Putins Reich
Russlands junge, antiwestliche Elite begehrt auf
Von Manfred Quiring
17. April 2009, 11:29 Uhr
Immer wieder wird der Vorwurf gegen Putins Partei "Geeintes Russland" laut, sie verfolge einen Großmacht-Nationalismus und tue alles, um dieses Bestreben im Lande zu fördern. Eine Umfrage unter Duma-Abgeordneten dokumentiert, wie der politische Nachwuchs die Welt sieht.
Zwei kräftige, mit Kalaschnikows bewaffnete Gestalten prüfen noch auf der Straße aufmerksam die Ausweise. Eine zweite Kontrolle mit Metalldetektoren und Durchleuchtungsapparaturen folgt drinnen. Dann öffnet sich ein Foyer mit zahlreichen schmucken Kiosken: teurer Whisky, edle Parfüms, eleganter Schmuck, Bücher, Zeitschriften werden angeboten.
Auch ein Geldautomat fehlt nicht, an dem Rubel, Dollar oder Euro gezogen werden können. Den Abgeordneten der russischen Staatsduma, die im Gebäude der einstigen sowjetischen Staatsplaner zu Hause sind, fehlt es an nichts.
450 Mandatsträger hat die Duma, das Unterhaus des russischen Parlaments, in dem es vier Fraktionen gibt. Die Partei Geeintes Russland von Premierminister Wladimir Putin verfügt über 314 Sitze, die Kommunisten haben 57 Mandate, die Schirinowski-Partei LDPR 39 und die Partei Gerechtes Russland 38.
Sie sind seit der Wahl vom Dezember 2007 im Amt und sollen Russlands Zukunft planen. Was aber denkt vor allem die jüngere Abgeordnetengeneration, welche Ziele hat sie, wie sieht sie die Rolle Russlands in der Welt? Gespräche in der Obersten Volksvertretung sollen darüber Aufschluss geben.
Shootingstar in dieser Legislaturperiode ist Swetlana Schurowa, bei den Olympischen Winterspielen in Turin 2006 Siegerin im Eisschnelllauf über 500 Meter. Die 37-Jährige ist Mitglied von Geeintes Russland, wurde gleich bei ihrem ersten Einzug ins Parlament stellvertretende Duma-Sprecherin und kuriert die Parlamentskomitees für Kultur, Sport, Jugend und Bildung.
Die attraktive Blondine, die zum zweiten Mal Mutterfreuden entgegensieht, betrachtet „die Herausbildung normaler Institute der Zivilgesellschaft in Russland“ als ihre Aufgabe. Die habe eine Vermittlerfunktion. „Wir brauchen die Zivilgesellschaft, damit die Grenze, die es zwischen der Gesellschaft und der Staatsmacht gibt, nicht als unüberbrückbar empfunden wird. Die Gesellschaft muss beispielsweise die Chance haben, über die Antikrisenmaßnahmen der Regierung informiert zu werden und in einer Gegenreaktion ihre Meinung dazu ausdrücken und Korrekturen anbringen können, wenn etwas nicht richtig läuft“, postuliert sie.
Protestdemonstrationen, wie sie zurzeit vor allem im Fernen Osten stattfinden, seien aber kein Ausdruck einer sich entwickelnden Bürgergesellschaft. Sie teilt den Standpunkt von Parlamentschef Boris Gryslow, der in den Demonstrationen den Versuch innerer und äußerer Kräfte erkannt haben will, das Land zu zerstören.
Auch Schurowa glaubt, dass die Unzufriedenen Gelder aus dem Ausland erhalten. Das sei gefährlich für den Staat. „Das ist eine gekaufte Zivilgesellschaft. Unsere Zivilgesellschaft soll den Auftrag dieses Landes und seiner Bürger erfüllen, wir müssen unseren Patriotismus und die kulturellen Werte von Mütterchen Russland bewahren. Wir sind nicht die Zivilgesellschaft Amerikas“, ereifert sie sich und ist damit ihren Kollegen aus den Fraktionen der Kommunisten und der nationalistischen LDPR sehr nahe.
Pawel Tarakanow (LDPR) und Juri Afonin (KPRF) widersprechen sich in innenpolitischen Fragen durchaus, wenn es gegen das „perfide Amerika“ geht, das Russlands Rolle in der Welt schmälern wolle, stehen sie aber zusammen.
Der 27-jährige Tarakanow, der das Parlamentskomitee für Jugendfragen leitet, kann sich wie die meisten Duma-Mitglieder Russland nur als Großmacht vorstellen. „Das war so und wird auch so bleiben, die Geschichte hat das vorbestimmt.“ Russland „soll ein Land mit einer innovativen Wirtschaft ohne zerstörerische Monopole sein, eine geeinte Gesellschaft von Patrioten mit einer aktiven staatsbürgerlichen Position. Dann wird bei uns alles wunderbar.“
Er sorgt sich allerdings, dass das ressourcenreiche Land erobert werden könnte. Das gehe aus Äußerungen westlicher Politiker hervor, sagt er im Brustton der Überzeugung. „Hat nicht Madeleine Albright jüngst erklärt, in Russland müssten nur 50 Millionen Menschen leben? Haben nicht westliche Politiker erklärt, die Ressourcen Russlands gehörten der ganzen Welt?“, fragt Tarakanow rhetorisch.
Sein Kollege Juri Afonin, 32 Jahre alt und Mitglied der kommunistischen Fraktion, ist im Gegensatz zu ihm völlig unzufrieden mit der inneren Entwicklung: „Die Bevölkerung ist zutiefst empört darüber, wie hier Wahlen abgehalten werden.“ Es könne doch nicht angehen, dass es Orte gebe, wo die Wahlbeteiligung mit 99,5 Prozent angegeben werde und davon 98 Prozent für Medwedjew gestimmt haben sollen. „Das ist doch nicht real in einer Demokratie, und es stellt sich die Frage: Warum haben wir die systembildende KPdSU zerstört, ein Mehrparteiensystem eingeführt, wenn nach 15 Jahren die Demokratie wieder abgeschafft wird?“
In der Außenpolitik allerdings ist man sich nahe. Beide Fraktionen unterstützen den Kurs der russischen Führung. Besonders die junge Generation wisse inzwischen auch Stalin und seine „herausragende Rolle bei der Wiedergeburt der Wirtschaft und im Großen Vaterländischen Krieg“ wieder zu schätzen, sagt Kommunist Afonin.
"Wir, die Mitglieder von Geeintes Russland und die Kommunisten, verstehen sehr gut, dass diese ganze Hysterie um Stalin - unter anderem entfacht von der europäischen parlamentarischen Versammlung PACE - dazu dient, um ein Gleichheitszeichen zwischen Kommunismus und Faschismus zu setzen. Und damit einen Schlag gegen unser Land, gegen die Sowjetunion und die Russische Föderation als deren Rechtsnachfolger zu führen", erklärt er. „Wir, und das ist die gemeinsame Position der Mehrheit aller politischen Kräfte im Lande, lassen es nicht zu, dass man unsere Geschichte verdreht und herabwürdigt.“
Die junge Generation habe ihr nationales Selbstbewusstsein wieder gewonnen. Sie sei durch die 90er-Jahre immunisiert gegenüber den „westlichen pseudodemokratischen Werten“. Das werde noch zunehmen, „glauben Sie mir, das Misstrauen gegenüber den uns aufgezwungenen Pseudowerten wird in der jungen Generation noch stärker sein, als es gegenwärtig unter jenen im mittleren Alter bereits ist. Wir standen lange unter dem Diktat Amerikas, aber wir werden niemals wieder zulassen, dass irgend so ein ‚Onkel Sam‘ uns mit dem Finger droht und uns sagt, was wir in unserem Land zu tun haben.“
Der 34-jährige Ilja Ponomarjow von der Fraktion Gerechtes Russland schert aus der Phalanx der Nationalisten aus. Er wirft der Putin-Partei Geeintes Russland vor, sie verfolge die Doktrin eines Großmacht-Nationalismus und tue alles, um diese Stimmung im Lande zu fördern. „Isolationismus, Großmachtchauvinismus gehören dazu. Die Mehrheit der politischen Kräfte teilt diese Meinung.“ Geeintes Russland habe in dieser Hinsicht der KPRF bereits den Rang abgelaufen, meint Ponomarjow. Insbesondere unter Mitgliedern des Parlamentskomitees für Jugendfragen hat er neofaschistische und ultrarechte Tendenzen ausgemacht.
Den Herrschenden wirft er vor, sie würden sich verbal zwar für ein modernes Wirtschaftssystem einsetzen. In der Praxis handelten sie aber entgegengesetzt. Die Förderung von Hochtechnologie werde torpediert und ausschließlich die Rohstoffbranche unterstützt. Ist Änderung in Sicht? Ponomarjow ist pessimistisch: „Das Parlament wird unter der gegenwärtigen Führung und bei einer derart dominierenden Rolle von Geeintes Russlands nichts zuwege bringen. In der Kreml-Partei gibt es durchaus vernünftige Leute, die wissen, was nötig wäre. Aber sie geben selbst zu, dass sie sich auf bestimmte Spielregeln eingelassen haben. Kommt es zur Abstimmung, votieren sie so, wie man es ihnen sagt, und nicht, wie sie es für richtig halten.“