Team: Mittelerde
Challenge: Thriller- Die Zeit läuft ab - fürs Team
Fandom: Tatort Saarbrücken
Titel: Der Knochen
Inhalt: Adam versucht nach den Ereignissen im Wald, Spuren zu sichern.
Anmerkung: Spielt direkt nach „Der Herr des Waldes“, also Achtung Spoiler!
Der Knochen
Sein Vater ist ein gottverdammtes Arschloch.
Das wusste Adam zwar auch schon vorher, aber dass der Alte diesen verfickten Oberschenkelknochen so dermaßen gut verstecken konnte, obwohl er nur auf Adams Hüfthöhe hantieren kann, macht ihn rasend.
Er lässt die Schublade fallen, die er aus dem Schreibtisch im Arbeitszimmer gezogen hat, direkt auf den Boden und tritt nochmal danach. Das Holz kracht, Papiere fliegen überall hin, doch Adam ist es scheißegal. Soll sein Vater doch selbst aufräumen, wenn er aus dem Krankenhaus entlassen wird, oder seine Mutter, wenn ihr gar kein anderes Zimmer mehr einfällt, in dem sie sich verstecken kann.
Es ist halb elf. Adam ist seit fünf Uhr wach. Er sieht Punkte vor den Augen aufblitzen, bevor er auf die Knie fällt und alles wieder zusammenräumt, methodisch, ordentlich, jedes Blatt schaut er an, alte Rechnungen für das Auto, ungeöffnete Briefe an seinen Vater adressiert, es interessiert ihn alles nicht. Die Schublade ist leer. Kein Knochen. Natürlich nicht.
Vielleicht hat sein Vater den verschluckt.
Achillessehne durchtrennt. Eine richtig beschissene Verletzung, schon im Normalzustand, aber die Ärztin sagte irgendwas von mindestens zwei Wochen Krankenhaus in diesem speziellen Fall.
Adam hat also zwei Wochen Zeit, um das ganze Haus auf den Kopf zu stellen, sollte man meinen, doch Adam weiß, dass er den Knochen so früh wie möglich finden muss. Die Uhr tickt unerbittlich, er spürt schon feuchten Atem im Nacken. Wenigstens eine der vielen Waffen aus dem Arsenal seines Vaters muss er entfernen, weil er dessen selbstgefälliges Grinsen nicht ertragen würde, wenn Adam ihn nach dem Knochen fragen muss.
„Du kriegst auch gar nichts auf die Reihe, oder?“, würde er fragen, der alte beschissene Verbrecher, und den Knochen irgendwo hervorziehen, wo Adam wahrscheinlich auch schon zwanzig Mal vorher gesucht hat.
Zwei Wochen im Krankenhaus sind keine Ruhepause. Adam stellt sich vor, wie er ihn abholt (warum muss er das machen, ist er der einzige Mensch, den seine Mutter kennt, der ein Auto fahren kann, oder was?) und wie die Schwestern und Pfleger ihn anlächeln, und beglückwünschen, was für ein Held sein Vater ist, wie gut er sich gemacht hat, wie schwer es bestimmt für sie alle war, dass sein Vater so kurz nach seinem wundervollen Erwachen direkt wieder weg war aus dem heimischen Glück, aber jetzt wird alles gut, jetzt kann er ja wieder nach Hause, und dann würde sein Vater nicken, und sagen, dass sein Sohn jetzt bestimmt besser auf ihn aufpassen würde, das würde kein zweites Mal passieren, nicht wahr Adam, du hast doch jetzt gelernt und machst jetzt endlich deinen Job, damit dein alter Vater dir nicht ständig helfen muss, nicht wahr?
Ein dumpfer Schmerz im Unterschenkel reißt Adam aus seinen Gedanken. Er verkrampft sich, er kennt das schon, das Herzrasen, das Metall im Mund, irgendwo an seinem Zahnfleisch, seiner Zunge blutet wahrscheinlich was. Er macht den Mund auf, bis ihm der rote Speichel auf den Handrücken tropft, doch er kriegt trotzdem keine Luft, weil es nicht an seinen Lippen, seiner Kehle oder seiner Lunge liegt.
Er hat Todesangst, im Arbeitszimmer seines Vaters wird er draufgehen, die fünfzehn Jahren die er sich dank Leos Schaufel ergaunert hat, komplett fürn Arsch, es wird genau so kommen, wie er es schon in der vierten Klasse vorausgesehen hat, er wird hier in diesem Haus sterben, dieses Haus ist seine ganze Welt, Berlin war ein Fiebertraum.
Er hechelt, sabbert und seine Nägel kratzen auf dem Betonfußboden. Vorbei, vorbei, wann geht es endlich vorbei, die Zeit tickt runter, er will nicht sterben, oder zumindest will er nicht merken, dass ihm das passiert, seine Beine tun so weh, ein Hammer knallt von innen gegen seine Stirn und verbeult seine Brust wie Blech. Er kneift die Augen zu, um wenigstens der grellen Lampe auszuweichen, doch sein Hirn packt ihn und wirft ihn in den Wald, wo sein Vater auf der Erde lag, so kurz davor endlich draufzugehen, doch stattdessen liegt Leo da, mit entsetztem, panischen Blick, völlig starr und Adam will den Mörder aufhalten, doch als er die Waffe hebt, kniet er plötzlich selbst über Leo und schießt ihm mitten in die Stirn.
Adam schreit und der Knoten platzt. Sein Herz bleibt stehen, was Schwachsinn ist, er atmet noch, wie lange, keine Ahnung, er stirbt nicht. Er liegt zuckend und mit blutigen Händen auf dem Boden, die Ecke der Schublade bohrt sich in seinen Wangenknochen.
Er hat überlebt und hinter ihm geht plötzlich die Tür auf.
„Adam?“
Seine Mutter war in ihrem Leben noch nie irgendwo unpünktlich und trotzdem immer zu spät.
Adam stemmt sich nach oben, zu viel Schwung, er kippt zur Seite und schlägt sich die Stirn am Schreibtisch. Er flucht, greift sich mit seiner nassen Hand ins Gesicht, Gott im Himmel, wo ist der Scheißknochen.
„Was?“, fragt er als seine Mutter keine Anstalten macht, ihm zu helfen. Er weiß nicht, warum er darauf immer noch hofft, und kommt mühsam auf die Beine.
„Leo ist da“, sagt seine Mutter.
Adam rutscht fast erneut aus, als er an ihr vorbei zur Haustür stürmt.
Leo wartet mit verschränkten Armen am Auto.
„Ich hab noch nichts gefunden“, keucht Adam ihm entgegen. „Ich weiß, dass er hier sein muss, irgendwo, ich muss ihn nur finden.“
Leo richtet sich auf und Adam bleibt wie festgefroren stehen.
„Wovon redest du?“, fragt Leo. Er klingt nicht aggressiv, eher verwirrt und Adam würde ihn am liebsten schütteln, aber Leo will nicht angefasst werden.
„Der Knochen“, sagt er also. Er holt tief Luft, an dem ganzen klebrigen Schleim in seinem Hals vorbei, doch auch dieser Atemzug kommt nicht in seiner Lunge an. Sein Brustfell beginnt zu schmerzen, wahrscheinlich der allerletzte Teil seines Körpers, der jetzt nachzieht. „Der Oberschenkelknochen, den der Waldelf hier gelassen hat. Mein Vater hat ihn irgendwo versteckt und ich…“
Ich will alles wieder gut machen, das wird schon, wir schließen den Fall ab, niemand muss mehr drüber reden, faselt sein Kopf weiter, doch er bringt es nicht über die Lippen. Leo starrt ihn an, als hätte Adam den Verstand verloren und zwar auf eine völlig andere, harmlosere Art als im Wald.
„Das ist vollkommen… latte.“
„Was?“
Leo schnaubt und ballt die Fäuste. „Das ist mir scheißegal“, sagt er, als hätte Adam bloß seinen Spruch nicht verstanden.
Sein Herz schlägt weiterhin viel zu schnell und jedes Atemholen macht ihm Kopfschmerzen, als wäre seine Haut zu eng um den Schädel gespannt. Fuck. Wann ist dieser Tag endlich zu Ende.
„Ich will dich abholen“, sagt Leo. „Du bleibst hier nicht.“
„Was?“
Leo rollt mit den Augen. „Hast du was an den Ohren? Pack dein Zeug.“
Adam starrt ihn an. Die rennende, schiebende, beißende Panik in ihm hält für einen Moment inne, wahrscheinlich weil ihr das auch zu absurd ist und Leo, der vielleicht mit quietschenden Reifen hier in die Einfahrt gebrettert ist, total von sich überzeugt, die Rechtschaffenheit in Person, fällt für eine Sekunde aus der Rolle.
„Du kannst nicht hierbleiben“, murmelt er, zeigt auf das Haus, als ob das nötig wäre. „Pack dein Zeug.“ Er klingt müde, und Adam will das einfach nicht mehr. Er muss den Knochen finden, er muss den Fall abschließen, er muss Pia und Esther davon abhalten, Fragen zu stellen, die über „Dein Vater hat gesagt, er hat den Knochen zuhause, wann bringst du den vorbei?“ hinausgehen und vor allem muss er Leo beschützen, ihn weit weg von all dem hier halten, Leo, der sich in die Schusslinie gebracht hat, als er den Fast-Mörder seines Vaters kaltgemacht hat, weil Adam seinen scheißverdammten Job nicht machen konnte. Befangenheit, doch nicht bei ihm, was glauben die denn, der Bericht dazu am Montag wird ein Träumchen.
Adam atmet aus. „Leo, ich kann nicht, ich muss…“
Ein Stoß gegen seine Brust, schon wieder, und genau wie im Büro stolpert Adam nach hinten. Für eine Sekunde bleibt ihm die Luft weg, was lächerlich ist, Leos Glasperlenfäuste machen ihm keine Angst. Der Blick jedoch, der ihm im Dämmerlicht der Einfahrtbeleuchtung wutentbrannt entgegen knallt ist ein ganz anderes Kaliber. Seine Schuhe knirschen auf dem Kies.
„Pack. Dein. Zeug.“
Leo dreht sich um und stapft zum Auto zurück.
Adam folgt ihm drei Minuten später mit dem Rucksack auf dem Arm.
Scheiße.