Titel: Stille Nacht, heilige Nacht - A Wartime Story
Challenge:
~1 Lebkuchenherzen
~2 „Ich will keine Geschenke, ich will Weltfrieden!“
~3 Nacht, aber weder still noch heilig
Fandom: Original
Warnings: Krieg, angst, etwas deprimierend vielleicht
Note: Ich hatte erst eine Comedy-fic zu Nr. 3 geplant, doch dann ist mir das hier eingefallen und ich habe alle 3 Challenges benutzt ^^
Wordcount: 1200~
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Der Lärm war ohrenbetäubend, als die Bombe auf der Brücke einschlug und in den schmalen Fluss krachte. Das Holz splitterte und flog in alle Richtungen.
Jesse konnte es nicht sehen, nur hören. Seine Finger krampften sich um den Griff und den Lauf seiner Waffe.
Überall um ihn herum stöhnten und schrieen seine Kameraden, brüllten sich Befehle zu oder klagten über ihre Schmerzen und die miserablen Umstände.
Wie sehr er sich wünschte, jetzt zu Hause bei seiner Frau und seinem Kind zu sein. Die kleine Charlotte. Er hatte sie noch vor seiner Abreise sehen können. Ganz winzig war sie, mit ein paar dunklen Haaren bereits auf dem Kopf und einer Stupsnase, die sie eindeutig von Isabel geerbt hatte. Dort lag sie dann, weinend in den Armen ihrer erschöpften Mutter. Jesse konnte sich nicht entscheiden, ob es ein Fluch oder ein Segen war, dass er seine neugeborene Tochter vor der nächsten Einberufung zu Gesicht bekommen hatte.
Doch eines wusste er mit Sicherheit: Es hatte den Abschied noch schwerer gemacht, als es ohnehin schon jedes Mal war.
Und das alles ausgerechnet zu Weihnachten. Diese rebellischen Bastarde auf der anderen Seite hatten wahrlich vor gar nichts Respekt.
Jesse löste seine Hand vom Griff des Gewehrs und klopfte die Taschen seiner dreckigen Uniform nach einem Päckchen Zigaretten ab. Er wurde fündig und schüttelte es, bis einer der verbliebenen Stängel ein wenig durch die kleine Öffnung schaute. Er zog ihn mit den Zähnen gänzlich heraus und steckte das Päckchen wieder weg, bevor er nach Streichhölzern zu suchen begann.
Allerdings war die Suche vergebens und er zog die Zigarette frustriert aus seinem Mund heraus. Ein Blick nach links sagte ihm, dass Lambert sich nach wie vor unweit von ihm neben einem kleinen Stapel gespaltenem Holz zusammenkauerte und betete.
Sorgsam sag Jesse sich um, bevor er sich die Zigarette hinter das rechte Ohr klemmte und sich mit dem Bauch auf den Boden gleiten ließ. Das Gewehr fest in beiden Händen vor sich, robbte er zu seinem Kameraden herüber und zog dabei sein linkes Bein durch eine halb gefrorene Matschpfütze. Die Kälte und die Nässe, die sich sofort über seine gesamte Hose ausbreiteten, ließen ihn das Gesicht verziehen.
"Hey, Lambert", raunte er. "Kannst du mal aufhören mit der Beterei? Sag mir lieber, wo Thompson abgeblieben ist!"
Doch der andere antwortete ihm nicht und murmelte unbeirrt seine Bibelverse vor sich hin, während er die Hände vor der Stirn gefaltet hatte und sich leicht vor- und zurückwiegte.
"Lambert!", zischte Jesse und stupste ihn leicht mit dem Griff seines Gewehrs am Knöchel an.
Das Murmeln des anderen wurde lauter, verzweifelter.
Jesse starrte ihn noch eine Weile an, dann seufzte er und setzte sich unter einigen Umständen auf den Boden und lehnte sich mit dem Rücken an die erdig-feuchte Wand des Schützengrabens.
Der Junge war zu Bedauern. Gerade einmal 17 Jahre alt und die Obrigkeiten hatten nichts Besseres zu tun, als ihn dem Schoße seiner Familie zu entreißen und hier an der Grenze zu stationieren. Am verfickten Weihnachtsabend.
Müde ließ Jesse den Kopf zurücksinken und schloss für einen Moment die Augen. An die Schreie und den Lärm hatte er sich längst gewöhnt. Sie waren zu einem wohlbekannten Hintergrundbrummen geworden, welches ihn mittlerweile sogar schlafen ließ. Doch an das stete Rezitieren von Bibelversen konnte er sich wahrlich nicht gewöhnen. Und das wollte er auch gar nicht.
"Lambert", knurrte er halb genervt, halb erschöpft und versuchte eine bequemere Position zu finden. "Du machst dich nur selber verrückt. Und mich auch."
"Ach, lass den Kleinen zufrieden, Cole", erklang plötzlich eine gut gelaunte Stimme unweit vor ihm. Jesse riss die Augen auf und sah wie sich Richard Thompson in einer geduckten Haltung flink näherte.
"Wenn es ihm hilft, dann soll der Junge ruhig beten. Zum Kuckuck, er soll für uns alle beten! Denn wir sind nichts als unwürdige Sünder in den Augen eines zornigen Gottes!"
Er lachte donnernd und ließ sich zwischen die beiden in den Dreck fallen.
Jesse konnte nicht anders als diesen Mann zu bewundern. Er hatte ihn vor einem halben Jahr beim letzten Einsatz kennen gelernt und mochte ihn sofort. Richard war groß und breitschultrig, sein Gesicht war vernarbt und auf einem Auge war er laut eigenen Angaben fast blind. Doch er war stets gut gelaunt und ließ sich durch nichts aus der Ruhe bringen. Für Jesse war er wie ein Anker in diesen Kriegszeiten. Jemand, von dem eine Sicherheit und Beständigkeit ausging, die einem Hoffnung schöpfen ließ. Hoffnung, dass er auch dieses Mal am Ende siegreich und an einem Stück nach Hause zurückkehren würde.
"Ich hab' mich schon gefragt, wo du abgeblieben bist, Thompson", Jesse grinste schief. "Sie haben die Brücke gesprengt."
"Das war kaum zu überhören", schnaubte der Hüne und zog etwas aus seiner Manteltasche hervor, das wie eine kleine Brottüte aussah. "Aber das sollte uns nicht kümmern. Der Fluss ist weder breit, noch tief. Dann holen wir uns eben nasse Füße, sofern wir ihn erneut überqueren."
Interessiert schaute Jesse auf das Päckchen. "Sofern uns nicht alle der Teufel holt."
Thompson lachte erneut und Lambert erschauerte.
"Nun lass den Kopf nicht hängen, Kleiner. Ich hab' euch etwas mitgebracht. Ein Weihnachtsgeschenk sozusagen. Es ist nicht viel, aber..."
Tatsächlich hörte Lambert auf zu beten und wandte den anderen beiden das Gesicht zu. Er sah verbittert aus. "Ich will keine Geschenke, Thompson, ich will Weltfrieden!"
Jesse wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte. Vermutlich wäre es irgendwie witzig gewesen, wenn sie nicht mitten im Krieg gesteckt hätten.
Der Riese schüttelte den Kopf. "Tja, solange aber alle anderen nicht die Hände in den Schoß legen und beten, sind sie zu beschäftigt sich die Köpfe einzuschlagen. Ich fürchte das wird dieses Jahr nichts mit Weltfrieden zu Weihnachten. Aber ich habe etwas anderes, hier."
Er riss die kleine, weiße Papiertüte auf und zum Vorschein kamen ein paar Lebkuchenherzen. Die meisten waren zerdrückt und die Schokoladenglasur war stellenweise abgebröckelt. Als Jesse sich eines der Dinger nahm, stellte er außerdem fest, dass sie ein wenig nach Salami rochen. Doch das störte ihn nicht im Geringsten. Seit über einer Woche gab es nur hartes Brot, Kartoffeln und Trockenfleisch. Und üppig waren die Rationen auch nicht gerade.
"War sicher schwer sie zu besorgen", meinte er und biss hinein.
Thompson kicherte. "Du hast ja keine Ahnung. Fragt mich nicht, wie sie hierher geschmuggelt wurden."
Lambert verzog das Gesicht während er kaute. "Das müssen wir gar nicht, der Geruch sagt schon alles."
Sie schwiegen eine Weile und aßen. Gedankenverloren leckte Jesse sich die Fingerkuppen sauber. Er fragte sich, was Isabel und Charlotte gerade taten; hoffentlich ging es ihnen gut.
Ein Blick nach oben in den bewölkten Nachthimmel ließ ihn frösteln. In der Ferne hörte er Schüsse und Schreie.
Irgendwann gegen Mitternacht fielen die ersten Schneeflocken herab und die zunehmende Kälte sorgte dafür, dass der Schnee auch liegen blieb. Wie eine weiche Decke legte er sich auf den braunen Matsch und das morsche Holz. Er dämpfte den Lärm, die Schreie und Schritte; tauchte die Welt um sie herum in ein warmes Weiß.
"Frohe Weihnachten", murmelte Thompson und zog den Mantel enger um sich.
"Frohe Weihnachten", erwiderte Jesse.
Lambert schwieg und lächelte.
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Danke für's Lesen. Und euch allen eine schöne Weihnachtszeit! ♥
Lummy~