Mittwoch: Und los geht’s...
{21. August} Na prima. Es fängt schon gut an. Völlig verschlafen, aber zum Glück noch nicht zu spät. Es ist dreiviertel Sieben. Eigentlich sollte mich mein Wecker um Sechs wecken. Hat er aber nicht. Dieser Lump! Faultier! Technischer Versager!
Halb vor Acht. Start. Irgendwie ins Ungewisse. Also das geografische Ziel ist schon klar. Der Rest liegt im Nebel der Unkenntnis. T-O-M hat mich zwar gebrieft. Aber geholfen hat das für eine seelische Orientierung auch nicht besonders.
Na gut. Etwa 430 Kilometer liegen vor mir, ein nervendes Stop-and-Go gleich mal auf der A10, auf der A2 läuft es bestens - bis zum Abzweig Braunschweig. Navi gibt Anweisung. Abzweig Richtung Kassel. Zweite Spur von rechts. Am Ende der Spur bin ich immer noch auf der A2. Sch...
Die Zeit rennt. Nächste Abfahrt runter und gleich wieder zurück. Dann klappt’s mit der... Abfahrt auf die A7. Die besteht nicht aus Baustellen; sie ist eine Baustelle. Das kann ja heiter werden. Zwischendrin zum Glück immer auch mal ein paar kurze Rennstrecken. Also Bleifuß, aber bloß nicht in einen Blitzer rasen. Insbesondere die mobilen stehen hier hoch in der Beliebtheitsskala.
So, angekommen und sogar mit genügend Puffer. Anmeldung. Klappt. Habe sogar ein Zimmer für mich alleine. Ostseite und ohne Balkon. Frühstücksonne.
Haupteingang der Klinik
Haupteingang der Klinik
In der Psychotherapie werde ich als Patient aufgenommen. Vollmitgliedschaft auf Zeit. Blutdruck erhöht, Puls auch. Na denkt ihr, ich komme hier voll entspannt an?
Erster Termin: Mittagessen. Der Hunger sorgt für das Unterdrücken kritischer Bemerkungen in Bezug auf Qualität der angebotenen Speise. Aber wir wollen ja Luft nach oben lassen.
Zweiter Termin - Psychotherapeutisches Aufnahmegespräch: Der Psychologe - würde in meinen Augen auch als Struwelpeter durchgehen - befragt mich und ich antworte wahrheitsgemäß. Er ist zufrieden mit seiner Ausbeute. Gleich danach eile ich zur Ärztlichen Aufnahmeuntersuchung. Irgendwie ähneln sich die Fragen. Upps, wo sind eigentlich meine Medikamente? Im Zimmer waren sie nicht. Schnell zu Hause anrufen und die Daten durchgeben lassen. Ich laufe - zurück zur Ärztin. Kriegt man hier eigentlich Kilometergeld?
So. Auch das wäre geschafft. Meine Patientenpatin - sie ist bereits mehr als drei Wochen hier, also eine alte Häsin - wartet schon auf mich. Tja, das dauert hier alles. Ich werde durch die Häuser und ihre unterirdischen Gänge geführt. Ein Labyrinth hat was. Ob ich in den fünf Wochen das System begreife? Ich werde mein Horoskop befragen.
Letzter Termin heute: Abendessen. Brot ist lecker, die Vielfalt an Wurst und Käse ist zu Hause deutlich besser. Getränke? Ja, Tee - verschiedene Sorten - und Wasser - eine Sorte. Aber Bier fehlt im Angebot. Na gut, dann eben doch die anderen. Erwische veganes Streichmaterial. Irgendwas zwischen Spinat, Paprika und Gleitmittel. Schmeckt auch so. Und sieht noch schlimmer aus.
Links der Haupteingang - Blickrichtung Ortszentrum (weit hinten)
Links der Haupteingang - Blickrichtung Ortszentrum (weit hinten)
Zum Abschluss ein kleiner Rundgang um die Klinik. Der führt mich durch den Kurpark. Sehr schön, weitläufig und gepflegt. Im Zimmer angekommen stelle ich fest, dass ich nicht nur 431 Kilometer lang am Lenkrad gesessen habe, sondern zusätzlich noch 11.725 Schritte hingelegt habe. Dann sollte ich eigentlich schon ein bisschen zufrieden mit mir sein.
Donnerstag: Behandlungsbeginn
Heiner Geißler
Heiner Geißler
{22. August} „Nüchterne Blutabnahme“ steht auf meinem Therapieplan für heute früh. Danach schnell zum Frühstück, um den Blutverlust auszugleichen. Zwei Brötchen, Käse, Wurst, Marmelade und Honig. Wo ist denn hier der Bio-Kram?
Ein harter Arbeitstag als Patient
Um 8:20 Uhr Stationsversammlung. Der Raum ist groß. Die Stühle stehen allerdings nur an den Wänden. Der Rest der Patienten muss halt stehen. Die Neulinge müssen sich outen. Ich auch. Und schon bin ich aufgefallen. Komme aus Zeuthen. Aber zumindest den Vorort kennen ja alle - Berlin. Tja, wenn man mir kein Mikro in die Hand gibt, dann spreche ich eben etwas lauter.
Zweitsicht - doppelt hält besser?
Nein, natürlich nicht. Aber die Chefärztin möchte sich ein eigenes Bild vom Delinquenten machen. Ob das uns beiden weiter hilft? Keine Ahnung, aber sie bleibt die ganze Zeit sehr nett.
Ich habe ihr meine ganzen Befunde - insbesondere die mit den Staphylokokken - in die Hand gedrückt. Mal sehen, ob ein Genius in ihr wohnt. Vielleicht hat sie noch gute Ideen. Oder ein Reparaturkonzept?
Was sagt die Physis?
Viel Zeit bleibt nicht zwischen den Terminen. Außerdem irre ich in den Gebäuden hin und her auf der Suche nach dem richtigen Raum. Um 10:40 Uhr zum EKG. Prüft mal, ob bei mir irgendwas ha(c)kt. Aussetzer im Herzen? Nee, nur im Kopf. Aber die kann man nicht messen. Oder doch?
Mittagessen ist heute gut. Danach wieder hin und her laufen, hält fit. Fahrradergometer gibt’s hier haufenweise und dazu eine kostenlose Einweisung.
Krönender Abschluss des Tages. Der Klinikchefarzt hält einen Vortrag zum Thema Psychosomatische Erkrankungen. Ein kleines bisschen interessant ist er ja. Aber didaktisch unter aller Sau. (Ich kann mich einfach nicht zurück halten.)
Noch schnell meine Schrittzahl geprüft: 14.480 Schritte! Ich staune. Wenn das so weiter geht, brauche ich hier noch neue Sandalen.
Freitag: Vorbereiten auf’s Wochenende
{23. August} Erste Aktivität vor dem Frühstück: Blutdruck messen. Früh, mittags und vor dem Abendbrot und das morgen dann zum dritten Mal. Ich habe noch garnicht gefragt, wozu das gut ist.
Nach dem Frühstück trabe ich in Montur - Trainingssachen + Turnschuhe - zum Walking-Index. „Findet draußen statt“ steht auf meinem Plan. Ja, in der Halle geht’s auch? Draußen ist’s besser. Unser Walking-Trainer ist klein und drahtig. Es geht in den Kurpark. Wir drehen 4 Runden um den Flamingoteich. Vier dieser Vögel stehen im Teich scheinbar gelangweilt vor sich hin.
Los geht’s. Vier Runden, jeweils 500 Meter im gestreckten Schritt. Mein Ego zwingt mich, vorne nicht den Anschluss zu verlieren. Bin erstaunt, was da noch geht. "Aber nicht mehr lange" signalisieren meine Waden.
Der Flamingoteich
Der Flamingoteich
Sporttherapie ist eine Wunderwaffe - Erholung und Nichtstun auch
Heute früh lag wieder mal ein aktualisierter Plan in meinem Fach. Also um 11 Uhr zur Einweisung „Medizinische Trainingstherapie“ erscheinen. Eine „Fitnessbude“. Mindestens dreimal pro Woche soll ich an die Geräte gehen. Das wird ja lustig. Eine Bauchmaschine - leider muss ich den aktiven Teil übernehmen. -, ein Lastzug für die Oberarme und Schultern, ein Rückenstrecker - klingt eigentlich auch nach einem Pflegemittel, nein die Muskeln muss ich selbst bewegen. Dann noch ein primitiver Seilzug - auch für die Rückenmuskulatur. Was soll’s. Ich bin schließlich nicht zur Erholung hier...
Oder doch? Langsam wächst in mir ein komisches Gefühl. Im Park musste mein Sweatshirt harte Arbeit leisten und aufsaugen, was aus mir herauskochte. Und jetzt schon wieder asten. Obwohl; ich habe vorerst mal eine mir angemessene Belastung gewählt.Die wollen mich fertig machen. Halb Drei steht auf meinem Plan Krankengymnastik. Na gut. So schlimm kann’s nicht werden. Ganze 30 Minuten. Und für meine Verhältnisse sogar keine übermäßige Belastung. Neben mir wird deutlich mehr gestöhnt.
Heute reicht’s. Aber voll und ganz. Nacken meldet Frust und verknotet sich. Ich greife deshalb zweimal zu meinem Lieblingsanalgetikum.
Zu dritt spazieren wir nach dem Abendbrot noch durch den Park. Am Ende des Tages stehen 14.487 Schritte auf der Habenseite und zwei Novamin auf der Verlustseite.
Kurz nach 21 Uhr und im Zimmer ist es immer noch sehr warm. Plötzlich draußen eine Stimme und Schlüsselklappern. Panik, wo ist mein Shirt. Wer schließt da meine Tür auf. Eine Frau steht plötzlich in der Tür. „Oh, ich bin wohl in der falschen Etage.“ Sie schiebt entschuldigend hinterher „Ich bin die Nachtschwester.“ Und schon ist sie wieder verschwunden. Ich stehe noch vor meinem Bett und denke ‚war das jetzt eben nur verpeilt oder werden wir so kontrolliert?’
Sonnabend: Vorbereiten auf’s Wochenende
{24. August} Es ist kurz nach Sieben. Ich wälze mich aus dem Krankenbett. Erst mal wieder duschen. Dann frühstücken und danach zur Psychodiagnose. Ach? Die habe ich schon gemacht? Bin stolz. Hier bin ich auch der Schnellste!? Die Fragen im PC zu meiner beruflichen und gesundheitlichen Situation habe ich bereits gestern beantwortet.
Prima. Dann liegt ja heute nix mehr an. Also mit meinen Tischnachbarn zusammen auf nach Bad Wildungen. Soso. Unsere Klinik ist also nicht in der Stadt, sondern in Reinhardshausen. Deshalb konnte ich mit einem Mitpatienten den Ort innerhalb einer halben Stunde im gemächlichen Schritt durchqueren.
Der Bus hält direkt vor meinem Fenster. Nur drei Kilometer bis ins Städtchen. Die Läden sind noch zu, sodass die drei Frauen erst mal alles von außen begutachten. Ich weiß schon, was nachher passieren wird...
Altstadt Bad Wildaungen
Altstadt Bad Wildaungen
Wir zwei männlichen „Psychos“ können uns mit einem Gang ins Cafe durchsetzen. Was trinke ich? Langes Überlegen. Endlich nach zwei Zehntel Sekunden „Einen Latte bitte“.
Auch Altstadt Bad Wildaungen
Auch Altstadt Bad Wildaungen
Am Nachmittag zieht’s mich noch mal alleine in den Ort. Mal seh’n, ob ein offener Friseurladen zu finden ist und ob die auch männliche Haarschöpfe bearbeiten. Wobei; meine Haar verlassen zurzeit meinen Kopf regelrecht fluchtartig. Der Friseurladen ist noch geöffnet. Ich werde sofort auf einen Stuhl gebeten. Fünf Minuten später werde ich bereits bearbeitet.
So. Sehe wieder einigermaßen menschlich aus. Ein Spaziergang durch den Park und durch die Wandelhalle. Von oben brezelt die Sonne, trotzdem kann man es hier aushalten. Im Park spenden diese riesigen alten Bäume ausreichend Schatten. Ich starte einen Videochat mit Anja. Trotz des miserablen Durchsatzes versteht sie mich. Wir können uns sogar sehen - die Bildqualität erinnert mich an die ersten Versuche mit dem MSN Messenger - arg zeitversetzt und verpixelt. Ich bleibe trotzdem völlig entspannt - fast völlig. Naja, ausreichend.
Nach dem Abendbrot gibt es eine kurze Diskussion. Wohin mit unserer Freizeit. Einstimmiger Entschluss; wir gehen in die Rock Bar. Eine Bühne gibt’s da und einen singenden Gitarristen, der alte Titel insbesondere aus den 60ern zelebriert. Gute Stimme und technisch saubere Gitarre. Die Stimmung ist hervorragend. Wir sind im Sechserpack unterwegs und genießen. Mit Bier. Warum auch nicht!?
Sonntag: Hitze pur
{25. August} Die Nacht ist heute ja ganz brutal früh zu Ende. Bewege noch in halber Dunkelheit meinen Körper aus dem Bett mit klarem Ziel. Kaum zurück stelle ich fest; bin garnicht mehr müde. Aber ich will noch ein bisschen schlummern. Das ist mir hier zu früh. Fernseher an, Ton auf leise und dann versuchen, noch ein bisschen vor mich hinzuschnarchen. Kurz vor Sieben gebe ich auf und entscheide, dass jetzt nur noch eine Dusche hilft.
Nach dem Frühstück traben wir im Fünferblock - Kernbesetzung plus noch eine Mitpatientin von unserem Tisch - wieder in den Kurpark mit unbekanntem Ziel. Unterwegs füllt sich das Gebiet mit lauter Reha-Menschen - und nicht nur aus unserer Klinik. Wohin sollen wir denn nun. Mein Vorschlag wird ohne murren angenommen und wir laufen weiter durch den Wald in Richtung Bad Wildungen.
Reinhardshausen, vorne eine Klinik und leicht versteckt rechts dahinter ein bisschen von unserer
Reinhardshausen, vorne eine Klinik und leicht versteckt rechts dahinter ein bisschen von unserer
Unser letztendliches Ziel ist die Wandelhalle dort. Im obersten Geschoss wird gerade geheiratet. Nach kurzer Überlegung sehen wir vom Stürmen der Veranstaltung ab und kurven durch das Gebäude. Es gibt noch zwei Ausstellungen über die Stadt und ihre Geschichte. Das wird allerdings von uns nicht besonders tiefgreifend gewürdigt.
Wandelhalle Bad Wildaungen
Wandelhalle Bad Wildaungen
Beim Mittagessen entscheiden sich die weiblichen Herrschaften - Helena, Barbara und Rita - zu einem Besuch des Schwimmbads. Stefan - ein typischer Saarländer, nachdem er mich über die Besonderheiten dieses Menschenschlags aufgeklärt hat - akzeptiert widerwillig und ich denke, dass ein Stündchen Wasserplanschen nicht die schlechteste Idee ist.
Nach dem Abendbrot wandern wir zu fünft - diesmal ist der fünfte Mann ein Nordländer, ein Bremer - in unseren Ort und entdecken den nördlichen Ausläufer des Kurparks. Interessant ist die Gestaltung. Auf einer Wiese haben die Stadtgestalter Fitnessgeräte aufgebaut, die frei benutzt werden können. Wir testen. Macht direkt Spaß. Zum Abschluss „stürmt“ unsere Truppe geschlossen eine Gaststätte. Das Bier schmeckt - eigentlich auch nicht anders zu erwarten - aber mein Magen scheint was dagegen zu haben und meldet sich prompt mit Fehlermeldung. Na dann, gute Nacht.
Blick auf Reinhardshausen
Blick auf Reinhardshausen
Nachtrag. Und wieder weit gelaufen: 12.710 Schritte.
Montag: Ein Arbeitstag wie überall?
{26. August} Aber nicht für mich. Wobei dem Zeitaufwand nach eine Klassifikation vorzunehmen; ich bin hier belastungsmäßig auch nicht besser dran, als zu Hause.
„Wir leben in einer Diktatur der Uhr“ erklärt der Direktor des Senckenbergischen Chronomedizinischen Instituts in Frankfurt Prof. Korf. Und der muss es wissen. Und die Diktatur wird hier durch die geplanten Termine sanktioniert. Gestern Abend hatte ich aus meinem Fach noch den neuen Therapieplan für die gesamte nächste Woche geholt. Drei voll bedruckte A4-Blätter. In der Woche findet täglich um 8:20 Uhr die morgendliche Andachtsversammlung - getarnt als Stationsversammlung - statt. Wir lauschen andächtig und in der Mitte des Raums stehen die fünf oder sechs Psycho-Profis. Am Ende der Veranstaltung müssen Patienten immer irgendetwas intelligentes, unterhaltsames oder psychologisch angehauchtes zum Besten geben. Bisher sind es immer weibliche Darsteller oder korrekterweise *innen. Nach 10 Minuten ist der Spuk vorbei.
Um 10 Uhr war Krankengymnastik bzw. Rückentraining. Eine halbe Stunde lang. Kenn’ ich alles schon. Hier läuft’s deutlich moderater als in unserer Konditionsgymnastik. Die meisten der hier Liegenden haben auch deutlich erkennbar Probleme. Man bin ich stolz. Die halbe Stunde ist rasend schnell zu Ende. Eine Stunde später gibt’s die nächste Trainingsrunde; im Fitnessraum hänge ich wie ein Schluck Wasser an den Geräten, lasse mir aber nichts anmerken. Zum Glück hatte ich bei der Einweisung am Freitag nicht großkotzig verkündet „hängen Sie ruhig das doppelte an Gewicht hier dran“. So bleibt mir die Peinlichkeit erspart, dass ich hier um Reduzierung der Gewichte bitten muss.
Jetzt habe ich mir einen Nachmittags-Cappuccino im Medi-Cafe verdient. Kuchen lasse ich vorsätzlich weg. Auch wenn es mir von Tag zu Tag sichtlich schwerer fällt. Aber mir deucht, dass mein Körper momentan wieder etwas schwerer geworden ist. Beim Frühstück heute hatte mich leichte Panik befallen. „Was? Dreimal am Tag Sport? Soll ich für irgendwelche Seniorenfestspiele fit gemacht werden.“
Søren Kierkegaard
Søren Kierkegaard
Glücklicherweise hatte ich mich etwas - also nur gaaanz leicht - verlesen und das Wort Vortrag am Anfang der Zeile übersehen. Vor dem Vortrag habe ich mich von Rita - sie liegt so in etwa in meiner Altersklasse - dazu hinreißen lassen, auf dem Fahrrad-Ergometer ein „paar Runden zu drehen“. Sch.. ego. Gut, dann strampeln wir mal ‚ne Runde. Macht sogar ein kleines bisschen Spaß. Man kommt zwar nicht vom Fleck aber gut ins Schwitzen. Zum Abschluss des Reha-Tages treffen wir uns alle wieder im Vortragssaal, um die Rede zum Montag zu hören. Inhalt „Körpertraining“, vorgetragen vom Sporttherapeuten. Sport und Geist oder so ähnlich. Psyche kommt in seiner Rede auch vor. Macht er aber recht interessant. Aber seine Präsentationsfolien - ich muss als Psycho auch meckern dürfen - sind verbesserungsbedürftig. Grins.
Spaziergang ans Ende des Parks in Reinhardhausen
Spaziergang ans Ende des Parks in Reinhardhausen
So. Und jetzt noch eine lange Abendrunde mit meinen - momentan vier - „Chaosteam-Verbündeten“. Das Endergebnis liegt immer noch über der Zehntausend - 11.253 Schritte. Und dann ab ins Bettchen.
Dienstag: Rennt die Zeit oder bin ich nur zu langsam?
{27. August} Die Abläufe mutieren langsam zu einem morgendlichen Ritual. Aufstehen, duschen, anziehen, zum Frühstück traben... Jaja, und so weiter. Nach der Stationsversammlung laufen meine Füße zurück in mein Zimmer - mit Körper. Im Zimmer angekommen stelle ich - glücklicherweise doch mit einem Kontrollblick auf meinen Tagesplan - fest, dass ich eigentlich jetzt in der Gruppentherapie sitzen müsste. Also hopp, hopp.
Dalai Lama
Dalai Lama
Ach, der Therapeut ist auch nicht pünktlich. Eigentlich geht mir das vorgeschlagene Thema am Allerwertesten vorbei. Aber einige hier im Raum scheinen doch Probleme mit ihrer Umwelt in der Beziehungskiste und an der Arbeit zu haben. Was mach ich also hier? Na gut, ich liefere meinen Klugscheißersenf in moderater Art und Weise dazu. Intellektuell basierende Gründüngung des Geistes. Erkenntnis der Stunde; anderen geht’s deutlich schlechter als mir. Gefühle und Stimmungen zu zeigen, den Mitmenschen zu offerieren, was den Betroffenen bewegt, ist wohl doch nicht ganz so einfach. Bin stolz. Habe 90 Minuten ohne Verluste durchgehalten.
Nach dem Mittagessen gibt’s eine Einweisung am Hydrojet. Und nein, das Ding fliegt nicht. Der Therapeut erklärt uns die Funktion. Ich erhalte eine Chipkarten für acht Behandlungen. Jede Woche zwei. Und schon habe ich wieder Freizeit. Mein innerer Schweinhund meldet Bedarf an. Also trabe ich in den Raum mit den Fahrradergometern. Einstellen, draufsetzen und losfahren.
Nach 15 Minuten schwitze ich aus allen Poren. Mehr als 8 km gefahren, 86,2 Kilokalorien verbrannt. Ich habe keine Ahnung, ob das jetzt viel ist oder ob ich die Belastung noch hochtreiben muss. Aber Luft nach oben ist noch. Wenigstens hat sich mein Knie nach seiner Mittagsvorstellung - bin humpelnd in den Speisesaal geschlurft - wieder am Fahrrad beruhigt.
Um 16 Uhr wird uns wieder ein Vortrag zu Gehör gebracht: Sozialberatung, Grad der Behinderung. Eine halbe Stunde zuhören und der Effekt für mich liegt bei Null. Wäre ich doch lieber liegen geblieben...
Nach dem Abendbrot wird wieder mal beratschlagt. Was tun und wenn ja wohin. Kurz nach Sieben traben sieben Reha-Profis in Richtung Kurpark. Am Ende der Wanderung sitzen wir im Pinocchio. Die Frauen brauchen Eis und der Rest Bier. Kurz nach 9 Uhr sind wir schon wieder in der Klinik. Gute Nacht nach 10.760 Schritten.
Mittwoch: Mir ist langweilig
{28. August}Haben die mich heute einfach mal testen wollen? Keine Behandlung und keine Gespräche. Muss ich mir wohl selbst was einfallen lassen. Na gut.
Mit Rita habe ich vereinbart, dass wir uns auf der Empore treffen und dann Radfahren. Gesagt, getan. Heute läuft es nicht so gut wie gestern. Tja, dann ist es eben so. Aber immerhin noch 74 kcal verbrannt. Was sind die eigentlich wert. Oder besser formuliert; kann ich dann zweimal Mittag essen?
Vorsichtshalber noch einen drauflegen. Ich will laufen. Also Rennpantoffeln angezogen und ab in den Park. Einmal rundrum und dann nochmal. Am Flamingoteich angekommen sehe ich, dass wieder eine Truppe den Walkingtrip geht. Unsere Rita ist ja dabei. Na, dann will ich sie mal anfeuern und walke mit ihr mit. Noch zwei Extrarunden. Sozusagen zum „abtrainieren“. Aber die beiden Frauen, die meiner Antreiberei konsequent widerstehen, sind eben doch keine 30 mehr. Demzufolge eher in meiner Altersklasse einzuordnen. Fazit für mich bis hierher: Fast eine Dreiviertel Stunde Wadenstress.
Die Sonne treibt den Schweiß trotzdem noch extra an. Grund genug, heute zum zweiten Mal zu duschen. Eine Wasserverschwendung ist das, Aber meine haute verlangt nach Porenfreiheit. Argwöhnisch suche ich schon wieder nach Einfallsstellen auf meinen Beinen. Aber noch herrscht Frieden.
Nach dem Mittagessen steht auch nix an Terminen in meinem Kalender. Was könnte man denn noch unternehmen? Oh, eine großartige Idee macht sich in meinem Kopf breit! Der Hydrojet wartet. Also auf zum jetten. Eins von dreien ist noch frei. Meins! Meins!!
Und nun 15 Minuten von mittelkräftigen Wasserstrahlen einlullen lassen. Ob das für mein Genick und die Schulter was bringt, wage ich nach wenigen Sekunden zu bezweifeln. Aber angenehm ist es wenigstens. Also einfach liegen bleiben, Augen zu und - an nichts denken. Klappt.
Um Fünf Uhr steht noch Arztvisite auf dem Plan. Blut ist okay. Alles im Normal. Hmm, das ging jetzt aber schnell. Nach dem Abendbrot kurzes Brainstorming. Vom ganzen „Chaosteam“ - unsere WhattsApp-Gruppe - sind wir nur zu viert noch gewillt, eine Runde durch den Park zu drehen. Finale: Parkbank und Fotoshow. Ich auch.
Und was zeigt Kollege Schrittzähler heute an? 12.458 Schritte. Na, dann ist alles „tutto bene“.
Donnerstag: Fitness ist Trumpf!(?)
{29. August} Heute stehen einige Veranstaltungen auf meinem Plan, die mir recht gut gefallen. Allerdings fängt’s erst mal mit Psycho, Therapeut und Auswertung meiner Antworten am Freitag an. Eigentlich bin ich ja kerngesund, bis auf die Peaks in meiner Selbstwahrnehmung. Na gut. Also erhalte ich ein paar Anregungen, um da eine Normalisierung anzustreben. Lohnt sich das eigentlich noch für das letzte halbe Jahr in meinem Arbeitsleben? Aber die Frage stelle ich ihm lieber nicht. Eine dreiviertel Stunde lang werde ich analysiert. Letztendlich geht es aber nur um die letzten vier Wochen vor der Reha. Und da wuchs meine Hoffnung auf Normalisierung eigentlich schon wieder. Insofern vermerkt er, dass da nur eine - große - Baustelle existiert. Und die soll ich in den nächsten vier Wochen planieren.
Die zweite Veranstaltung „Bewegung im Wasser für Schmerzpatienten“ erinnert mich an die Dienstagsübungen in der Sporthalle. Nur eben mit Wasser. Zu dritt staken wir durch angenehm warmes Wasser. Ich komme mir allerdings leicht albern vor, mit Reifen auf dem Wasser zu planschen, um sie herum zu kreisen u. s. w. Die Gleichgewichtsübungen sind da etwas anstrengender. Aber kein Problem für einen Gymnastikprofi - wie mich.
Nach dem Mittagessen geht’s auch gleich sportlich weiter. Körperwahrnehmung Schrägstrich Faszientraining. Mit kleinen roten Eimerchen, ähm Bällchen, rollen wir fußläufig über unsere Matten. Hin und her, vor und zurück, Zehen beugen... Alles beherrschbar.
Halb Vier kommt die letzte Runde. Das MTT ruft. Medizinische Trainingstherapie, Muckibude, Fitnesscenter. Eine Stunde lang von Gerät zu Gerät wandern und Übungen abarbeiten. Fängt langsam sogar an, Spaß zu machen. Bauch, Rücken, Oberschenkel und Waden, Oberarme und Schultern - überall arbeiten die Muskeln so vor sich hin und der Eigentümer dieses komplexen Systems merkt erst, dass die Dinger da sind, wenn plötzlich Muskelkater an Körperregionen entsteht, die bisher als Randgebiete unauffällig vor sich hin gearbeitet haben. Nächste Woche werde ich die Gewichte erhöhen lassen. Da geht noch was...
Gestrampelt habe ich heute noch nicht. Also vor dem Abendbrot noch einen 15-Minuten-Trip einlegen. Ohne Mitstreiter radle ich wieder in schweißtreibender Geschwindigkeit. Heute läuft es nicht so überragend. Was soll’s. Nicht jeder Tag bringt eine Bestleistung - also im Rahmen meiner Möglichkeiten. Aber ich habe mir das Abendbrot jetzt redlich verdient.
Und wieder drehen wir als Chaosteam die mittlerweile allabendlich Runde durch den Park - mit Zwischenstopp im Saustall (korrekterweise “Zum Saustall“). Immerhin noch 10.572 Schritte.
Freitag: Bin müde
{30. August} Die Nacht war heute deutlich kürzer als üblich. Keine Ahnung, was mich da schon kurz vor Fünf geweckt hat. Das Räderwerk fängt an, im Kopf zu rotieren. Mist.
Beim Frühstück scheint mein Gesicht auch in Falten zu liegen. Jedenfalls gibt es fragende Gesichter. Nein, mir geht es gut. Nur in meinem Kopf wächst gerade eine Chaostheorie vor sich hin.
Buddha
Und immer noch völlig gerädert. Zu allem Überfluss heute auch noch Gruppentherapie. Ich versuche, das Thema von Gefühl und Eheproblem etwas wegzulenken. Misslingt allerdings. Ach was soll’s. Dann dreht Euch doch bis zum Abwinken um Probleme. Unser Therapeut greift nun doch ein und lenkt das Thema auf Lösungsorientierung. Mein Vorschlag wird verschoben. Ich kann warten.
Vor dem Mittagessen bekommen wir noch eine Runde Entspannungstherapie - mentale Entspannung mit Atemübung. Ich bin fast am Einpennen. Jetzt bloß nicht schnarchen. Nach einer knappen halben Stunde ist Schluss mit „Grunzen“. Das Aufstehen misslingt fast. Ich brauche tatsächlich ein paar Minuten bis ich wieder rund laufe. Aber das Mittagessen wartet nicht ewig.
Die Patientenbegrüßung ist ja echt spät für mich angesetzt. Insofern hätte ich mir die Veranstaltung kurz nach Zwei eigentlich klemmen können. Aber nun sitze ich hier und lasse die Erklärungen zusammen mit den diese Woche Angereisten über mich ergehen.
Mit Rita wird um 4 wieder um die Wette geradelt. Das Shirt muss ich heute auf jeden Fall waschen, sonst steht es im getrockneten Schweiß von ganz alleine. So. Reicht heute.
Nach dem Abendbrot drehen wir zu Viert wieder eine Ortsrunde und landen in der „Kajüte“, einem Disko- und Tanzlokal. Prima Abschluss heute. Gute Nacht. Waaas? Nur 8.002 Schritte?
Sonnabend - Sonntag: Erholung oder Action!?
{31. August - 1. September} Heute ist der letzte (meteorologische) Sommertag, der 31. August und der Start ins Wochenende. Freizeit, faulenzen. Denkste.
Na super. Nach langer Zeit mal wieder den Spruch loslassen: Ich habe Ischias. Also. Was mache ich dann heute. Eigentlich sollte ich nach dem Therapieplan heute Nachmittag erst auf dem Ergometer mit dem Fahrrad vor mich hin strampeln und danach noch in der Muckibude Aktivitätsaufbau betreiben. Das Strampeln wird gestrichen. Stattdessen fahre ich nach Fritzlar einkaufen. Mal selbstständig in einen Klamottenladen gehen und nach einer Badehose und T-Shirts Ausschau halten. Fünf Minuten später habe ich ein schwarzes Shirt und eine von den grünen Badeshorts gekauft. Preis: Unter 7 Euro! Für beides!!
Meine Truppe will nach dem Mittagessen nach BW (eigene Abkürzung für Bad Wildungen). Dort findet heute und morgen das Samba-Festival statt. Außerdem wollen wir uns um Fünf beim Italiener treffen. Ich kämpfe noch ein bisschen und fahre dann doch hinterher. Pizzaessen ist doch immer lecker. Stefan und Babs haben ihre Partner im Schlepptau. Ronald, Christiane und ich machen einen auf Solisten.
Und überall wird heute getrommelt und geblasen - also in Musikinstrumente. Ganz schön laut auf der Samba-Meile. Die Stadt gefällt mir. Sauber, gut strukturiert mit einer Einkaufsmeile und auch ausreichend grün. Dieses Hin- und Herirren entlang der Sambameile produziert doch tatsächlich heute 13.067 Schritte.
Der Sonntag beginnt wie der Sonnabend geendet hat; mit Rückenschmerzen. Aber das Laufen hat mir doch schon recht gut geholfen. Nur das Wetter will heute nicht mehr so richtig mitspielen. Ist ja schließlich Herbstanfang.
Auf meinem heutigen Plan steht nichts, was sich auch nicht verschieben lässt. Also faulenze ich erst mal ein bisschen. Meine Damen wollen heute Nachmittag unter allen Umständen nach BW. Dort läuft heute der Samba-Umzug. Kurz vor Beginn starte ich nun doch nach kurzer innerer Einkehr und Abwägung der eventuell zu erwartenden Wetterrisiken von der Klinik in Richtung Festival. Mein Auto hat’s auch wieder mal verdient, bewegt zu werden. Vielleicht verirrt sich eine Tankstelle auf meinen Weg. Außerdem werde ich danach nett sein und alle vier in mein Gefährt einladen. Das Wetter spielt nur widerwillig mit. Ein Großteil der Zuschauer hat sich offensichtlich auch nicht besonders gut darauf eingestellt. Tja, die Aktiven des Umzugs sind größtenteils ebenfalls nur leicht bekleidet. Deshalb fehlt es etwas an mentaler Hochstimmung. Trotzdem harren alle aus und filmen und fotografieren wie bekloppt die vorbei defilierenden Gruppen. Nur 8.970 Schritte getan. Was soll’s, ich liege ja trotzdem sehr gut gegenüber den letzten Monaten. Im Mai durchschnittlich 3.131, im Juni sogar nur 2.986 und im Juli -schon etwas besser - 5.099 Schritte. Im August hat das letzte Drittel den Durchschnitt richtiggehend hochgerissen - auf 7.170. Bin stolz. Bleibt noch abzuwarten, ob das was Positives im Verhältnis von Fett zu Muskeln was bringt. Das wir zu Hause dann ausgewertet.
Montag: Neue Runde zum „Glück“ - oder wohin geht's?
{2. September} Das Programm zeigt wieder eine Fülle. Aber da müssen wir beide durch; ich und mein Körper. Am Anfang steht wieder die Haufenbildung im Wintergarten mit dem abschließenden Spruch des Tages. Ich habe auch ein paar Sprüche auf Lager. Die hebe ich mir noch ein bisschen auf...
Mein Therapeut bittet wieder zum Einzelgespräch. Wir durchforsten noch ein bisschen meine Vergangenheit. Warum bin ich so wie ich bin!? Habe ich wirklich ein unlösbares Problem? Oder bin ich nur auf der falschen Spur unterwegs? Habe ich mein Trauma verarbeitet, bin ich eigentlich psychisch stabil genug? Oder was muss ich noch tun, um wieder im Normalmodus zu leben? Ich bekomme die acht Gebote des Genießens und Selbsthilfe bei emotionalem Stress - die Trauma Tapping Technique - für heute mit auf dem Weg. Hilfe zur Selbsthilfe. Das letzte Mal hatte er mir den „Anti-Helfer-Rettungskasten“ mitgegeben. Da kenne ich in unserer Familie noch jemanden...
Ach, und gleich danach noch das Gespräch mit der Oberärztin. Das fällt recht kurz aus. Was sollen wir auch noch reden. Ich fühle mich in einem ansteigenden Entspannungsfeld. Meine Gedanken haben sich ebenfalls neue Arbeitsfelder gesucht und gefunden. Ich sehe bereits jetzt, dass diese Reha mir etwas gebracht hat. Besonders eine innere Ruhe, eine andere Sicht auf mein Leben und die Bereitschaft, meine in Sichtweite befindliche zukünftige „Funktion“ als Rentner als erstrebenswert anzusehen. Also Frau Doktor, alles i. O., alles ‚charascho’.
Vor dem Mittagessen noch eine Runde Entspannung. Mit Matte und Handtuch unter mir begebe ich mich in die Relaxation. Nichts denken, nur liegen und auf die Innereien achten. Atme! Wo die Luft so alles langströmen kann!? Durch Nase und Rachen, über die Luftröhre in die Lungen und dann immer weiter. Bis in die Zehenspitzen. Wusste ich gar nicht, dass ich so tief atmen kann. Bin allerdings kurz vorm einschlafen. Bloß jetzt nicht schnarchen! - Hat gut getan. Und jetzt an den Futternapf.
Das Mittagessen ist doch recht abwechslungsreich und jeden Tag packe ich mir haufenweise Gemüse in mein Schälchen. Sowas von gesund. Aber auch sowas.
Der Nachmittag besteht nur aus einem einstündigen Vortrag. Gesunde Ernährung mit den 10 Regeln der DGE. Und eine Tabelle mit dem BMI für Senioren!! Ich habe Optimalgewicht. Jetzt ist es (fast) amtlich. Und ich bin zufrieden mit mir.
Nach dem Abendbrot führt und das übliche Prozedere wieder durch den Park in den Ort und an eine Tränke. Mit 15.898 Tapsen habe ich dazu doch auch noch einen guten Schnitt erzielt.
Dienstag: Oh, schon wieder!?
{3. September} Da schon sind wir mitten im September. Heute ist bereits der 3. des Monats. Mein Tagesprogramm ist heute etwas dünn. Meinetwegen. Die Gruppentherapie dreht sich wieder im die Begriffswelt zwischen Verstehen, Regeln und Macht. Ich verstehe, Regeln müssen sein weil ansonsten die Macht dafür sorgt, dass einer oder eine untergeht. Wie bereits gesagt - oder besser: geschrieben - gibt’s hier im Kreis der acht Deliquenten und - innen Problemfelder, die ich nicht kenne. Und das ist so auch bestens.
Den nachmittäglichen Vortrag klemme ich mir. Sozialberatung mit dem Thema Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben. Meine Teilhabe reicht mir voll und ganz.
Und schon ist es wieder Abend. Wo gehen wir denn heute hin. Ach, schon wieder in die Kneipe von gestern? Ach so, wegen des Köstritzer Schwarzbieres. Voll in Ordnung und Entscheidung einstimmig in der Gruppe. Aber immerhin 11.808 Schritte.
Mittwoch: Oh Herr, schick mir ein Wundermittel
{4. September} Drei Termine stehen heute an. Halb Zwölf ist wieder Bewegung im Wasser noch kurz vor dem Mittagessen auf dem Plan. Warmes Badewannenwasser und dann da drin hin- und herlaufen, mit den Beinen und Armen rotieren. Danach hat man das Gefühl, im Wasser zu schwitzen. Und mein Ischiasnerv meckert mich an. Was soll’s; da müssen wir beide durch.
Nach dem Mittag kommt die Trockenphase mit Krankengymnastik in der Gruppe und Rückentraining. Das Ganze findet in der Sporthalle statt. Neben mir links und rechts wird laut geatmet. Ich bin froh, dass ich diese Übungen schon oft genug gemacht habe, sodass mir alles relativ leicht fällt. Und deshalb ist es gut so.
Als heutiger Abschluss steht noch Muckibude (MTT alias medizinische Trainingstherapie) an. Ab auf die Geräte. Langsam gefällt mir das hier. Ich habe auch schon die Gewichte erhöhen lassen. Also ab durch die Maschinen; zuerst auf den Beinbeuger - gut für die Oberschenkel und komischerweise auch für den Bauch - dann gleich die Bauchmaschine hinterher - die geht tatsächlich derart auf die Bauchmuskeln, aber bisher noch ohne Muskelkater. Als „Entspannung“ lasse ich die Armmuskeln am Seilzug spielen. So langsam erhöhe ich auch da die Gewichte - immer in 10 Kilo-Schritten - und bin jetzt bei 70 Kilo. Da zeigt die dritte Wiederholungsrunde schon deutlich Wirkung. Aber noch bin ich bereit, zu steigern. Mal abwarten, ab wann meine Schultern anfangen zu streiken. Die Dip-Maschine ist auch noch dran - Gewichte mit den Armen nach unten drücken. Und immer drei Runden mit jeweils einer Entspannungsphase. Die letzte in der Reihe ist der Lastzug - das Gegenstück zum vorherigen Gerät. Aber da muss ich erst noch eine leicht verpeilte (na, nennen wir sie mal) Dame, die seit Minuten erfolglos auf dem Touchbildschirm rumhantiert, von da hinwegkomplimentieren. „Fangen Sie doch was einfach an.“ Und schon steht der aufsichtführende Therapeut hinter uns und hilft ihr - zum Glück vom Gerät weg. Also nix wie rauf.
So heute reicht’s mit Sport. Zum Abendbier sind wir nur zu zweit. Ronald, ein echter Friese. Nach eigener Aussage ist er Testfriese. Ich bin allerdings noch nicht hinter die Bedeutung des Begriffs gekommen. Beim zweiten Bier müssen etwas schneller trinken. Es ist jetzt deutlich kälter draußen als beim Eintreffen vorhin und drinnen ist alles überfüllt. Und das mitten in der Woche. Nach 15.195 Schritten stehe ich wieder in meinem Zimmer. Gute Nacht.
Donnerstag: Werde behindert... ähm, gehindert
{5. September} Heute früh in der Stationsversammlung wurde verkündet, dass halb Zwölf noch Platz in der Wassertherapie für Schmerzpatienten ist. Mein Vormittag wäre sonst völlig leer. Also entschließe ich mich zum Handeln. Andere auch. Na gut, das ist mir hier im Planschbecken zu warm. Aber im großen Becken starten sie auch gerade eine Übung. Also nix wie noch dazu stoßen. Das Wasser ist eigentlich auch recht warm, aber die Übungen und mein Ischiasnerv vertragen sich irgendwie nicht besonders. Okay, ich hab’s versucht und - durchgehalten. Beim Mittagessen meckert mein Hinterteil. Nachher kommt noch Faszientraining. Das hilft hoffentlich dem Teil dahinten ein bisschen auf die Sprünge. Um Drei noch in die Muckibude. Fitness für Arme, Beine, Bauch und Rücken. Mitten im schönsten Üben die Ansage „Ich muss schließen. Sie können ja heute Abend noch wieder rein.“ Das hatten wir schon: Wenn da nicht mindestens drei Aktivisten reinwollen, wird nicht geöffnet. Überfüllung hatten wir auch schon. Ich fühle mich in meinem Schwung behindert - also an einem gesunden Reha-Leben gehindert.
Draußen wird’s immer dunkler. Regnet es heute noch? Meinetwegen muss es das nicht.
Na gut, dann eben die übliche Abendrunde und beendet bei 15.195 Schritten nach kurzem - naja eigentlich wieder typischem - Halt in der “Kajüte“, einem Tanzlokal. Unsere beiden - also unsere jugendlicheren - Frauen arbeiten sich auch sofort auf der Tanzfläche ab.
Freitag: Draußen gibt’s Wetter gratis
{6. September} Man-oh-man, schon der 6. September und wieder droht das Wochenende mit Ankunft. Nach der üblichen Stationsversammlung findet wieder eine Gruppentherapie statt. Ob ich die einfach mal schwänze? Aber der innere Schweinehund schläft noch. Heute hat sich unser Therapeut was Gemeines ausgedacht. Erfragt in die Runde, was denn heute jeder Einzelne am liebsten in der nächsten Stunde machen möchte. Doofe Frage. Alle versuchen, irgendwas Produktives zu formulieren. Ich: „Heute will ich mal zuhören...“ Unsere lütte Christane - eine von unseren vier Chaosteam-Frauen - möchte in der nächsten Stunde laufen und guckt mich erwartungsvoll an. Gut, ich laufe mit. Wollte ja eh nur zuhören. Gesagt getan. Sie erzählt mir, während wir beiden Runde um Runde durch den Park drehen, ihre Problemwelt. Da sind schon regelrechte Berge abzutragen... Nach der Rückkehr muss jeder in der Gruppe Feedback geben. Meins fällt pragmatisch aus „Habe zugehört.“
Vor dem Mittagessen sind noch 45 Minuten Entspannung vorgesehen - sitzenderweise. Na gut, geht auch ist aber nur suboptimal. Ich kann überhaupt nicht richtig schlafen. Wenigstens läft leise Musik, sodass mein Körperinnenleben ganz leise vor sich hin schnarcht.
Kurz nach dem Mittagessen findet Kampfwandern - im Plan steht ‚Geführte Wanderung’ - in die umliegenden Berge statt. Die Gruppe ist relativ groß und altersmäßig recht heterogen aufgestellt. Ich werde das Gefühl nicht los, dass ich hier (fast) als Alterspräsident fungieren könnte. Zumindest sehe ich mich in der Spitzengruppe der „Silver-Ager“ - eigentlich sogar auf einem der Medaillenplätze. Also packt mich mal wieder der Ehrgeiz und schon gebe ich Gas und mische in der Spitzengruppe mit. Anfangs läuft es noch ruhig an. Nach etwa vier Kilometern kommt ein 800 Meter langer Anstieg. Und der hat’s in sich. Als Dritter komme ich da hinter zwei Mittelalterlichen oben an und schnaufe wie ein Brauereipferd. Aber so schnell hängt mich hier keiner ab!!! Nach knapp 10 Kilometern trudeln wir alle wieder in der Klinik ein und ich bin äußerst zufrieden mit mir. Geht doch noch.
Heute startet im Park das Kartoffelfest. Alles ‚kartoffelige’ wird angeboten. Entweder als Essen oder Trinken. Na und so weiter. Natürlich stehen hier auch diese Grabbelbuden mit allen möglichen Klein- und Kleinstprodukten, die der geneigte Reha-Genießer bei Bedarf abarbeiten kann. Wir genießen die Biertränken - allerdings nur bis zum zweiten Krombacher, eine Alternative ist nicht zu finden - und die Musik. Das Wetter hält sich wacker aufrecht und trocken. An einer Bude finde ich leckeren Kräuterschnaps. Wir steigen auf das gesunde Zeug um und genießen weiter. Und nicht zu vergessen: 25.871 Schritte!!
Sonnabend - Sonntag: Freizeit genießen (1)
{7.-8. September} Meinen Reha-Plan für heute und morgen habe ich gleich nach dem Frühstück abgehakt. Heute will ich nach Marburg, Stadt und Universität angucken. Das Mittagessen lasse ich sausen und starte meine 50-minütige Tour in Richtung Universitätsstadt. Mein Versuch, irgendwo in ein Gebäude der Uni zu gelangen, scheitert vollständig. Hier wird am Wochenende grundsätzlich nicht gearbeitet. Aha, so ticken die hessischen Wissenschaftler also. Im Stadtzentrum einen Parkplatz zu ergattern, liefert genügend Frustgründe. Entweder alles zugeparkt oder mit Parkautomaten zugepflastert. Der erste Versuch in einem Parkhaus in der Innenstadt führt mich direkt in ein Shoppingcenter. Nach einer halben Stunde habe ich zwei Shirts im Beutel und 1,20 Euro im Parkautomaten versenkt. Aber da muss doch auch das Verwaltungsgebäude der Uni mit Platz zum Parken ausgestattet sein. Und ich werde fündig. So. Jetzt aber direkt in die Altstadt.
Auf dem Weg dahin lege ich noch einen Stopp in einem Café ein. Ein Latte sowie ein Stück Quark-Mohn-Torte und danach noch zwei Kugeln Eis. Bestens gestärkt laufe ich durch die Altstadt immer bergauf in Richtung Schloss. Unterwegs knattern vier Harleys an mir vorbei. Oben auf dem Berg kurz vor dem Schloss begegnen mir die vier Biker. Auf meine Bemerkung, dass sie hier auch zu Fuß hätten gelangen können, gibt es grinsende Gesichter. Ich schnappe derweil erst mal tief nach sauerstofflastiger Luft.
Die Treppen hier hoch haben es in sich. So, noch ein paar Bilder und wenigstens ein Video und dann zurück ins Tal. Mein Auto wurde auch nicht abgeschleppt. Also zurück nach Reinhardshausen.
Sonnabend - Sonntag: Freizeit genießen (2)
{7.-8. September} Heute ist Sonntag, ich mach mal voll auf Freizeit - und gehe zuerst kurz in die Muckibude, um sie nach knapp 10 Minuten wieder zu verlassen. Die Maschinen sind ausgeschaltet. Das macht hier überhaupt keinen Sinn. Also gut, dann gehe ich eben baden. Erst ein paar Runden im „kalten“ Wasser drehen und danach ab ins Kuschelbecken. Kurz nach halb Zwölf starte ich in Richtung Naumburg zu unseren beiden Vollprofi-Künstlern Gudrun und Helmut. Bin schließlich zum Mittagessen eingeladen. Die beiden haben sich hier bestens eingelebt und scheinbar auch voll in das lokale Leben integriert. Sie sind im lokalen Förderverein zum Erhalt des Stadtkerns, in der Künstlervereinigung sind sie sowieso und ihre Nachbarschaft hat sie auch bereits bestens kennengelernt.
Wir drehen eine Runde durch die Stadt und ihre nähere Umgebung. So komme ich heute wenigstens noch auf meine Mindestschrittzahl. Unsere Route führt zuerst zum Bahnhof.
Zwischen Naumburg und Kassel verkehren ab und zu historische Züge. Heute ist wieder mal so ein Tag und wir treffen rechtzeitig ein, um das Abdampfen zu erleben. Die Stadt besitzt noch Großteile der alten Stadtmauer und lauter schöne, alte Gebäude. Aber auch hier gibt es Wohnungsleerstand und geschlossene Läden. Eins der Häuser wird für etwas mehr als 7.000 Euro angeboten. Aber bisher hat noch niemand zugeschlagen. Der Himmel zieht sich langsam zu und die grauen Wolken zeigen an, dass sie gerne abregnen würden. Aber ob sie das hier tun wollen, ist noch nicht erkennbar. Die Wege hier liefern ein Auf und Ab für den Wandernden. Und Rauf oder Runter sind es dann auch gleich mehr als 10% Gefälle, die ganz locker beide Kniegelenke anknabbern. Einzelne Tropfen schaffen es dann doch bis auf den Boden. Wir fahren ins 12 km entfernte Wolfhagen. Der dortige Sonntagsmarkt ist leider schon im Abbau begriffen. Also touren wir noch ein paar Meter durch das Stadtzentrum und landen in einem Eiscafé.
Kurz vor um 8 bin ich wieder zurück in meiner Lieblings-Rehaklinik und starte gleich wieder, um unseren lieben Ronald an seinem Geburtstag zu schädigen.