wollte ihr einige Minuten Vorsprung geben, damit er nicht zu allem Übel auch noch auf seine Anwesenheit aufmerksam machte.
Wie von alleine fanden seine Füße den Weg zurück zum Eingang und um ihn herum erloschen die Lampen und Fackeln. Allerletzter Aufruf für alle Schüler. Um nicht über ein achtlos fallen gelassenes Buch zu stolpern - bei den Schülern Hogwarts musste man auf alles gefasst sein - hatte er seinen Zauberstab erleuchtet und trat so aus dem letzten Gang, als die Stimme der Bibliothekarin ihn aufschreckte.
„Professor, Sie auch noch hier? Ich habe sie gar nicht reinkommen gesehen.“
Die ältere Frau stapelte soeben zwei Bücher übereinander und reichte sie niemand anderem als Hermine Granger, die ihm ihren Rücken zugewandt am Tresen darauf wartete, ihre ausgeliehenen Bücher mitnehmen zu können.
„Ich...“ Er räusperte sich. Wo kam der Frosch in seinem Hals so plötzlich her? „... benötigte noch etwas Anregung für ein Projekt“, erklärte er und hoffte, nicht rot anzulaufen. Ein Severus Snape lief nicht rot an!
„Ah,“erwiderte Madame Pince, nickte und damit schien die Sache erledigt. Er wollte seinen hastigen Abgang bereits fortsetzen, als die Stimme seiner Schülerin erklang.
„Gute Nacht, Professor und...“, erklärte sie beinahe etwas verlegen. „... bis morgen.“
Erst, als er seine Unterkunft im Keller endlich erreicht hatte, wurde ihm bewusst, dass die junge Granger am morgigen Tag keinen Unterricht bei ihm hatte.