Angst - Das Geräusch eines Schusses

Jul 27, 2015 22:18

Team: Persephone
Challenge: Angst - Das Geräusch eines Schusses (für mich)
Fandom: Tumbling
Charaktere: Tsukimori Ryôsuke, OCs

Wörter: 1561


In den folgenden Tagen erwartete Ryôsuke immer wieder, plötzlich Kurosaki gegenüberzustehen. Oder Harada. Oder Takano. Es grenzte schon an Verfolgungswahn, aber er konnte es nicht abstellen. Sie hatten ihn einmal überrascht, das würde ihm nicht wieder passieren.
Er hatte es so satt. Eigentlich war er immer ein recht guter Schüler gewesen, aber dem Unterricht zu folgen wurde zu einer schier unlösbaren Aufgabe. Die Lehrer interessierte es ohnehin nicht. Seinen Eltern war es ohnehin egal, die hatten sich kein einziges Mal gemeldet, vermutlich gaben sie sich der Hoffnung hin, dass er gar nicht mehr nach Hause kommen würde und verplanten sein Zimmer. Vielleicht sollte er sich allein deswegen mal wieder blicken lassen. Tat er aber nicht. Es war dämlich, je länger er wegblieb, desto unerfreulicher würde es werden, aber er konnte sich nicht dazu überwinden und seine Verletzung war eine hervorragende Ausrede dafür.
Seine Rippen taten auch am Freitag noch weh, aber es stellte sich wenigstens eine kleine Besserung ein und er hatte nicht mehr das Gefühl, als würde jeder Atemzug nur darauf warten, ihm ein stumpfes Messer in die Seite zu stoßen.
Er überlegte gerade, ob er das Training eher dazu nutzen sollte, etwas zu schlafen, den anderen zuzusehen war deprimierend, als sein Handy in der Hosentasche vibrierte. Erst dachte er, dass ihm jemand geschrieben hatte, aber dann vibrierte es nochmal. Und nochmal. Ein Anruf also. Seine Eltern? Sonst kam kaum jemand in Frage... mit einem prüfenden Blick zu den anderen rappelte er sich auf. Das Team war um Yûta versammelt. Damit fiel es weg, sich kurz abzumelden, bevor er rausging. Sich mit den Mädchen anlegen, weil er es wagte, in ihrem Heiligtum zu telefonieren, würde er ganz sicher nicht.
Bis er die Halle verlassen hatte, war natürlich seine Mailbox angesprungen, aber ein Blick auf das Display verriet, dass es seine jüngste Schwester gewesen war. Die hinterließ sowieso nie eine Nachricht, aber hatte ihm zumindest oft geschrieben, nachdem sie zu ihrem elften Geburtstag endlich das lang ersehnte Handy bekommen hatte. Damit war sie die einzige in seiner Familie, die sich aktiv bei ihm meldete. Was bedeutete, er konnte sie ruhig zurückrufen, sie würde sich höchstens darüber beschweren, warum er so lange nicht daheim gewesen war und das war auch mal eine nette Abwechslung.
Es klingelte zwei Mal, bis Shizuka sich meldete. „Nii-chan! Nie gehst du an dein Handy!“
„Ich hab dich auch lieb“, antwortete Ryôsuke und Shizuka kicherte, aber es wirkte anders als sonst. Ryôsuke konnte nicht genau sagen, was ihn daran störte und Shizuka ließ ihn nicht lange darüber nachdenken, sondern kam schnell auf den Punkt. Etwas zu schnell vielleicht. „Warum kommst du nicht mehr heim?“
Weil einige Leute aus seiner Vergangenheit wer-weiß-was mit ihm anstellen wollten? „Es ist gerade etwas stressig. Macht dir keine Sorgen.“
„Mama sagt, dass du wohl irgendwann wieder auftauchst...“
Also hatten sie ihn noch nicht ganz abgeschrieben. Aber man konnte einem Kind ja schlecht sagen, dass man den älteren Bruder am liebsten nie zu Gesicht bekam. „Ich komme bald wieder nach Hause.“ Die Worte fühlten sich falsch an. Nur weil er dort eigentlich wohnte, war das noch lange nicht sein Zuhause.
„Bist du bei Wataru?“
„Gerade bin ich noch in der Schule. Aber ja. Ich bin erstmal bei ihm untergekommen.“ Shizuka kannte Wataru nicht, aber sie war nicht dämlich. Natürlich hatte er ihr von seinen Freunden erzählt, wenn sie ihn irgendwie dazu überredet hatte, ihr ein Eis auszugeben oder so.
„Gut.“ Warum sie das zu beruhigen schien, war Ryôsuke nicht ganz klar. Er kam auch nicht mehr dazu, sie zu fragen, denn sie redete schon weiter. „Ich hab einen Freund von dir getroffen...“
Ryôsuke erstarrte. Bitte nicht... „Wen?“
Etwas musste sich in seiner Stimme verändert haben, mit einem Mal klang sie unsicherer. „Er sagt, er will dich sprechen.“
Nein. Neinneinnein... „Ist er bei dir?“
„Ja. Warum er hat er nicht deine Handynummer?“
Dumm war sie wirklich nicht. Aber manchmal vergaß er, dass sie erst elf war. Und keine Ahnung hatte, was hinter einem freundlichen Gesicht lauern konnte.
„Hat wohl ein neues Handy. Gib ihn mir, ja? Und dann gehst du nach Hause.“
„Okay...“
„Eine nette kleine Schwester hast du da.“ Kurosaki klang so selbstgefällig, dass ihm beinahe schlecht wurde. „Lass sie in Ruhe!“
„Es wird Zeit, dass wir uns mal unterhalten. In aller Ruhe.“
Klar. Er konnte sich denken, wie diese Unterhaltung enden würde, aber das war nebensächlich. „Lass Shizuka da raus.“ Am liebsten hätte er noch mehr gesagt, aber die Worte blieben ihm buchstäblich im Halse stecken. Ihm war furchtbar übel. Wenn Shizuka etwas passierte, würde er sich das niemals verzeihen. Niemals.
„Treffen wir uns in einer halben Stunde?“
Ryôsuke schmeckte bittere Galle. „Wo?“
„Du weißt, wo.“
Klar. Es gab eine alte Lagerhalle nahe des Strandes, wo sie sich früher immer getroffen hatten.
„Okay.“ Schon das eine Wort kostete beinahe mehr Kraft als er aufbringen konnte. Natürlich waren die letzten Tage nur die Ruhe vor dem Sturm gewesen. Wie hatte er auch nur ansatzweise hoffen können, dass es anders war.
Er sah sich um. Die Tür zur Halle war geschlossen, aber es würde nicht mehr lange dauern, bis irgendjemandem auffiel, dass er weg war. Sollte er Wataru alles sagen? Oder Kiyama? „Kluger Junge. Du weißt bestimmt, dass ich alleine mit dir reden will.“
Damit war die Sache vom Tisch. „Wohl eher: Ich bin alleine. Du nicht.“
„Gut möglich.“
„Gib Shizuka ihr Handy zurück und lass sie gehen.“
Ryôsuke zog seine Tasche aus ihrem Fach. Den Protest seiner Rippen bemerkte er kaum mehr. Vermutlich würde er sich darüber ohnehin nicht mehr lange Gedanken machen müssen. „Wenn bei dir alles soweit klar ist.“
„Ist es.“ Ob sie merkte, dass das kein Gespräch unter alten Freunden war? Hoffentlich, dann würde sie sich beeilen, von Kurosaki wegzukommen. Je eher sie aus der Schusslinie war, umso besser.
„Dann sehen wir uns gleich.“
„Ja...“ Draußen war es windiger geworden, vermutlich ging seine ohnehin schon leise Antwort unter. Aber Kurosaki legte nur auf. Klar. Er wusste, dass er ihn in der Hand hatte. Warum die direkte Konfrontation suchen, wenn er ihn so einfach von den anderen isolieren konnte.
Ryôsukes Finger schmerzten, als er mühevoll den Griff um sein Handy lockerte. Er hatte gar nicht gemerkt, dass er es so fest gehalten hatte. In jedem Manga hätte es wohl geknackt. Seine Hände zitterten, als er es wieder in die Hosentasche schob. Hoffentlich ließ Kurosaki Shizuka wirklich gehen. Dieser verdammte Feigling.
Als das Handy sich wieder meldete, zuckte er zusammen. Es fiel zu Boden, als er es aus der Tasche holen wollte, aber er sah Watarus Namen aufblinken. Also wurde er inzwischen offenbar vermisst. Wie viel Zeit war vergangen? Er hatte keine Ahnung, im Moment lief er mehr auf Autopilot als alles andere. Kurosakis unausgesprochene Drohung noch deutlich im Kopf wartete er, bis die Mailbox ansprang, bevor er es wagte, das Handy aufzuheben. Seine Hand zitterte so stark, dass es mehrere Versuche brauchte. Es hatte den Fall offenbar gut überstanden... man musste wohl auch für kleine Dinge dankbar sein.
Aber Wataru wäre nicht Wataru, wenn er es nicht nochmal versuchen würde. Ryôsuke wies den Anruf ab und wählte Shizukas Nummer, bevor Wataru einen dritten Versuch starten konnte. Dass er damit quasi bestätigte, dass es Probleme gab, war Ryôsuke ziemlich egal. Das war wohl ohnehin offensichtlich genug.
Hoffentlich hatte Kurosaki das Handy nicht einkassiert... aber Shizuka meldete sich, die Stimme atemlos und ein wenig piepsiger als sonst. „Nii-chan?“
„Ist alles okay bei dir?“
„Ja. Wer war das?“
„Egal. Wo bist du? Geh sofort nach Hause, klar?“ Er erschreckte sie bestimmt, aber es ging gerade nicht anders. Wenn sie dann wirklich heim ging, dann war ihm gerade jedes Mittel Recht. Hoffentlich ließ Kurosaki Akiko aus der Sache raus. Aber Grundschülerinnen waren eher seine Kragenweite. Die konnte man einfacher einschüchtern. Zumindest war Ryôsuke sich bei Shizuka sicherer, dass sie den Mund halten würde als bei Akiko, die ein ganz anderes Selbstbewusstsein spazieren trug. Was immerhin bedeutete, dass sie sich nicht in Schwierigkeiten bringen würde.
Aber dummerweise war Shizuka die Schwester, der etwas an ihm lag.
„Wer war das?“, fragte sie nochmal und Ryôsuke fuhr sich mit der freien Hand nervös durch die Haare. Die ersten Ponyfransen fielen ihm in die Stirn. Er ignorierte es. „Geh einfach nach Hause, ja? Keine Umwege.“ Seine Stimme klang lange nicht so sicher, wie er es gerne gehabt hätte und er war sich sicher, Shizuka konnte das genau hören. Bevor sie aber noch etwas sagen konnte, legte er auf und hätte es beinahe wieder fallen lassen. Das Handy fühlte sich rutschig in seiner Hand an... Er und ignorierte die verpassten Anrufe, die in der Zwischenzeit eingegangen waren, und stopfte es in seine Hosentasche. Irgendwann würde selbst Wataru aufgeben. Oder wenigstens hoffte er das.

Mit der Zeit war es immer so eine Sache. Es kam Ryôsuke gleichermaßen wie wenige Sekunden und wie eine Ewigkeit vor, bis er die verlassene Lagerhalle erreichte. Sie wirkte sogar noch heruntergekommener, als damals. Entweder spielte ihm seine Erinnerung einen Streich, aber vielleicht machten sich die vergangenen Jahre wirklich bemerkbar. Den Weg ins Innere fand er ohne Probleme, die eher unscheinbare aber schwere Seitentür war in einem guten Zustand gehalten worden, sie quietschte nicht einmal, als Ryôsuke sie öffnete. Als sie hinter ihm ins Schloss fiel, klang das Klicken in seinen Ohren beinahe wie ein Schuss.

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