Liebe macht blind || Kapitel 6

Jan 25, 2009 00:57

Titel: Liebe macht blind || Kapitel 6
Autor: in_monochrome
Pairing: Die & Kaoru
Rating: ab 16, denk ich
Genre: Humor, Drama, Shounen-Ai
Zusammenfassung: Die weiß ganz genau, was Kaoru noch fehlt in seinem Leben. Er nämlich! Nur scheint Kaoru nicht nur blind zu sein, sondern auch noch taub und dazu noch äußert unkooperativ. Wie schwer er es haben würde konnte Die ja vorher nicht wissen, denn nicht selten fährt das Objekt der Begierde auch schon mal seine Krallen aus. Doch aufgeben ist was für Loser und so bleibt Die trotz herber Rückschläge tapfer auf seinem Kreuzzug Kaorus Herz doch noch irgendwie zu erobern. Denn im Krieg und in der Liebe ist ja bekanntlich alles erlaubt!
Kommentar: Die Sprünge, die ich in diesem Kapitel mache, sind doch recht hart. Das Auf und Ab geht weiter. Mystery-Factor bleibt auch weiterhin erhalten.
Auf Animexx?: Zu finden hier.



Liebe macht blind
Kapitel 6 - Zwischen Leber und Herz

Bin das ich? Bin das wirklich ich? Ich weiß es nicht mehr. Mein Geist fühlt sich fremd an in diesem Körper, als gehöre er schon lang nicht mehr zu ihm. Müde und schwer schauen die Ringe aus, die sich dunkel auf mein Gesicht gezeichnet haben. Spiegel können nicht lügen. Es kommt mir vor, als hätte auch ich ein Deja-Vu. Alles scheint sich endlos zu wiederholen. Aber warum ist der Schmerz, an den ich mich doch schon längst gewöhnt habe, auf einmal so stark, dass er mir regelrecht die Luft abschnürt?
So schlimm wie heute war es lange nicht mehr und die Zeichen stehen viel zu sehr auf Sturm. Ich fühle das Beben unter meinen Fußspitzen. Der erste Platzregen hat bereits begonnen. Und das ungute Gefühl in meinem Magen will einfach nicht verschwinden. Ich fühl mich so unvollständig. So elend.
Eiskaltes Wasser fließt in meine Hände, durch meine Finger, und ich spritze es in mein Gesicht.
Ich muss funktionieren. Ich muss. Es ist egal, was gerade mit mir passiert. Da wartet ein Publikum auf mich. Und ich muss mich zusammenreißen. Bin ein Mann und keine Meme. Selbst ein abgerissener Arm wäre keine Entschuldigung mich hängenzulassen. Damit klarzukommen, dass er eine Freundin hat, das kann doch nicht so schwer sein. Was ändert das schon großartig für mich? Die Chancen standen schon vorher beschissen für mich und jetzt tun sie es eben noch mehr. Auf den ersten Blick eben. Aber wenn er wirklich gehörig Krach mit ihr hat und alles komplett in die Brüche geht und erst in Schutt und Asche liegt, dann wird da meine Schulter sein, an der er sich ausheulen kann. Ich muss nur warten und geduldig sein; zwei Sachen, die ich im Grunde überhaupt nicht kann, aber trotzdem: Diese Freundin wird für mich kein Hindernis sein. Obwohl es mir zugegeben den Boden unter den Füßen reißt, wäre es doch gelacht jetzt den Schwanz einzuziehen. Nur meine Gefühle sollte ich besser zu kontrollieren lernen, damit ich sie ihm nicht wieder in einer schwachen Sekunde blind an den Kopf werfe.
Wenn ich es will, kann ich alles bewerkstelligen. Und egal wie geschunden mein Körper sich anfühlt, solange ich noch kriechen kann, gebe ich nicht auf. Was ich zu ihm gesagt habe, klang in meinem Tonfall vielleicht etwas sehr wahnsinnig, aber es ist letztlich die Wahrheit. Ich bin viel zu stur um mich geschlagen zu geben. Früher oder später ist Kaoru meins. Und wenn es das Letzte ist, was ich... Moment, falscher Film.
Ja, so langsam beginnt mein Magen alles zu verdauen. Auch, dass man mich nicht eingeweiht hat. Es wäre wünschenswert gewesen, aber offensichtlich befand man es ja nicht für nötig.
Ich kann eben nicht lange am Boden sein. Würde ich mich erstmal häuslich dort unten einrichten, würde ich meinen Arsch wohl überhaupt nicht mehr hoch kriegen. Ich packe diesen flackernden Zorn und diese wabbernde Eifersucht und stopfe sie zurück in die Box in meinem Herzen. Dann heißt es hoffen, dass ich sie zumindest für die nächsten paar Stunden auch dort drin lassen kann. Obwohl meine Selbstzerstörung, dank meines unzähmbaren Temperamentes, bereits eingeleitet scheint.

~*~*~

Erst mal auf den Brettern, die die Welt bedeuten, angelangt, zittere ich ein wenig vor Aufregung. Dann beginnt das Konzert. Und endlich habe ich dieses Gefühl wieder. Es gibt mir so unglaublich viel Kraft. Ich bin da, wo ich hingehöre. Dort ist das Publikum, die Musik beginnt und als ich in meiner Position bin, fühle ich mich wie als wäre ich Zuhause angekommen. Das hier, genau diese Atmosphäre, ich bin endlich daheim.
Es ist unfassbar wie sehr es mich gleich drei Spähren höher trägt. Stress, Probleme und all der Unsinn verschwinden einfach, lösen sich mit fast erschreckender Geschwindigkeit auf. Es muss die Musik sein, die wir in Schwerstarbeit mit Blut, Schweiß und Tränen zusammengeklöppelt haben. Und Kyos Gesang. Diese Konzerte, dieses auf der Welt Herumtouren und vor Leuten zu spielen, das zu tun, was ich liebe, bei dem mir das Herz immer wieder aufs Neue aufblüht, das ist wie Therapie. Das macht mich glücklich, füllt mich aus, ist die Luft, die ich zum Atmen brauche.
Ich werfe meine Picks in die Menge und strahle. Genau jetzt fühle ich mich, als würde ich auf Watte gehen. Der Jubel und die ausgestreckten Hände, die vergnügten Gesichter und jede Emotion, die ich zu fassen kriege, macht mich so high. Das hier ist besser als jede Droge. Denn es ist real. Und egal wie grottig es mir den ganzen Tag über gegangen ist, das hier heilt mich.
Wasser spritzt aus den Flaschen in meinen Händen in die ausgelassene Masse, als ich am Rande der Bühne meine Runden ziehe, bis ich bei Toshiya angekommen bin. Zwar ist er bereits von Kopf bis Fuß durchnässt, doch kann ich es mir nicht verkneifen, bei seinem frechen Grinsen, auch Wasser in sein Gesicht zu schütten. Dafür kassiere ich einen leichten Schlag auf den Hinterkopf, der mir jedoch herzlich schnuppe ist, da ich in dieser Sekunde ein weiteres Opfer ins Visier genommen habe. Kaoru, der gemerkt hat, dass ich nichts Gutes im Schilde führe, als ich auf diese Seite der Bühne geschlendert bin, versucht sich klangheimlich auf und davon zu machen. Doch man sollte nicht die Reichweite meines Armes unterschätzen und so angle ich ihn mir schlichtweg, bis er sich fast in meinem Schwitzkasten wieder findet. Wären wir hier nicht auf einer Konzertbühne und vor knapp 2000 Menschen, hätte er mich mit Sicherheit schon längst weggeschubst. Aber er hat keine Chance zu entkommen. Besonders nicht, wenn ich so schön lächele, ihn an mich presse und er so vollgepumpt mit Glückshormonen ist, dass man glatt eine Kleinstadt damit beleuchten könnte. Ja, der einzige Ort, an dem ich ihm nah sein kann, ist hier. Keinen Widerstand leistet er. Und niemand auf diesem Planeten sieht doch besser neben ihm aus, als ich. Nichtmal irgendsoeine daher gekrochene Freundin. Mein breites Honigkuchenpferd-Grinsen und sein verzauberndes Lächeln, das sich fast schelmisch um seine Lippen kräuselt, müssten doch wundervoll auf einem Foto aussehen, würde uns nun jemand knipsen.
Von mir aus könnte die Zeit nun stillstehen. Diese Atmosphäre ist himmlisch. Sein warmer Körper, der leicht gegen mich lehnt und diese Nähe. Lässig liegt mein Arm über seiner Schulter; die Fans animierend hat er seinen Arm gehoben. Wie im Zentrum der Welt ist es neben ihm.
Es ist seltsam auf was für Höhenflüge einen eine solche Live-Show bringen kann, dass alles von einem abfällt, für gewisse Zeit gänzlich zu existieren aufhört und selbst Kaoru es zulässt, dass ich ihn berühre; dass der Schmerz in meiner Brust wie nie da gewesen ist. Das alles wirkt so weit entfernt, nicht relevant in diesen Augenblicken. Niemand kann sehen, wie sehr die Worte und Taten dieses Mannes mich noch vor weniger Zeit verletzt haben. Niemand ahnt es, wie lästig ich ihm eigentlich bin und wie er normalerweise jede noch so kleine Berührung mit mir scheut, als wäre ich hochgiftig.
Die Existenz an diesem Platz ist so simpel. Keine Umständlichkeiten, keine Probleme. Aber auch keine Verbindlichkeiten.
Langsam löse ich meine halbe Umarmung und gebe ihn frei. In meinen Taschen habe ich noch mehr Picks, die ins Publikum geschleudert werden wollen, sowie diese Flasche, die Kaoru immer noch hält und gerade aus ihr trinkt. Ich bin mir sicher, er wollte sie just in diesem Moment werfen, doch kommt meine flinke Hand ihm zuvor. Mit einem schnellen Griff gehört sie mir und diesen einen Schluck aus ihr lasse ich mir auch nicht entgehen. Für die ganzen Qualen heute kriege ich einen indirekten Kuss, ha. Und nach einem schönen Wurf von mir, kriegt ein überglücklicher Fan eine Flasche aus der Kaoru und ich kurz nacheinander getrunken haben. Heute habe ich wirklich genug getan was Fanservice angeht.
Neben mir hüpft Shinya auf die eiserne Box unseres Sängers, wirft seine Drumsticks in die Menge und verschwindet kurz darauf backstage. Berauscht machen auch Kaoru und ich uns auf den Weg mal endlich die Bühne zu verlassen - wir sind die letzten.
Und ich habe schon beim ersten Schritt, den ich die Stufen herunter setze, das Gefühl, als hätte das Auge des Sturms gerade recht freundliche Grüße auf meine Brust gekritzelt.

~*~*~

Backstage ist es sehr viel kühler, aber die Hitze des Auftrittes lungert noch immer überall in meinem Körper, klebt an mir.
Es ist spät, das vorerst letzte Konzert ist vorbei. Ich bin so vollkommen durchgeschwitzt, ich brauche erstmal eine Dusche und dann schlüpf ich in was bequemeres. Müde bin ich überhaupt nicht. Aufgedreht eher. Das Adrenalin rauscht noch immer durch mich, spült meine Adern mal so richtig gut durch und ich könnte Bäume ausreißen, wenn ich das wollte. In Hotelzimmern wachsen für gewöhnlich aber keine Bäume. Zu dumm aber auch.
Ah, ich darf nicht vergessen Kaoru eine neue Kampfansage zu machen. Gerade vorhin, als ich ihm so nah war und er nicht mal weggelaufen ist, sogar in meinem Arm war... Als ob ich jetzt aufgeben würde! Pah, nichts da! Das weckt meinen Jagdtrieb. Ich hab Blut geleckt. Wär doch gelacht jetzt Kehrt zu machen! Das hätten wohl alle gerne. Da kennen sie mich aber schlecht. Aufgeben befindet sich nicht in meinem Wortschatz!
Schließlich... sehe ich hundertmal besser aus! (Obwohl ich sie ja eigentlich noch nie gesehen habe...) Ich kann aber hundertpro besser küssen als die und im Bett bin ich sowieso der absolute Überflieger! Ich bin der Meister der Verführung! Ha, ja, genau! Und ich bin klug! Und witzig! Und ich habe Humor! Und ich bin lustig! Und ich wiederhole mich grade ständig! Und ich mag die gleichen Sachen wie Kaoru! Ich teil mir manchmal ein Gehirn mit ihm! Wir sind ein eingespieltes Team! Ich bin seine zweite Hälfte! Ich bin einfach die bessere Wahl, die bessere Partie! Ich bin das Ass in Kaorus Ärmel! Die Kohlensäure in seinem Sekt! Der Schaum auf seinem Bier! Was zur Hölle fasel ich hier eigentlich! Ich hab keine Ahnung! Aber oh mein Gott YAY! Was war nur in meinem Drink?!
Er kann ja lange behaupten, dass sein Herz niemals mir gehören wird, aber Augen lügen nicht. Nein, Augen lügen nicht. Auch nicht, wenn man versucht sie hinter dunklen Sonnenbrillengläsern zu verbergen.
Frisch geduscht und in sauberen Klamotten, mit den ersten zwei kleinen Durstanregern aus der Minibar im Magen, mache ich mich frohen Gemüts auf zu der Party in der Hotel-Bar im oberen Teil des Gebäudes.
Auf dem Flur gable ich noch schnell Toshiya mit auf, der das Pech hat, dass sich unsere Wege hier kreuzen. Somit kriegt er meine ganze neu heraufbeschworene positive Einstellung ab.
Heiter zurre ich den Kragen meines Hemdes zurecht, grabbel derweil ununterbrochen an meinem Haar herum und latsche neben ihm her. "Ich weiß, alle halten mich hier schon für verrückt, aber... das ist alles Strategie!", verkünde ich kurz vor dem Schließen der Aufzugtüren, nachdem Toshiya sich nach meinem aktuellen Geisteszustand erkundigt hat.
"Wir halten dich nicht für verrückt, wir wissen, dass du nicht mehr ganz dicht bist. Was hast du übrigens jetzt schon wieder eingeworfen? Vor dreieinhalb Stunden wolltest du mir noch den Hals um drehen vor Wut. War es das Konzert? Oder nimmst du wirklich heimlich Drogen?"
Mir missfällt der Blick, mit dem er mir von der Seite her buchstäblich einen absichtlichen Schlag in die Rippen verpasst. "Ich lass mich nicht so schnell aus dem Gleichgewicht bringen", schmolle ich.
"Das sah vorhin aber noch ganz anders aus."
"Unterschätz mich nicht! Immerhin schwanke ich nicht nicht so lange herum wie Kaoru. Ich bin ausgebuffter als du denkst!"
"Ausge- was?"
"Ausgebufft! Ausgefuchst. Ausgekocht. Ausgeschlafen!"
Im obersten Stock steigen wir aus dem Aufzug und Toshiya glotzt mich nur an als würde ich Ungarisch sprechen. "Hat das Wörterbuch geschmeckt, das du schluckt hast?"
"Ich wollte dir damit nur sagen, dass ich besser bin als Kaoru."
"Worin?"
Ich stöhne. "Überall. Er kann sich ja gerne einen abasten mit seiner ach so tollen Freundin. Ist seine eigene Schuld, wenn er sich sowas wie die auferlegt."
"Ach, hast du sie in Zwischenzeit persönlich kennen gelernt?"
Ein paar wenige Meter gegangen, knöpfe ich einer vorbeilaufenden Barfrau einen der vielen Drinks ab, die sie auf einem Tablett mit sich herum trägt und nehme einen großen Schluck. "Nein."
"Und woher nimmst du dann das Recht so über sie zu reden? Vielleicht ist sie ja sogar ganz nett."
"Sie ist seine Freundin. Der Feind. Ist mir schnurzpiepegal, ob sie nett ist."
"Naja, aber wer sagt eigentlich, dass da nicht mehr alles ganz rund läuft?"
"Na, sein Handy!"
"Hast du seine Nachrichten gelesen?"
"Nein."
"Na also. Kann ja alles mögliche sein. Vielleicht zoffen die sich auch nur wegen einer neuen Wohnzimmergarnitur."
Empört versetze ich ihm einen harten Stoß. "Sag mal, auf wessen Seite stehst du überhaupt?!"
"Auf gar keiner. Ich bin neutral."
"Neutral ist langweilig. Willst du langweilig sein?" Mit dem Holzstäbchen, das in meinem Drink war, zeige ich auf ihn als wäre es ein Messer.
"Deine manipulative Ader ist sehr mickrig ausgeprägt, Die. Also versuch's erst gar nicht", erwidert er bloß und stibitzt mir doch glatt die Olive.
"Verdammt. Trotzdem kann Kaoru von mir aus machen, was er will. Ich klebe fester als ein 10 Jahre alter Kaugummi unter einem Schultisch!"
"Das glaub ich dir auf's Wort. Da vorne steht übrigens dein Objekt der Begierde."
Unverzüglich vergesse ich seine Dreistigkeit, wirble stattdessen herum und erspähe tatsächlich Kaoru unweit von mir entfernt in einer Menge aus fröhlich blubberndem Staff. Die Barfrau spaziert in dem Moment erneut an mir vorbei und das nutze ich, um mein leeres Glas gegen ein volles auszutauschen. Gierig schlinge ich auch diesen starken Alkohol herunter als wäre er Wasser. Dann drücke ich Toshiya in die Hand, was ich nicht mehr gebrauchen kann. "Nimm mal."
Geschwind krempel ich die Ärmel meines Hemdes hoch und lege mein siegessicheres Lächeln auf, während mein Augenpaar nur auf die katzenartigen Bewegungen meines Zieles fixiert sind. "Dann mal auf in den Kampf!"
"Viel Glück." Ein leichter Schlag auf den Rücken trifft mich, gefolgt von den Worten: "Und sag mir Bescheid, wenn du dabei bist dich lächerlich zu machen. Das will ich mir nur ungern entgehen lassen."

~*~*~

Kaum, dass meine Füße mich nennenswerte Zentimeter von Toshiya weggetragen haben, bemerke ich wie etwas in mir nicht stimmt. In meinem Kopf ist alles verschwommen, das warme Glühen des Alkohols fließt durch meine Venen. So viel war es gar nicht, aber dennoch genug, um alles lockerer zu machen. Relaxter irgendwie. Und als ich durch den Eingangsbereich der Bar schreite, bin ich nur ein bisschen wackelig auf den Beinen. Leicht beduselt bin ich. Ich kann das ab. Meine Leber kennt das schon. Und trotzdem sehe ich die kleine, hellhaarige Person gar nicht, die plötzlich wie aus dem Nichts hinter einer Ecke vor mir auftaucht, bis ich mit Karacho in sie hineinrenne.
"Hey!", ächzt es vor mir.
Blinzelnd, von dem plötzlichen Zusammenprall mehr als nur überrascht, und nach einem Blick nach unten wird mir klar, dass ich eben tatsächlich Kyo über den Haufen gerannt habe. "Oh, alles okay?"
"Ich denke schon." Er ergreift meine Hand, die ich ihm entgegenstrecke, um ihm wieder in eine senkrechte Lage zu verhelfen. Mit leicht verstimmter Miene reibt er seine Stirn, murrt leise, bevor er dann ein Auge auf mich wirft.
"Entschuldigung, ich hab dich nicht gesehen."
Er winkt ab. "Ist schon gut... Und bei dir? Bei dir auch alles okay?"
"Bestens. Ja, alles bestens." Holzauge sei wachsam, da neben mir ist schon wieder die Kellerin mit ihrem Getränketablett! Mich juckt's in den Fingern. Aber Kyo versteht was davon mich abzulenken und so reagiere ich zu lahm und greife nur ins Leere, anstatt ein Glas zwischen meinen Fingerchen wieder zu finden, das ich mir gleich mit zu meiner Beute hätte nehmen können.
"Und? Wo willste hin?" Immer diese Neugier.
"Zu Kaoru."
"Und dann?"
Meine Augenbraue windet sich nach oben. "Dann sag ich ihm, dass uns seine Krawall-Freundin mal gern haben kann und dass er mich stattdessen nehmen soll!"
"Aber sonst geht's gut?"
"Wie gesagt: Alles... bestens." Das Hicksen in diesem Augenblick kann ich leider Gottes aber nicht unterdrücken.
"Ich merk's schon. Du gehst nirgends hin." Da steht er nun da, versperrt mir den Weg mit eiserner Bestimmtheit und plustert sich so seltsam auf, dass ich die Krise krieg, weil eigentlich will ich ja nur vorbei und mir nicht wieder Vorträge anhören müssen.
"Waruuum?" Unbeabsichtigt treten meine Augen hervor.
"Weil du dich nur zum Affen machen würdest."
"Du bist aber nicht mein Erziehungs... dingsda." Scheiß Wörter, wollen mir nicht einfallen.
"Ja, aber ich bin auch nicht die Super-Nanny und jetzt setz dich da hin."
"Ich hasse das, wenn du so fürsorglich bist!", motze ich, ziehe ein langes Gesicht und denk nicht mal im Traum daran mich irgendwo hinzusetzen, nur, weil Kyo wieder einen auf Hausdrachen machen muss.
Er beugt sich vor, durchbohrt mich praktisch mit seinen Blick und trotz seiner geringen Körpergröße bekomme ich es mit er Angst zu tun. "Willst du mal wissen, was ich hasse?"
"Nein." Nicht genug Angst, um nicht noch trotzig wie ein kleines Kind darauf antworten zu können.
Doch er ignoriert die Tatsache schlichtweg, dass ich überhaupt etwas gesagt habe. "Ich hasse es, dass du es nicht in deine verdammte Birne kriegst, dass Kaoru dich nicht liebt. Hör doch endlich auf deine Gefühle gegen jemanden zu schleudern, der sie nie erwidern wird. Hör einfach auf damit. Und verdammt noch mal, lauf nicht angetrunken zu ihm und klatsch ihm deine geschundene Seele an den Kopf."
Okay, alles wirklich schön und gut, wenn Kyo so wunderbar ruhig dabei bleiben kann, wenn er soetwas zu mir sagt, aber... "WARUM DAS DENN NICH?!"
Harsch wischt er meine Hand fort, die ihm bereits wild vor dem Gesichtsfeld rumfuchtelte. "Schrei nicht so. Ich bin doch nicht taub."
"ABER!"
"Du scheinst wirklich großen Wert darauf zu legen dein Leben noch mehr in die Hölle auf Erden zu verwandeln, oder?"
In meiner Bewegung erstarre ich zu Eis. Für eine endlos wirkende Sekunde betrachte ich ihn bloß. Jetzt bekomme ich erst mit, dass ich eben richtig laut geworden bin. Wobei um uns herum doch andere Leute sind, die zwar einen halben Gang entfernt sind, aber trotz der Musik im Hintergrund sehr wohl in der Lage sind zu hören. Irgendwo schlägt mein Verstand hart in Kyos Augen auf Grundeis. Ich wende meinen Blick ab, klebe ihn auf meine Schuhspitzen, sehe schweigend zu Boden.
"Die..." Ein tiefes Seufzen fließt über Kyos Lippen. Seine Stimme... so besorgt. Sie klingt schwer und behutsam. "Warum gibst du nicht einfach auf?"
Meine Lippe schmerzt, als meine Zähne sich in sie bohren. "Ich kann nicht..."
"Warum nicht? Ist es denn wirklich so schwer einfach loszulassen?"
"Loslassen... das sagt sich so leicht..."
"Aber was macht es so schwer? Warum machst du es dir so schwer?"
"Weißt du... der einfachere Weg ist nicht immer unbedingt der, der einen auch glücklich macht."
"Willst du behaupten, du bist jetzt glücklich?"
"Nein..."
"Na also."
"Aber was ist so falsch daran für sein Glück zu kämpfen?"
"Du kämpfst aber in einer aussichtslosen Schlacht. Das scheinst du immer noch nicht verstanden zu haben. Mach doch endlich mal deine Augen auf." Ich spüre seine Hände auf meinen Schultern, wie sie mich gepackt haben, mich rütteln, doch der Traum in dem ich stecke, hat mich wie schwarzes Moor zu tief hineingezogen, als dass ich mich befreien könnte, und ich kann nicht aufwachen.
Immer noch nicht kann ich wieder aufsehen. "Es ist nicht aussichtslos."
"Erzähl keinen Schwachsinn. Du weißt genauso gut wie ich, dass es vergebens ist. Und es tut mir mindestens genauso weh wie dir, mit anzusehen, wie du dich bemühst und machst und tust und doch immer wieder abgewiesen wirst. Wie du dein Leben nur darauf lenkst und blind wirst für alles andere. Vielleicht klammerst du dich nur an eine Illusion und übersiehst dabei was für dich bereit gehalten wird."
Die Finger meiner rechten Hand haben den Saum meines Hemdes bereits völlig zerfranst. Hungrig sind meine Ohren, saugen seine Worte, die mein Herz schmerzhaft durchschütteln, auf. Doch was auch immer er jetzt sagt, es geht irgendwo auf halber Strecke verloren.
"Du leidest. Jeden gottverdammten Tag. Vielleicht bin ich einfach nur zu dumm es zu kapieren, weil es mir einfach nicht in den Schädel will, aber... warum tust du dir das an? Warum schlägst du immer weiter mit diesem verfluchten Hammer auf dich ein? Warum?!"
"Weil ich Hoffnung habe", verzweifelt klingen die Laute, die mir da entweichen, und doch wie in Trance.
"Hoffnung worauf?! Dass Kaoru eines Morgens aufwacht und feststellt, dass er doch auf Kerle steht?"
Auf meiner Zunge schmecke ich Blut. Ich habe gar nicht gemerkt wie ich mir immerzu auf die Zunge beiße. Fingernägel graben sich tief in Handflächen. Schmerz, den ich nicht fühle. "Vielleicht."
"Das ist Selbstmord."
"Ich laufe lachend in die Kreissäge... ich weiß."
"Aber warum?"
"Weil... ich ihn liebe." Langsam, schwerfällig hebe ich den Kopf, schaue ihn an, versuche ein klein wenig zu lächeln. "Du... kennst doch dieses Gefühl. Du kennst es. Es hört nicht auf. Es hört einfach nicht auf. Da ist kein Schalter im Hirn, den man umlegen kann und dann sind alle Gefühle einfach und auf einmal verschwunden. Ich kann das nicht. Ich kann es einfach nicht. Ich kann nicht aufhören ihn zu lieben."
Kyo seufzt, antwortet leise, resignierend, aber weiterhin besorgt. "Liebe macht blind... ich weiß. Aber trotzdem. So wie es jetzt ist, kann es nicht weiter gehen. Du befindest dich in einer Einbahnstraße."
"Auch in Einbahnstraßen gibt es manchmal Geisterfahrer."
"Ach, Die... Sag mal, hast du noch nie von dem Spruch 'Der Klügere gibt nach' gehört?"
Ich runzle die Stirn "...aber das ist doch aus der Zahnpasta Werbung."
"Und wenn schon. Genau so ist's aber", meint er und hebt die Schultern.
"Mmmh... Dann kann ich nur sagen 'Wer nicht wagt, der nicht gewinnt'."
Erneutes Seufzen. Ein Kopfschütteln. "Du bist echt hoffnungslos."
"Nein", erwidere ich und bin so ernst wie ich es nur sein kann. "Ich bin einfach nur wahnsinnig motiviert."
"Oder vielleicht auch nur wahnsinnig."

~*~*~

Kurz nachdem ich Kyo hinter mir gelassen habe, und diese vielen Sätze im Gehen verdauen muss, stellt sich mir wieder das nächste Problem: Ich habe Kaoru gänzlich aus den Augen verloren. Auch von Toshiya keine Spur mehr. Ich sehe jede Menge Leute, bekannte Gesichter, aber auch zu viele normale Hotelbesucher. Es ist zu voll hier und das Licht ist zu gedimmt. Hinzukommt, dass mir meine Augen andauernd Streiche spielen.
Mittlerweile habe ich eine halbe Stunde nur damit zugebracht, herumzuirren, konnte dabei wieder vollends aus dem Schwanken und Zweifeln kommen, in das man mich fast gestoßen hätte, habe Ausschau gehalten, mir noch mehr Mut angetrunken und dennoch komm ich mir vor, als wäre zwischendurch mal der Erdboden aufgerissen und hätte Kaoru verschlungen, denn er ist unauffindbar.
Ich weiß wirklich nicht, woran es liegt, aber ich scheine eine Art Magnet für alkoholische Getränke zu sein. Ständig ist dieses Teufelszeug in greifbarer Nähe und wie ein Einarmiger Bandit schnappt meine Hand jedesmal zu, wenn es wagt mir zu nahe zukommen. Zu nahe sind mir derzeit auch die Jungs von der Vorband, die mich von meinem Pfad abbringen wollen und mit aller Macht probieren mich dazu zu bewegen mit ihnen einen zu heben, anstatt mitten im Raum zu stehen und wie ein Nilpferd zu gucken. Ich mag nicht. Außerdem tut der Klumpen in meinem Brustkorb weh. Das kann ich nicht ignorieren. Ich hatte doch was vor. Wollte doch eine Kampfansage machen. Jetzt hab ich nur wieder ein Glas am Mund kleben und spüre Tequila in meinem Rachen brennen.
Wie sagt man doch so schön? Zwischen Leber und Herz passt auch immer noch der Schmerz. Nee, das war irgendwie anders. Ach, drauf geschissen. Ich hab einen im Kahn. Wo's hier bloß der Kaoru wieder hin? Der's so winzig, ich find den nicht mal zwischen den riesigen Ausländern. Verflucht sei er.
Irgendwie schaffe ich es mich von dem Pulk zu lösen, der sich um mich gebildet hat, und meine Suche fortzusetzen - was sich als immer schwieriger herausstellt. Es muss wohl schon etwas später sein, denn überall, wo ich hinblicke, tummeln sich angeheiterte Menschen und vor meinen Augen verschwimmt alles immer mehr.
Gestresst versuche ich mir eine Zigarette anzustecken, drurchwühle meine Taschen, aber ich kann mein dummes Feuerzeug nirgends finden. Wie sich eine Sekunde später herausstellt, muss ich das auch gar nicht. Wie von selbst fällt der Glimmstängel durch meine Finger und landet auf dem Boden. Denn kaum, dass ich um die Ecke bin, die Bar verlassen habe, passiert es auch schon. Es ist nicht mal genug Zeit vergangen, um mir wieder Luft zum Atmen zu geben. Neben der Gestalt einer zierlichen jungen Frau taucht Kaoru auf. Glitzernd, nahezu sprühend vor Ausstrahlung, funkelnd wie ein Brillant. Mir ist als hätte mir just in diesem Moment jemand brutal einen Hammer vor die Stirn geschlagen.
Das geht mir zu schnell. So schnell kann ich nicht schalten. Nicht mal nüchtern.
Plan, ich brauche einen Plan, irgendwas, so dass ich mich aus gutem Grund an ihn klatschen kann. Wo es drauf ankommt, will mein Hirn wieder nicht arbeiten. Die ganze Nacht über keine Spur von ihm und jetzt das.
Es hat keinen Sinn. Wenn ich nicht sofort reagiere, laufe ich Gefahr, dass er entdeckt wie ich hier wie angewurzelt stehe und ihn angaffe, wie er sich köstlich zu amüsieren scheint. Improvisieren muss ich. Mir wird schon was einfallen. Ich schaff das.
Mit torkelnden Schritten durchquere ich den Raum, ihn im festen Blick. Schon längst hat er mich gesehen, sich absichtlich weggedreht. Doch mit Entschlossenheit schreite ich voran, bis ich hinter ihm stehe und auf seine Schulter klopfe. Unter meiner Hand fühlt sie sich so wunderbar warm an."Hey, Kaoru. Weißt du, was ich-"
"Nein."
"Weißt du, was du-"
"Nein."
"Du weißt doch gar nicht, was ich sagen will!"
Eiskalt. Er wendet nicht mal das Gesicht zu mir. "Und ich glaube, es geht mir auch besser so. Wie du siehst, unterhalte ich mich hier gerade. Würdest du mich also bitte entschuldigen?"
Als wäre ich ein kleines Kind, das den Papa bei wichtigen Geschäftsgesprächen stört. Nicht mit mir. "Ich hab aber nen guten Vorschlag, Kaoru. Lass uns raus gehen und ein bisschen in der Stadt rumlaufen. Die Lichter glitzern heute Nacht doch so schön, man sieht sogar die Sterne, es ist einfach traumhaft draußen und die Luft ist herrlich warm."
"Ich hab nen besseren Vorschlag: Mach dich nützlich und erstick an irgendwas." Damit drückt er meine Hand fort.
Es ist als würden seine Worte mich wie ein Pfeil durchbohren. Ist es der Alkohol? Ist es das? Dieser Satz trifft mich härter, als er es sollte. Am Abend hätte ich ihn mit Leichtigkeit geschluckt. Jetzt versetzt er mir einen heißen Stich mitten ins Schwarze. Und ich gerate ins Taumeln. Der Hammer schlägt ein weiteres Mal glühend gegen meinen Schädel.
Er ignoriert mich. Als wäre ich nicht da. Führt seine Unterhaltung fort. Würdigt mich keines Blickes. Liebäugelt mit der Frau neben sich.
Ich... nein...
Ich verliere mich selbst. Mir ist so schwindlig. Beine fühlen sich an, als würden sie nicht zu mir gehören, verweigern ihren Dienst, gehorchen nicht mehr. Wie meine Lippen, die unzusammenhängendes Zeug daher brabbeln, das niemanden interessiert, sich nicht mehr entsinnen können, warum ich hier stehe.
Weg. Ich will fort. Nicht mehr hier sein. Ich ertrag das nicht. Gaukle mir vor, ich könnte es, doch kann keine Sekunde länger hier stehen. Ich stolpere einen Schritt nach hinten, dann einen weiteren. In einer Menschenmasse bewege ich mich in Zeitlupe. Um mich herum läuft alles dreifache Geschwindigkeit. Die Geräusche erscheinen quakend und schrill, dröhnen in meine Ohren. Das Lachen, die Musik prasselt von allen Seiten auf mich ein. Die Farben werden grell, brennen sich in meine Augäpfel. Übel wird mir. So übel.
Und diese Hand dort. Kaorus Hand. Was macht sie da? Auf einer Hüfte, die nicht meine ist. Sie gehört zu mir, auf meine Haut.
Das ist sie. Seine Freundin; die mich anblickt, als wüsste sie über alles Bescheid, mich auf eine Weise anlächelt, die ich nicht begreifen kann; ihre Finger in den Stoff seines Hemdes krallt und ihn zu sich zieht, sich an ihn drückt. Sie haben sich vertragen. Keine Spur mehr von der dunklen Wolke über ihm, als er sich zu ihr beugt und ihre Lippen sich berühren.
Unbemerkt fließt Blut in einem dünnen Rinnsal aus meiner aufgebissenen Lippe in meinen Mund.
Will meinen Blick fortreißen, doch mein Augenpaar ist wie gefesselt, starrt wie gebannt. Kann es nicht glauben. Mein Gehirn weigert sich strickt, das, was sich dort unweit von mir entfernt abspielt, als real zu akzeptieren.
Interessiert es irgendwen, wenn ich mich fühle, als wären meine Gedärme vergiftet, als würden sie langsam in meinem eigenen Leib verrotten?
Nein.
Wenn ich dich vermisse, dann ist das mein Problem.
Wenn ich mich nach dir verzehre, dann ist das meine Schuld.
Meine Apathie schlägt in Wut um. Zu hart, zu hastig. Der Alkohol verätzt meine Innereien, Säure meinen Schlund. Mein Magen droht sich um zu drehen. Jetzt und hier. Ich würge.
Doch bevor die Lichter ausgehen, packt eine Hand mich grob am Oberarm und zerrt mich beinahe brutal davon und in einen anderen Gang. Rumsend schlägt mein Rücken gegen die Wand hinter mir. Die Hand über meinen Mund gepresst, sinke ich zusammen, versuche nicht zu husten, versuche zu atmen. Alles ist ganz verschwommen. Ich höre eine Stimme wie durch Watte zu mir dringen. Vor mir taucht ein Gesicht auf, eine Person, die sich vor mich hockt. So schön kalt is die tätowierte Hand, die sich auf meine Stirn legt.
Ich blinzle betreten, während der Alkohol Achterbahn mit mir zu fahren scheint. Doch langsam wird meine Sicht, mein Kopf, wieder klarer. Es ist Kyo, der unmittelbar vor mir ist, meinen Namen ruft und mich so heftig rüttelt und schüttelt, dass mir gleich wieder ganz schwarz vor Augen wird.
"He, lass das...!", stöhne ich und schaffe es mit einiger Anstrengung mich aus seinem Griff zu befreien. Mit der Klarheit kehrt auch wieder der Zorn zurück. "Ich bin doch nicht das Bäumchen-schüttel-dich..."
"Wer weiß", keift mich Kyo an. "Vielleicht fällt ja doch ein klein bisschen Intelligenz aus deinem Kopf, wenn ich nur kräftig genug schüttel."
"Das einzige was hier gleich fällt ist meine Faust... und zwar in dein Gesicht..." Mein Schädel fühlt sich an, als wäre eine Bombe darin explodiert. Wahrscheinlich weil er beim Schütteln gegen die Wand geprallt ist.
"Immer sachte, sachte. Du lässt deinen Zorn an der falschen Person aus."
"Was willst du überhaupt?"
"Dich vor deiner eigenen Dummheit bewahren."
"Ich habe dich nicht um deine Hilfe gebeten." Ich will das nicht. Er soll aufhören sich einzumischen, so grob zu mir zu sein. Doch scheint auch seine Nachsicht mit der Zeit im Sand versickert zu sein.
"Hör zu. Es ist wichtig. Ich kann das nicht mehr mit ansehen."
"Dann mach halt die Augen zu", blaffe ich benommen, blocke seinen Finger, der mir wohl drohen will.
"Oh haha, würd ich ja gerne. Nur bei euch ist das so wie bei einem Autounfall - es ist so schrecklich, man kann einfach nicht weggucken. Und jetzt sperr deine Lauscher auf, ich hab noch Besseres zu tun, als mich mit dir rumzuplagen." Unsanft beginnt er an meinem empfindlichen Ohr rumzuzerren. Meinen lauthalsen Protest und mein konstantes Fauchen ignoriert er jedoch gekonnt. "Wenn du ohne Deckung aus dem Schützengraben stürmst, musst du dich nicht wundern, wenn du im Kugelhagel endest."
Widerbörstig und mittlerweile mehr als nur verärgert, schlage ich seine Hand fort und reibe mein maltretiertes Ohr. "Du weißt gar nichts."
"Ich weiß genug, um zu kapieren, dass Kaoru der Panzer ist, der dich zu Brei fährt."
"Halt dich da raus."
"Wie bitte?"
"Halt dich raus aus meiner Liebe." Trotz meiner Übelkeit stemme ich mich zurück auf die Beine und werde prompt wieder gegen die Wand geschleudert.
"Verdammte Scheiße, Daisuke. Es dreht sich nicht immer alles nur um dich. Ich find's auch grässlich, was Kaoru dir alles an den Kopf wirft, aber es ist mindestens genauso schlimm, was du hier abziehst! Gib endlich auf, hörst du? Gib endlich auf. Such dir ne nette Freundin oder von mir aus auch nen Freund; und vergiss ihn. Vergiss Kaoru einfach. So wie er dich behandelt, hat er dich auch sowieso nicht verdient."
"Ich weiß es wirklich sehr zu schätzen, dass du dir solche Sorgen um mich machst, aber so bin ich nun mal."
"Bescheuert, das bist du."
"Na und? Dann bin ich eben bescheuert", zische ich.
Endlich lässt er von mir ab. In seinen Augen kann ich erkennen wie viel Beherrschung es ihn kostet so ruhig zu bleiben wie er immer noch ist. Er schnauft, starrt mich an. "Weißt du was? Okay. Mach halt wie du denkst. Ich halt mich da ab jetzt raus. Aber wenn du wieder auf die Fresse fliegst, ist es nicht meine Schuld. Und jetzt gehst du am besten schleunigstens ins Bett, du hast schon wieder zu tief ins Glas geguckt."
Ich rücke meine Klamotten zurecht und murre.
"Soll ich dich bringen? Findest du den Weg in dein Hotelzimmer?"
"Jaah, ich bin doch kein Kind mehr."
"Dann benimm dich gefälligst auch endlich mal so."

~*~*~

Mit leisem Klicken öffnet sich die Tür vor mir, an die ich meinen fast berstenden Kopf gelehnt habe. Stolpernd, auf diesen Beinen, die sich anfühlen wie aus Gummi, falle ich in mein Zimmer hinein. Wodka, Bier, Tequila und Korn lachen mich an und tanzen Rambazamba in meinem Bauch. Zittrig sind meine Finger, als ich mich bis auf die Shorts entkleide, bevor ich in die Kissen stürze, das Gesicht nach unten.
Leise heule ich auf. Jetzt lieg ich schon und dennoch dreht sich alles munter weiter. Dieses Schwindelgefühl fühlt sich wirklich alles andere als schön an. Und übel ist mir auch wieder.
In meine Erinnerungen haben sich Kaoru und seine grässliche Freundin gebrannt. Wie seine Hand auf ihrer Hüfte lag, ihre Münder zu einem verschmolzen. Diese Bilder verfolgen mich eisern und lassen mich einfach nicht mehr los. Sie tun weh, brennen, doch ich kann sie nicht aus meinem Hirn verbannen. Ganz gleich wie sehr ich mich darum bemühe.
Zu einem Ball zusammengerollt, beiße ich auf meine Lippe. Mein Inneres schmerzt so sehr.
Es wird langsam alles alt. Ich kann die Ketten, die ich halte, einfach nicht brechen. Mein Körper wird langsam alt. Letztlich bleibt nichts zurück in mir, in meiner Seele. Sucht bedarf eines stärkeren Beruhigungsmittels. Das Dröhnen dieses Giftes benebelt mich so sehr...
Weitere Erinnerungen schleichen sich an. Ich erinnere mich an das, was Kaoru zu mir sagte, kurz nachdem wir die Bühne verlassen hatten. Die Worte spuken noch immer in den Kammern meines Geistes herum. Der verdrehte Sinn von ihnen klopft erst jetzt ganz leise an meinen vernebelten Verstand. Doch es scheint mir, als würde er nur daran zerbrechen. Und vielleicht ist es auch zu verdrehtes Denken.
Vor nicht wenigen Augenblicken hatte ich mir ein Handtuch geschnappt und es mir über das nasse Haar gerubbelt, mich auf einen der Sessel fallen gelassen. Freudiges Gelächter und zufriedene Stimmen hatten die Luft um uns erfüllt und jemand hatte von irgendwoher gerufen "Das war der letzte Live! Ein Hoch auf die Pause! Ein Hoch auf die Pause! Und in einer Woche sehen wir uns dann wieder!".
Erschöpft und high zugleich von der Bühnenshow, hatte ich mich zu Kaoru gewandt, ihm sacht und neckend in die Seite gestoßen, leise gegluckst. "...und bis dahin musst du jetzt ohne mich auskommen, Kaoru."
Er hatte bloß gelacht. "Das ist kaum zu schaffen."
"Aber es ist nötig", hatte ich gemeint, meinen Kopf schief gelegt und beipflichtend genickt.
Kaoru jedoch hatte nur an seiner Wasserflasche genippt, seine Augen wie abwesend über die Köpfe der Leute um uns herum wandern lassen und geantwortet: "Ja, und ich habe es nötig wie nie..."

______________________
To be (or not to be) continued.

Kommentare sind wie Glück ~ man kann nie genug davon haben! Also macht mich glücklich <3

Wenn ihr mögt, dann addet dieses LJ doch für weitere FF Updates!

style: multi-chaptered, language: german, rating: r, genre: shounen-ai, pairing: kaoru x die, pairing: die x kaoru, !challenge, ff: lmb, band: dir en grey

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