Jun 11, 2010 12:04
09.58 Uhr, ICE Richtung Basel. Es verbleiben noch mehrere Stunden Zugfahrt, bevor wir den Hauptbahnhof Mannheim erreichen. Inzwischen sind aus den 10 Minuten Verspätung auf Grund von Schwierigkeiten bei der Weichenstellung 14 Minuten geworden.
Das Kind, das seit Beginn der Zugfahrt bereits dreimal an uns vorbei getragen wurde, macht einen recht entspannten Eindruck. Einen weniger entspannten Anschein macht hingegen seine Begleitperson. Ich tippe darauf, dass die junge Frau die Personensorgeberechtigte des Kindes ist. Andernfalls fiele es schwer zu erklären, warum sie als einzige im Wagon das Quietschen ihres Kinderwagens ausblenden kann. Alle anderen Zuggäste registrieren die schnarrenden, quietschenden Geräusche beim Hin- und Herschieben des Kinderwagens. Fraglich ist hierbei, ob der Ansatz der Mutter ist, das Kind in den Schlaf zu wiegen oder sein eventuelles Schreien zu übertönen. Da von letzterem seit der Abfahrt in Berlin nichts zu hören war, könnte man ihr bei der Anwendung der letzteren Methode durchaus einen gewissen Erfolg anrechnen. Immerhin haben die Reisenden im Abteil vor uns die Tür bereits lautstark geschlossen.
Die Tür neben mir, an der ich glücklicher Weise sitze, steht immer noch offen, Man muss sich ja nicht allzu eingepfercht vorkommen. Ohnehin ist eine Fahrt mit der Deutschen Bahn immer etwas anstrengend, immer etwas chaotisch und in den seltensten Fällen abwechslungsreich. Wie sonst ließen sich die Verspätungen erklären, die lange schon kein Erstaunen bei den Fahrgästen mehr hervorrufen. Die einen schütteln resignierend den Kopf, andere beten um pünktliche Ankunft, um ihren Anschlusszug zu erreichen, die anderen empören sich. Und doch: dagegen tun kann eh keiner etwas. Und so lassen die Reisenden sich nicht aufhalten und steigen wie immer brav an der nächsten Haltestelle in den Zug - die wenigstens steigen aus - und ich beginne, mich um meine Beinfreiheit zu sorgen. Bisher ist es nur der harte Sitz, der meinem eigentlich gut gepolsterten Hintern zu schaffen macht. Immerhin gewinnt man so etwas von seinem Körpergefühl zurück. Vergisst man so manches Mal, dass man nicht nur über ein hübsches Äußeres verfügt, so werden einem die Knochen im Leibe dank der Mithilfe der Deutschen Bahn wieder bewusst. Wir sehen also: die Deutsche Bahn bietet durchaus eine Rundumversorgung. Hier wird nicht nur für die Überbrückung der Strecke A nach B mit Umweg über C und D auf Grund von nie enden wollenden Bauarbeiten gesorgt, sondern auch dafür, dass Ungläubige wieder zu beten anfangen und unser Körperbewusstsein mehr in den Vordergrund gerückt wird. Wer jedoch gehofft hat, dieses mit Kaffee etwas anzukurbeln, wird schon zu Beginn der Fahrt enttäuscht: Kaffee gibt es heute leider nicht. Schuld ist eine betriebliche Störung. Und ohnehin ist es eh schon zu warm. Bis zu 33°C Außentemperatur sind Grund genug dafür, auf die immerhin angebotenen Kaltgetränke zurückzugreifen. Und wem das nichts bietet, der holt sich eben einen heißen Kakao - warum dieser bei dieser Hitze nicht auch gleich eine Betriebsausfall erleidet, zumal er aus dem gleichen Automaten wie der Kaffee gewonnen wird - bleibt weiterhin fraglich. Der Grund dafür muss wohl sei, dass die Deutschen nun mal in erster Linie Kaffeetrinker sind.
Wer Kaffee möchte, kann sich ja immerhin von einem der geringfügig überteuerten Bahnhofscafés einen „coffee to go“ mitbringen. Kauft man auch gleich noch ein stilles Wasser dazu, so kann man im Zug nicht nur die ausgeschwappte Flüssigkeit nachfüllen - Plastikdeckel sind auch nicht mehr das, was sie nie waren - sondern auch gleich den ohnehin zu heißen Kaffee etwas abkühlen.
Frei nach diesem Motto stürmen auch in Braunschweig wieder mehrere Fahrgäste den Zug. Kam eine Station zuvor noch ein freundlicher, junger Fahrkartenkontrolleur vorbei, um schüchtern in die Abteile zu blicken und zu fragen, ob jemand dazugestiegen sei - auf unser verneinendes Kopfschütteln rasch die Flucht ergreifend - so scheint sich dieses Mal keiner der Kontrolleure zu bemühen.
Doch nicht alle Merkwürdigkeiten gehen einzig von der Deutschen Bahn aus. Viele Fahrgäste scheitern schon daran, die Tür zum nächsten Wagon zu betätigen. Die Hand heben und den dafür vorgesehenen Mechanismus zu betätigen, stellt in der Tat eine Herausforderung dar. Gezählte Personen, die daran beim ersten Versuch scheiterten: 8, Personen, die es beim zweiten Mal nicht schaften: 5., Personen, denen durch freundliche Hilfe von Menschen aus meinem Abteil geholfen wurde: die Hälfte. Tendenz: steigend. Es bleibt spannend. Und so verbleibe ich wartendauf die nächsten Dinge, die diese Reise für mich bereit halten wird. Frei nach der Redewendung: „Wenn einer eine Reise tut, so kann er was erleben“.
Für diesen Moment erfreue ich mich daran, die Herrschaft über die Klimaregelung in meinem Abteil gewonnen zu haben. 33°C maximale Außentemperatur. Die ersten Frauen im Abteil frösteln. Ich lehne mich entspannt zurück und ergötze mich daran, glücklicher Besitzer eines Netbooks zu sein und den Luxus eines web ‘n‘ walk surf sticks genießen zu dürfen. Zumindest für die Generation „Internet“ kann die Dauer einer Bahnfahrt auf diese Weise zumindest rein empfindungsgemäß angenehm verkürzt werden. Das einzige Problem, das durch diesen Vorteil nicht wettgemacht werden kann, ist der immer noch schmerzende Allerwerteste. Aber vielleicht bieten die neumodischen Neoprennetbookhüllen ja mehr Komfort, als von ihnen erwartet.
Bis aufs Weitere!
Jen
P.S. Ich bitte um eine Portion Mitleid für die armen Angestellten der Deutschen Bahn, denen bei ihrer Einstellung nicht bekannt war, dass ihnen irgendeines schönen Tages in ihrem Leben einmal englischsprachige Durchsagen abverlangt würden. Man bewundere die Kunst, sich durch ein unwahrscheinlich rasches Schnellsprechen, wirrem Zusammenwürfeln von Deutsch und Englisch und Nuscheln aus der Affäre zu ziehen. Wir sehen also: die Angestellten der Deutschen Bahn lassen sich durchaus etwas einfallen, sind immer für Neues offen und stellen sich gern auf ihre Fahrgäste ein.
In diesem Sinne:
Thänk you for Befördering!
db