Wer abwechslungsreiches, nervenkitzelhaltiges Reisen gerne mag, wer auf Adrenalin steht und wem es egal ist, ob er rechtzeitig und überhaupt ans Ziel kommt, dem kann ich nach wie vor ans Herz legen, die Dienste der DEUTSCHEN BAHN in Anspruch zu nehmen. =3
HEUTE: Was tun, wenn ein verspäteter Zug es uns verwehrt, den - LETZEN - Anschlusszug nachts um halb 1 noch zu bekommen?
Den meisten dürfte ja bekannt sein, dass ich in Mainz studiere und des öfteren zu meinen Eltern nachhaus nach Germersheim (~ 10€ einfache Bahnfahrt, mit Bahncard 50, wohlgemerkt), zu Stefan nach München (~ 45€ einfache Bahnfahrt) oder nach Gmünd (~ 30€ einfache Bahnfahrt) fahre, fast jedes Wochenende IRGENDWOHIN - daher hab ich auch die volle Berechtigung, ausgiebig gegen die Bahn zu flamen.
Eines schönen Tages - vergangenen Montagabend - verließ ich die schöne Stadt Gmünd wie immer mit Schienenfahrzeugen: ICE von Gmünd nach Stuttgart, von Stuttgart nach Frankfurt und von Frankfurt nach Mainz.
Kurz langweilige Zugzeitentheorie, die aber wichtig für den Rest ist: Die Reise ging um 21.54 in Gmünd los, umsteigen sollte ich dann in Stuttgart um 23.05.
Jetzt ein wichtiger Punkt: In Frankfurt habe ich immer nur 5 Minuten zum Umsteigen und der Zug, der danach kommt, ist der letzte, der fährt. Der nächste fährt erst wieder in den frühen Morgenstunden.
GUUUUT. Ich kam also fröhlich-beschwingt in Stuttgart an, kauf mir noch den SPIEGEL und ZEIT-WISSEN für die Fahrt und schlender gemütlich zu meinem Gleis 9, wo der Zug nach Frankfurt abfahren sollte.
Mit dem Blick auf die Abfahrtsanzeige ging der Spaß dann los.
In gelben Lettern auf blauem Untergrund - „DER ZUG NACH FRANKFURT HAT 35 MINUTEN VERSPÄTUNG. WIR BITTEN UM IHR VERSTÄNDNIS.“
[Das bedeutet:
Uhrzeit: 22.55
Voraussichtliche Zugankunftszeit: 23.35]
Erster Gedanke - VERSTÄNDNIS - FICKT EUCH.
Zweiter Gedanke - kk, länger warten, egaaal.
Dritter Gedanke - Moment mal.
Vierter Gedanke - FUCK OFF, ALTER, NEIN, FUCK FUCK FUCK. Aufmerksame Leser dürften mitbekommen haben, dass ich in Frankfurt nämlich regulär nur 5 Minuten Zeit zum Umsteigen habe und wenn ich den letzten Zug nicht bekomme, fährt danach GARNICHTS mehr. Dass ich ein Idiot bin, den letzten Zug zu nehmen, ist allgemein bekannt, aber in dem Moment irrelevant, da es nun mal Fakt ist, dass ich ein Problem habe.
OKAY, was tun? Ich bin zu den lustigen roten unbedienbaren Touchscreen-Kastenautomaten gesprintet und hab Verbindungen rausgesucht, die ich stattdessen nehmen könnte, in alle Himmelsrichtungen, zur Not auch nach Hause zu meinen Eltern oder WHATEVUR, um meine Nachts-im-Frankfurter-Bahnhof-vergewaltigt-ausgeraubt-und-niedergestochen-werden-Panik im Keim zu ersticken oder ein wenig zu vermindern. GUT GUT, alle möglichen Verbindungen gab’s nicht vor 4 Uhr in der Früh. Epic Shit.
[ Uhrzeit: 23.03
Voraussichtliche Zugankunftszeit: 23.35 ]
Dann bin also ich mit hochrotem Kopf und geballten Fäustchen direkt zum DB-Servicepoint marschiert. Die Menschentraube vor dem Servicepoint war irgendwas von über 15 Leuten.
Zwei Asiatinnen, die sich gegenseitig verzweifelt umherfuchtelnd irgendwas erklären.
Ein müde aussehender Herr Mitte vierzig, ebenfalls mit hängenden Mundwinkeln.
Eine korpulente Dame Mitte fünfzig mit Kleidung in allen Regenbogenfarben und blondierten Locken, die seelenfriedenlastig dreinblickt.
Eine Urlaubergruppe von vielleicht 5 Leuten mit bunten Bermudashorts und riesigen Rucksäcken.
Zwei Altrocker mit Sonnenbrillen, Achttagebart und 20 Rockamring-, Southside- und wasweißichwasfür Bändchen.
Am Schalter saß eine wasserstoffblonde Dame, die Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden, mit Glitzerpickel (so nenn ich immer gern ein Strass-Piercing rechts oder links über der Lippe.) und Creolen.
[ Uhrzeit: 23.10
Voraussichtliche Zugankunftszeit: 23.35 ]
Während des Wartens ging ich im Kopf die ungefähr 3 Möglichkeiten durch, was ich tun KÖNNTE, wenn es keine Anschlussmöglichkeit gibt, die irgendwie vertretbar ist und fern von Vergewaltigungen und unfreiwilligen Spritzen am Frankfurter Hauptbahnhof.
„Entschuldigen Sie, geht’s bei Ihnen auch um den Zug auf Gleis 9?“, frag ich in die Warterunde vorm Service-Point. Drehen sich plötzlich 7 Köpfe um, alle nicken und fangen an, mit imaginären Mistgabeln die Deutsche Bahn zu flamen.
Die dicke Frau mit den bunten Klamotten fängt ein Gespräch mit mir an, fragt mich, wo ich herkomme, erzählt mir irgendwas von der Karnevalszeit und „Meenz, wie’s singt und lacht.“, ich hör wohlgemerkt mit nur einem Viertel Ohr zu.
[ Uhrzeit: 23.20
Voraussichtliche Zugankunftszeit: 23.35 ]
Die beiden Rocker-Herren erzählen, wie toll Southside war und dass sie jetzt nachhaus fahren. Der Herr Mitte Vierzig erzählt, dass er zu einem Geschäftstermin in Berlin muss und ziemlich genervt ist. Die Jugendgruppe mit den Strandoutfits erzählt, dass sie einen Flug kriegen müssen in Frankfurt. Die Wartezeit fühlt sich an wie 3 Stunden und nicht wie 30 Minuten. Wir machen ein System aus, dass alle paar Minuten einer zum Gleis läuft und nachsieht, ob der Zug nicht doch schon da ist. Ist jedes Mal eine Enttäuschung und der SPÄHER kommt zurück und schüttelt den Kopf so sachte wie ein Arzt, der aus dem Operationssaal kommt und erklärt, dass der Patient es nicht geschafft hat.
Nach einer schier unendlichen Wartezeit ist die Frau vor mir am Schalter fertig und ich kann endlich zu der wasserstoffblonden Servicekraft aufrücken und meiner angestauten Wut Luft lassen. Der Rest folgt in Dialogform.
DAME: Was kann ich für Sie tun?
ICH: Sie können folgendes für mich tun: Bei mir geht’s ebenfalls um den Zug auf Gleis 9, der 35 Minuten Verspätung hat. Mein Anschlusszug in Frankfurt kommt normalerweise 5 Minuten nach DIESEM Zug, bitte rufen Sie den Anschlusszug an und fragen Sie, ob der warten kann.
DAME: Das kann ich Ihnen nicht garantieren, dass der wartet.
ICH: Das ist der LETZTE ZUG, ich muss doch irgendwie nach Hause kommen. Die warten doch sonst auch immer.
DAME: Ja, aber garantieren kann ich nichts, kann es nur versuchen.
ICH: Und was mach ICH dann? Soll ich in Frankfurt am Bahnhof übernachten und hinnehmen, dass ich nicht nachhause komme wegen eines nichtvorhandenen Zuges, den ich BEZAHLT HABE?
DAME: Ich kann Ihnen die nächste Verbindung raussuchen.
ICH: Machen Sie das mal
DAME: 3.15 ab Frankfurt Hauptbahnhof!
ICH: Ist das Ihr Ernst?
DAME: Was?
ICH: Meinen Sie jetzt, dass ich 3 Stunden am Frankfurter Hauptbahnhof warten soll, NACHTS, weil ein Zug Verspätung hat?
DAME: Ich kann auch nichts tun außer Ihnen eine Verbindung rauszusuchen.
ICH: Wieso kann der Zug denn nicht SICHER warten?
DAME: Das kann ich Ihnen eben nicht versprechen.
ICH: Verdammt noch mal, das ist eine DIENSTLEISTUNG, und wenn die unzureichend erfüllt ist, soll ich das hinnehmen und einfach hoffen, dass ich irgendwie nachhause komme? Ich bleche für Ihr Unternehmen im Monat in Beträgen von über 150 Euro und erwarte Leistung für mein Geld.
DAME: Tut mir Leid.
ICH: (völlig in Rage) WAS tut Ihnen Leid? Ich will, dass Sie mir eine Möglichkeit organisieren, wie ich HEUTE NACHT noch nach Hause komme.
DAME: Sie können ja um 3.15 dann fahren.
ICH: NEIN, das kann doch nicht wahr sein. Geben Sie mir mal so ein Beschwerdeformular.
DAME: (gibt mir das Formular) . . .
ICH: Wie wäre es, wenn die Bahn mir einen Taxigutschein von Frankfurt nach Mainz stellt?
DAME: ….. Das geht nur unter 40 Kilometer, das darf ich nicht machen.
ICH: Als ob das weiter wäre! Ich muss doch irgendwie heil heim kommen, verdammt.
DAME: Das kann ich nicht machen, tut mir Leid.
ICH: GUT, dann nicht, dann bezahl ich mein Taxi selbst, stell es der Bahn in Rechnung und es folgt SOOOOOO~ ein Beschwerdebrief, das können Sie sich nicht vorstellen.
DAME: . . .
ICH: Haben Sie Nachteile, wenn Sie mir einfach so einen scheiß Gutschein stellen?
[In der Zwischenzeit ruft der Herr Mitte Vierzig mir zu, dass es bereits 23.35 ist und jetzt der verspätete Zug endlich einfährt.]
ICH: Machen Sie doch einfach! BITTE.
DAME: Okay, okay. Ich stell Ihnen nen Gutschein von Frankfurt nach Mainz.
ICH: TAUSEND DANK~~~~
DAME füllt Taxigutschein aus, gibt mir Taxigutschein, ich sprinte zum Gleis.
Die Bahnfahrt ist relativ ruhig, bis auf BAHN-Flamen im Sammelabteil, wie üblich.
Um 0.55 kommt der Zug endlich in Frankfurt an. Ich steige aus, hechte durch das creepy Bahnhofsgebäude zum Taxenstand vorm Bahnhof, Tasche mit Geldbeutel an meinen Bauch gepresst, such mir einen sympathischen Taxifahrer aus, zeig ihm den Gutschein.
Er ruft seinen Chef an, nickt, und - HAPPY END. Doch keine multiple Vergewaltigung von Heroinleichen am Frankfurter Hauptbahnhof, sondern eine sichere, unterhaltsame und angenehme Heimfahrt. Jucheee.
FAZIT: Ich bin auf Kosten der Bahn für 81,95 Euro mit dem Taxi vom Frankfurter Hauptbahnhof bis nach Mainz direkt vor die Haustüre gefahren worden.
Das war so was wie der Abend des Jüngsten Gerichts für mich und diesen Scheißverein, wunderschönes Gefühl.
Dies irae, dies illa, solvet saeclum in favilla.
Ich bin jetzt mit mir und der Bahn im Reinen. KKTHXBYE.