Team: Novalis
Challenges: Romantik/Intimität: Wortlos
Fandom: Original
Wörter: ~500
Anmerkung: Traumgeschichten und so. Das kommt dabei raus, wenn die Shuffle-Funktion meint
Kristi Kara und die
Einstürzenden Neubauten zu kombinieren.
Das erste Mal hatte ich sie gesehen, da war ich fünf Jahre alt. In diesem Winter hielt mich ein schreckliches Fieber von der Weihnachtsfeier meiner Familie fern. In meinem Bett liegend hörte ich sie, hörte das Klappern des Geschirrs und ihr murmelndes Lachen. Wie eine maronenbrauner Mantel legten sich ihre Geräusche um mich. Nicht kastanienbraun - maronenbraun.
Ich hatte mich fest darin eingewickelt, den warm duftenden Kragen bis über die Nase gezogen. Zwei Ziegen, so groß wie Pferde, zogen den Schlitten, der mich durch einen gläsernen Wald tragen sollte. Aus weiter Ferne klangen Glöckchen, als wir ein hohes Tor erreichten. Es trug die selben Muster wie die Tür zwischen unserem Ess- und Wohnzimmer, aber es war aus Elfenbein geschnitzt und da wo bei uns die Türgriffe waren glotzen mir hier zwei monströse Fratzen entgegen.
Als wir uns ihnen jedoch näherten öffnete sich die Pforte vor uns.
Mein Schlitten, die Ziegen, der maronenbraune Mantel waren verschwunden. Barfuß stand ich auf einer Sommerwiese, Gänseblümchen zwischen den Zehen. Irgendwo spielte Musik, spielte eine Flöte ihr Lied. Ich kannte es, aber sein Name wollte mir nicht einfallen. Nicht hier, wo die Kirschen rot und reif an den Bäumen hingen, und die Sonne sich weiß-golden auf der Oberfläche eines Teichs spiegelte.
Und dann sah ich sie. Halb verbogen von einer Hunds-Rose, stand sie da und lächelte mir zu. Als ich die Hecke aber umrundet hatte war sie verschwunden.
Der Traum muss weiter gegangen sein, aber in meiner Erinnerung blieb nichts zurück als dieses fremde Mädchen, diese Märchenprinzessin. Ich hätte sie niemals beschreiben können, hätte nie sagen können welche Farbe ihr Haar oder ihre Augen gehabt hatten. Und trotzdem existierte ein klares Bild, ein ungreifbares, tief in mir.
In den folgenden Jahren tauchte sie wieder und wieder in meinen Träumen auf. Selbst wenn ich ihr nicht begegnete spürte ich ihre Anwesenheit.
Wir sprachen nie ein Wort, in meinen Träumen, sahen uns nur aus weiter Ferne. Wann immer ich versuchte mich ihr zu nähern verschwand sie, löste sich auf in bunte Nebelschwaden. Und doch war mir als kannte ich sie so gut wie keinen einzigen echten Menschen, war sie mir so vertraut, so lieb, wie nie ein echtes Mädchen.
Je älter ich wurde, um so größer wurde der Traum, um so mehr zerrte eine Sehnsucht an mir. Ich konnte keine anderen Mädchen ansehen. Nur sie. Immer sie.
Als ich fünfzehn oder sechzehn war gab ich ihr den Namen Aurora. Kein anderer wollte an ihr heften bleiben. In jener Zeit verbrachte ich mehr Stunden schlafend, träumend nach ihr suchen als wach.
Dann, an einem Abend, erblickte ich sie. Ich musste den Verstand verloren haben. Ganz in Echt, Fleisch und Blut, eine von Rauch und bunten Lichtern versteckte Gestalt am Eingang.
Ich löste mich von der Tanzfläche. Bahnte mir einen Weg zu ihr, voller Furcht, dass sie - wie in meinen Träumen - plötzlich verschwinden könnte.
Aber sie blieb, blieb Fleisch und Blut, verwandelte sich auch nicht in eine Andere. Mit einem erschrockenen Laut fuhr sie herum, als ich nach ihrer Hand griff, aber kein Wort kam über ihre Lippen.
Still schweigend sah sie mich an und in ihren großen, grauen Augen erkannte ich mein eigenes Erstaunen, meine eigene Sehnsucht. Mein eigenes Glück, sie endlich, endlich, gefunden zu haben.