Es dürfte zu meinen, mit Abstand, allerbesten Ideen gehört haben den Schreibtisch unmittelbar an die Balkontür zu schieben. Von hier aus hat man, in dieser Jahreszeit, da die Bäume im Hofinneren ihre Belaubung abgestreift haben, einen ausgezeichneten Blick auf die Vorgänge im gegenüberliegenden Seitenflügel der Hausnummer 30. Da sieht man, besonders Abends, viele Bekannte. Die graue Perserkatze schaut einen streng unter der Rüschengardine heraus an. Schräg darunter wird das Essen in einem großen Topf zubereitet, der kahlköpfige Mann rührt um, unterhält sich dabei mit seiner Frau. So beschlagen wie einige Scheiben sind, wird in den meisten Haushalten wohl ordentlich geheizt (macht mich ein bisschen neidisch, da meine Heizung hier oben, in meinem Ausguck nur sehr zögerlich wärmt). Eine neue Vogelart habe ich übrigens entdeckt, die ich andernorts noch nie beobachtet habe. Die Schwanzmeise (Aegithalos caudatus) lässt sich auf den kahlen Zweigen vor meinem Fenster des öfteren blicken und genießt auch die volle Aufmerksamkeit der Katzen, da sie einem Ball empfindlich stärker ähnelt als einem herkömmlichen Vogel (soviel auch zum Thema Beuteprägung).
Aber ich verliere den ursprünglichen Gegenstand aus den Augen. Ich möchte nämlich vom 'Zuschauer' erzählen. Der Zuschauer wohnt einen Stock unter mir, im gegenüberliegenden Haus. Eigentlich weiß ich nicht einmal ob die Wahl des Artikels "der" überhaupt zutreffend ist, da man die Person im Raum nie zu sehen bekommt. Dieser Umstand begründet sich darin, dass es zumeist stockdunkel ist, allein der Fernseher glimmt, dem Fenster gegenüberliegend, in seinen kühlen aufmerksamkeitsbindenden Farben. Mir ist diese Sogwirkung eines Fernsehgeräts vor den Beobachtungen die ich an meinem Gegenüber anstellte, noch nie so bewusst geworden. Allein die Vorstellung davon wer da was in dieser Kiste sieht, umhüllt von der Schwärze eines Wintervorabends (bis hinein in die Tiefen der Nachtstunden), wer da seine Zeit fortschmilzt von Angesicht zu Angesicht mit der Braunschen Röhre, reaktiviert meine eigene Vorstellungskraft, auf dass sie Haken schlägt, mehr als jede motivierend anstachelnde DIY-Fibel es vermögen könnte. Denn das möchte ich nicht sein, dort drüben. Im Grunde gibt es gar keine bessere Metapher als ein Röhrenfernsehgerät selbst: drin sitzt doch nur ein Vakuum.
Eine Anmerkung in eigener Sache: wenn ihr glaubt ich hole das auf, das in dem letzten halben Jahr alles geschehen ist, habt ihr euch geschnitten. Ich möchte wieder ein wenig schreiben, bis ich zurück in meinen Rhythmus gefunden habe oder eben nicht und es für immer sein lassen kann. Eine Darstellung meiner Silvesternacht, wurde in einigen wenigen Zeilen sehr treffend von Feridun Zaimoglu verfasst.
Möpse statt Kater
von Feridun Zaimoglu
Rausch und Reue machen dämlich. Habe also nicht gefeiert, keinen Tischgenossen und keine Tischdame unterhalten müssen. Habe neun Stunden am Stück geschlafen, und als ich aufwachte, war mein erster Gedanke: Dies ist nicht der Neujahrstag, dies ist der Folgetag des vergangenen Jahres. Der Kaffee schmeckte mir besonders gut, ich aß keinen Berliner mit Eierlikörfüllung, ich aß eine butterbestrichene Scheibe Graubrot. Dann zeichnete ich einen Mops, schwarz-weiß gescheckt, und schrieb unten rechts auf dem Blatt: Mops auf Linol. Ein erster Vorsatz - ich werde, häufiger als im letzten Jahr, schwarze und gescheckte Möpse malen. Ich war nicht in Kiel, ich hielt mich wegen Recherche im Ruhrgebiet auf. Draußen aber genauso grau wie im Norden, zwei junge Deppen ließen vom Balkon Böller mit brennenden Lunten fallen. Es krachte, und der Krach machte die Jungs sehr, sehr glücklich. Sie winkten mir zu, ich war der Gaffer hinter der Gardine, also trat ich vom Fensterplatz zurück in die dunkle Wohnung. Vier Stunden malte ich an meinem ersten Mops des Jahres, Acryl auf Leinwand, und weil die Ohren zu kurz gerieten, sah der Mops aus wie ein Ochsenfrosch mit Mädchenschleifen auf dem Kopf. Ein Freund rief an und sprach von seinem schlimmen Kater. Ein anderer Freund rief an und sagte: In Berlin brannte die Luft, und die jungen Mütter hatten sich herausgeputzt. Ich rief meinen besten Freund in Kiel an, und er sagte: Hab' nix gemacht, hab' auch keine neue Freundin gefunden.
Wenn es genauso schnell dunkel wird wie gestern im letzten Jahr, dachte ich, was soll mich daran hindern, so wie gestern um dieselbe Stunde um den Block zu laufen? Ich schlüpfte in die neuen reduzierten Schuhe, sie drückten am Rist, an der Ferse, an den äußeren drei Zehen rechts, ich machte trotzdem einen Gewaltmarsch. Himmel grau, kleine Regentropfen, Pappmatsch und Hundescheiße auf Gehweg und Straße, fidele alte Männer und Frauen mit Gehstöcken, übellaunige junge Leute ohne Gehstock. Zu Hause trank ich den fünften Kaffee des Tages, vier weitere Male wurde ich von Jungs aus Berlin angerufen, die mir vom sagenhaften Silvestersuff erzählten. Ich schrieb etwas, dann, nach einer kleinen Pause, schrieb ich mehr, legte drei Seiten auf den Papierstapel. Das Mopsbild wollte ich nicht verloren geben, ich malte die Schleifen zu Öhrchen aus. Ein Hundeliebhaber würde das Bild nicht kaufen. Die Deppen ließen es draußen krachen, bald käme vielleicht die Polizei. Um Mitternacht oder kurz davor, streckte ich mich mitten im Zimmer und lauschte dem Nachbarn in der Nebenwohnung: Er hängte die Christbaumkugeln ab, das hatte er mir am Vortag verraten. Alles war schön, alles war schlicht, Rausch machte dumm. Ich legte mich ins Bett, schlug die erste Seite eines Psychothrillers auf, auf der dritten Seite stieß ich auf eine Stelle, die mich verdross. Der zerrüttete Kommissar briet im Pfännchen Pfifferlinge. Nichts ist schlimmer als kochende Gourmets, dachte ich. Dieser Gedanke machte mich glücklich, also schlief ich glücklich ein.
Quelle:
"Schriftsteller über den Jahreswechsel: Vom Walzer beschwingt, vom Schlaf beglückt" FAZ.net, Ressort Bücher heißt es und ich habe es euch (mitsamt Quelle, selbstverständlich. Don't call me an Hegemann.) unter den Lj-Cut gelegt. Es war nicht genau so, aber ähnlich.
Da habt ihr mich wieder, lasst es uns von jetzt ab langsamer angehen.