Team: Novalis
Challenge: Romantik/Intimität: Post-It-Zettel
Fandom: Original (Der Blaue Salon)
Wörter: ~850
Charaktere: Maron, Ireana
Anmerkung:
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Man könnte ja fast meinen, ich hätte den Haupthandlungsstrang vergessen...
Am Anfang bemerkte er die Zettel überhaupt nicht. Er hatte sie gesehen, schulterzuckend hingenommen, aber war nicht ein Mal stehen geblieben um zu lesen was darunter geschrieben stand. Er hätte es vielleicht nie getan, wenn Tobin ihn nicht aufmerksam gemacht hätte.
„Streuner entlaufen“, las er vor und lachte. Ob ein Streuner irgendwas anderes als entlaufen sein könnte?
„Vielleicht hatte sie ihn bei sich aufgenommen“, schlug Maron schulterzuckend vor.
„Wieso meinst du, dass es eine Frau ist?“
„Ist es keine?“
Tobin presste seinen Finger auf die angegebene Adresse. Verik Steffens' Blumenladen, stand dort und darunter Haus-, Straßen- und Bezirksnummer.
Danach fielen Maron die Zettel häufiger auf. An Hauswänden, an Stromkästen, Lattenzäunen oder Straßenlaternen klebten sie. Hundertfach kopiert. Alle zeigten sie die selbe, schemenhafte Zeichnung eines Hundes und darunter handgeschriebene Worte.
„Mittelgroßer Jagdhund braunes, kurzes Fell, moosgrüne Augen, Schwalbenförmige Narbe“ - Absatz - „gut erzogen, scheu, stubenrein“
Irgendwann riss er einen der Zettel ab, stopfte ihn in seine Jackentasche. In seinem Zimmer, geschützt vor den Blicken der anderen, starrte er die Zeichnung an, las die Beschreibung des entlaufen Streuners wieder und wieder und wieder. Er hatte - er hatte sich einreden können, sie vergessen zu haben. An manchen Tagen konnte er fast glauben es hätte jene Gewitternacht niemals gegeben.
Jetzt konnte er sie fast hören, spürte ihre Finger, wie sie Muster auf seinen Rücken zeichneten.
„Müsst ihr euch oft prügeln?“, hatte sie gefragt.
„Oder kommt die Narbe wo anders her?“
„Ich weiß es nicht mehr“, hatte er gelogen und ihr dann zugehört, wie sie versuchte die richtigen Worte zu finden, den richtigen Vergleich, um die Form der Narbe zu beschreiben.
Der Name auf dem Zettel konnte nicht ihrer sein. Nicht dass sie ihm ihren Namen verraten hätte, aber Verik war ohne Zweifel der Name eines Mannes. Vielleicht ein Freund, der sie im Hinterzimmer seines Blumenladens versteckte. An dieser Vorstellung fand Maron wenig Gefallen. Überhaupt hatte sie nicht den Eindruck gemacht, als wäre sie auf die Hinterzimmer irgendwelcher Blumenhändler angewiesen. Maron faltete den Zettel zusammen und schob ihn unter seine Matratze. Wahrscheinlich war die Nachricht überhaupt nicht an ihn gerichtet. Wahrscheinlich war es nur irgendwer, der nach seinem Hund suchte.
Trotzdem schlüpfte er an seinem nächsten freien Tag in zivile Kleidung, und folgte der Adresse, die auf dem Anschlag angegeben war. Es war eine schmale Seitenstraße. Die Schaufenster des Geschäfts waren so zugestellt, so dicht verhangen mit Blumen und Pflanzen jeder Art, dass man kaum in den Laden blicken konnte. Als er eintrat begrüßte ihn das unmelodische Geklimper dreier Glocken. Die Luft roch nach feuchter Erde und Moos und Blättern, nach Rosen und Orchideen und anderen Blumen, die Maron nicht kannte. Er versuchte ihren Geruch darunter ausfindig zu machen, und fand dann, dass ein Blumenladen vielleicht der beste Ort war um sich zu verstecken.
Ein älterer Herr begrüßte ihn. Klein und zusammengeschrumpft, schenkte er Maron ein fast Zahnloses lächeln.
„Sind sie Verik Steffens?“
Der Alte nickte. Irgendwie fand Maron das erleichternd.
„Ich bin hier wegen dem Hund“, er streckte dem Alten den Zettel entgegen. Der kniff seine Augen zusammen, zog eine Brille aus seiner Schürzentasche und begutachtete Maron kritisch. Dann verschwand er durch einen perlen-klimpernden Vorhang hinter der Kasse.
Maron hörte humpelnde Schritte, die sich eine Treppe hinauf schleppten. Er sah sich in dem Laden um, betrachtete die liebevoll zusammengesteckten Kränze und Sträuße, die Keramikfigürchen, die zwischen Blumentöpfen die Regale füllten. So sieht also das Geschäft eines Volksverräters aus, dachte Maron, und schüttelte den Gedanken gleich wieder beiseite.
Eine gefühlte Ewigkeit später kam der Alte zurück.
„Sie soll'n rauf kommen“, teilte er Maron mit, und hielt ihm den Perlenvorhang auf.
Sie wartete am oberen Treppenabsatz auf ihn. In einen Morgenmantel gewickelt und mit müden Augen, aber sie lächelte. Als wäre es das schönste auf der Welt ihn wieder zu sehen und für eine Sekunde musste Maron stehen bleiben. Es war absurd. Wie viele von ihnen hatte er schon, wenn nicht umgebracht, wenigstens festgenommen, damit andere sie hinrichteten? Wie könnte sie irgendetwas anderes als Verachtung für ihn empfinden?
„Was willst du von mir?“, fragte er leise.
Das Mondkind zuckte mit den Schultern und wob ihre Finger zwischen seine. Maron zog seine Hand zurück.
„Ich kann dir nicht helfen“, versuchte er ihr zu erklären. Da lachte sie.
„Findest du, ich sehe so aus als bräuchte ich Hilfe?“
Sie packte ihn fest am Handgelenk und zerrte ihn mit sich in ein Zimmer. Schwere Vorhänge verdeckten die Fenster. Auf einem Schreibtisch stand eine Lampe, deren Licht ein Durcheinander aus Land- und Seekarten, Atlanten und Notizzetteln auf dem Fußboden und an den Wänden sichtbar machte.
„Ich wollte dich nochmal sehen“, sagte sie.
Sie will fliehen, begriff Maron während er sich über einen schmalen Pfad freien Fußbodens führen ließ. Sie will unsere Inseln verlassen. Und ein Teil von ihm wusste, dass es seine Pflicht war sie daran zu hindern, und Teil von ihm wünschte nichts mehr als, dass es ihr gelingen würde, aber der Großteil von ihm konnte nur daran denken, dass er sie dann nie mehr wieder sehen würde.