Jun 05, 2007 10:47
Titel: Superbia
Fandom: Lächeln der Fortuna
Charaktere: Die Familie von Edward III.
Sünde: #oo1: Hochmut
Word Count: 3333
Rating/Warnings: G/Keine
Summary: Kinder glauben was großen Brüder sagen. Sind sie trotzdem Sünder?
A/N: Basierend auf der Geschichte Englands und den Büchern: „Das Lächeln der Fortuna“ und „Der König der Purpurnen Stadt“.
Superbia
John of Gaunt wuchs heran als ein Prinz unter vielen. Von seinen acht Brüdern und Schwestern, waren vier älter und vier jünger als er und wie jedem von ihnen gedieh ihm die tadellose Erziehung erfahrener Ritter und strenger Priester an, die ihm früh klar machten, dass er vor allem zweierlei Verantwortungen gerecht zu werden hatte:
Erstens: er war ein Christ. Zweitens: er war ein Plantagenet.
Mit acht Jahren sollte ihm zum ersten Mal klar werden, dass diese beiden Positionen nicht miteinander zu vereinbaren waren.
Es begann an einem Abend im Jahre 1348, als er unfreiwillig ein Gespräch seiner Eltern belauschte. Einer von Edmunds Welpen war ausgerissen und die Brüder stellten den halben Palast auf den Kopf. Es war nach acht Uhr und da es keine Feierlichkeit gab, die ein längeres Aufbleiben gerechtfertigt hätte, wusste John, dass er mit einer strengen Strafe zu rechnen hatte, wenn man ihn jetzt noch außerhalb seiner Räumlichkeiten erwischte. Deshalb versteckte er sich sofort unter einem der Tische des Bankettsaals, als sich das Tor an der Stirnseite des Raumes öffnete.
Es brannten wenige Fackeln, aber erkannte seine Mutter sofort an dem schimmernden Stoff ihres Kleides und seinen Vater an den federnden Schritten. Er hielt den Atem an und wartete darauf, dass sie den Saal verließen, doch auf dem halben Weg hörte Philippas Kleid plötzlich auf zu rascheln und des Königs Schritte verstummten. Es herrschte Stille und er lugte halb beschämt, halb neugierig aus seinem Versteck hervor. Seine Mutter hatte ein Tuch von einem der Tische aufgehoben und hielt es behutsam in den Händen. Trotz der Dunkelheit leuchteten die Farben des darauf abgebildeten Wappens bis zu John und die goldene Burg auf rotem Grund war ihm wohl vertraut. Seit einem halben Jahr kannten die Handarbeiten der Hofdamen fast kein anderes Motiv mehr.
„Kastilien“, sagte der König und betrachtete das Wappen mit leuchtenden Augen.
Philippa drehte den Kopf und sah zu ihm auf
„Es gab einmal eine Zeit, Edward“, sagte sie und legte eine Hand auf die goldenen Lilien und Löwen auf des Königs Wams, „da blickte mein Vater mit demselben Stolz auf dieses Wappen. Während ich…“
John versuchte möglichst leise zu atmen. Er hatte seine Mutter noch nie mit so wehmütiger und gleichzeitig ernster Stimme sprechen hören.
„Ich blickte mit derselben Furcht auf jenes fremde Wappen, die seit Monaten in Joans Zügen zu lesen ist.“
Edward lächelte, als er ihre schmale Hand in seinen großen verschwinden ließ, aber seine Augen waren ebenso ernst wie die ihren.
„England liebt und verehrt dich, Philippa“, sagte er, „Kastilien wird unserer Tochter eines Tages die gleiche Liebe und Verehrung entgegen bringen.“
Philippa versuchte sein Lächeln zu erwidern, aber ihr Blick, verriet die Traurigkeit, die auch John erfüllte, seit er wusste, dass seine Schwester Pedro I. von Kastilien heiraten und nie wieder nach England zurückkehren würde.
„Sie fehlt mir schon jetzt“, sagte Philippa und ihre sonst so weiche Stimme klang rau.
Edward sah sie einen Augenblick lang an, dann zog er sie an sich, küsste ihre helle Stirn und als er antwortete, lag auch auf seiner melodiösen Stimme ein Schatten.
„Mir auch, mon amie.“
Obwohl ihn jede Regel des Anstands dazu gemahnte, senkte John nicht den Blick.
Sie ist die Dame seines Herzens, dachte er und ein warmes Gefühl erfüllte ihn, meine Mutter ist die Dame seines Herzens und sie wird es immer sein.
Er war zu jung, um davon etwas zu verstehen, aber er wusste instinktiv, dass sein Vater keine der ihn ständig umschwirrenden Damen so liebevoll umarmte wie die Königin.
„Hattest du wirklich Angst“, fragte Edward und blickte auf ihren dunklen Scheitel, „Vor mir?“
„Ich kannte dich nicht“, sagte Philippa, die ihre Wange an seine Schulter gelegt hatte, „Wie hätte ich dich fürchten können? Nein. Ich fürchtete den unbekannten Gemahl und das fremde Land deren Königin ich werden sollte.“
„Und auch Joan fürchtet Pedro und Kastilien, weil sie ihr unbekannt sind?“
„Nein“, sagte Philippa, „Joan ist das frommste und sanftmütigste unserer Kinder. Seit sie Pedros Namen kennt, weiß sie, dass sie ihren zukünftigen Gemahl und sein Land von ganzem Herzen lieben wird.“
„Wovor fürchtet sie sich dann?“
„Ich weiß es nicht“, murmelte Philippa, „Ich weiß nur, dass sie seit einigen Wochen schreckliche Angst hat, die ihr niemand nehmen kann.“
Am nächsten Tag begab sich John zu Joans Räumen. Sie würde in wenigen Tagen abreisen und es waren noch viele Vorbereitungen zu treffen. An diesem Nachmittag war sie mit dem Aussuchen der Stoffe ihrer neuen Kleider beschäftigt und hatte vermutlich keine Zeit für ihren jüngeren Bruder, aber das hinderte John nicht daran es trotzdem zu versuchen. Edmunds Welpe, den Lionel gestern im Hof gefunden hatte, folgte ihm auf den Fersen. Im Gegensatz zu Pferden gelang es John spielend leicht sich diese Tiere zu Willen zu machen und falls es nötig war würde Gareth einen wichtigen Teil bei der Durchführung seines Plans einnehmen. Er lauschte an der Eichentür und hörte die Stimmen von Jonah Durham und seiner Mutter. Vorsichtig brachte er die angelehnte Tür zum Aufschwingen und schubste den Welpen an, woraufhin dieser durch den schmalen Türspalt wuselte. John zählte bis fünf und folgte ihm.
„John, war das nicht einer von Edmunds Hunden?“ fragte die Königin verärgert, als sie ihn sah.
„Ja, Mutter“, antwortete er, ging in die Hocke und hielt eifrig nach dem kleinen, schwarzen Tier Ausschau, „Edmund hat sie noch nicht ganz unter Kontrolle und helfe ihm bei der Erziehung. - Los komm her, Merwyn, komm!“
„Das sehe ich“, sagte Philippa mit einem amüsierten Seufzen, als sich Gareth zu Johns Befriedigung nicht blicken ließ.
„Ich glaube, er ist ins Nebenzimmer gelaufen“, meldete sich Joan zu Wort, die wie immer ein strahlendes Lächeln für ihre Geschwister übrig hatte, „Darf ich ihm suchen helfen, Mutter?“
Philippa sah auf ihre zweitälteste Tochter an und es schoss ihr durch den Kopf, dass Joan trotz ihrer dreizehn Jahre noch immer ein Kind war wie John.
„Ja, geh. Den Rest kann ich mit Mr Durham alleine besprechen.“
Joans Augen leuchteten auf und John ließ zu, dass sie ihn an der Hand nahm und in die angrenzenden Räumlichkeiten zog.
Joan wusste weder Gareths Namen, noch kannte sie sich mit der Erziehung von Jagdhunden aus. Trotzdem gelang es ihrer sanften Stimme, den Welpen sofort zu sich zu locken.
„Er ist hinreißend“, sagte sie, nahm ihn auf den Schoß und kraulte die weichen Ohren, „Ich wünschte er gehörte mir.“
„Edmund würde ihn dir sicher schenken, wenn er das wüsste.“
„Ach nein, “ wehrte Joan ab, „Es ist sein Hund. Und außerdem…“
Ein Schatten fiel auf ihr herzförmiges Gesicht.
„Es wäre grausam einem so kleinen Tier diese Überfahrt zuzumuten.“
„Ich wette in Kastilien haben sie auch solche Hunde“, sagte John rasch, „Wenn du Pedro sagst, dass du sie magst, kauft er dir bestimmt ein ganzes Rudel.“
Joan lächelte warm, aber ein heller Glanz blieb in ihren Augen.
„Sicher. Das wird er tun…“
Schweigen fiel über den Raum. Sie hörten wie Philippa im Nebenzimmer mit Mr Durham feilschte.
„Joan“, brach John schließlich die Stille, „Wovor fürchtest du dich?“
Ihre Hände hielten inne und Gareth öffnete unwillig die Augen, während Joan blicklos durch eines der Fenster sah.
John wartete ab. Er wusste, dass es manchmal besser war eine Frage direkt zu stellen.
Aber obwohl sie das einzige Familienmitglied war, bei dem man dies aufgrund ihrer Tugend und Sanftmut gelegentlich vergaß, floss auch in Joan uraltes Diplomatenblut und statt ihm eine Antwort zu geben, stellte sie eine Gegenfrage:
„Weißt du was der ‚Schwarze Tod’ ist?“
„Ja“, sagte er zögerlich.
„Vater Acuin sagte mir, dass diese Krankheit seit Wochen in Europa wütet. Er sagt, sie habe ganze Landstriche und Städte ausgerottet und sie soll in England angekommen sein. Am Hafen und in der Cheapside sind die ersten Menschen erkrankt. Jeder der damit in Kontakt kommt ist unwiederbringlich einem grauenvollen Tod geweiht, der ihn innerhalb von drei Tagen hinwegrafft. Ich habe Angst vor dieser Krankheit. Ich hab Angst, dass sie…“
Ihre Stimme verlor sich.
John kam ein Gespräch zwischen dem Schwarzen Prinz und seiner ältesten Schwester in den Sinn das von dem ‚Schwarzen Tod’ gehandelt hatte und er wusste wie er sie trösten konnte.
„Joan, du brauchst keine Angst haben. Ich habe gehört wie Edward mit Isabella darüber gesprochen haben. Der ‚Schwarze Tod’ ist eine Strafe Gottes und es gibt nichts wofür Gott dich bestrafen könnte. Außerdem, “ fuhr er fort, bevor sie ihm widersprechen konnte, „Er schlägt nur das Volk mit dieser Krankheit. Uns Plantagenets kann sie nichts anhaben.“
Joan sah in seine leuchtenden Augen und las darin einen Glauben, den sie nicht teilte und ein Vertrauen, das sie nicht hatte, so sehr sie sich auch danach sehnte.
„Du argumentierst bereits wie ein Politiker“, sagte sie, „Und wie ein Politiker, musst du lernen, dass selbst die klügsten, edelsten Worte manchmal ein schwaches, zweifelndes Herz nicht überzeugen können. Was du sagst erreicht meinen Verstand. Es ist logisch und richtig. Aber trotzdem zweifelt mein Herz und fürchtet ich könnte euch niemals wiedersehen.“
John hatte sich die emotionslose Maske eines Diplomaten noch nicht angeeignet und sie konnte sehen wie es in ihm arbeitete. Schließlich stand er auf, nahm ihre Hand und küsste sie.
„John“, sagte sie beunruhigt, als er zur Tür ging, „Du wirst niemanden davon erzählen, nicht wahr?“
Er wandte sich um und hob eine Augenbraue.
„Natürlich nicht, “ murmelte sie lächelnd, „Verzeih, dass ich dich mit meinen Sorgen und Zweifeln belastet habe.“
Er verbeugte sich und etwas an seinem ernsten, glühenden Blick alarmierte sie zutiefst.
„Ich schwöre dir, Joan: in vier Tagen wirst du England ohne jeden Zweifel und jede Furcht im Herzen verlassen.“
Sie wollte ihn fragen was er vorhatte, aber da hatte er den Raum schon verlassen.
Am nächsten Morgen war er verschwunden.
Lionel, Edmund und zahlreiche Knappen und Ritter durchkämmten den ganzen Vormittag lang den Tower. Als man ihn um elf noch immer nicht gefunden hatte, wurde der König benachrichtigt, der Suchtrupps in die Stadt schickte. Als es am Nachmittag noch immer keine Spur von ihm gab, schritt der Schwarze Prinz ruhelos im Hof auf und ab und war kurz davor selbst in die Stadt aufzubrechen. Am frühen Abend, als die kleine, zerzauste Gestalt unvermittelt in der Halle auftauchte, erkannte ihn seine Familie erst nicht wieder.
„Ich war bei Lucas Durham“, sagte er und hielt den Kopf gesenkt, damit niemand sein leuchtendes Gesicht sah.
Der König, dem das Ausbleiben jeglicher Reue keineswegs entging, war sehr zornig und seine Strafe fiel entsprechend hart aus. Nur mit einer Kerze und einer Bibel wurde er auf unbefristete Zeit, oder wie es Edward ausdrückte: Bis er Bußfertigkeit zeigte, in eine kleine Kammer aus Stein weit ab von den königlichen Gemächern geschickt.
Drei Tage später holte ihn Lionel ab.
„Warum hast du das gemacht?“ fragte der zwei Jahre ältere Junge wütend, „Es hat schon genug Aufregung geherrscht ohne dass du einfach so verschwindest!“
Als John keine Antwort gab, fügte er hinzu:
„Du darfst dich von Joan verabschieden, dann muss ich dich sofort wieder zurück bringen.“
Joan of England, zukünftige Königin Kastiliens, trug bereits ihre Reisekleidung und sah mit den schweren, kostbaren Gewändern und kunstvoll hochgesteckten Haaren fremdartig und sehr jung aus. Der Raum hatte bereits begonnen sich mit Menschen zu füllen, die sich verabschieden wollten und John löste sich von Lionels Seite und durchquerte das große Zimmer so schnell er konnte. Von seinen Eltern bis zu seiner jüngsten Schwester waren alle Familienmitglieder anwesend und als er Joan erreichte, nahm sie gerade einen Strauß Rosen von Mary entgegen.
Als sie ihn sah, verblasste ihr Lächeln und der ernste Ausdruck, den ihr Gesicht annahm, passte zu der Furcht in ihren Augen.
„John…“
Er sah aus den Augenwinkeln, dass etliche andere Familienmitglieder ihm wie Lionel noch grollten, aber alles was jetzt für ihn zählte, war seine Schwester, die er vielleicht nie wieder sehen würde.
„Joan“, sagte er leicht atemlos, „Ich hab auch ein Abschiedsgeschenk für dich.“
Ihr Handgelenk fühlte sich eiskalt an, als er es ergriff und einen kleinen Gegenstand auf ihre Handfläche legte. Joan blickte erst verwundert auf den kleinen Haken aus gräulichem Eisen, dann begann auf ihren feinen Zügen ein erschrockenes Verstehen zu dämmern.
„Aber das ist doch…“
„Ja, ist es“, sagte er, „Und seitdem sind drei Tage vergangen.“
Er trat einen Schritt zurück und blickte zu ihr auf.
„Kann es dein Herz jetzt glauben, Joan?“
Es war Stille im Raum eingekehrt und in den Gesichtern der Umstehenden war Neugierde und Verwirrung zu lesen, weil niemand dem Gespräch der Geschwister folgen konnte.
Joan wandte sich plötzlich ab, drückte alles was sie hielt einer Hofdame in die Hände und im nächsten Moment fand sich John in einer Umarmung wieder, die nach Gold und Lilien duftete.
„Du dummer Junge“, flüsterte Joan mit warmer, bebender Stimme, „Das hättest du niemals tun dürfen.“
„Aber ich habe es dir doch versprochen“, sagte er und obwohl der Samt den sie trug, seine Worte dämpfte ging sein ernster Tonfall nicht verloren.
Joan ließ ihn los und küsste ihn auf die Stirn.
„Gott segne dich, John. Ich werde nie vergessen was du für mich getan hast.“
Später sollte auch Philippa ihrer Tochter Gottes Segen geben und ihr zum Abschied auf die Stirn küssen. Während sie an Bord ging, war Joans linke Hand zur Faust geschlossen und als sie sich umdrehte und ihrer Familie ein letztes Mal zuwinkte, war zu Philippas grenzenloser Freude in Joans funkelnden Augen keine Spur mehr von Furcht.
John hätte danach noch Monate in seiner Steinkammer verbringen können ohne die vom König geforderte Bußfertigkeit nur ansatzweise zu zeigen, aber es kam alles anders.
Am Vormittag des zweiten September 1348, als er in den Raum trat und sich ihm fünf kindliche Gesichter neugierig zuwandten, dachte der Prince of Wales, dass er jetzt lieber tausend Franzosen gegenüberstünde als seinen fünf kleinen Geschwistern.
„Mutter hat mich gebeten es euch zu sagen“, sagte er kurzangebunden, „Wir haben heute Morgen eine schreckliche Nachricht aus Bayonne erhalten.“
Sie tauschten erschrockene Blicke, aber bevor jemand etwas sagen konnte, sprach Edward die drei Worte aus, die er selbst noch kaum glauben konnte:
„Joan ist tot.“
Einen Moment lang war es so still, dass sie das Krächzen der Raben unten im Hof hörten. Margarets Mund war leicht geöffnet, Edmund blinzelte schwerfällig und Lionel war bleich geworden.
„Es geschah vor zwei Tagen“, sagte Edward, „Es war die Pest. Sie konnten nichts für sie tun.“
Marys Röcke raschelten leise, als sie zu Boden sank und das Gesicht in den Händen vergrub. Ihr Schluchzen brach den Bann der auf ihren Geschwistern lag und auch Edmund und Mary begannen zu weinen, während Lionel sich bekreuzigte und stumm betete. Edward ging zu seinen Schwestern und versuchte sie zu trösten, obwohl er wusste, dass sie untröstlich waren.
Aus den Augenwinkeln sah er wie Lionel Edmund umarmte und hinter den beiden stand John.
Er hatte sich, seit Edward den Raum betreten hatte nicht vom Fleck gerührt und etwas in seinem kleinen Gesicht erinnerte Edward unvermittelt an den Abend nach seiner ersten Schlacht. Damals war er im Lazarett gewesen und hatte beobachtet wie sich der Feldarzt bei zwei Verwundeten dafür entschied jenen, der wie am Spieß schrie, zuerst zu behandeln. Später als ihn Edward fragte warum er das getan hatte, antwortete er:
„Bei Verwundeten, die ihren Schmerz noch beklagen können, ist die Chance auf eine Rettung größer. Männer, die selbst zum Schreien nicht mehr genug Kraft haben, sind zumeist schon hoffnungslos verloren.“
John erinnerte ihn nun an jenen Mann, der selbst zum Schreien keine Kraft mehr gehabt hatte.
Als die Mädchen von ihrer Amme weggebracht worden waren, trat Edward neben ihn und legte eine Hand auf die schmale Schulter.
Der Junge blinzelte und sah auf.
„Es ist nicht wahr.“
Edward verspürte er einen schmerzhaften Stich. Er wusste dass Kinder Dinge, die sie nicht akzeptieren wollten, manchmal ableugneten, aber er hatte nicht erwartet, dass ausgerechnet John diese Reaktion zeigte.
„Ich wünsche mir auch sehr“, sagte er sanft, „dass es nicht wahr ist, aber-“
„Es ist nicht wahr“, wiederholte John entschieden, „Und das weißt du Edward.“
In seiner klaren Stimme schwang ein sehr vorwurfsvoller Tonfall.
„Wohin gehst du?“ fragte Edward leise, als sich sein kleiner Bruder abrupt abwandte und zur Tür ging.
„Zurück.“
„Das musst du nicht. Deine Strafe ist beendet.“
John sah ihn über die Schulter an und seine dunklen Augen sprachen von Vertrauensbruch und grenzenloser Enttäuschung.
Er kehrte in seine Steinkammer zurück und verließ sie nicht. Der König und die Königin waren von Trauer so überbewältigt, das Edward und Isabella die Aufgabe zukam sich um ihre verstörten Geschwister zu kümmern. Einen Tag später betrat Edward den kalten kahlen Raum und kniete sich zu seinem reglosen Bruder auf den Boden.
„In Westminster Abbey findet Joan zu Ehren eine Messe statt. Ich bin gekommen um dich abzuholen.“
„Sie ist nicht tot.“
Edward seufzte lautlos und zwang John zu ihm aufzusehen.
„Doch das ist sie, John. Ich weiß, dass du darauf wartest aus einem schrecklichen Alptraum aufzuwachen, aber das wirst du nicht.“
„Nein“, sagte John und sein Blick war wie ein Stich mitten in Edwards Herz, „Ich warte, darauf dass ihr euren Irrtum einseht.“
„Es gibt keinen Irrtum.“
„Joan kann nicht an der Pest gestorben sein. Sie ist eine Plantagenet! Du hast gesagt, dass uns diese Krankheit nichts anhaben kann!“
Endlich verstand, Edward warum der Junge ihn anblickte, als habe er ihn verraten. Er erinnerte sich an das Gespräch mit Isabella vor fast zwei Wochen.
„Du hast Recht. Der König und ich waren fest davon überzeugt, dass königliches Blut unsere Familie vor der Pest schützen würde. Vater hätte Joan niemals nach Europa geschickt, wäre er sich dessen nicht völlig sicher gewesen.“
Edward lächelte ein bitteres Lächeln, das keines war.
„Gott hat uns gezeigt wie furchtbar er Hochmut bestraft.“
„Aber…“
John schluckte und Edward fiel auf wie blass und kränklich sein Gesicht war.
„Glaubt der König wirklich, Joans Tod sei Gottes Strafe für den Hochmut unserer Familie?“
Ja, dachte Edward düster, und dieser Gedanke macht ihn vor Schuldgefühlen halb wahnsinnig. Zu John sagte er:
„Das glauben wir alle.“
„Aber dann…“
John schluckte erneut und ein Zittern lief über seinen Körper.
„Dann verstehe ich Gott nicht. Wenn er unseren Hochmut strafen wollte, verstehe ich nicht warum er Joan genommen hat. Sie fürchtete die Pest!“
„Hat sie das gesagt?“
Der Junge nickte.
„Gott nimmt die Unschuldigen dieser Welt zu sich, um die Sündigen zu strafen, “ sagte Edward bitter, „Das war immer so und wird immer so sein.“
John schlang die Arme um seine angezogenen Beine und kauerte sich zusammen.
„Edward…“
Er sah ihn nicht an, sondern starrte leer in die Ferne.
„Ich war auch hochmütig. Gott straft uns auch wegen meinem Hochmut.“
„Sag so etwas nicht“, Edward berührte liebevoll seine Schulter, „Es stimmt, dass in jedem Plantagenet der Hochmut wohnt, aber du bist noch ein Kind und ich glaube nicht, dass Gott dich so hart strafen würde.“
John reagierte erst nicht, dann begann er mit tonloser, leiser Stimme zu gestehen:
„Ich war damals nicht bei Lucas Durham, sondern in der Cheapside und am Hafen. Ich hab die Hütten der Pestkranken gesehen und bin dicht vorbei gegangen. Der Angelhaken, den ich Joan am Tag ihrer Abreise gab, wird nur am Hafen verkauft und sollte beweisen, dass ich wirklich da war.“
Edward starrte ihn bestürzt an.
„Warum hast du das getan!?“
„Ich wollte Joan beweisen, dass wir nicht an der Pest erkranken können.“
Er drehte den Kopf und sah Edward direkt an:
„Das war Hochmut in seiner reinsten Form, nicht wahr?“
Seine dunklen Augen flackerten.
„Warum hat er mich verschont, Edward? Warum bin nicht ich krank geworden?“
Edward hob ihn hoch und trug ihn aus der Kammer hinunter auf den Hof wo die Sonne schien und Raben krächzend den Tower umkreisten.
Gott ist gnädig, dachte er, während er den Hof durchquerte und blinzelte gegen das plötzliche Licht, Joans Tod war Gottes Strafe für Vaters Hochmut. John ist in die Stadt gegangen, weil er meinen überheblichen Worten blind vertraut hat und wenn ihm etwas zugestoßen wäre, dann wäre es allein meine Schuld gewesen.
Am dritten September des Jahres 1348, stand der Schwarze Prinz mit seinem Bruder vor dem Altar des Heiligen Georg und beide schworen niemals wieder in ihrem Leben hochmütig zu sein.
Keiner von ihnen konnte sich an diesen Schwur halten.
keksdiebin - fortuna - johnofgaunt